Garcia de Verdevique und die Finesse älterer Rotweine

Antonio Garcia, links, und meine Familie

Zum in der Contraviesa-Alpujarra gelegenen Weingut Garcia de Verdevique habe ich im Februar diesen Jahres bereits einen Beitrag verfasst. Familie Garcia und deren Naturweine sind seither quasi Stammgäste auf diesem Blog – gerade erst belegte ihre Crianza 2010 bei einer von mir organisierten Blindverkostung mit sechs Weinen aus Rioja, dem Priorat und der Alpujarra den ersten Platz.

Im Juni und Juli habe ich das Weingut ein zweites und drittes Mal besucht und mich stetig weiter hinein in das Weinsortiment und die verschiedenen Jahrgänge verkostet. Für ein kleines Weingut mit einer Jahresproduktion von gerade einmal 15.000 bis 20.000 Flaschen lassen Vater und Sohn Antonio Garcia nichts aus: Ihre Kollektion umfasst vier Weißweine, vier Rotweine, einen Rosado, einen Süßwein aus der Rebsorte Pedro Ximénez sowie einen Schaumwein Brut Nature, der im Champagnerverfahren mit einer zweiten Gärung in der Flasche erzeugt wird.

Bodega Garcia de Verdevique
Weingut Garcia de Verdevique in der Contraviesa-Alpujarra.

In diesem Beitrag konzentriere ich mich ganz auf die Rotweine der Garcias und dabei nur auf jene, die einen Ausbau im Holzfass erfahren: das ist zum einen die Crianza aus Tempranillo und Cabernet Sauvignon mit 12 Monaten Barrique und deren Jahrgänge 2010, 2009, 2006 und 1999 und zum anderen die Gran Reserva 2010 aus denselben Rebsorten mit 30 Monaten Barrique.

„Jedes Jahr ist anders“ wiederholt Vater Antonio mantra-artig, wenn ich ihn bei meinen Besuchen auf diesen und jenen Jahrgang anspreche und danach frage, wie er denn ausgefallen sei. Auf eine qualitative Bewertung lässt er sich eigentlich nie ein. Er akzeptiert die Launen der Natur, und weil er seinen Weinen bei der Bereitung im Keller keinen Schwefel, keine Zuchthefen, keine Aromenkonzentrate oder sonstige Aufputsch-Mittelchen beigibt und sie zudem nicht schönt und filtriert, fällt jeder Jahrgang unterschiedlich aus.


Die Weinberge liegen auf bis zu 1.400 m. ü. NHN. In steilen Lagen werden die Böden mit Hilfe von Pferden umgepflügt.

Beim letzten Besuch, den meine Frau, Sohn und Schwiegervater begleiteten, ließ sich Antonio dann doch zu einem Qualitätsurteil hinreißen. Ich fragte nach der Crianza von 2006. Ich hätte gehört, das (vorübergehend geschlossene) Noma in Kopenhagen würde diese servieren, ob das denn stimme. Ja, das sei richtig, entgegnete Antonio. Der Besitzer des Restaurants besäße ein Haus in der Nähe und käme öfter vorbei, um Weine bei ihm zu ordern.

2006 sei auch ein wirklich guter Jahrgang gewesen, entfuhr es seinem Munde und schon machte sich Antonio auf ins Lager, um nach einer der rar gewordenen Flaschen zu suchen. Zu meiner Freude wurde er fündig und entkorkte die Flasche wie er zurückkam. Sogleich offenbarte sich im Glas ein hochfeiner Wein: weniger beerig als der 2009er, weniger fleischig als der 2010er, dafür rund, weich und elegant mit einer filigranen Struktur – und dies, obwohl er noch nicht einmal richtig Luft geatmet hatte, was für Rotweine solchen Alters normalerweise Pflicht ist.

Immer deutlicher erkenne ich, welche Wunder in Bezug auf Harmonie, Komplexität und Eleganz eine lange Flaschenreife bei Rotweinen bewirken kann. Das ist zwar eine alte Binsenweisheit, allerdings werden heutzutage aus ökonomischen Erwägungen immer mehr Rotweine so gemacht, dass sie jung getrunken werden können bzw. müssen, da sie kaum länger haltbar als zwei Jahre sind. Zudem scheint auch der Konsument vermehrt nach frisch-fruchtigen Weinen zu verlangen, und diese Nachfrage können einfache, junge Rotweine ebenso bedienen.


Mit Vater Antonio Garcia (links) verkosteten meine Frau und mein Schwiegervater zuletzt u. a. einen dieses Jahr erstmals gekelterten Rotwein aus Pinot Noir und Merlot.

„Kann ich von dem 2006er ein paar Flaschen kaufen?“, fragte ich Antonio. Nein, lächelte er bedauernd, dieser Jahrgang sei vergriffen. Ob ich denn an noch älteren Jahrgängen interessiert sei, fragte er zurück. Selbstverständlich! Er ging erneut weg, diesmal nicht ins Lager, sondern in sein Wohnhaus nebenan. Zurück kam er mit einer Flasche in der Hand, deren Etikett schon leicht abzubröseln schien – die Crianza von 1999. Die könne ich mit nach Hause nehmen, er würde sie mir schenken.

Mein Schwiegervater und ich gaben abschießend unsere Bestellung auf: diverse Weißweine aus autochthonen Sorten wie Vijiriega und Jaén Blanco sowie den jungen, im Stahltank ausgebauten Rotwein (Tinto Joven) und natürlich die aktuell verfügbare Crianza 2010 nahmen wir mit auf den Weg nach Hause. Erstmals auch eine Gran Reserva des Jahrgangs 2010 mit beachtlichen 30 Monaten Barrique. Wie die Crianza wird sie aus 70% Tempranillo und 30% Cabernet Sauvignon gekeltert. Freilich war ich daran interessiert, wie der Vergleich des selben Jahrgangs mit den selben Rebsorten und der einzig unterschiedlichen Reifezeit im Holzfass ausfallen würde.


Die hochfeine Crianza 2006 aus Tempranillo und Cabernet Sauvignon.

Zuhause gab ich den beiden Flaschen ein paar Tage Ruhe. Aber nur ein paar Tage, denn ich war zu neugierig sie parallel zu verkosten. Die Begriffe Crianza und Gran Reserva bezeichnen bei spanischen Weinen die Dauer des Ausbaus im Holzfass sowie die Reifezeit in der Flasche. Um als Crianza firmieren zu können, muss ein Wein mindestens zwölf Monate im Barrique (in manchen Anbauregionen nur sechs Monate) und mindestens weitere zwölf Monate in der Flasche Reifen, bevor er in den Handel gelangt. Bei einer Gran Reserva werden mindestens zwei Jahre im Eichenholzfass (Barrique) und mindestens drei weitere Jahre Flaschenreifung verlangt.

Meine generelle Begeisterung für die Rotweine von Garcia de Verdevique erhielt mit der Gran Reserva 2010 – dem mit Abstand teuersten Wein des Weinguts – einen kleinen Dämpfer. Der Wein riecht streng nach Kräutern wie Bärlauch und Gewürzen wie schwarzem Pfeffer. Nichts, dass ich etwas gegen diese Kräuter und Gewürze hätte, aber sie treten mir hier zu dominant zu Tage. Auch nach mehrfachem Dekantieren blieb diese Geruchsnote alleinig vorherrschend. Am Gaumen wirkte der Wein ebenfalls unrund – extrem würzig, fast schon scharf und die Tannine zu harsch. Das Eichenholz hat hier entweder zu viele Eigenaromen und Tannin an den Wein abgegeben, die die Primäraromen aus der Traube vollständig überlagern oder der Wein muss noch einige Jahre länger liegen und reifen, bis er harmonisch und ausbalanciert daherkommt. Dies vermag ich aktuell nicht zu beurteilen und werde es wohl einem Selbsttest im Jahr 2022 zur Fußball-WM in Katar erneut unterziehen.

Stand heute ist die dreimal günstigere Crianza 2010 im Vergleich jedenfalls deutlich facettenreicher in den Aromen (Frucht, Kräuter, Wildbret) sowie insgesamt komplexer und harmonischer. Auch sie verfügt über ein langes Reifepotenzial.

Garcia de Verdevique, Crianza und Gran Reserva 2010
Jahrgang 2010 aus Tempranillo und Cabernet Sauvignon: links die Crianza mit 12 Monaten Barrique, rechts die Gran Reserva mit 30 Monaten Barrique.

Die kleine Enttäuschung über die Gran Reserva 2010 mit 15,5% Vol. wich purer Freude als ich wenige Tage später die Crianza 1999 mit moderaten 13,5% Vol. probierte, die sich für mein Empfinden als sensationeller Wein entpuppte. Nahezu ideal erschien mir die Balance aus dichtem Körper und filigraner Struktur mit glatten Tanninen und feiner Säure. Der Wein kommt trotz seines stattlichen Alters saftig und frisch daher, er verfügt über ein vielfältiges und ausgewogenes Armenspektrum von fruchtig bis animalisch und über einen langen animierenden Abgang. Insgesamt schmeckt er äußerst rund und charaktervoll.

Je älter, desto besser – diese Regel galt lange Zeit für Rotweine. Auf die Crianza 1999 von Garcia de Verdevique trifft sie heute noch ohne Einschränkung zu.

Garcia de Verdevique, Crianza 1999
Die Crianza von 1999 schmeckt auch nach 16 Jahren Flaschenreife sehr lebendig, saftig und elegant.

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