Flor de Pingus und die Frage: Was macht einen Wein elegant?

Peter Sissek, Pingus

Allzu selbstverständlich spreche ich auf diesem Blog regelmäßig davon, dass dieser oder jener Wein elegant sei. Aber was steckt eigentlich hinter dieser Zuschreibung? Wie ist „elegant“ in der Weinsprache zu verstehen? Welche Kriterien liegen der Verwendung des Worts zugrunde? Als ich neulich den 2015 Flor de Pingus trank, wurde mir klar, dass ich meine bisherige Definition von Eleganz hinterfragen und in einem Beitrag präzisieren sollte. Nebenbei lernen Sie einen hochinteressanten und berühmten Weinmacher kennen.

Flor de Pingus – Eleganz in Vollendung
In einer Weinbar in Málaga ergab sich kürzlich für mich die Gelegenheit ein Glas des Flor de Pingus 2015 zu ordern. Bei einem Handelspreis von um die 120 Euro die Flasche ist es keine Selbstverständlichkeit bzw. eine Seltenheit solch einen Wein in der Gastronomie offen trinken zu können. Ich sah die Flasche in einem jener luftdichten Verkostungssysteme, die Weine über drei Wochen hinweg genießbar halten. Neunzehn Euro berappte ich für das 0,1er-Glas, fast ein Schnäppchen.

Die Nase fand ich noch nicht einmal besonders spektakulär, aber was ich dann im Mund hatte, war von solch außergewöhnlicher Harmonie und nahezu perfekter Balance, dass ich den Wein am liebsten für immer an meinem Gaumen, na ja wenigstens in den Gedanken konservieren möchte. Leser und Leserinnen dieses Blogs wissen, dass ich zumeist positiv über Weine schreibe, aber nie in Superlativen. Heute mache ich eine Ausnahme: Dies ist der eleganteste Rotwein, den ich je getrunken habe.

Flor de Pingus 2015
Sortenreiner Tempranillo aus Ribera del Duero. 

Was bedeutet elegant in der Weinsprache? Schlagen wir zuerst im guten alten Duden nach: Dieser umschreibt elegant ganz allgemein mit Begriffen wie erlesen, kultiviert, vornehm und als „Harmonie in der Form“. Das Wort Harmonie erscheint mir in Bezug auf den Wein am nützlichsten. Harmonie definiert der Duden wiederum als „ausgewogenes, ausgeglichenes Verhältnis von Teilen zueinander“ und auf Musik bezogen als „wohltönender Zusammenklang mehrerer Töne und Akkorde“. Deutlich wird hierbei, dass Harmonie (und Eleganz) nur im Zusammenspiel mehrerer Teile entstehen können, die einen Einklang bilden, die ineinander verschmelzen und dem Betrachter/Zuhörer/Weintrinker stimmig erscheinen. Was wir als „stimmig“ empfinden, ist freilich subjektiv.

Bei einem eleganten Wein kommt es für mich vorrangig auf die Struktur an: Unter Struktur verstehe ich geschmacksprägende Elemente wie Säure, Gerbstoffe (Tannine), Frucht und Alkoholgehalt. Dominiert eines dieser Teile zu stark, wirkt ein Wein häufig unrund. Der Tropfen muss deswegen nicht schlecht sein, er kann sogar über Charakter verfügen, aber ich würde ihn dann nicht als „elegant“ beschreiben, um zu meiner Ausgangsfrage zurückzukommen.

Die Qualität eines eleganten Weins besteht für mich in der Balance der oben genannten Säure, Gerbstoffe, Frucht und Alkohol – eine Einheit, in der die einzelnen Elemente nach wie vor zu erkennen sind, sich aber zugleich ergänzen und eine Übereinstimmung bilden. Auf den Körper kommt es meines Erachtens weniger an, denn sowohl filigrane und schlanke Weine als auch schwere und mächtige Weine können elegant sein.

Der Flor de Pingus 2015, mit kraftvollem Körper, präsentiert sich mit weichen Tanninen und vielseitig in den Aromen, mit Tiefgang und Intensität. Der Wein ist unbeschreiblich rund und zugleich griffig am Gaumen, eine meisterhafte Komposition, man möchte ihn kauen, so gut fühlt er sich an. Gekeltert wird er aus 25 bis 50 Jahre alten, biodynamisch kultivierten Tempranillo-Reben; der 18-monatige Ausbau erfolgt in französischen Barriques, davon 50 % in Erst- und 50% in Zweitbelegung.

Die „Tiefe“ eines Weins, wie sie der Flor de Pingus zeigt, ist für mich ein weiteres Kriterium hinsichtlich Eleganz und Qualität im Allgemeinen: Tiefgang hängt mit dem Aromenspektrum, das ein Wein mitbringt, zusammen: beerig, würzig, erdig, kräuterig, mineralisch, animalisch und so fort. Einen flachen, eintönigen Wein, selbst wenn er sich rund anfühlt, würde ich nie als „elegant“ bezeichnen. Ergo gehören zur Eleganz, neben der Harmonie und Balance, überdies eine gewisse Komplexität und Finesse.

Soweit meine heutige Theoriestunde. Vielleicht werde ich in Zukunft von mir gern verwendete Weinbeschreibungen wie saftig, knackig, filigran, etc. an mir passend erscheinenden Beispielen ebenfalls näher erörtern. Jetzt aber zum Weingut Dominio de Pingus, das einige spannende Hintergründe zu bieten hat.

Psi 2015, Pingus
Psi 2015. Ein reinsortiger Tempranillo aus alten Reben. 

Dominio de Pingus – mit die teuersten spanischen Weine
Um die 120 Euro Ladenpreis für eine Flasche „Flor de Pingus“ ist eine stolze Summe. Das Weingut Dominio de Pingus keltert mit dem „Pingus“ außerdem einen weiteren sortenreinen Tempranillo, der sich sogar für rund 1.200 Euro je Flasche verkauft (die Preise variieren abhängig von Jahrgang und Anbieter). Wie kann das sein?

Wer erwartet, dass ein Wein für 120 Euro zehnmal so gut munden sollte wie einer für 12 Euro liegt falsch. Der Flor de Pingus schmeckt noch nicht einmal doppelt so gut. Es sind Nuancen, die ihn an Feinheit und Eleganz vom großen Rest abheben – die feinen Unterschiede eben.

Weine und Weinpreise müssen in einem Gesamtkontext betrachtet werden, ähnlich wie es im Kunstmarkt der Fall ist. Warum verkauft sich ein Rothko für Millionen, während andere großartige Künstler, die nicht schlechter malen, nur für ein paar Tausend gehandelt werden? Kunstkritik, Sammler und Kunstszene erkennen in Rothko offenbar etwas Wegweisendes und Avantgardistisches, das ihn für seine Zeit und im Vergleich zu seinen Gegenwartsgenossen einzigartig macht. Und weil die Kunst von Rothko naturgegeben nur begrenzt zu haben ist, schnellen die Preise in die Höhe. Die altbekannte Regel lautet: geringes Angebot bei hoher Nachfrage gleich hohe Preise.

Ein wenig lässt sich mit dem Beispiel aus der Kunstwelt eine Analogie zu Dominio de Pingus und deren Weine ziehen. Der Kopf hinter dem Weingut ist der dänische Weinmacher Peter Sissek, in Spanien kennt ihn fast jedes Kind (kleine Übertreibung, aber Sissek schafft es hier sogar in die Abendnachrichten des staatlichen Senders).

Sissek, Jahrgang 1962, war bereits Önologe bei Hacienda Monasterio im Anbaugebiet Ribera del Duero, ehe er 1995 vier Hektar Land für ein eigenes Projekt unter Vertrag nahm und aus der Lese des selben Jahres den ersten Pingus-Wein kelterte. Dieser Jahrgang 1995 kam zwei Jahre später auf den Markt. Der anfängliche Handelspreis von etwa 20 Euro pro Flasche lag bereits ein halbes Jahr später um das Siebenfache höher. „Einer der großartigsten und spannendsten Weine, die ich je verkostet habe“, gab Robert Parker damals von sich. Ein solch glänzendes Urteil des obersten Weingurus hilft garantiert den Wert eines Weins zu erhöhen.

Einen enormen Preissprung löste dann der Untergang eines Transportschiffs im November 1997 aus, das in die USA unterwegs war. 75 Boxen bzw. 900 Flaschen des ersten Pingus-Jahrgangs verschwanden mit dem Tanker im Atlantischen Ozean. Der mengenmäßig ohnehin kleine Jahrgang (ca. 4.000 Flaschen) wurde somit noch knapper, und in den USA schossen die Preise geradezu durch die Decke, um an den Wein zu gelangen. Statt ursprünglich veranschlagter 200 Dollar kostete die Flasche nun 500 Dollar. Und heute, etwa zwanzig Jahre später, hat sich dieser Preis als Resultat einer steigenden Nachfrage bei gleichbleibend niedriger Produktion nochmals verdoppelt.

Neben dem für mich unerschwinglichen Flaggschiff „Pingus“ erzeugt Dominio de Pingus bzw. Peter Sissek drei weitere Weine: darunter den zuvor beschriebenen Flor de Pingus sowie den „Psi“, von dem ich auch in der Weinbar in Málaga gekostet habe. Der Psi 2015, ebenfalls ein Tempranillo aus über 30 Jahre alten Reben, wirkt fruchtiger und frischer als der Flor de Pingus, der allerdings in puncto Eleganz und Harmonie unerreicht bleibt. Die Trauben für den Psi kommen aus zahlreichen, über das Anbaugebiet verteilten Parzellen, die von mehreren Weinbauern unter Leitung von Peter Sissek bewirtschaftet werden. Die Gärung erfolgt in Zementtanks, der 18-monatige Ausbau in belegten Barriques und großen Holzfudern.

In der Weinwelt ist Peter Sissek seit zwei Jahrzehnten ein Star, für mich als Blogger stellten seine Rotweine jüngst eine Neuentdeckung dar. Mein Geschmackshorizont hat sich mit diesen Tropfen vergrößert, denke ich, und die Messlatte für einen von mir als „elegant“ bezeichneten Wein liegt in der Zukunft etwas höher. Sissek zeigt mit seinen biodynamisch angebauten Gewächsen fernerhin das ganze Potenzial des Tempranillo – oder Tinto Fino, wie die Rebsorte in Ribera del Duero auch genannt wird – auf. Flor de Pingus 2015 und Psi 2015 sind beide vielschichtig, intensiv und subtil, der eine auf klassisch-elegante, der andere mehr auf die fruchtig-moderne Weise. Der Preis für den Psi 2015 liegt übrigens deutlich niedriger, denn er wird in viel größeren Mengen abgefüllt als Pingus (ca. 5.000 Fl./Jahr) und Flor de Pingus (ca. 45.000 Fl./Jahr). Beim Online-Händler Silkes Weinkeller ist der Psi derzeit für 30 Euro zu beziehen.

Peter Sissek, Pingus
Peter Sissek macht große Weine in Ribera del Duero (Foto: Pablo Neustadt / © ICEX)

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