Ich weiß, dass ich nichts weiß. Dieses geflügelte Wort von Sokrates kommt mir in letzter Zeit häufiger in den Sinn. Nach zweieinhalb Jahren als Weinblogger und nach 138 Artikeln frage ich mich derzeit öfter, was ich eigentlich über Wein und Spanien gelernt habe.
Aktueller Stand der Erkenntnis: Ich habe begriffen, dass Wein eine sehr komplexe Angelegenheit ist, in der geografische, geologische, klimatische, biologische, landwirtschaftliche, handwerkliche, technische, chemisch-industrielle, historische, architektonische, monetäre, menschliche, philosophische, sinnliche, geschmackliche, gastronomische, modische, repräsentative, gesetzgeberische, ökonomische und künstlerische Aspekte ineinandergreifen.
Diesen Weinkosmos zu Durchdringen ist eine Lebensaufgabe. Vor zwei, drei Jahren hielt ich mich noch ganz unbeschwert für einen Experten, heute tue ich das nicht mehr. Die Komplexität des Themas Wein hat mich bescheidener gemacht. Vielleicht besteht der Sinn im Wein für mich auch einfach nur darin, dass es Spass macht.
Weinetiketten – eine Kunst für sich
Das Vieldimensionale am Wein ist zudem gut für meinen Blog. Es wird an künftigen Themen nicht mangeln. Picken wir zum Beispiel den im vorigen Absatz aufgezählten Aspekt „künstlerisch“ heraus. Damit meine ich in erster Linie die Gestaltung von Weinetiketten. Ich finde, das ist eine Kunst. Und Kunst kann manchmal schön, scheußlich, aussagekräftig, belanglos, originell, lustig, flippig, klassisch, mutig, subtil, anziehend, abstoßend, brachial, vulgär, dilettantisch, interessant oder einfach nur langweilig sein. All das, was Weinetiketten in ihrer Gesamtheit eben auch sind.
Einem Weinetikett kommt aber nicht nur eine künstlerisch-ästhetische, sondern auch eine repräsentative und ökonomische Rolle zu: Viele Konsumenten sind beim Einkauf in der Lage ein paar allgemeine Parameter zu definieren, was sie trinken wollen: Zum Beispiel einen Weißwein aus der Sorte Verdejo für bis zu zehn Euro.
Steht ein Kunde dann vor einem Weinregal (bspw. im gehobenen Supermarkt El Cortes Inglés, um bei Spanien zu bleiben), wird er oder sie feststellen, dass es ziemlich viele Verdejo-Weißweine für zehn Euro oder weniger zur Auswahl gibt. Die Weingüter kennt er oder sie hingegen nicht, und Beratung ist ebenfalls keine in Sicht. Ich wette, der Kunde greift nach dem Wein, dessen Etikett er oder sie am anziehendsten findet. Mir erging das zu meiner Anfangszeit in Spanien jedenfalls manchmal so, dass ich Weine beim Einkauf mangels weiterer Kenntnisse nach deren Etikett auswählte.
6 aus 450
Ich komme nun zum Punkt: Meine Frau Emily ist Künstlerin. Außerdem stehen auf meinem Schreibtisch ungefähr fünfzig leere Flaschen Wein (ich muss bald wieder aufräumen) und ich verfüge ferner über ein Fotoarchiv mit schätzungsweise vierhundert abgebildeten Flaschen. Ergo habe ich meine Frau gebeten, aus diesen mehreren hundert Weinetiketten ihre Favoriten auszuwählen.
Nach der ersten Sichtung war Emily der Meinung, dass die meisten Labels weder richtig gut, noch schlecht sind. Mehr oder weniger solide gestaltet und optisch okay, aber auch nicht mehr. Ein paar scheußliche und missratene Wapperl waren ebenfalls darunter, um jene geht es in diesem Beitrag allerdings nicht. Somit ergab sich eine relativ kurze „Longlist“ von 17 in Frage kommenden Weinetiketten, die Emily in einem zweiten Durchgang auf sechs Lieblinge reduzierte. Und diese stelle ich samt Begründung meiner Frau nun vor:
Keep it simple. Das minimalistisch gestaltete Etikett des La Huesuda 2013 überzeugt Emily gerade aufgrund der Schlichtheit. Die kantige, zerbrechlich wirkende Schrift passt sehr gut zum Namen (La Huesuda heißt übersetzt „die Knochige“). 100% rock’n’roll, 0% sulfitos besagt das Kleingedruckte. Die Choreografie mit dem feingezogenen Rahmen, der für die Schrift unterbrochen wird, ist sehr gut gemacht. Emily findet es klasse, wie mit derart wenig Elementen und ohne jegliches Farbspiel eine Message rüberkommt. Weniger ist manchmal eben mehr. Mies van der Rohe lässt grüßen.
Das Etikett des Carralcoba 2015 zeigt eine antike Stimmung und enthält zugleich surrealistische Motive. Das ist interessant und originell. Trotz vieler Details wirkt das Etikett nicht überladen. Die Schrift ist zudem sehr gut integriert. Von einem „alten Touch“, der superb transportiert wird, spricht Emily. Die cremige Papierfarbe unterstützt dabei das Gefühl von Antike und Patina. Dazu passt, dass dieser Weißwein von Eulogio Polares im für Rías Baixas traditionellen Kastanienfuder vinifiziert wird.
Als „stark“ und „mutig“ bezeichnet Emily den Entwurf des Baboso Negro 2012. Mutig deshalb, weil das Vorderetikett keine Textinformationen, sondern einzig ein abstraktes Motiv enthält. Möglicherweise stellt der „Klecks“ einen Lavaklumpen dar, da die Reben des Weins auf vulkanischen Böden wachsen. Aber wer weiß das schon genau bei abstrakter Kunst. Ein Etikett, das jedenfalls neugierig macht.
„Super gemacht“, „originell“, „außergewöhnlich“. Bei den drei Weinen La Mujer Cañón, Reina de los Deseos und El Hombre Bala kriegt sich Emily vor Begeisterung kaum ein. Die drei Etiketten funktionieren als Reihe genauso, wie sie einzeln für sich stehen können. Name und Motiv des jeweiligen Labels passen wunderbar zusammen. Als ein gelungenes Detail mit starker optischer Wirkung nennt Emily außerdem, dass die Köpfe der drei Charaktere jeweils über den eigentlichen Rahmen des Etiketts hinausreichen.
Für vier Jahre wird der Dionisos ego amphora in 200 Jahre alten Tonamphoren ausgebaut. Das macht den Wein speziell, und Emily findet, dass das Etikett von dieser Besonderheit gelungen erzählt. Es ist einerseits modern-reduziert gestaltet, zum Beispiel mit wenigen Elementen und einem modernen Schrifttyp. Andererseits repräsentieren die drei Amphoren ein altes Kunsthandwerk. Man erkennt das Handgemachte in ihnen, wie es auch beim Wein selbst der Fall ist. Die stimmigen Farben erzeugen zudem eine schöne Wärme. Die längliche Form des Etiketts, das eher klein gehalten ist, unterstützt ebenfalls die Wirkung des Motivs.
Am Jarel Seco 2016 gefällt Emily sogleich die runde Etikettenform. Ferner ist das Schiffsmotiv in einer grüngräulichen Farbe fein gezeichnet. Es wirkt dadurch elegant. Der Bezug zur Geschichte der Hafenstadt Málaga und ihrer Bedeutung für den Málagawein wird prima aufgegriffen. Wieder handelt es sich um ein modern-reduziert gestaltetes Etikett, das Bezug zur Vergangenheit nimmt. Die rotgoldene Farbe des Namens „Jarel“ setzt einen optischen Punkt und vermittelt Qualität. Ohne dieses Detail wäre das Etikett zu schlicht und zu eintönig. So aber passt es hervorragend.
Abschließend, sagt Emily, sollte noch die Kollektion von Bodega F. Schatz genannt sein. Die findet sie als Ganzes sehr stimmig und kreativ: Die sechs Weine verbinden sich zum Namen des Weinguts bzw. des Winzers. Ein einfallsreiches Konzept, das Weine und Weinmacher als Einheit und als zusammengehörig begreift. Friedrich „Federico“ Schatz ist übrigens Schwabe, der seit den 1980er-Jahren biodynamische Weine im andalusischen Ronda keltert.
Gibt es Weinetiketten, die Ihnen – liebe Leserinnen und Leser – besonders gut gefallen? Lassen Sie es mich gerne wissen. Ich freue mich über Zuschriften oder Kommentare.