Neues Spanien: Vorwärts in die Vergangenheit

Titel Neues Spanien

„Überall in Spanien beleben Erzeuger alte Traditionen wieder und erkunden neue Stilrichtungen. Die Qualität war noch nie besser“, schreibt Weinkritiker Eric Asimov jüngst in der New York Times.

Wenn es um die spanische Weingegenwart geht, zitiere ich häufig Medien aus den USA und Großbritannien, was insofern kein Zufall ist, als dass die deutsche Berichterstattung der aktuellen Dynamik größtenteils hinterherhinkt. Begriffe wie Gredos oder Tintos Atlanticos (Atlantische Rotweine) sagen hierzulande nur den Wenigsten etwas.

Dagegen zeigen sich Magazine wie Decanter, Wine Enthusiast und Wine Spectator schon seit Längerem von der sogenannten „New Wave of Spanish Wine“ äußerst angetan. Sogar fachfremde Tageszeitungen wie die New York Times, Financial Times London und The Guardian berichten wie selbstverständlich über „New Wave Spain“ und die so erfrischend andersartigen Weine, die es hervorbringt.

Was aber genau ist das neue Spanien?

Wenn so viele Kritiker, Journalisten und selbst Erzeuger von einem „neuen Spanien“ reden, muss es auch ein altes geben und die beiden müssen sich in irgendeiner Form unterscheiden. Auf Spaniens Weinwelten habe ich die Thematik bereits vor zwei Jahren in diesem Beitrag erörtert. Der heutige Text ist quasi ein Update dazu und wird etwas konkreter, wenn es darum geht den Kern der Bewegung zu erfassen und ein paar der wichtigsten Protagonisten zu nennen.

Das neue Spanien, so viel vorneweg, definiert sich nicht allein durch eine Weinstilistik, bei der Frische, Schlankheit und Eleganz im Vordergrund stehen. Der Begriff steht vor allem für eine „Geisteshaltung“, wie es der britische Master of Wine Tim Atkin zutreffend formuliert. Die folgenden Leitsätze beschreiben diese Geisteshaltung zwar nicht vollumfänglich, bringen uns der Sache aber ein gutes Stück näher.

1. Vergiss Crianza, Reserva und Gran Reserva!

Spanien ist das einzige Land der Welt, das seine Weine nach Reifedauer klassifiziert. Für die Stufen Crianza, Reserva und Gran Reserva gelten Mindestzeiten für den Barriqueausbau und die Flaschenreife. Sogar die maximal erlaubte Größe der Holzfässer ist mit 330 Liter gesetzlich vorgeschrieben.

Die im spanischen Weingesetz definierten Reifestufen sind einerseits ein Alleinstellungsmerkmal. Andererseits zeigt eine solche Klassifikation, dass nicht etwa der Weinberg, sondern der Keller als Hauptkriterium für Qualität gilt.

Die Vertreter des neuen Spaniens lehnen eine solche Denkweise ab: „Wir halten die Qualitätsstufen Crianza, Reserva und Gran Reserva für ein sehr altmodisches System der Klassifizierung. Die Idee dahinter ist: Je länger ein Wein im Fass reift, umso besser. Aber das ist natürlich falsch.“, sagt etwa der Winzer Daniel Landi in einem Interview, das ich im Mai 2021 mit ihm führte.

Daniel Landi gehört zu Comando G, einem der wichtigsten Protagonisten des neuen Spaniens. Das Weingut ist in der Sierra de Gredos angesiedelt, einem Bergzug westlich von Madrid. Für Daniel ist klar: „Wein ist ein landwirtschaftliches Produkt und wird im Weinberg gemacht. Er soll die Seele eines Weinbergs ausdrücken.“

Entsprechend klassifizieren Comando G nicht nach den gängigen Reifestufen Crianza, Reserva und Gran Reserva. Stattdessen verfolgen sie das burgundische Prinzip mit einer Einteilung nach Weinbergslagen. Ein „Vino de Pueblo“ entspricht demnach der Bezeichnung Appellations Villages (Ortswein). Ein „Vino de Paraje“ wäre Appellations Premiers Crus (Erste Lage), und ein „Vino de Parcela“ ist gleichbedeutend mit Appellations Grands Crus (Großes Gewächs).

Die einer solchen Klassifikation zugrunde liegende Philosophie lautet kurz und knapp: Auf den Weinberg (das Terroir) kommt es an. Nicht etwa auf die Fässer.

Orts-, Lagen- und Parzellenwein von Comando G. Wichtige Vertreter des neuen Spanien
V. l. n. r.: Orts-, Lagen- und Parzellenwein von Comando G. Foto: Thomas Götz

2. Zurück zum Beton!

Wer keinen Wert auf Bezeichnungen wie Crianza, Reserva und Gran Reserva legt, kann auch getrost auf Barriques verzichten. Bei den verhältnismäßig kleinen Fässern ist der Kontakt zwischen Holz und Wein relativ groß. Dazu kommen oftmals neue und stark getoastete Barriques zum Einsatz, die den Wein weiter aromatisch beeinflussen.

Wenn es nun aber darum geht einen Weinberg bzw. ein Terroir in möglichst reiner Form auf die Flasche zu übertragen (siehe Punkt 1), dann sind Barriques vielleicht nicht die beste Wahl. Zumindest sehen das die Vertreter des neuen Spaniens so. Folglich verwenden sie bei der Weinbereitung größere und ältere Holzfuder, Tonamphoren, Ballonflaschen und vor allem Betontanks. „Zement ist neutraler und bringt Terroir besser zum Ausdruck“, zeigt sich etwa der gebürtige Münchner Dominik Huber überzeugt, der mit seinem Weingut Terroir al Limit im katalanischen Priorat für Furore sorgt. Einzig seinen Weißwein Pedra de Guix baut er noch in einem Holzfuder aus, alle anderen Weine vergären und reifen in Betontanks.

Übrigens war Beton in spanischen Kellereien einst weit verbreitet. Teils finden sich in Winzergenossenschaften, die in den 1940ern und 1950ern erbaut wurden, noch heute ganze Hallen mit riesigen Zementtanks darin. Erst die Einführung von Edelstahl in den 1970ern rückte das Material in den Hintergrund. Entsprechend kann man nun von einer Rückkehr zum Beton und einem Revival sprechen. Viele Winzer und Winzerinnen der jüngeren Generation erzählen mir, dass Beton für sie mehr Klarheit und Unverfälschtheit im Wein bedeutet und für eine konkretere Übersetzung von Terroir steht. Barrique, so die verbreitete Meinung, trägt dem Wein zu viel Make-Up auf.

Dominik Huber in seinem Weinkeller im Priorat.
Dominik Huber in seinem Weinkeller im Priorat. Foto: Thomas Götz

3. Raus aus der Rebsorten-Uniformität!

Seit 1980 hat Spanien knapp 43 Prozent seiner Rebfläche verloren, von damals 1,64 Millionen Hektar auf 941.000 Hektar im Jahr 2021. Trotz dieses enormen Schwunds konnte die Tempranillo ihre Flächen von 32.000 Hektar (1980) auf über 200.000 Hektar (2020) um mehr als das Sechsfache vergrößern. Auch international anerkannte Rebsorten wie Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah legten bis in die 2010er-Jahre stark zu. Dieser enorme Anstieg von Tempranillo und den französischen Sorten ging auf Kosten zahlreicher einheimischer Trauben. Sie wurden entweder als minderwertig angesehen oder entsprachen nicht dem Zeitgeist, weil sie etwa farblich hellere oder weniger kräftige und alkoholische Weine ergaben. Ihre Weinberge gab man entweder ganz auf oder man rodete und bestockte sie mit angesagten Rebsorten.

Laut spanischem Agrarministerium kommen in Spanien 90 Rotweintrauben im kommerziellen Weinbau vor. Davon hält allein die Tempranillo einen Flächenanteil von 42 Prozent. Von einer „beinahe totalitären Herrschaft der Tempranillo“ spricht der Weinkritiker José Peñin in einem Beitrag vom September 2021.

Doch ein wenig dreht sich das Blatt. Der steile Aufstieg der Tempranillo scheint gebremst. Seit 2010 legt sie nicht mehr an Fläche zu, hat sogar ein klein wenig verloren. Dagegen erlebt die Garnacha, einst die am häufigsten angebaute Rotweinsorte Spaniens, in Regionen wie Gredos und Aragon und selbst in Rioja ein Comeback. Des Weiteren entdecken Winzer und Winzerinnen überall im Land den Wert und das Potenzial fast vergessener lokaler Sorten, rot wie weiß. Ein paar Kostproben: Arcos, Forcalla, Giro, Merseguera und Verdil in Valencia. Merenzao, Souson, Espadeiro und Loureira in Galicien. Tintilla de Rota, Doradilla und Romé in Andalusien. Trepat, Picapoll, Mandó und Sumoll in Katalonien. Tinto Velasco, Moravia Agria und Malvar in Kastilien-La Mancha. Rufete, Juan Garcia, Bruñal und Doña Blanca in Kastilien-León. Die Liste ließe sich erweitern, vom Rebsorten-Universum Kanarische Inseln ganz zu schweigen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Das „neue Spanien“ ist eine Bewegung, bei der die (Rück-)Besinnung auf autochthone Rebsorten und deren Rekultivierung eine enorm wichtige Rolle spielt. Raus aus der Uniformität und zurück zu den lokalen Wurzeln lautet das Motto. In diesem neuen Spanien ist die Tempranillo kein Alleinherrscher, sondern eine Traube unter vielen; und französische Sorten wie Syrah, Chardonnay, Merlot oder Cabernet Sauvignon sind kaum existent.

Javier Revert in DO Valencia
Winzer Javi Revert in der DO Valencia. Seine Topweine stammen aus lokalen Sorten wie etwa Arcos, Bonicaire, Tortosi und Trepadell. Foto: Thomas Götz

4. Frische und Finesse statt Kraft und Extrakt!

Kritiker und Journalisten, die heute vom neuen Spanien reden, meinen damit immer auch eine andere, als neu angesehene Weinstilistik. Besonders auffällig treten die Unterschiede bei den Rotweinen in Erscheinung: Das Spanien der 1990er und 2000er bringt die sogenannten Blockbuster hervor. Damit sind mächtige und kraftvolle, mitunter sehr farbintensive und schwere Rotweine gemeint. Diese entsprechen dem Parker-Stil, für den etwa reifes Traubenmaterial, eine starke Extraktion und Barriqueausbau verwendet bzw. angewendet wird.

Im Gegensatz dazu kommen die Rotweine des neuen Spaniens farblich heller und mit schlankem Körper daher. Die Winzer und Winzerinnen lesen ihre Trauben früher und extrahieren diese weniger stark. Eine sanfte Extraktion resultiert in einer helleren Weinfarbe, da die Farbpigmente in den Beerenschalen sitzen. Zugleich extrahiert der Wein weniger Tannin aus den Häuten. Um dennoch gut strukturierte Weine zu erhalten, ist es weit verbreitet die Gärung mit den Rappen vorzunehmen. Insgesamt wirken die Gewächse frischer und leichter, besitzen aber gleichzeitig eine enorme Griffigkeit und Länge. Daniel Landi von Comando G erklärt mir im Gespräch seine Methode:

„Wir streben Weine mit Frische, Finesse und Mineralität an. An diesen drei Leitmotiven ist all unser Tun ausgerichtet. Die Frucht steht nicht im Vordergrund. Die Trauben stampfen wir mit Füßen und wir vergären mit den Rappen. Dabei verzichten wir auf Umwälzen, Pigeage oder dergleichen. Mit solchen Methoden erhält man dunklere Weine mit mehr Frucht, aber man verliert die Finesse und Präzision.“

Nicht alle Vertreter des neuen Spaniens verfahren bei der Weinbereitung auf dieselbe Weise. Alle aber streben sie nach knackiger Frische und lesen ihre Trauben im Zweifel lieber etwas früher als zu spät. Alle extrahieren außerdem weniger stark, weil ihnen Finesse und Klarheit mehr bedeuten als volle Frucht, Kraft und Konzentration. Nicht nur beim Terroir-Gedanken (siehe Punk 1) ist das Burgund ein Wegweiser, auch bei der Weinbereitung und Stilistik sind burgundische Einflüsse unverkennbar. Kurz gesagt: Während das klassische Spanien (Rioja, Ribera del Duero) stark von Bordeaux geprägt ist, zieht das neue Spanien seine Inspiration aus dem Burgund.

Das neue Spanien ist hellrot.
Das neue Spanien ist hellrot.

5. Tradition und Erbe!

Die Einflüsse kommen allerdings nicht allein aus dem Burgund, sondern auch aus der spanischen Vergangenheit. Wenn ich in Spanien unterwegs bin, erzählen mir die Leute regelmäßig, dass sogar in Anbaugebieten wie Ribera del Duero und Toro die Rotweine bis in die 1980er viel leichter und frischer gewesen seien als heute. Was wir heute als neuen schlanken Rotweinstil wahrnehmen, sei früher üblich gewesen. Im Grunde, so sagen es Winzer wie Marc Isart (Bodegas Bernabeleva) und Javier Revert, knüpfe die heutige Generation wieder an die Weine ihrer Großväter an. Manche heutige Kritiker und Journalisten nennen die Weine des neuen Spaniens „postmodern“. Genauso korrekt wäre es sie als „vormodern“ zu bezeichnen.

Generell ist zu erkennen, dass Weintraditionen wiederbelebt werden: Alte Materiale wie Ton und Zement kommen bei der Weinbereitung zum Einsatz (siehe Punkt 2). Des Weiteren erleben traditionelle Stile ein Comeback: Auf oxidative Weine (genannt Vino Rancio) trifft man immer öfter; ebenso auf Weißweine, die unter einer Florhefeschicht reifen, wohlgemerkt in Gebieten außerhalb Andalusiens. Dazu erfahren regionale Stile ein (zugegeben noch kleines) Revival, etwa Fondillon in Alicante. Das neue Spanien ist divers und experimentierfreudig. Es nimmt ferner einen klaren Bezug auf die Vergangenheit, konkret auf jene Zeit, bevor Robert Parker die Bühne betrat und das internationale Geschmacksbild formte. Beinahe amüsant ist, dass der heutige Parker-Bewerter Luis Gutierrez in seinen Texten und mit seinen Bewertungen ein großer Fürsprecher des neuen Spaniens ist. Er vergibt Punkte im Namen seines einstigen Chefs, der noch einen gänzlich anderen Weingeschmack hatte bzw. propagierte.

Neues Spanien: Weinbereitung bei Javier Revert.
Back to the roots und Experimentierfreude. Beides geht zusammen. Foto: Thomas Götz

6. Hotspots Gredos und Galicien

Der Begriff „Neues Spanien“ steht fernerhin für eine Wiederentdeckung fast vergessener Weinregionen und die Rekultivierung alter Weinberge, mitunter ganzer Weinlandschaften. Man kann wohl sagen, dass dieser Prozess seinen Anfang in den 1980ern im katalanischen Berggebiet Priorat nahm, dem Pioniere wie etwa Rene Barbier, Alvaro Palacios und Daphne Glorian wieder Leben einhauchten.

Was wir derzeit als neues Spanien bezeichnen, ist in Teilen die Fortsetzung dieser Neuentdeckung lange vergessener Terroirs, zum Beispiel auf den Kanarischen Inseln, im galicischen Ribeira Sacra und in der Sierra de Gredos. Nur dass die jüngere Generation um Erzeuger wie Envínate und Comando G ihren Weg nochmals konsequenter und kompromissloser geht. Beispielsweise setzten Rene Barbier, Alvaro Palacios und Co. im Priorat anfangs noch auf die französischen Sorten Syrah und Cabernet Sauvignon und auf den klassischen Bordeaux-Stil (Entrappen der Trauben, Vergärung im Stahltank, Ausbau in neuen Barriques). Die zweite Generation des neuen Spaniens schaut dagegen ganz auf die regionalen Sorten und erkundet Stile abseits des Barriqueausbaus.

Dieses neue Spanien verteilt sich übers ganze Land. Projekte und Erzeuger finden sich in abgelegenen Grenzregionen wie Arribes (Alvar de Dios und El Hato y el Garabato), in den einsamen Ebenen von Kastilien-La Mancha (Bodegas Ponce), in den Bergen von Málaga (Viñedos Verticales) und Aragon (Frontonio), auf Inseln wie Mallorca (4 Kilos), Teneriffa (Suertes del Marques und Envínate) und Lanzarote (Puro Rofe). Ebenso in den großen und bekannten Gebieten Rioja (Artuke und Sierra de Toloño), Ribera del Duero (La Loba und Quinta Milú) und Rueda (Esmeralda Garcia und Barco del Corneta). Die drei letztgenannten, kommerziell erfolgreichsten spanischen Anbaugebiete bilden allerdings nicht das Zentrum der Bewegung.

Die zwei Hotspots des neuen Spaniens sind stattdessen Gredos und Galicien (inklusive dessen benachbartes Gebiet Bierzo in Kastilien-Leon). Dort stößt man auf besonders viele Vertreter der Bewegung und beide Regionen sind stilbildend.

Galicien, so unterschiedlich seine fünf DO-Gebiete auch sein mögen, steht für den Begriff „Vinos Atlanticos“. Die vom atlantischen Klima beeinflussten Weine entsprechen mit ihrer knackigen Saftigkeit und kühleren Anmutung dem Zeitgeist. Das betrifft im Übrigen nicht nur Weißweine, etwa aus der Rebsorte Albariño, sondern explizit auch rote Gewächse. Am bekanntesten ist die Mencía-Traube mit ihren Hauptgebieten Ribeira Sacra und Bierzo. Die eine Appellation gehört zu Galicien, die andere zu Kastilien-León. Verbunden sind sie durch den Fluss Sil. Wichtige Erzeuger sind Raúl Pérez, Verónica Ortega, Guimaro, Algueira, Envínate und Fedellos do Couto.

Neues Spanien: Ribeira Sacra ist eine seiner wichtigsten Regionen
Steillagen in Ribeira Sacra. Eine der eindrucksvollsten Weinlandschaften Spaniens und ein Sinnbild für die Rekultivierung einst verlassener Weinberge. Foto: Thomas Götz

Für Spanien am untypischsten sind allerdings die Rotweine aus der eigentlichen Weißweinappellation Rías Baixas. Gekeltert aus Sorten wie Caiño Tinto und Espadeiro sind sie säurebetonter, knackiger und leichter als der Rest im Land. Winzer wie Rodrigo Méndez, Xurxo Alba und Eulogio Pomares bilden die Speerspitze.

Vom galicischen Atlantik in die Gredos-Berge: Sie bilden das zweite Zentrum des neuen Spaniens. Lange befand sich der Gebirgszug nahe Madrid in einem Dornröschenschlaf. Der große Telmo Rodriguez erkannte Ende der 1990er als erster das enorme Potenzial der dortigen Weinberge, die auf bis zu 1200 Metern Höhe liegen und über sehr alte Garnacha-Reben und Granitsandböden verfügen. So richtig wachgeküsst wurde das Gebiet dann aber erst von Daniel Landi, Fernando García und Marc Isart. Das Trio gründete 2008 Comando G und begann Weinberge in entlegensten Ecken zu rekultivieren. Kult ist etwa ihre 0,3 Hektar große Lage Rumbo al Norte. Der gleichnamige Parzellenwein hat bereits bei zwei Jahrgängen 100 Parker-Punkte erhalten.

Heute steht Gredos wie kaum eine zweite Region Spaniens für die Wiedererschließung einer vergessenen Weinlandschaft und für die Entstehung eines alternativen Weinstils, der Frische, Mineralität und Eleganz betont. Gredos steht außerdem für die enorme Dynamik des neuen Spaniens. Eigentlich junge Weingüter wie Comando G, Bernabeleva und Marañones gehören inzwischen zu den Etablierten. Stets rücken neue spannende Projekte nach, etwa 4 Monos, Ca‘ di Mat, Soto Manrique und Rico Nuevo.

Rico Nuevo in der Sierra de Gredos.
Juan Andrés Martín, eine Hälfte von Rico Nuevo, Sierra de Gredos. Foto: Thomas Götz

7. Einzigartigkeit statt Konformität!

Es gibt keine eindeutige Definition von Begriffen wie „Neues Spanien“ oder „New Wave of Spanish Wine“. Was ich vorangehend versucht habe darzulegen, ist mein Verständnis davon. Eine Rückbesinnung auf alte Weintraditionen und autochthone Rebsorten (von denen manche beinahe ausgestorben sind) sowie die Wiederentdeckung vergessener Weinlandschaften und die Rekultivierung alter Weinberge sind nicht der alleinige, aber ein wichtiger Teil der Bewegung. Das neue Spanien ist definitiv viel mehr als Trauben früh zu lesen, sie in Betontanks zu vergären und dabei frische Weine zu erhalten.

Schaue ich mir die wichtigsten Protagonisten an, bzw. einige habe ich besucht und mich mit ihnen unterhalten, dann erkenne ich einen „Way of Life“, in dessen Zentrum der Weinberg, die Geschichte und Bewahrung von Traditionen stehen. Außerdem haben wir es nicht mit Önologen zu tun, die sich überwiegend in Kellern und Laboren aufhalten, sondern mit Leuten, die raus in den Weinberg gehen und selbst Hand anlegen. Es handelt sich gleichwohl um Winzer und Winzerinnen, die herumgekommen sind in der Welt (anders als ihre Großväter), die gut ausgebildet sind und – trotz ihrer regionalen Verwurzelung – Einflüsse von außen mitbringen und zulassen.

Zumeist sind es sehr persönliche Projekte, die individuelle Weine hervorbringen. Es sind Gewächse, die sich nicht an den gängigen Geschmacksmustern orientieren. Das neue Spanien ist keine Massenbewegung und erzeugt auch keine Massenweine. Die Auflagen sind zumeist klein und stehen auch hier im Gegensatz zur weit verbreiteten spanischen Großproduktion.

Kaum deutlicher könnte der hier beschriebene Kontrast in Rueda ausfallen. Die D.O. Rueda ist Spaniens erfolgreichstes Weißweingebiet. Die Appellation wuchs von 5.670 Hektar im Jahr 2000 auf 20.650 Hektar in 2021 und hält über 40 Prozent Marktanteil im spanischen Weißweinsegment. Die Weißweine der D.O. Rueda, größtenteils aus der Rebsorte Verdejo, sind enorm populär, weil sie fruchtig und unkompliziert sind. Bis auf wenige Ausnahmen sind es brave Konformisten.

Ganz anders sind die Weißweine von Winzerinnen wie Esmeralda Garcia und Beatriz Herranz (Barco del Corneta). Ihre Verdejos, die sie zwar in Rueda, aber nicht innerhalb der D.O. erzeugen, haben einen ganz eigenständigen Charakter. Einerseits hat es mit ihrem Ansatz bei der Weinbereitung zu tun, etwa längere Hefelager und der Ausbau in Amphoren oder Fudern. Andererseits ist es auf die Vinifizierung spezifischer Weinlagen mit teils über 200 Jahre alten Rebstöcken zurückzuführen.

Womit wir wieder beim Terroir angelangt sind und ich abschließend noch einmal Dani Landi von Comando G zu Wort kommen lassen möchte: „Seit etwa 15 Jahren erkennen wir, dass Spanien nicht nur Industrie, nicht nur Parker-Style und nicht nur ‚holzig‘ ist. Wir können in die Grand-Cru-Klasse mit handwerklich gemachten Weinen vorstoßen. Wir haben die Terroirs und Rebsorten, um das zu erreichen. Stilistisch gesprochen mit Weinen ohne Make-up. Darauf richtet sich der Blick unserer Generation.“

Esmeralda Garcia. Alte Verdejo-Reben in Segovia, Rueda.
Esmeralda Garcia. Eigenständige und charaktervolle Verdejos in Rueda. Foto: E. Garcia

Weitere Infos:

Titelfoto: © Rico Nuevo Viticultores, Sierra de Gredos

Gute deutsche Händler in Bezug auf das neue Spanien sind etwa Pinard de Picard, Ravenborg, Zwei in Zwanzig, Wein am Limit und Viniculture.

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