The Good, the Bad, and the Ugly oder: 40 Cent für einen Liter Wein

Mein Großvater war Jahrgang 1897. Er ist vor langer Zeit gestorben. Wir lebten zusammen in einem Haus und als Kind durfte ich öfters bei ihm im Obergeschoss übernachten. Wir saßen dann abends vor dem Schlafengehen in seiner kleinen Küche, er im Sessel, ich auf der Eckbank am Tisch. Wir redeten nicht viel, und trotzdem liebte ich diese Abende. Vor allem mochte ich mein Betthupferl, das war eine Art Ritual: Zuerst schnitt er eine Scheibe Weißbrot mit der Brotschneidemaschine, dann ging er zum Kühlschrank und holte die Butterdose heraus. Nachdem er mir das Butterbrot gereicht hatte, ging er zur Vitrine, langte nach einem Glas, füllte es mit Leitungswasser und stellte es vor mir auf den Tisch. Dann kam das, was mir am besten gefiel: Er nahm einen Teelöffel, holte damit den Zucker aus der Dose und mischte ihn ins Glas.


Zeitsprung in die Gegenwart: Butterbrot mag ich heute noch. Mit Zuckerwasser könnte man mich dagegen jagen. Und genau an dieses Zuckerwasser aus Kindheitstagen musste ich neulich wieder bei einer Verkostung von sieben spanischen Weinen denken. Warum das? Aus Interesse hatte ich mir die Weinregale in deutschen Supermärkten einmal näher angeschaut und einige spanische Rot- und Roséweine in der Preisspanne von 2,99 bis 5,99 Euro mitgenommen. In meinem Einkaufswagen landeten Marken wie Mederaño, Mia und Ritmo de la Vida. Sie sind bei den deutschen Konsumenten sehr beliebt und gehen hierzulande jedes Jahr millionenfach über den Ladentisch.

Bei der Verkostung zu Hause stellte sich jedoch heraus, dass die meisten Weine für meinen Geschmack deutlich zu süß sind. Bis auf zwei Ausnahmen haben sie eine Restsüße im halbtrockenen oder noch höheren Bereich, die die Weine regelrecht maskiert. In spanischen Supermärkten findet man diese Weine übrigens nicht, denn halbtrocken ist bei den spanischen Verbrauchern keine gefragte Kategorie.

Da die Mehrheit der deutschen Konsumenten eine gute Portion Restzucker schätzt, werden viele spanische Weine, die in deutschen Supermärkten angeboten werden, speziell für den deutschen Markt gemacht und den Vorlieben der deutschen Konsumenten angepasst. Neben mehr Restsüße bedeutet das zum Beispiel auch Rotweine mit eher mittlerem Körper, reifen Beerenaromen und weichen Tanninen, während die Rotweine in spanischen Supermärkten generell trocken und oft auch schwerer und tanninbetonter sind. Andere Länder, andere Geschmäcker.

Auch die Botschaft einiger Weine würde in Spanien selbst Stirnrunzeln oder Heiterkeit auslösen. Den Vogel schießt in dieser Hinsicht der Tempranillo „Oleada Spirit of Barcelona“ ab. Laut Hersteller soll die Oleada-Weinserie den „Spirit of Barcelona“ verkörpern. Doch wie können die Weine den Spirit of Barcelona ausdrücken, wenn die Trauben aus dem fernen Kastilien-La Mancha stammen? Der Wein ist sogar als VT Castilla klassifiziert. Die Message und die Herkunft des Weines sind hier so weit voneinander entfernt, dass es fast schon absurd komisch ist, etwa so, als würde ein Riesling aus der Pfalz mit dem „Spirit of Hamburg“ werben.

Ein Landwein aus der VT Castilla wirbt mit dem Spirit of Barcelona.

40 Cent für einen Liter Fasswein und ruinöse Traubenpreise

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, und für Leute wie mich, die es lieber trocken und mineralischer mögen, gibt es ja genügend Alternativen, siehe etwa meine Hitliste der besten spanischen Weine des Jahres 2023, die auch ein Ranking mit günstigen Weinen bis zehn Euro enthält.

Was ich aber schon als Problem sehe, ist der Kontext, in dem zahlreiche spanische Weine entstehen. Wenn Sie – liebe Leserin, lieber Leser – sich einmal die Rückenetiketten spanischer Weine in deutschen Supermarktregalen anschauen, dann werden Sie häufiger feststellen, dass der Abfüller gar nicht in Spanien, sondern in Deutschland sitzt. Die Weine kommen also als Fassware nach Deutschland – man nennt das auch Bulkwein oder Offenwein – und werden hier abgefüllt.

Am Export bzw. Import von Fasswein ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Das Problem liegt im niedrigen Preis, den die Abnehmer in Deutschland und anderswo dafür bezahlen. Ich gebe Ihnen einige Fakten und Zahlen, damit Sie verstehen, was ich meine:

Spanien ist der weltweit größte Exporteur von Fasswein. Hauptabnehmer sind Frankreich und Deutschland. Laut Observatorio Español del Mercado del Vino (OeMv) machten Fassweine im Jahr 2022 genau 55 Prozent des spanischen Exportvolumens aus. Im Schnitt wurde ein Liter spanischer Fasswein mit 46 Cent gehandelt.

Die deutschen Abnehmer zahlen im Schnitt sogar nur 40 Cent für einen Liter Fasswein, wie die aktuellsten Zahlen des OeMv belegen. Und nicht weniger als 63 Prozent des nach Deutschland exportierten spanischen Weins ist eben solche Fassware. Viel davon landet auch in deutschen Sektkellereien. Vielleicht ist Fürst von Metternich in Wirklichkeit sogar Don Rafael. Ich weiß es nicht.

Statistik des OeMv zu spanischem Fasswein
Die aktuellen Zahlen des OeMv zum spanischen Fassweinexport: Von Oktober 2022 bis Oktober 2023 liegt der Preis für einen nach Deutschland exportierten Liter bei 40 Cent. In dem 12-Monats-Zeitraum betrifft es 260 Millionen Liter Fasswein. (Grafik: © OeMv)

Wenn also ein Liter Fasswein preislich bei 40 Cent liegt, dann kann man sich vielleicht vorstellen, wie wenig erst der Rohstoff für den Wein – die Traube – kostet. Zur Info: Für einen Liter Wein benötigt man um die 1,3 Kilogramm Trauben.

Schauen wir in Bezug auf die Traubenpreise am besten nach Kastilien-La Mancha. Diese Autonome Gemeinschaft ist mit Abstand der größte Weinproduzent Spaniens. Nach Angaben des spanischen Agrarministeriums befindet sich mit über 450.000 Hektar fast die Hälfte der gesamten Rebfläche des Landes in dieser Region. Freilich ist Kastilien-La Mancha auch der größte Erzeuger von Fasswein und ebenso von vor Ort abgefüllten Billigweinen, die ebenfalls unsere Supermarkt-Regale bevölkern.

Traubenpreise hängen von verschiedenen Faktoren ab, etwa von der Rebsorte, dem zu erwartenden Alkoholgrad und davon, ob die Trauben zur Erzeugung von Qualitäts- oder Tafelweinen eingesetzt werden. In der Erntesaison 2023 erhielten die Weinbauern in Kastilien-La Mancha für ein Kilogramm der Rebsorte Tempranillo, das nicht für einen DO-Wein bestimmt war, zwischen 19 und 23 Cent. Man kann es auf dieser Seite der Fachzeitschrift Vinos de Castilla-La Mancha erfahren.

Gleichzeitig sagte Alejandro García-Gasco, ein Vertreter der spanischen „Gewerkschaft der Kleinbauern“ (UPA), dass auf Seiten der Weinbauern die Produktionskosten für ein Kilogramm Trauben durchschnittlich bei 26 Cent lägen. Sie können es hier nachlesen.

Herstellungskosten von 26 Cent für ein Kilo Trauben bei einem Verkaufspreis von 19 bis 23 Cent?! Man benötigt kein BWL-Studium, um zu erkennen, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Die niedrigen Traubenpreise führen dazu, dass viele spanische Winzer ihre Rebflächen mangels Rentabilität aufgeben bzw. keine Nachfolger finden.

Warum kann man eigentlich keinen gesetzlichen Mindestpreis für einen Liter Wein einführen? So wie es in einigen Ländern auch einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Das würde es den großen Winzergenossenschaften, die den Großteil des spanischen Fassweins und der abgefüllten Billigweine produzieren, ermöglichen, den Weinbauern gerechtere Traubenpreise zu zahlen. Wer sträubt sich gegen eine solche Maßnahme? Die Politik? Die großen Weinkonzerne und Abfüller? Die Supermarkt-Ketten? Vielleicht sogar die Konsumenten? Wer sind die Bad Guys in diesem Spiel?

Für Verbraucher ist es freilich bequem, im Supermarkt günstig einzukaufen. So wie es dort Billigfleisch gibt, gibt es auch Billigwein. Aber wir Konsumenten sollten verstehen: Einer zahlt am Ende immer den Preis. Und das sind in dem Fall die spanischen Winzer.

In diesem Sinne: Auf mehr Butterbrot und weniger Zuckerwasser in 2024!

Mederaño ist die absatzstärkste spanische Weinmarke in Deutschland. Der UVP für eine Flasche liegt bei 4,49 Euro. In diesem Supermarkt werden sie für 2,99 Euro verkauft.

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