Wie schmeckt ein 200 Jahre alter Wein?

Als Friedrich Schiller 1805 starb, hinterließ er in seinem Weinkeller nach Angaben der FAZ unter anderem 22 Flaschen Champagner, 35 Flaschen Burgunder und 61 Flaschen Málagawein. Einige der Málagaweine, die ich im Januar bei einem Tasting in den Gläsern hatte, waren fast so alt, dass der große Dichter sie noch hätte trinken können.

Es war ein beinahe surrealer Tag. Am 26. Januar, mitten im Winter, schien die Sonne in Málaga so intensiv, dass ich mich wie im deutschen Sommer fühlte. Fast surreal mutete auch die Weinauswahl für die Verkostung an, die aus zehn historischen Málagaweinen bestand, neun davon aus dem 19. Jahrhundert. Sie kamen alle von der einst berühmten Bodega Larios. Der älteste Wein stammte aus dem Jahr 1817, hergestellt aus PX-Trauben aus dem Dorf Cartáma in den Montes de Málaga. Dazu später mehr.

Alte Málagaweine, 19. Jh.
Alle zehn Weine stammen von der ehemaligen Bodegas Larios bzw. deren Vorgänger Jiménez-Lamothe.

Aus einem Weinkeller in Nordspanien zurück nach Málaga

Die beiden Freunde und Sammler Alex Klip und Helios Bueno hatten zur Verkostung eingeladen. Sie hatten 2023 den Bestand eines privaten Weinkellers in Nordspanien gekauft, in dem sich diese Weine seit gut 90 Jahren befanden. Hauptberuflich betreibt Alex Klip in Toronto die Distribution All The Right Grapes. Er hat ein beeindruckendes Portfolio zusammengestellt mit Weingütern wie Karthäuserhof, Müller-Catoir, Artuke, Luis Pérez und Victoria Ordoñez, um nur einige zu nennen. Letztere Victoria Ordoñez, die in diesem Blog schon öfter vorgestellt wurde, hatte auch das Tasting organisiert. 

Wir trafen uns am Hafen in einem Restaurant mit einer großen Terrasse, direkt am Strand gelegen und mit einem wundervollen Meerblick. Der Jüngste unserer deutsch-schweizerisch-kanadisch-spanische Gruppe war Noah aus Hamburg, der gerade ein kaufmännisches Praktikum im Weingut von Victoria Ordoñez absolvierte. Mit 21 Jahren durfte er bereits diese kostbaren und einzigartigen Schätze probieren. Kann man sich einen besseren Initiationsritus in die Welt des Weins vorstellen? In diesem Alter trank ich noch „Le Rouge“ für zwei Mark aus dem Supermarkt!

Während des Tastings der historischen Málagaweine
Einmalige Málagaweine und anregende Diskussionen.

Ein weiterer Teilnehmer bei der Verkostung war Javier Krauel, dessen Familie Krauel aus Deutschland nach Málaga kam und 1803 mit der Produktion und dem Handel von Wein begann. Damals, im 19. Jahrhundert, war Málaga mit über 110.000 Hektar Rebland eines der größten und berühmtesten Weinbaugebiete der Welt. Die Weine wurden weltweit verkauft, und deutsche Familien dominierten den Handel. 

Ab 1872 wütete die Reblaus in Málaga und vernichtete fast den gesamten Weinanbau. Die beiden Weltkriege, in denen der wichtige deutsche Markt als Abnehmer wegbrach, taten ein Übriges, um Málaga im 20. Jahrhundert in einen langen Dornröschenschlaf fallen zu lassen. Nun wird die Region dank Winzerinnen wie Victoria Ordoñez wieder wachgeküsst, wenngleich auf einer kleineren Ebene, denn das Anbaugebiet DO Málaga & Sierras de Málaga umfasst aktuell nur etwa 1.000 Hektar Weinberge. Auch sind die derzeit spannendsten Weine aus Málaga nicht die nach traditioneller Art gespriteten, sondern trocken ausgebaute Weißweine aus PX und Moscatel und natürliche Süßweine. Ich habe dazu einmal einen Beitrag im Weinkenner geschrieben. Dies als Info am Rande, bleiben wir lieber beim Tasting der historischen Málagaweine.

Der PX Tres Cruces Trasañejo hatte eine dezente Süße und erinnerte aromatisch an Wermut und Weihnachstlebkuchen.

Ultraalte Weine und trotzdem kein Ausfall

Als ich am Vorabend des Tastings mit meiner Frau beim Kochen darüber sprach, wusste ich zwar, dass es hochinteressant werden würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so gut werden würde. Mit ultra-alten Weinen habe ich keine allzu große Erfahrung; das bislang älteste Exemplar war ein über 150 Jahre alter Amontillado vom Weingut La Inglesa aus Montilla-Moriles. Zudem hatte ich schon einige alte Riojas im Glas und dabei festgestellt, dass die Qualität sehr schwankend ist. Zwei Flaschen desselben Weinguts, desselben Weins und desselben Jahrgangs können bei gleicher Lagerung völlig unterschiedlich schmecken – mal ausgezeichnet, mal hinüber. Mein Eindruck ist, dass man bei Riojas, die 50 Jahre oder älter sind auch etwas Flaschenglück benötigt.

Insofern war ich davon ausgegangen, dass bei derart alten Weinen aus dem 19. Jahrhundert einige Ausfälle dabei sein würden. Aber ich hatte weit gefehlt. Es war beeindruckend, dass tatsächlich alle zehn Weine tiptop frisch und balanciert waren und ein elegantes „mouthfeel“ (ölige Textur) hatten. Kein einziger war fehlerhaft oder müde. Mein Tischnachbar Stefan Persili aus der Schweiz, der mehr Erfahrung mit so alten Málagaweinen hat, war dagegen nicht überrascht. Er kenne es nicht anders, sagt Persili. Ein Markenkern der alten Málagas sei ihre Frische, was wohl auch ein Grund dafür sei, dass sie – ähnlich wie die traditionellen Madeiras – so fantastisch altern könnten.

Natürlich sollte man erwähnen, dass diese Weine aufgespritet sind, was zur Haltbarkeit maßgeblich beiträgt. Trotzdem war ich verblüfft, wie fit sie im Glas dastanden und wie ihre feine Säure die Süße ausglich und für Harmonie sorgte.

Die Weine wurden übrigens eine Woche vor dem Tasting geöffnet. Man kennt das auch von alten Madeiras, dass ihnen mehrere Tage Luft gut tun und sie dabei nicht verderben. Einzig der „Jungspunt“ Benefique Trasañejo Seco, in den 1990ern abgefüllt, wurde am Tag der Verkostung entkorkt.

Das vollständige Wine-Up.

Neunmal PX, einmal Moscatel

Das Wine-up umfasste drei Secos (trocken) und sieben Dulces (süß). Neun Weine waren aus der Rebsorte Pedro Ximénez (PX) gekeltert, einer aus Moscatel. Beide Weißweintrauben sind bis heute die klassischen Málaga-Sorten. 

Von den drei Secos stach der Larios Seco Superior no. 54 weniger wegen seiner Aromatik, sondern besonders durch seine elegante Textur bei mittlerem Körper heraus. Er hatte eine Feinheit und Leichtigkeit an sich, die mich völlig überraschte, dazu ein langes anregendes Finish. Wenn einen die Amontillados aus Montilla erden, dann bringt dich dieser Wein zum Fliegen. Großes Kino ist auch der Benefique Seco Trasañejo – aus einem alten Solera und in den 1990er Jahren abgefüllt – mit rauchigen Röstnoten, seidig-cremiger Textur und leichter Schärfe im frischen Abgang.

Sehr frisch und mit einer feinnervigen Säure, wie man es kaum erwarten würde, war auch der Larios Málaga Seco, der Dritte im Bunde. Ich hatte Stefan Persili diesbezüglich schon in einer vorangehenden Textstelle zitiert: Diese Frische sei ein generelles Merkmal alter Málagaweine, fügten andere Verkoster in der Runde ebenfalls hinzu.

Alte Málagaweine, Seco, 19. Jh
Die bernsteinfarbenen Secos.

Die sieben Süßweine boten eine große geschmackliche und aromatische Bandbreite. Sie erinnerten an Rosinen und Orangenzeste, Minze und Eukalyptus, an Gewürze und Blumen, an getrockenes Blut und Eisen, an Erde und Wald, an Willy-Wonka-Schokolade, Weihnachtslebkuchen und vieles mehr. Wir hatten nicht alle Infos, wann und wie diese Weine genau hergestellt wurden. Einige der Etiketten hatten sich fast aufgelöst. Das Unbekannte ist Teil der Magie! Zumindest konnten wir anhand spezifischer Begriffe wie Color, Dorado und Oscuro feststellen, ob und wie viel „Arrope“ ihnen zugesetzt worden war. Das Arrope ist ein Traubensaftkonzentrat, das zum Süßen von Wein verwendet wird und ihm auch eine dunklere Farbe verleiht.

Wer sich in die für Außenstehende nicht ganz einfachen Begriffe und Klassifizierungen der Málagaweine vertiefen möchte, kann dies am besten auf der Webseite der DO Málaga tun. Auffallend ist, dass einige der „Arrope-Klassifizierungen“ wie Rojo Dorado und Negro ein zulässiges deutsches Pendant wie Rotgold und Dunkel haben.

Der Höhepunkt von zehn Höhepunkten.

Der älteste Wein und letzte Wein des Tastings, ich habe es bereits gesagt, stammte aus dem Jahr 1817 und kam aus dem Dorf Cartáma in den Montes de Málaga. Der Larios Vino Dulce Trasañejo Legitimo de los Montes Cártama Año 1817 ist ein gespriteter PX-Süßwein, der mindestens 5 Jahre im Fass gereift ist. Auf Letzteres weist der Begriff Trasañejo auf dem Etikett hin. Was mich am allermeisten beeindruckte, war nicht die enorme Konzentration, Intensität und Länge dieses Weins, sondern wieder diese bemerkenswerte Frische und Lebendigkeit und überhaupt sein Gripp am Gaumen. Von „einer unerklärlichen Frische in der Aromatik“ schreibt der Schweizer Sommelier Michele Caimotto, der das Tasting leitete, in seinem späteren Report. „Feige, reife Wassermelone, Melonenmarmelade, Quitte, Weihrauch, Eukalyptus, Sandelholz und Zigarrenkiste“ waren Aromen, die er in diesem unglaublich vielschichtigen und sauberen Wein entdeckte. Somit ist die Eingangsfrage, wie so ein 200 Jahre alter Wein eigentlich schmeckt, in diesem Fall leicht zu beantworten: Schlichtweg unfassbar gut!

So hatte das Jahr 2024 gerade erst begonnen und hatte am Ende dieses Tages den Höhepunkt bereits hinter sich.


Die großzügigen Spender Alex Klip und Helios Bueno …
… und die dankbaren Verkoster Stefan Persili, Victoria Ordoñez, Javier Krauel, Amaya Cervera (Spanish Wine Lover), der Autor, Michele Caimotto, Laura Masson und José Manuel Moreno (v.l.n.r.).

Alle Fotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten

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