Ein Fino von Peter „Pingus“ Sissek und ein 152 Jahre alter Amontillado

Amontillado

Man schrieb das Jahr 1846, als Edgar Allan Poe die Kurzgeschichte „Das Fass Amontillado“ veröffentlichte. Einige Jahre später verliebten sich ein andalusischer Adliger und eine englische Lady. Als Zeichen ihrer immerwährenden Liebe ließen sie in einer Kellerei im Ort Montilla mehrere Fässer eines Amontillados anlegen, von denen einige in ein Solera übergingen.

Aus einem sogenannten „Bota Zero“ von 1870, einem „Fass Null“, das nie mit anderen Jahrgängen verschnitten wurde, konnte ich neulich in Madrid einen Schluck dieses Amontillado erhaschen. Die Liebe der beiden war offensichtlich nicht erloschen. Es war der Höhepunkt eines zehngängigen Menüs mit Sherrybegleitung, wie ich es in dieser Pairing-Qualität wohl noch nie hatte und vielleicht nie wieder haben werde. Die Speisen im Restaurant Corral de la Moreria waren formidabel, die Sherrys absolut einzigartig und rar. Manche stammten von Erzeugern, die es heute gar nicht mehr gibt.

Großes Sherry-Kino. Der Amontillado ganz unten.
Großes Sherry-Kino. Der Amontillado ganz unten.

Corral de la Moreria: Sherry, Flamenco, Sterneküche und Promi-Ort

Wie komme ich als klammer Blogger und Journalist an so einen Ort und zu solch (unbezahlbaren) Weinen? Auf Einladung der Gastromesse Madrid Fusion weilte ich mit schätzungsweise fünfzig anderen Kollegen aus aller Welt für drei Tage in Madrid, eben um diesen hochspannenden Food- und Wein-Kongress zu besuchen. Die abendlichen Diners waren das Rahmenprogramm, und ich kann sagen, die Veranstalter ließen sich nicht lumpen, uns das Feinste vom Feinen zu bieten.

Corral de la Moreria ist ein Michelin prämiertes Restaurant, Sherry-Tempel und Flamenco-Bühne in einem. 1956 von Manuel del Rey gegründet, etablierte sich der Ort rasch zu einer Institution in Madrid. Die Namen, die das Etablissement seit nunmehr 66 Jahren aufsuchen, lesen sich wie das Who is Who der Pop-, Film- und Sportwelt. Fotos an den Wänden zeigen etwa die Beatles, Kiss, Rolling Stones, Marlon Brando, Harrison Ford, Nicole Kidman, Natalie Portman, Jessica Alba, Serena Williams, Pele und Zidane. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Fehlt einzig der Papst, der möglicherweise nicht so auf Flamenco steht.

Charmant an diesem Flamenco-Restaurant ist, dass es seine authentische Aura offensichtlich bewahrt und reichlich Patina angesetzt hat. Weder wirkt es kitschig, noch aufgetakelt oder verkünstelt. Die Unverfälschtheit mag auch daher rühren, dass Corral de la Moreria heute von Blanca del Rey, der Frau des Gründers, und ihren beiden Söhnen weitergeführt wird. Señora del Rey war früher eine der besten Flamenco-Tänzerinnen des Landes. So verwundert es kaum, dass die Flamenco-Darbietungen, die Küche von David García und die Weinkarte unisono Weltklasse-Niveau bieten. Atemberaubende 1200 Positionen umfasst etwa das Sherry-Angebot. Als das besagte Amontillado-Fass von 1870 neulich abgefüllt wurde, konnte Juan Manuel del Rey vier Flaschen davon ergattern, wie er sichtlich stolz und bewegt erzählt.

So endete die Nacht mit Flamenco von urwüchsiger Kraft und Anmutung und dem 152 Jahre alten, in einer Pipette servierten Amontillado La Inglesa Bota 0. Wie schmeckte der Stoff?, werden Sie möglicherweise fragen. Enorm konzentriert und intensiv, beinahe Cognac-like und doch wieder anders. Das hat freilich auch mit der schleichenden Evaporation zu tun, die dieser Wein über die vielen Jahrzehnte im Fass erfahren hat, wobei sich Alkohol und Extraktstoffe proportional erhöhen.

Flamenco im Corral de la Moreria
14 Jahre gereifter Manzanilla
Aus den 1970ern
Palo Cortado, ist nicht ganz Amontillado
Etwa 70 Jahre alter Palo Cortado

Der Neue Sherry mit Peter „Pingus“ Sissek

Vor dem Sherry-Flash in der Nacht begann mein (Arbeits-)Tag mit dem Thema „The New Sherry“. Ich befand mich seit dem Vormittag auf besagter Messe Madrid Fusion und besuchte eine Verkostung-Diskussionsrunde mit Peter Sissek, Willy Pérez (Bodegas Luis Pérez), Armando Guerra (Taberna der Guerrita) und Ramiro Ibañez (Cota 45). Sie präsentierten unter Florhefe gereifte Weine mit ganz unterschiedlichem Charakter aus den berühmten Lagen Balbaina, Macharnudo und Miraflores. Der 2020 UBE Miraflores von Ramiro Ibañez hatte beispielsweise eine geradezu schwebende Leichtigkeit an sich, während 2019 La Escribana Macharnudo von Willy Pérez enorm geerdet wirkte. Vielen Lesern und Leserinnen dürfte vor allem der Name Peter Sissek geläufig sein. Der Däne kam 1990 nach Spanien ins Anbaugebiet Ribera del Duero, wo er in der Folge mit seinem Rotwein „Pingus“ Weltruhm erlangen sollte.

Pingus war übrigens der Spitzname von Peter Sissek in seiner Kindheit, wie er mir anschließend im Interview verriet. Mit Sherry hat das zugegeben wenig zu tun, doch Sissek erzeugt seit geraumer Zeit den Fino Viña Corrales Pago Balbaina in Jerez. Wie kam es dazu?, frage ich ihn. Warum ausgerechnet Sherry als neues Projekt?

Sissek: Weltweit gibt es keinen vergleichbaren Wein. Sherry ist absolut einzigartig. Du findest heutzutage auf allen Kontinenten einen Weißwein aus Sauvignon Blanc. Aber Jerez gibt es nur in Jerez. Und das fasziniert mich daran.

Ich: Das Tasting, das Sie eben moderiert haben, hieß „Der Neue Sherry“. Folglich muss es auch einen „Alten“ geben. Was unterscheidet die beiden?

Also der Titel kommt nicht von mir (lacht). Aber nach meiner Ansicht ist damit vor allem der Fokus auf den Weinberg gemeint. Was wir bei jungen Leuten wie Willy Perez und Ramiro Ibañez in Jerez sehen, können wir überall in Spanien beobachten: Der Weinberg und Trauben von hoher Qualität werden wichtiger, während der Keller an Bedeutung verliert. Das neue Spanien und das neue Jerez sind für mich vor allem mehr Weinberg.

Sie kamen 1990 nach Spanien. Was war damals anders?

Früher dachten die Leute, sie können alles über die Arbeit im Keller regeln und der Ursprung der Trauben sei zweitrangig. Das glaube ich allerdings überhaupt nicht. Heute orientiert sich Spanien – endlich! – am Weinberg. All die „Kids“ der jungen Generation klassifizieren nach Ortschaften und Lagen. Sie betrachten den Weinberg auf eine europäischere Art. Wahrscheinlich waren Alvaro Palacios, Telmo Rodriguez und ich die ersten, die damit begannen.

Peter Sissek auf der Madrid Fusion 2022
Peter Sissek auf der Madrid Fusion 2022 (Foto: © Thomas Götz)

Mit diesem kurzen Auszug belasse ich es. Das Interview mit Peter Sissek erscheint noch ausführlicher in einem anderen Medium, ich werde zu gegebener Zeit darauf hinweisen. Das ein oder andere Tasting bei der Madrid Fusion und Interviews, die ich geführt habe, werde ich wieder aufgreifen. In Madrid wurde einmal mehr klar, dass sich Spanien in einer Übergangsphase befindet. Die alten Kleider wie Crianza, Reserva und Gran Reserva werden abgelegt und landen in der Mottenkiste. Auch der Tempranillo-Exzess der 1990er und 2000er hat ein Ende gefunden, als die Sorte von rund 46.000 Hektar im Jahr 1990 auf unglaubliche 214.000 Hektar in 2009 anwuchs und viele angestammte lokale Sorten verdrängte. Die neue spanische Weinidentität schält sich immer sichtbarer heraus. Mehr Vielfalt an Regionen, eine Rückbesinnung auf lokale Rebsorten, mehr Weinberg und weniger Kellertechnik sind die Schlagworte, die auch weiterhin eine zentrale Rolle auf diesem Blog einnehmen werden. Bleiben Sie dran.

Links im Bild der Fino Vina Corrales Pago Balbaina, ein Joint Venture von Peter Sissek und Carlos del Rio. Ebenfalls top: UBE von Cota 45 rechts.
Links: der enorm vielschichtige Fino Viña Corrales aus der Lage Pago Balbaina von Peter Sissek und Carlos del Rio. Ungefiltert abgefüllt „en Rama“ in 2021. Ebenfalls top: UBE aus der Lage Miraflores von Cota 45.
Sherry lebt! V.l.n.r.: Willy Pérez, Armando Guerra, Peter Sissek und Ramiro Ibañez.

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