Als Vater zweier Kinder denke ich darüber nach, was man dem „Nachwuchs“ mit auf den Weg gibt. Wenn mein Sohn zum Beispiel glaubt, er sei in etwas nicht gut, weil andere das besser können, dann sage ich ihm, dass es nicht darum geht, besser zu sein als andere, sondern einzigartig. Den Besten in einer Sache gibt es meiner Meinung nach sowieso nicht, es sei denn, man heißt Leo Messi oder Mikaela Shiffrin. Aber es gibt Einzigartigkeit, und jeder Mensch kann einzigartig sein. Selbstreflexion, Mut und Leidenschaft sind einige Parameter, die er oder sie dafür mitbringen sollte.
Einzigartigkeit im Wein entsteht vor allem durch zwei Dinge: den Weinberg und den Menschen. So wunderbar Stockinger-Fuder, Betoneier & Co. auch sein mögen, jeder kann sie verwenden, insofern tragen diese Behältnisse nicht zur Einzigartigkeit bei. Aber ein Weinberg und ein Mensch sind nicht kopierbar.
Als ich im Februar zwei Tage lang in der baskischen Rioja (Alavesa) unterwegs war, sah ich einzigartige Weinberge von einzigartigen Winzern und Winzerinnen und hatte entsprechend einzigartige Weine im Glas. Beginnen wir mit …
1. Sandra Bravo – Sierra de Toloño
Sandra Bravo bewirtschaftet zehn Hektar Weinberge, die sich durch alte Buschreben, kalkgeprägte Böden und eine beachtliche Höhenlage auszeichnen. Außerdem betreibt die Winzerin biodynamischen Weinbau und ihre Weine sind Demeter-zertifiziert.
Bevor sie im Jahr 2012 ihr Weingut Sierra de Toloño gründete, arbeitete Sandra unter anderem mit und für Ricard Rofes im Priorat (siehe meinen Artikel über das Weingut Scala Dei). Anfangs pendelte sie die 400 Kilometer zwischen dem Priorat und ihrem neuen Weinprojekt in der Rioja Alavesa, wobei sie etwa jeweils die Hälfte der Zeit an beiden Orten verbrachte.
Ihre Kellerei befindet sich in einer Garage in Villabuena de Alava. Das ist ein Dorf mit 300 Einwohnern und über 40 Weingütern. Der Weinbau und die Weinherstellung sind in dieser Gemeinde unübersehbar. Die Landschaft ist typisch Alavesa: Sie ist geprägt von der Silhouette der Sierra Cantabria und kleinen Parzellen mit alten Buschreben.
Sandra Bravo baut ihre Weine in einer Kombination aus großformatigen Holzfässern, Stahltanks und Tonamphoren aus. Stilistisch steht sie für das neue Rioja: Ihr Fokus liegt auf Frische und Finesse statt Kraft. Sie setzt auf weniger Holz und weniger Extraktion und erhält dafür mehr Präzision und Reinheit. Dass weniger mehr sein kann, wusste schon Mies van der Rohe. Alle ihre Weine zeichnen sich durch Klarheit und Persönlichkeit aus. Zwei Gewächse möchte ich besonders hervorheben.
La Dula Garnachas de Altura 2022
Die Weinberge für diesen Rotwein aus Garnacha Tinta (und etwas Garnacha Gris) liegen auf bis zu 700 Metern Höhe in der Gemeinde Rivas de Tereso. Streng genommen befinden wir uns hier in einem Zipfel, der zur Zone Rioja Alta und nicht zur baskischen Rioja gehört, obwohl Rivas de Tereso nördlich des Ebro-Ufers liegt. Wir sind hier ganz nah am 1.264 Meter hohen Monte Toloño, dem Namensgeber der Sierra, nach der Sandra Bravo wiederum ihr Weingut benannt hat. Der Gebirgszug schirmt die Rioja vom 80 Kilometer entfernten Atlantik ab. Als wir in einem der alten Weinberge stehen, spüren wir einen kräftigen, kalten Nordwind. Trotz des sonnigen Tages ist es kalt.
Im Gebiet nördlich des Ebro kommt die Garnacha heute nur noch wenig vor. Zum Beispiel macht die Sorte in der Rioja Alavesa weniger als 1% der Rebfläche aus. In der benachbarten Rioja Oriental (hier ein Beitrag von mir) sind es mit 12% deutlich mehr.
Sandra Bravo baut La Dula in 300-Liter-Tonamphoren aus. Der Jahrgang 2022 hat eine sinnliche, florale Nase, ist saftig und seidig am Gaumen. Der Wein hat elegante Tannine, ist superfrisch und hat einen tollen Trinkfluss. Man merkt dem Wein die Höhenlage, den kontinentalen und atlantischen Klimaeinfluss an. Um die 18 Euro sind ein sagenhafter Preis für ein so erstklassiges Gewächs.
Nahikun Blanco 2023
Dieser Weißwein stammt aus fünf kleinen Plots in Villabuena de Alava auf einer Höhe von etwa 550 Metern. Eine dieser Parzellen haben wir besucht: Auf dem Titelfoto ist Sandra Bravo im 95 Jahre alten Weinberg „Malpuesto“ zu sehen. Der Name bedeutet soviel wie „schlecht gelegen“. In diesem Mischsatz wachsen Tempranillo und die Weißweintrauben Viura, Malvasia, Calagraño und Rochal nebeneinander. Ein Mix aus Rot- und Weißweinsorten ist typisch für viele alte Weinberge in Spanien.
Aus den Tempranillo-Trauben in den Mischsätzen entsteht der Nahikun Tinto. Die weißen Trauben liest und vergärt Sandra Bravo gemeinsam zum Nahikun Blanco. Es handelt sich also um einen klassischen „Field Blend“. Der Jahrgang 2023 ist frisch und geradlinig, hat Zitrusaromen und eine ausgeprägte salzig-mineralische Note, dazu viel Gripp am Gaumen und eine prima Länge. Auch hier liegt der Preis unter 30 Euro, was angesichts der Eigenständigkeit und Klasse dieses Weins geradezu sensationell ist.
2. Carlos Sánchez – Vinos Finos
Am gleichen Tag besuchte ich Carlos Sánchez und seine Frau Beatriz Osorio in Labastida. Carlos Sánchez stammt aus Madrid, ist unter anderem Berater beim Vino de Pago Finca Elez und macht auch Wein in der Sierra de Gredos. Entsprechend gut kennt er die Rebsorte Garnacha. Auch in seinem 2019 gestarteten Rioja-Projekt hat er mit dem „Buradon Los Plegiaras 2022“ einen beeindruckend feinen Garnacha im Portfolio.
Carlos Sánchez besitzt einige wenige Hektar in Labastida und in San Vicente de Sonsierra und er bezieht auch Trauben anderer Winzer von dort. Fast alle Weinberge bestehen aus Buschreben auf kalkhaltigen Böden. Die Weine, die er daraus keltert, sind vibrierend und elegant und von großer Klarheit geprägt. Wir probieren zuerst den 2023er-Jahrgang in den Holzfässern. Auf den Gebinden steht neben seinem Namen der Zusatz „Vinos Finos“ geschrieben. Und „Feine Weine“ sind bei Carlos Sánchez tatsächlich Programm, man könnte seinen Stil kaum treffender beschreiben.
Anschließend verkosten wir die abgefüllten Rot- und Weißweine des Jahrgangs 2022. Die zweistöckige Bodega befindet sich in einer schnörkellosen Lagerhalle am Ortsrand von Labastida. Unten lagern die Weinfässer, die obere Etage ist eine große, fast leere Halle mit einem Schreibtisch, einem Esstisch und dem Verkostungsbereich. Alle seine Weine sind mitreißend, individuell und spannend. Sie sind ein Vergnügen und verlangen geradezu nach dem nächsten Schluck. Zwei Gewächse will ich hervorheben.
La Bendecida 2022
La Bendecida ist ein sortenreiner Tempranillo aus einem einzigen, dem Nordwind ausgesetzten Mikroplot in San Vicente de Sonsierra, eine Ortschaft, die zwar nördlich des Ebros liegt, aber zur Zone Rioja Alta gehört. Carlos Sánchez stampft die Trauben mit den Füßen und vergärt den Wein mit den Rappen. Dabei achtet er auf eine geringe Extraktion, um keine grünen Tannine aus den Stielen zu ziehen. Dafür erhält er Griffigkeit und zusätzlich Frische. Der Jahrgang 2022 ist vibrierend am Gaumen und hat eine elektrisierende Spannung. Dieser Wein ist enorm transparent und vielschichtig, hat eine kreidige Mineralität und eine hohe Intensität, ist aber gleichzeitig schlank und saftig. Das Mundgefühl und die Stilistik erinnerten mich an den Lagenwein San Lazaro, den ich am Vortag bei Bodegas Artadi verkostet hatte (über die ein separater Beitrag folgt). Einfach großartig! Eine Art burgundischer Tempranillo.
1er Los Montes Bellos del Buradón Blanco 2022
Dieser Weißwein stammt aus einem 1970 gepflanzten Viura-Weinberg in Labastida. Der Boden ist sandig und enthält Kalkstein. Der Name „Los Montes Bellos del Buradón“ – die schönen Berge von Buradón – bezieht sich auf den historischen baskischen Namen der Gegend um Labastida (Buradón). Carlos Sánchez baut den Wein 12 Monate im Holzfass auf der Hefe aus. Allerdings fast ohne Aufrühren der Hefe (Batonnage), denn er sagt, er wolle lineare Weine und keine, die zu sehr in die Breite gehen.
Im Ergebnis hat der 2022er eine knackige Säure und einen geradlinigen Zug bei seidig-cremiger Textur. Der Wein hat eine pikante Würze, man spürt das Holz, aber es ist bereits im jetzigen jungen Reifestadium gut eingebunden. Dies ist ein eigenständiger, zitrisch-frischer Weißwein im Stil der Rioja-Klassik. Im Mund fühlt er sich überragend an – voll und energiegeladen – und mit weiterer Flaschenreife dürften die Aromatik und Textur immer vielschichtiger werden.
3. Melanie Hickman – Bodegas Bhilar und Etérea Kripan
Außerdem traf ich Melanie Hickman. Die US-Amerikanerin kam 2012 in die Rioja. Zusammen mit ihrem Mann, dem Winzer David Sampedro, lebt sie auf dem charmanten Weingut Bhilar mit Kindern, Pferden, Hunden, Hühnern und Katzen am Ortsrand von Elvillar. Ergänzend zu Bodegas Bhilar hat Melanie Hickman ihr eigenes Weinprojekt Etérea Kripan initiiert. Einen Wein daraus stelle ich weiter unten vor.
Mit dem Jeep fuhren wir über einen holprigen Feldweg von Elvillar (580 Meter Höhe) den Berg hoch Richtung Sierra Cantabria auf 900 Meter Höhe. Dort hat sich Melanie Hickman vor einigen Jahren ein 3,4 Hektar großes Grundstück gekauft, auf dem sie unter anderem einen Testweinberg von etwa einem halben Hektar anlegen wird.
Die meisten Weinberge in der baskischen Rioja liegen irgendwo zwischen 450 und 650 Metern Höhe. 900 Meter sind in diesem nördlichen Teil der Rioja extrem und wurden noch nie ausprobiert. Früher gab es hier Weizenfelder, erzählt Hickman. Aber im Zuge des Klimawandels könnten solche Höhenlagen für den Weinbau vielleicht einmal eine Notwendigkeit sein. Sie denkt an heimische Rebsorten wie Viura und Graciano, möglicherweise auch Chardonnay und Trousseau. Es ist, wie gesagt, ein Test.
Doch Melanie Hickman geht es nicht nur um den Weinbau in Zeiten der Klimakrise, sondern generell um eine Landwirtschaft, die die biologische Vielfalt in den Mittelpunkt stellt. Deshalb pflanzt sie auf dem Stück Land schrittweise auch Lavendel, Rosmarin, Thymian, Eichen und Haselnuss-Sträucher an. Außerdem ist sie dabei, eine Fläche mit Hülsenfrüchtlern zu bepflanzen, die als Futter für die Pferde dienen, mit denen sie und ihr Mann wiederum die Weinberge ihres Weinguts pflügen. Mit diesem ganzheitlichen Ansatz hofft sie, auch Bienenvölker anzulocken.
Es wird hochinteressant sein, dieses Projekt der Biodiversität und des Weinbaus in extremen Höhenlagen zu verfolgen. Für den Moment sind auch die aktuellen Weine von Melanie Hickman und David Sampedro enorm spannend, etwa der …
Carrakripan 2019
Aus Zeitgründen verzichteten wir auf ein Tasting im Weingut, da ich schnell zu einem anderen Termin musste. Aber Melanie Hickman gab mir eine Flasche des Olivenöls von Bodegas Bhilar und einen ihrer Weißweine mit auf den Weg. Ich trank ihn neulich zuhause auf der Terrasse. Der Carrakripan 2019 stammt aus einem biodynamisch bewirtschafteten Weinberg auf 620 Metern Höhe mit Kalkböden. Er besteht zu 90 Prozent aus Viura und zu jeweils ein paar Prozent Garnacha Blanca und Malvasia. Die Hälfte des Weins ist auf den Schalen vergoren und der Ausbau erfolgte in größeren Holzfässern. Er duftet floral, kräuterig und nussig, hat einen anregenden oxidativen Touch, aber vor allem ist es das Mundgefühl, das ihn so besonders macht: die polierte, elegante Textur und die sagenhafte Frische. Ein echtes Unikat!
Weitere Infos:
Alle Beitragsfotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten
Karte mit den drei Hauptzonen der Rioja: © DOCa Rioja
Toller Bericht, ich arbeite seit dem Jahrgang 2017 (April 2020) Jahren mit den Weinen von Sandra Bravo (Sierra de Tolono), ihre Weine sind eine Wohltat im Meer belangloser Rioja-Weine. Dazu ist sie eine äußerst sympathische Frau. Darf ich diesen Artikel auf die Weine verlinken?
Hallo Herr Klingenbrunn, Danke für den Kommentar, Sie dürfen selbstverständlich sehr gerne auf den Artikel verlinken.
Beste Grüße! Thomas Götz
Danke!
mfg
Bernd Klingenbrunn