Was ist typisch Priorat? Muskelbepackte, schwere und dicht konzentrierte Rotweine mit reichlich Holzeinschlag. Rotweine nach dem Geschmack von Robert Parker. So oder ähnlich hätte man diese Frage wohl vor fünfzehn Jahren beantwortet. Und heute?
Für mein Empfinden verändert sich das Priorat zum Besseren: Mehr Frische und Eleganz, weniger Extrakt und Holz! Diese Losung trifft zwar nicht auf alle, aber eine wachsende Zahl an Erzeugern zu. Diesbezüglich mit an vorderster Stelle ist das geschichtsträchtige Weingut Scala Dei zu nennen. Das Original steht außerdem für Avantgarde. Ich fuhr im vergangenen Herbst in dem ehemaligen Kloster vor, war beeindruckt und überrascht von dem, was ich gesehen und getrunken habe.
Mönche erschließen vor über 800 Jahren das Berggebiet
Empfangen werde ich von Paul Kendall. Der gebürtige Engländer ist gelernter Sommelier und Önologe und arbeitet seit vier Jahren für das Weingut. So ist er etwa für die Vinothek verantwortlich, empfängt Besucher wie mich und hilft ferner bei der Weinbereitung mit. Paul, der ein wandelndes Lexikon ist, erzählt mir zuerst von der wechselhaften Geschichte des Weinguts. Kartäusermönche errichteten ab dem Jahr 1194 ein Kloster namens Escaladei. In der Folge gründeten sie ein sogenanntes „Priorat“, dem sieben Dörfer in dem bergigen Gebiet angehörten und die unter der Hoheit des Priors von Escaladei standen.
Über die Jahrhunderte hinweg legten die Mönche außerdem Weinberge an. In einem Buch von 1629 gehen sie präzise auf ihre Lagen und Rebsorten ein: Demnach pflanzten die Glaubensbrüder die Sorten Garnacha und Monastrell in den Hochlagen an den Hängen der Montsantberge, auf deren kühleren Lehmböden die Trauben langsamer reifen. Die rote Cariñena kultivierten sie dagegen in den niedrigeren Lagen auf Schieferböden. Garnacha und Cariñena sind bis heute die wichtigsten Rebsorten des Priorat, die Monastrell ging dagegen verloren.
Enteignung, Reblaus, Franco-Diktatur und vom Fass zur Flasche
Ebenfalls verschwunden sind seit dem 19. Jahrhundert die Mönche. Sie wurden 1835 von der spanischen Krone, die an Geldknappheit litt, enteignet und mussten das Priorat-Gebiet verlassen. Das Königshaus verkaufte das Kloster im Jahr 1842 an vier katalanische Familien. Im Preis enthalten waren die gesamten Ländereien mit den Weinbergen. Ergo begannen die vier Familien jeweils separat Wein zu keltern. Es handelte sich zuerst um Fassware, die nach Tarragona transportiert und dort weiterverarbeitet wurde.
Wein füllte man auf Scala Dei erstmals 1878 ab. Das waren Musterflaschen für die Weltausstellung in Paris. Der Rotwein gewann eine Goldmedaille, was für Aufmerksamkeit sorgte. In der Folge gelangte viel Fassware vom Priorat nach Frankreich, das damals unter Ernteausfällen durch die Reblaus litt.
Zehn Jahre später wurde erneut ein Wein für die Weltausstellung, diesmal in Barcelona, abgefüllt. Er gewann wieder Gold. So entstanden Überlegungen Wein generell in Flaschen abzufüllen. Allerdings setzte die Reblaus diesem Ansinnen ein jähes Ende. Der Schädling trat ab 1893 auch im Priorat auf und vernichtete dessen Rebgärten.
Ab 1902 wurden die Weinberge nachgepflanzt, nun mit amerikanischen Unterlagsreben, und die Weinerzeugung begann von Neuem. Doch dann kam der spanische Bürgerkrieg (1936 bis 1939), während dessen die Produktion wieder zum Erliegen kann. Nach dem Bürgerkrieg änderte Diktator Franco das System der Landwirtschaft grundlegend. Wein wurde – gesetzlich festgeschrieben – zu einem Grundnahrungsmittel, auf das alle Spanier ein Anrecht hatten. Viele Weingüter wurden zur Erzeugung von Tafelwein verpflichtet, so auch die Familienweingüter in Scala Dei.
Ende der 1960er-Jahre gab es – trotz Diktatur – etwas mehr Freiheit und Öffnung für spanische Unternehmen. Es war die Zeit, in der sich die bis dahin separat arbeitenden drei Familienweingüter zu einem Weingut zusammenschossen, das den vollständigen Namen „Cellers de Scala Dei“ trägt. Bis heute ist Cellers de Scala Dei im Besitz dieser Familien, zudem hält die Codorniu-Gruppe 25 Prozent Anteil am Weingut.
Scala Dei: Vom Verlust und zur Rückkehr des Ursprungs
Von 1974 bis 1989 war Cellers de Scala Dei der einzige Erzeuger im Priorat, der Weine in Flaschen abfüllte (alle anderen produzierten Bulkwein). Ihre Trauben vergärten sie mit den Stielen in großen Holzfässern und Betontanks. Einschlägigen Erfolg hatten sie mit dieser Methode jedoch nicht. Berühmt wurde das Priorat nämlich erst durch eine Gruppe von Winzern um Rene Barbier, José Luis Pérez und Alvaro Palacios, die ab 1989 einen für das Priorat neuen Weinstil einführten, der sich ganz an Bordeaux orientierte.
Zum einen führten die Pioniere französische Sorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah ein und verschnitten sie mit der einheimischen Garnacha. Zum anderen entrappten sie die Trauben, vergärten in Stahltanks und bauten die Weine in neuen Barrriques aus. Robert Parker war begeistert angesichts der Kraft und Konzentration dieser Rotweine. Scala Dei imitierte diesen erfolgreichen Weinstil: Sie pflanzten Cabernet Sauvignon und Syrah an, kauften Stahltanks, neue Barriquefässer und Entrappungsmaschinen. „Es war ein Fehler diesem Trend zu folgen“, sagt Paul Kendall rückblickend, „denn dabei verloren wir unsere Identität“.
Als 2007 der angesehene Önologe Ricard Rofes das Ruder übernahm, drehte er die Uhren zurück und Scala Dei wandten sich ihrer ursprünglichen Weinbereitung zu. „Wir machen nun wieder Weine wie in den 1970ern“, sagt Paul Kendall. „Der Fokus liegt auf den autochthonen Sorten, einer Ganztraubengärung in Beton und einem Ausbau in großen und gebrauchten Fudern. Zuviel Holz mögen wir nicht, die kleinen Barriques haben wir alle aussortiert.“
„Wir streben nach frischen und balancierten Weinen“, fährt Paul fort. Für ihn sind es Weine, die Terroir ausdrücken und nicht durch Holzeinsatz maskiert sind. Man darf deshalb durchaus behaupten, dass Scala Dei sowohl das historisch bedeutendste Weingut der DOQ Priorat als auch einer der Vorreiter bezüglich zeitgemäßer Weinstilistik ist. Zurück zu den Wurzeln (autochthone Sorten, Beton, weniger Extraktion, etc.) ist heutzutage modern.
Hochlage, Garnacha und Lehm
Der Dreiklang des Terroirs von Scala Dei lautet Hochlage, Garnacha und Lehm. Letztere Böden sind eher untypisch für das Priorat, das insgesamt doch so bekannt für Schiefer ist. Aber es sind eben jene Böden am Fuße der Montsantberge, auf welchen die Mönche ab dem 13. Jahrhundert zuerst Reben kultivierten. Die heutigen Lagen von Scala Dei sind diese ursprünglichen Weinberge der Mönche. Insgesamt bewirtschaftet das Weingut 60 Hektar Rebland, die sich auf 41 Lagen verteilen. Seit 2007 werden keine Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Hochlagen. Sie sorgen mit ihren kühleren Sommernächten dafür, dass die Trauben langsamer reifen und die Stängel bis zur Ernte reif sind. Wie bereits erwähnt, werden bei den Rotweinen die Trauben mehrheitlich mit den Rappen vergoren. Und da die Stängel reif sind, geben sie keine grünen Noten an den Wein ab, sondern sorgen vor allem für Struktur. Dies alles resultiert in hochfeinen und eleganten Weinen, von denen ich nun meine fünf Favoriten vorstelle.
Scala Dei: Ausgesuchte Weine
Massipa 2017
Ein klasse Weißwein aus 80% Garnacha Blanca und 20% Chenin Blanc. Auf rund 700 Metern Höhe gelegener Weinberg mit alten Reben. Vergärung in Betontanks und 12 Monate Ausbau in großen Holzfudern. Lebhafte Säure, mineralisch und vollmundig. Trockenes, langes, animierendes Finish.
Cartoixa 2017
Der Klassiker unter den Scala-Dei-Rotweinen. Eine Cuvée aus 80% Garnacha und 20% Cariñena. Die Garnacha kommt aus Weinbergen mit Lehmböden; die Cariñena aus solchen mit Schieferböden. Die Trauben sind größtenteils mit den Rappen vergoren, der Ausbau erfolgt hauptsächlich in Beton. Sehr frischer Rotwein, im Duft mit erdigen Noten und mediterranen Kräutern. Am Gaumen elegant und komplex. Ein Wein mit hoher Intensität, ohne schwer zu sein.
St. Antoni 2017
Höhe, Garnacha und Lehm sind die drei Säulen des Scala-Dei-Terroirs. Dieses soll die Weinreihe „Las Garnachas de Scala Dei“ ausdrücken. Zusammen sind es vier Weine aus historischen Einzellagen, die bereits von den Mönchen angelegt wurden. St. Antoni, nach der dieser Rotwein benannt ist, ist eine davon. Ein Weinberg auf rund 600 Meter Höhe. 100% Garnacha auf Lehmboden. Die Reben sind im Schnitt 75 Jahre alt. Spontanvergärung mit Rappen. 9 Monate Ausbau in Zement. Danach 14 Monate in 1400 Liter Holzfuder. Ein reiner, glasklarer Ausdruck der Garnacha. Helle Farbe, frisch, elegant, hocharomatisch. Feine pfeffrige Würze im Abgang. WOW. Wer auf Pinot Noir steht, wird diesen Wein lieben.
Mas Deu 2016
Dieser herausragende Rotwein gehört ebenfalls der Weinreihe „Las Garnachas de Scala Dei“ an. Er entstammt einer Einzellage auf über 800 Meter Höhe (siehe Titelfoto). Vermutlich ist es der höchste Weinberg im Priorat. 100% Garnacha auf Kalksteinboden. Etwa 75 Jahre alte Reben in Einzelpfahlerziehung. Spontanvergärung mit den Rappen. 60 Tage Maischestandzeit (trotzdem helle Farbe). 14 Monate Ausbau in Zement. Hocharomatische Nase und insgesamt hochfein. Mit viel Druck am Gaumen. Wundervolle Frische und Klarheit. Tief und lang. Alles andere als das typische Priorat-Kraftpaket. Außergewöhnlich.
Vi Ranci 1982
Die katalanische Tarragona-Region, in der sich das Priorat befindet, hat eine lange Tradition beim Ausbau oxidativer Weine. In Spanien nennt man sie Vino Rancio bzw. auf katalanisch Vi Ranci. Dieser oxidative Wein entstammt zu 100% aus der roten Garnacha-Traube, geerntet im Jahr 1982. Die Lese fand zu spät statt, so entstand ein Rotwein mit zu hohem Alkoholgehalt. Statt ihn abzufüllen, entschied sich Scala Dei für einen oxidativen Ausbau. 33 Holzfässer mit 300 Liter Fassungsvermögen wurden zu Dreiviertel mit Wein befüllt. Und für volle 38 Jahre stehen gelassen. Im Jahr 2020 entnahmen sie erstmals aus jedem Fass neun Liter, also etwa 300 Liter insgesamt und füllten den Wein in 0,5 Liter-Flaschen ab. Ab sofort werden die 33 Fässer in ein Solera umgewandelt. Aber dieser Wein, den ich probieren konnte, ist noch der Originaljahrgang 1982. Er erinnert an einen Palo Cortado aus Jerez, hat Aromen von Trockenfrüchten, Kamille und Haselnuss, ist sehr elegant und balanciert und läuft seidig über den Gaumen. Fabelhaft!
Weitere Infos
Titelfoto: © Cellers de Scala Dei
Bezugsquelle, u.a.: Decantalo.com
Lieber Thomas Götz, vielen Dank für den tollen Artikel über Scala Dei! Wir waren 2016 auf einer Weinreise zu sechst im Osten Spaniens unterwegs. Das kleine und ursprüngliche Priorat mit dem angrenzenden Montsant hat uns unheimlich gut gefallen. Wir hatten Kontakte zu den Bodegas Capcanes und Acustic und sind eher zufällig auch bei Scala Dei gelandet. Die Wirtin unseres Hotels im Weingut Trossos del Priorat hat es uns ans Herz gelegt (das Hotel kann man übrigens sehr empfehlen: herrlich gelegen, orginelle Zimmer „im Berg“ und eine schöne Panoramalounge wo man selber kochen kann :-)). Wir waren spontan bei Scala Dei und haben eine hochinteressante Führung mit Verkostung bekommen. Die Weine sind großartig und das Konzept stimmt einfach: da wird mit Herzblut Wein gemacht. Scala Dei ist ein vortrefflicher Name: Himmelsleiter … man wähnt sich im Weinhimmel. Die umgebende Landschaft lohnt für einen schönen Ausflug. Jeder, der in die Ecke kommt sollte dieses Weingut unbedingt besuchen. Viele Grüße, Elke Brüderle
Liebe Elke Brüderle, Danke für den freundlichen und kundigen Kommentar. Das freut mich, wenn es euch bei Scala Dei ebenfalls so hervorragend gefallen hat.
Herzliche Grüße!
Thomas Götz