Málaga war einst eine der größten und berühmtesten Weinregionen der Welt. Nach der Reblausplage fiel das Gebiet in einen langen Dornröschenschlaf. Nun lässt eine neue Winzergeneration die große Tradition wieder aufleben.
Bei Málaga denkt man an Costa del Sol, an Sonne und Strand, vielleicht an Picassos Geburtsort, aber wohl kaum an Wein. Dabei kann die Hafenstadt am Mittelmeer auf eine fast 3.000-jährige Weingeschichte zurückblicken, die im 18. und 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Damals war der sogenannte „Málaga Mountain Wine“ eine Weltmarke und ein Exportschlager, in Adelshäusern geschätzt und bei Christie’s in London versteigert. Die erste Weinauktion von Christie’s im Jahr 1769 listete die Gewächse aus Málaga etwa Seite an Seite mit jenen vom Rhein und dem Burgund. Auch gibt es mehrere literarische Referenzen, dass Goethe Málagawein trank. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung führt in einem Beitrag vom Dezember 2020 sogar auf, wie der Weinkeller von Friedrich Schiller zur Stunde seines Todes im Jahr 1805 bestückt war: „22 Flaschen Champagner, 35 Flaschen Burgunder, 61 Flaschen Málagawein“ hinterließ der große Dichter demzufolge der Nachwelt.
Dann kam 1878 die Reblaus und vernichtete über 112.000 Hektar Weinberge, wie der Kontrollrat der DO Málaga y Sierras de Málaga auf Anfrage mitteilt. Die heutige DO-Appellation umfasst nur 900 Hektar. Unter der Herkunftsbezeichnung DO Málaga versammeln sich überwiegend Süßweine sowie traditionell erzeugte Weine mit einem Mindestalkoholgehalt von 15 Prozent. Die Herkunft DO Sierras de Málaga steht hingegen für trockene, nicht gespritete Rot-, Weiß- und Roséweine. Man sieht schon an dieser Aufteilung, dass Málaga zwar ein kleines, aber nicht ganz einfach zu verstehendes Weinbaugebiet ist.
Der vergessene PX aus den Montes de Málaga
Eine der führenden Erzeugerinnen ist Victoria Ordoñez. Sie war Ärztin, bevor sie im Weingut ihres Bruders Jorge Ordoñez mit dem Weinmachen begann und dort die Winzerlegende Alois Kracher kennenlernte. Von 2004 bis zu seinem Tod im Dezember 2007 produzierte sie unter der Leitung des Österreichers trockene Weißweine und natursüße Weine aus der Moscatel-Traube. „Alois Kracher hat mir die Tür zu den absoluten Spitzenweißweinen geöffnet“, sagt sie rückblickend.
Victoria Ordoñez gründete ihr Weingut schließlich 2015, nachdem sie in Büchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert über die Geschichte des Málagaweins gelesen hatte. Darin, so sagt sie, sei sie auf „einen völlig vergrabenen Schatz“ gestoßen. Damals bekannte Autoren wie André Jullien und Cecilio García de la Leña lobten in ihren Werken einen trockenen, ungespriteten Weißwein aus den Bergen von Málaga, der aus der Sorte Pedro Ximénez (PX) gewonnen wurde. „Nach der Reblaus ist dieser Weinstil völlig in Vergessenheit geraten“, sagt Victoria Ordoñez. „Die Leute denken bei PX und Málaga nur an Süßweine. Aber das ist falsch.“ Daraufhin beschloss sie, den trockenen PX in ihrem Málaga-Projekt wieder zu beleben.
Gut war, dass die Geschichtsbücher Informationen über die besten Weinberge der damaligen Zeit enthielten, und Victoria machte sich auf, die Lagen in den „Montes de Málaga“, einer Bergregion in der Nähe der Stadt, zu suchen. Dort wachsen die Reben in Höhen von bis zu 1.000 Metern. Einige Parzellen sind nur über ein Labyrinth von schmalen Pfaden zugänglich. Bei einer Erkundung sei sie mit ihrem Auto einen Abhang hinuntergerutscht und habe nur dank glücklicher Umstände überlebt, erzählt mir Victoria bei einem meiner Besuche. Aber schließlich fand sie einige der Weinberge, wie zum Beispiel eine Parzelle auf dem Berg Santo Pitar, deren Rebstöcke aus der Zeit vor der Reblausplage stammen und einen Ertrag von 900 Kilogramm pro Hektar liefern. Eine ortsansässige Familie hatte sich seit Generationen um das Land gekümmert. Aus dieser und einer weiteren Parzelle erzeugt Victoria Ordoñez heute den sortenreinen PX „Voladeros“, einen der besten Weißweine Spaniens. Vor allem der Jahrgang 2017 zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Eleganz und Tiefe, großes Reifepotenzial und einen einzigartig noblen Charakter aus.
Zur Herkunft der PX liest man allerlei Unsinn – etwa, dass sie nach dem Deutschen Peter Siemens (spanisch: Pedro Ximénez) benannt sei, der sie vom Rhein nach Andalusien gebracht haben soll. Bereits 2007 veröffentlichte das „American Journal of Enology and Viticulture“ eine auf DNA-Analysen basierende Studie, wonach die PX von der arabischen Tafeltraube Gibi (Synonym: Heben) abstammt. Die Mauren führten also die Gibi in ihr Herrschaftsgebiet Al-Andalus ein. Der Name Pedro Ximénez hingegen taucht erst im 16. Jahrhundert in Dokumenten auf, sagt Victoria Ordoñez, die die Geschichte der Sorte umfassend erforscht hat. Nach der christlichen Rückeroberung Andalusiens sei es üblich gewesen, arabische Namen durch kastilische zu ersetzen.
Im Jahr 2021 wuchs der PX in Andalusien nach Angaben des spanischen Landwirtschaftsministeriums auf 5.950 Hektar. Nicht in Málaga, wo die Traube laut Kontrollrat der DO Málaga y Sierras de Málaga vor der Reblaus 45.000 Hektar erreichte, sondern in Córdoba wird sie heute hauptsächlich angebaut.
Schiefer und Steillagen: Heroischer Weinbau in der Axarquia
Ortswechsel: Die Axarquia grenzt im Osten an die Montes de Málaga und ist ebenfalls Teil des Anbaugebiets DO Málaga y Sierras de Málaga. Die zerklüftete Gebirgsregion kommt auf 3.000 Sonnenstunden im Jahr und wird oft mit dem Priorat in Katalonien verglichen. In der Tat gibt es Ähnlichkeiten, wie zum Beispiel die bröckeligen Schieferböden. Wie im Priorat wurzeln die Reben auf reinem Stein – sozusagen auf Böden ohne fruchtbaren Boden.
Auch der Anteil alter Buschreben ist in der Axarquia so groß, dass einige Winzer, die ich besucht habe, sogar einen fünfzigjährigen Weinberg als „jung“ bezeichnen. Spektakulär sind zudem die Steilhänge mit Neigungen von bis zu siebzig Prozent. In diesem Terrain ist der Einsatz von Traktoren undenkbar. Alle Arbeiten werden mit der Hand ausgeführt. Maultiere werden zum Pflügen der Weinberge und bei der Ernte eingesetzt. Man spricht von einer Viticultura Heroica, einem „heroischen Weinbau“.
Aber es gibt auch Unterschiede zum Priorat: Die Axarquia liegt direkt am Mittelmeer, so dass der Einfluss des Meeres stärker ist. Eine salzige Brise weht durch die Weinberge, die sich zwischen 350 und 1.000 Metern über dem Meeresspiegel erstrecken. Außerdem dominiert die Weißweinsorte Moscatel de Alejandría die Pflanzungen. Im Vergleich zu PX hat sie größere Beeren mit weniger Kernen. Daher wird die Moscatel de Alejandría traditionell nicht nur zur Weinherstellung, sondern auch als Tafeltraube und für die Rosinenproduktion verwendet.
Es gibt sogar die Ursprungsbezeichnung DO Pasas de Málaga für Rosinen. Nach Angaben des Kontrollrats der DO erstreckt sie sich über 940 Hektar und die Axarquia ist ihr Zentrum. Nach der Ernte werden die Trauben auf Matten in so genannten „paseros“ ausgebreitet und in der Sonne getrocknet. Die Beeren verlieren so an Flüssigkeit und schrumpeln. „Asoleo“ nennt sich dieses Verfahren, das auch in der DO Málaga für die Süßweinproduktion angewandt wird. Nicht gespritete natürliche Süßweine werden als Naturalmente Dulce klassifiziert. Die besten Weine von Erzeugern wie Bodegas Bentomiz, Jorge Ordoñez und Telmo Rodriguez zeichnen sich durch eine wundervolle Balance von Frische, reifer Frucht und Konzentration aus.
Ein weiterer Stil ist Dulce Natural, die Bezeichnung für angereicherte Süßweine, deren Zuckergehalt ausschließlich aus den Trauben stammt. Die Bodega, auf die man achten sollte, ist Dimobe. Außerdem gibt es Süßweine, denen Zucker in Form von konzentriertem Traubenmost zugesetzt wurde. Aufgrund der langen Weingeschichte Málagas gibt es unzählige Süßweinstile. Aber die Moscatel de Alejandría ergibt auch fabelhafte trockene Weißweine. Die außergewöhnlichsten kommen von Bentomiz, Sedella, Victoria Ordoñez und Viñedos Verticales. Ihre Weißweine offenbaren eine neue Facette des Moscatel: vielschichtig, tiefgründig, mineralisch und mit viel Persönlichkeit.
Eine Rarität ist die einheimische Rotweinsorte Romé. Laut Kontrollbehörde der DO existiert die Traube nur in Málaga und auf weniger als fünfzig Hektar. Der Romé gehört zu jenen vergessenen Rebsorten, die in den letzten Jahren in Spanien ein Revival erleben. Nicht so sehr in Bezug auf die Menge, sondern weil sich einige Spitzenwinzer dieser Rebsorte wieder angenommen haben: Clara Verheij von Bodegas Bentomiz erzeugt zum Beispiel einen knackigen, mineralischen Rosé, und Lauren Rosillo vom Weingut Sedella vinifiziert elegante Rotweine mit Romé als Hauptverschnittsorte.
Auch Vicente Inat und Juan Muñoz haben sich in ihrem Projekt Viñedos Verticales der Romé angenommen. „Es ist eine typische Mittelmeersorte“, sagt Inat, während wir durch einen der Weinberge gehen. „Sie ist spätreifend und anfällig gegenüber Feuchtigkeit.“ Sein sortenreiner Romé „El Camaleón“ ist ein frischer und saftiger Rotwein mit transparenter Farbe, schlankem Körper und einem moderaten Alkoholgehalt, der normalerweise bei 13 bis 13,5 Volumenprozent liegt. Viele Weinliebhaber assoziieren das mediterrane Spanien immer noch mit alkoholreichen und schweren Rotweinen. Doch die Avantgarde, wie Viñedos Verticales, geht in die entgegengesetzte Richtung. „Weniger ist mehr“ ist das Motto der neuen spanischen Winzergeneration: weniger Extraktion, weniger (Über-)Reife und weniger Holz bedeuten letztlich mehr Frische, mehr Präzision und mehr Finesse.
Schmelztiegel Serrania de Ronda
Ein Besuch in der Subzone Serrania de Ronda zeigt, wie vielfältig die Weine von Málaga sind. Von Competa, dem Hauptort der Axarquia, sind es 106 Kilometer Luftlinie bis nach Ronda. Das Terroir ist – wenig überraschend – völlig unterschiedlich: Ronda, das sich weiter landeinwärts befindet, hat tiefere Lehm- und Kalkböden. Die Höhenlage von 700 bis 950 Metern trägt zu einem kontinentalen Klimaeinfluss bei, mit kalten Wintern und erheblichen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht im Sommer. Außerdem ist die jährliche Niederschlagsmenge von um die 750 mm für andalusische Verhältnisse hoch. Selbst Cool-Climate-Sorten wie Pinot Noir gedeihen hier gut.
Die Winzerin Bibi Garcia vom Weingut Los Aguilares hat sich mit Rotweinen aus französischen Sorten wie Pinot Noir und Petit Verdot einen Namen gemacht, von denen sie einige in Tonamphoren ausbaut. Ein Pionier in Ronda ist Friedrich Schatz. Seit den 1980er Jahren keltert er Naturweine aus Chardonnay, Cabernet Sauvignon und sogar aus Sorten wie Lemberger und Muskattrollinger, die er aus seiner schwäbischen Heimat mitgebracht hat. Weine aus Blaufränkisch (ein Synonym für Lemberger) und der österreichischen Rebsorte Zweigelt gehören zum Portfolio des aus Österreich stammenden Winzers Martin Kieninger.
Einen anderen Ansatz verfolgt Ana Castro vom Weingut La Melonera. Ihre beeindruckenden Weiß- und Rotweine gewinnt sie hauptsächlich aus autochthonen Sorten wie PX, Doradilla, Tintilla de Rota, Romé, Blasco (Tinto Velasco) und Melonera. In der DO Sierras de Málaga, die in sieben geografische Zonen unterteilt ist, sind insgesamt 38 Rebsorten zugelassen.
Ist all dies vielleicht eine zu wilde Mischung? Verhindert dieses Potpourri an Rebsorten, Terroirs und Weinstilen ein klares Profil der Appellation? Während sich der Weinstil und das Terroir von Regionen wie Priorat und Gredos in zwei Sätzen erklären lassen, ist dies bei Málaga unmöglich. Aber man kann diesen diversen Mix auch als Beispiel für die jahrhundertelange Internationalität und Weltoffenheit Málagas ansehen. Diese Weinregion mit ihrer einzigartigen Geschichte und Tradition wird gerade wieder wachgeküsst und hoffentlich bald von der Welt wiederentdeckt.
Weitere Information: Den Textteil zu Victoria Ordoñez habe ich in ähnlicher Form bereits in Heft 10/2022 von WEIN+MARKT veröffentlicht.
Auf Spanisch erschien dieser Text – Print und Online – in MiVino.
Titelbild: © Beatriz Moreno, Viñedos Verticales
Alle weiteren Fotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten