Am 25. Februar, als die Welt noch halbwegs in den Fugen war, fand in London eine vielbeachtete Veranstaltung statt. Das Event – zu dem 14 britische Weinimporteure gemeinsam einluden – trug den Namen „Viñateros! A Spanish Wine Revolution!“
Das Feld der 76 geladenen Erzeuger hätte kaum hochkarätiger ausfallen können. Von der „Crème de la Crème spanischer Weine“, schreibt die weltweit einflussreichste Kritikerin Jancis Robinson in ihrem Nachbericht. Die ganz großen Namen wie Pingus, Vega Sicilia und Alvaro Palacios fehlten zwar; aber wenn ein Event eine „Spanische Weinrevolution“ ankündigt, dann sind diese auch nicht (mehr) die passenden Vertreter.
Dafür standen neue und angehende Weinstars wie Envínate, Comando G, Borja Perez, Terroir al Limit, Guimaro und Fedellos do Couto auf der Teilnehmerliste. Anwesend waren zudem seit den 1990er-Jahren aktive und seit Langem etablierte Produzenten wie Telmo Rodriguez, Rafael Palacios und Casa Castillo. Der von den Veranstaltern gewählte Begriff „Weinrevolution“ mag deshalb etwas übertrieben wirken, denn eine Revolution zeichnet sich per se dadurch aus, dass eine etablierte Ordnung durch eine neue Bewegung weggewischt und gänzlich ersetzt wird.
Wollen wir bezüglich der Wortwahl nicht allzu pedantisch sein. Worauf der Begriff „Revolution“ wohl abzielt, ist eine neue „Geisteshaltung“ (O-Ton: Tim Atkin MW), die in der spanischen Wein-Avantgarde Einzug gehalten hat. Und unter anderem von dieser neuen Geisteshaltung handelt der folgende Beitrag.
Die „New wave of Spanish wine“ und was britische Kritiker darunter verstehen
Britische und spanische Medien deckten das Londoner Event in Vor- und Nachberichten umfassend ab. Nicht nur in Fachmagazinen, sondern auch in populären Tageszeitungen wie El País, Financial Times und The Guardian erschienen Artikel. In den britischen Publikationen war dabei besonders oft von einer „new wave“ die Rede – und zwar bezogen auf die spanischen Erzeuger und deren Weine. Betrachten wir das Wesen dieser „neuen Welle“, dann stechen insbesondere drei Merkmale heraus.
1. Eine neue Stilistik: Eleganz, Wildheit, Frische und Individualität
Im The Guardian beschreibt der Kritiker David Williams eine neue Weinstilistik. In seinem Nachbericht zu dem Viñateros-Event zeichnet er zuerst ein Bild des (für ihn) traditionellen Spaniens, welches aus schweren, kraftvollen Weinen mit viel Alkohol und Holz besteht. Seit etwa einem Jahrzehnt, ergänzt Williams, sei spanischer Wein viel abwechslungsreicher geworden: Neue Weine von jüngeren Erzeugern zeigten Wildheit, Frische, Tiefe und vor allem eine nie dagewesene Eleganz.
Als Beispiele nennt Williams unter anderem die „Pinot-Noir-ähnlichen Garnachas“ aus der Sierra de Gredos von Erzeugern wie Marañones, 4 Monos und Comando G. Außerdem erwähnt er eine „ergreifende und fesselnde“ Mencía von Verónica Ortega aus dem Bierzo und einen „herrlich kühlen und frischen“ Weißwein von Batlliu de Sort aus dem katalanischen Costers del Segre. Was David Williams insgesamt beeindruckt, „ist wie individuell diese Weine sind“.
Mit Stichworten wie Eleganz, Wildheit, Frische und Individualität hat der Guardian-Kritiker schon einmal einige Aspekte dargelegt, was er und andere unter der „new wine wave“ aus Spanien verstehen. Ich selbst stimme ihm diesbezüglich größtenteils zu. Stilistisch geht die Tendenz ganz eindeutig in diese Richtung.
Wenn ich Spielverderber sein wollte, würde ich allerdings sagen, dass das Bild eines traditionellen Spanien (Holz, Kraft, Alkohol) contra neues Spanien (Eleganz, Frische, Individualität) etwas zu plakativ und vereinfachend gezeichnet ist. Auch eine Tondonia Reserva ist frisch, elegant und einzigartig. Ebenso die Albariños von einem historisch bedeutenden Weingut wie Palacio de Fefiñanes. Und auch ein kraftvoller Wein kann elegant sein, es gibt nämlich verschiedene Formen und Verständnisse von Eleganz.
Die „neue spanische Welle“ allein an der Weinstilistik zu definieren, greift deshalb zu kurz. Es gibt weitere und wichtigere Merkmale, zu denen wir im Folgenden kommen.
2. Eine neue Geisteshaltung: Terroir statt Keller
Besonders nützlich finde ich die Aussagen des Spanien-Experten Tim Atkin, die er in einem Interview mit dem Online-Magazin Spanish Wine Lover getroffen hat. Atkin verwendet den Begriff der „Geisteshaltung“, die seiner Meinung nach die „neue Welle“ spanischer Erzeuger auszeichnet. Zudem bemerkt er, dass es keine Generationenfrage sei. Auch ältere Weinmacher wie Telmo Rodriguez wären Teil der Bewegung.
Worin aber besteht diese neue Geisteshaltung? Kurz gesagt: Das Terroir gewinnt an Bedeutung, während die üblichen Kellertechniken an Wichtigkeit verlieren. So kommt laut Tim Atkin weniger oder gar kein neues Holz beim Weinausbau zum Einsatz. Darüber hinaus würden Trauben früher gelesen, weil den Winzern die Frische im Wein wichtiger sei als Kraft und Extrakt.
An dieser Stelle merke ich an, dass nicht nur weniger oder kein Neuholz, sondern ebenso größere Holzgebinde verwendet werden. Bei Weingutsbesuchen konnte ich feststellen, dass immer mehr Erzeuger das kleine 225-Liter-Barrique mit 500- oder 600-Liter-Fässern sowie mit großen Fudern ersetzen.
Man kann diesbezüglich durchaus von einem starken Bruch mit den Konventionen sprechen. Bis heute wird Weinqualität in fast allen spanischen DO-Gebieten über die Dauer des Ausbaus definiert. Die vermeintlichen Qualitätssiegel Crianza, Reserva und Gran Reserva drücken die Reifezeit von Weinen im Barriquefass und in der Flasche aus. Qualität hängt laut Weingesetz also davon ab, was im Keller geschieht.
Der Terroir-Ansatz der spanischen Avantgarde ist geradezu konträr. Selbst wenn die Weine nicht als solche bezeichnet werden: Mit einem zumeist biologischen oder biodynamischen Weinanbau, mit Spontanvergärung, geringer Schwefelzugabe und generell möglichst wenigen Eingriffen im Keller geht die Geisteshaltung stark in die Richtung der Naturweine (ohne derart dogmatisch zu sein).
Die hier dargelegte Geisteshaltung wird inzwischen offensiver beziehungsweise sichtbarer propagiert: Der erwähnte Telmo Rodriguez war zum Beispiel federführend am Terroir-orientierten Manifest der jüngst gegründeten Vereinigung Futoro Viñador beteiligt. Der großartige Weinmacher Eulogio Pomares (Bodegas Zarate) steht dem Zusammenschluss als Präsident vor. Die Mitglieder bekennen sich unter anderem zu einem nachhaltigen Weinanbau, der Biodiversität fördert, zu einem „ehrlichen“ Handwerk und zum Erhalt und Ausbau der regionalen Weinkulturen.
Ein verstärkter Fokus auf Weinberg und Terroir bedeutet selbstverständlich nicht, dass den new-wave Winzern und Winzerinnen die Arbeit im Keller egal wäre. Ganz im Gegenteil: Während Ortsbesuchen unter anderem bei Rafael Palacios (Valdeorras), Victoria Ordoñez (Sierras de Málaga), Vinyes d’Olivardots (Empordá), Altolandon (Manchuela) und Adega Algueira (Ribeira Sacra) konnte ich sehen, wie beeindruckend präzise und sorgfältig sie bei der Weinbereitung vorgehen. Frühere Blogbeiträge zu diesen Erzeugern habe ich beim jeweiligen Namen verlinkt.
3. Fokus auf neue Regionen und (fast) vergessene Rebsorten
Im eingangs verlinkten Text von Jancis Robinson, der auf ihrer Webseite und in der Financial Times erschienen ist, finden sich die oben genannten Punkte zu Stilistik und Geisteshaltung des „new-wave Spain“ (O-Ton) in ähnlicher Form wieder. Darüber hinaus schwärmt Robinson geradezu von dem „Brummen“ („buzz“) der spanischen Weinszene, der sie eine leuchtende Zukunft prophezeit.
Obwohl der in großartiger Manier verfasste Artikel kurz gehalten ist, lässt Jancis Robinson kein Thema aus. So stellt sie ferner fest, dass es sich bei der „new wave of wine producers“ um eine landesweite und heterogene Bewegung handelt, deren Zentren nicht Rioja und Ribera del Duero sind und deren Hauptrebe nicht die Tempranillo ist. Die Hotspots finden sich ihrem Verständnis nach unter anderem auf den Kanarischen Inseln, rund um Madrid und vor allem in Galicien.
Als „faszinierend und anregend“ beschreibt Robinson galicische Rotweine aus „vergessenen“ autochthonen Sorten wie Merenzao, Mouratón (Juan García) und Mencía. Ebenfalls hebt sie galicische Weißweine aus den Sorten Loureira, Godello, Treixadura und Caiño Blanco hervor. Gleichwohl betont auch Jancis Robinson, dass es den „new wave“ Weinerzeugern nicht allein um lokale Rebsorten, sondern vor allem um den Ausdruck eines einzigartigen Stücks Land – also dem Terroir – geht.
Beim „normalen“ Konsumenten ist die „neue spanische Welle“ noch nicht wirklich angekommen
Kritiker, Blogger, Sommeliers und Weinfreaks feiern das neue Spanien. Es steht für Frische und Eleganz, für Vielfalt und Nachhaltigkeit, für mehr Weinberg und weniger Keller, für neue Regionen und autochthone Rebsorten, für Individualität statt Kommerz.
Weil das Weinland Spanien so groß und klimatisch verschieden und weil die Szene so dynamisch und heterogen ist, fällt es schwer eine eindeutige Definition der „neuen spanischen Welle“ zu geben. Ich habe es in diesem Beitrag versucht, indem ich einige britische Kritiker zitiere und sich daraus vielleicht ein Gesamtbild ergibt.
Zu beachten ist ferner: Was die Profis abfeiern, ist nach meinem Ermessen beim „normalen“ Konsumenten noch nicht wirklich angekommen.
Erstens liegt es daran, dass viele der „new wave“ Gewächse nicht dem gängigen Spanien-Bild von Kraft und Konzentration entsprechen. Rotweine aus Galicien sind nunmal eher schlank und feinnervig. Andere Weine haben zudem einen reduktiven Charakter, beispielsweise jene des in der Szene schwer angesagten Weinguts Suertes del Marqués aus Teneriffa.
Bei Degustationen, die ich in Andalusien für ein zumeist älteres britisches und amerikanisches Publikum moderiere, kommen diese „crazy wines“ (so einmal ein Teilnehmer) aus unbekannten Rebsorten und Regionen zwar gut an. Frage ich am Ende der Verkostung aber nach einem Favoriten, ist es immer der dichte, schwere Rotwein mit 15% Vol. – das spanische Vollblut sozusagen – den die Mehrheit bevorzugt.
Zweitens ist es eine Preisfrage. Spanische Weine gelten bei Konsumenten gemeinhin als gut und billig, Das ist bei diesen individuellen Weinen nicht der Fall. Billig sind sie nämlich nicht (wenngleich auch nicht übertrieben teuer).
Die „New wave of Spanish Wine“ im Wandel der Zeit
Erwähnen will ich abschließend noch, dass der Begriff „new wave“ in Bezug auf spanische Weine gar nicht so neu ist. Bei den Recherchen für diesen Text stieß ich auf Quellen aus dem Jahr 2008, als in Großbritannien bereits die „New Wave Spanish Wine Awards“ vergeben wurden. Damals zählte man zur „new wave“ übrigens noch die Weißweine aus dem Anbaugebiet D.O. Rueda, die in der heutigen Weinszene für viele der Inbegriff von Konformität, Kommerz und Langeweile sind.
Man sieht, der Begriff unterliegt einem Bedeutungswandel. Was Kritiker und Journalisten heute unter der „New wave of Spanish wine“ verstehen, kann in fünf oder zehn Jahren schon wieder ganz anders aussehen. Wie auch immer wir das Kind am Ende nennen. Festzuhalten bleibt, dass die derzeitige Dynamik der spanischen Weinszene enorm spannend und bereichernd ist.
Weitere Infos
Titelbild: (c) ICEX / die Taganan-Parzellen an der Nordküste von Teneriffa. Das Weinkollektiv Envínate hat hier u.a. Weinlagen.
Hier der Link zur Webseite der Veranstaltung Viñateros! A Spanish Wine Revolution!
Die Seite beinhaltet unter anderem eine Liste der 76 spanischen Erzeuger, die sich im Februar in London präsentierten.
Danke für den hervorragenden Bericht.
Es wäre mitunter interessant zu wissen, wie die Weingüter vor dem Neu-Barrique-Boom mit dem Holz umgegangen sind. Gemäss Revue des vins de France (novembre 2010, hors série no 19) wurden erst Ende der 70er Jahre mit neuen Barriques gearbeitet. Und zwar aufgrund einer Cognac-Absatzkrise.
Ich nehme an, dass Neuholz davor auch in Spanien nicht verwendet wurde. Im Jerez-Gebiet hat man seit eh und je mit alten bis sehr alten Holzfässern gearbeitet. Ich vermute, dass auch in traditionellen Weingebieten wie dem Rioja Neuholz nur eingesetzt wurde um nicht mehr brauchbare Fässer zu ersetzen. Und nicht um dem Wein zu aromatisieren oder eine „Mikrooxygenation“ herbeizuführen.
Gruss aus der Schweiz. Daniel
Hallo Daniel, Danke für den Kommentar. Bis 1970 wurde im Rioja mit alten Holzfässern gearbeitet. Manche Weingüter wie „López de Heredia Vina Tondonia“ in Haro machen das heute immer noch. Das Weingut besitzt sogar noch eine eigene Küferei. Nach Angaben von López de Heredia verwenden sie beim Weinausbau zu 90% Holzfässer, die 10 Jahre oder älter sind.
Der Ausbau in neuen Holzfässern wurde 1970 vom Weingut Marqués de Cáceres im Rioja eingeführt. Dieses Datum nennen Jancis Robinson und Hugh Johnson in ihrem „The Word Atlas of Wine“ (7th Edition).
Beste Grüße
Thomas Götz