„Ich war auf der Suche nach Höhe“, antwortet die Weinmacherin Rosalia Molina auf meine Frage, warum sie ausgerechnet in dieses Niemandsland gekommen sei. Gemeinsam sitzen wir bei einer Weinprobe in ihrer Kellerei, etwa 130 Kilometer nordwestlich von der Mittelmeerstadt Valencia entfernt.
Rosalias Weingut Altolandon befindet sich im Anbaugebiet Manchuela und gehört zu Kastilien-La Mancha. Während die meisten Weingüter der D.O. Manchuela wie Ponce, Finca Sandoval und jenes des Fußballstars Andrés Iniesta in der Provinz Albacete angesiedelt sind, hat Rosalia Molina einen Standort in der hintersten Ecke der Provinz Cuenca ausgewählt. „Wir sind hier mitten im Nirgendwo“, sagt sie ganz heiter und gelöst. Die Grenzen zu den Autonomen Gemeinschaften Valencia und Aragon sind nur wenige Fahrminuten entfernt.
Hochlage – lange Reifezyklen und späte Lese
Gerade war ich mit meiner Frau Emily und unseren Kindern bei Altolandon zu Besuch. Es ist später Nachmittag, als wir eintreffen. Auf 1070 m Höhe liege das Weingut, erklärt Vertriebsleiterin Carmen Sebastian, die uns mit Rosalia Molina empfängt. Alle zusammen stehen wir vor einer Parzelle Cabernet Sauvignon und eine frische Brise bläst uns um die Ohren. „Den Wind haben wir ständig“, sagt Rosalia, „das ist gut für die Durchlüftung und Abkühlung der Weinberge“.
Abkühlung bringt freilich auch die Höhenlage mit sich: Bodegas Altolandon liegt inmitten einer Hochebene, die von Bergzügen wie der Sierra de Teruel umgeben ist. In den heißen trockenen Sommern betragen die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht satte 25 °Celsius. Das ist von Vorteil für den Weinanbau, denn in den kühlen Nächten fahren die Reben ihre Produktion herunter. Die Trauben kommen zur Ruhe und bilden Säure heraus – die Grundlage für frische und gut strukturierte Weine.
Aufgrund des strengen kontinentalen Höhenklimas ist der Reifezyklus der Beeren länger und ihre Aromatik wird dadurch vielschichtiger: „Es ist wie langsames Garen beim Kochen“, stellt Rosalia einen Vergleich an. „Seit zwanzig Jahren ernten wir von Mitte Oktober bis Mitte November“, ergänzt die Weinmacherin, egal wie das Wetter das Jahr über ausfalle. Für Spanien ist dieser Lesezeitpunkt erstaunlich spät. Während die Ernte eingefahren wird, falle manchmal bereits der erste Schnee, berichtet uns Rosalia.
Altolandon – aus 3 mach 100
Bodegas Altolandon ist eine Erfolgsgeschichte: Vor zwanzig Jahren begannen Rosalia und ihr Ehemann Manolo Garrote damit, Wein aus drei Hektar Rebland zu keltern. Mittlerweile sind es 100 Hektar, die sie biologisch bewirtschaften. Ein großer Teil der geernteten Trauben wird an andere Erzeuger verkauft. Etwa 150.000 Flaschen im Jahr füllt das Weingut selbst ab.
Die ersten Weine erzeugten Rosalia und Manolo noch im eigenen Wohnhaus. 2006 bauten sie die von Weinbergen umgebene Kellerei, die sie seither schrittweise vergrößern. Derzeit ist eine vierte Halle im Bau. In Zukunft werden darin alle Barriquefässer untergebracht.
Manolo und Rosalia haben sich die Arbeit aufgeteilt: Er ist für das Management der Weinberge zuständig; sie ist für die Weinbereitung verantwortlich. Hierfür hat Rosalia zuerst eine Weinschule in ihrem Heimatort Requena nahe Valencia besucht. Danach unternahm sie Weinpraktika in Frankreich, Argentinien und bei Finca Sandoval im Anbaugebiet Manchuela.
Inzwischen erhält die Winzerin zahlreiche Preise und Auszeichnungen für ihre biologisch und vegan zertifizierten Gewächse. Zum Beispiel werden im aktuellen Weinführer Guía Peñin alle zwanzig (!) Altolandon-Weine mit mindestens 90 Punkten oder höher bewertet. Dies zeugt von beeindruckender Qualität und Konstanz in der Breite und Spitze.
Altolandon – frische, elegante (Natur-)Weine
Rosalia Molina vergärt die Moste mit Naturhefen (Spontanvergärung). Ferner schönt und filtert sie ihre Weine nicht. Ebenfalls mischt sie keine industriell angefertigten Mittelchen zur Ansäuerung, Aromatisierung und so weiter bei. Einzig Schwefelpulver gibt Rosalia vor dem Abfüllen in geringen Mengen zu. Da ihre Weine auch in Asien, Australien und Nordamerika getrunken werden, ist dies zur Stabilisierung für den Transport erforderlich.
Im Grunde sind die Gewächse von Altolandon also Naturweine. Rosalia verwendet den Begriff aber nicht. Es gäbe, wie sie sagt, zu viele fehlerhafte Naturweine und sie will mit diesen nicht gleichgesetzt werden.
Befassen wir uns also nicht länger mit Begrifflichkeiten, kommen wir lieber zu den Weinen: Vor meinem Ortsbesuch habe ich Rosalia Molina auf diversen spanischen Weinmessen getroffen. Einige ihrer Weine kannte ich also schon.
Beispielsweise jene aus der Reihe Mil Historias. Für diese Weinlinie baut Rosalia fünf Rotweinreben jeweils sortenrein und mit kurzem Holzeinsatz aus. Hierbei entstehen durchweg frische und klar strukturierte Rotweine. Einzeln und in ihrer Gesamtheit sind die Mil-Historias-Gewächse interessant zu trinken, da sie die Rebsortentypizität sehr schön zum Ausdruck bringen: kraftvoll zeigt sich die autochthone Bobal, kräuterig-floral die Malbec, saftig-fruchtig die Tempranillo, elegant die Garnacha, würzig die Syrah.
Die Reben von Bodegas Altolandon wurzeln in zehn unterschiedlichen Bodentypen: Mal ist der Untergrund kalkiger, mal lehmiger, mal steiniger, mal sandiger.
Auf welchem Boden die Sorte Moscatel de Grano Menudo für den Weißwein Doña Leo wächst, vermag ich nicht zu sagen. Ich habe es versäumt zu notieren. Der 2016er ist auf jeden Fall prima: Typisch für Moscatel zeigt er Honignoten im Duft. Eher untypisch ist er am Gaumen erstaunlich trocken und vollmundig. Zu letzterer Eigenschaft trägt der einjährige Ausbau auf der Feinhefe bei. Getragen wird der Weißwein von einer lebhaften Säure (ca. 7 g/l) – die Hochlage machts möglich.
Außerdem verkosten wir den Rotwein Rayuelo 2014, der sortenrein aus vierzig bis achtzig Jahre alten Bobal-Reben gekeltert ist. Einige der alten Rebstöcke, die wie kleine Bäume anmuten, hatten wir uns zuvor im Weinberg angesehen. Der Rayuelo ist fein balanciert: körperbetont, aromatisch, gute Säure, reifes Tannin, langer Abgang. Das Holz (acht Monate Barrique) ist gut integriert und trägt zur Komplexität bei.
Mein Favorit ist der Orange Wine Enrosado 2018. Dieser wird aus Garnacha Gris gewonnen, eine Weißweinsorte, die ähnlich der Grauburgunder eine rötlich-pinke Beerenhaut entwickelt. Rosalia vergärt den Most in Tonamphoren und in Kontakt mit den Beerenschalen. Technisch gesehen handelt es sich also um einen Orange Wine, der farblich aber wie ein Rosé aussieht (eben weil die Häute der Garnacha Gris ins Rötliche gehen). Auf die Zugabe von Schwefel verzichtet Rosalia für diesen Wein in Gänze.
Jener Enrosado kommt elegant, sehr frisch und mineralisch daher. Er verfügt über eine knackige Säure, ist vielschichtig und zeigt einen klasse Trinkfluss. Ich könnte problemlos die ganze Flasche leeren, auch angesichts der moderaten 12% Vol., wenn ich nur nicht mit meiner Familie weiterfahren müsste.