Ein Wort, das ich aktuell häufig bei meinen Winzerbesuchen höre, ist „Enoturismo“. Übersetzt: Weintourismus. Viele Weingüter in Andalusien erkennen darin neuerdings eine relevante Einnahmequelle und erweitern entsprechend ihre Infrastruktur und Angebot. Die ruhmreiche Region Rioja hat’s wie so oft vorgemacht: Dort ließen sich Weingüter wie Ysios, López de Heredia oder Marqués de Riscal von internationalen Stararchitekten spektakuläre Weintempel bauen, die jährlich Tausende Weinpilger anziehen, schöne Zusatzeinnahmen bescheren und das Renommee mehren.
Schöne Aussicht vom Weingut Dominio Buenavista auf das Städtchen Ugijar. Hierhin habe ich meine erste Gruppe geführt (Foto: Yasmin Karami).
Auch mir gefällt es eine Region über das Thema Wein zu erkunden. Beim Besuch von Weingütern gelangt man zumeist in reizvolle Landschaften, trifft spannende Menschen, stößt auf interessante Architektur und als Sahnehäubchen oben drauf kommt der Wein. Für mich ist das der fast perfekte Urlaub aus Kultur, Natur und Genuss. Die Pfalz, Rheinhessen, Württemberg, das Kremstal in Österreich, Châteauneuf-du-Pape sowie in Spanien die Serrania de Ronda und das Priorat habe ich auf diese Weise kennengelernt.
Individuelle Weinreisen, die keiner großen Organisation bedürfen, sind in deutschen Anbaugebieten recht einfach zu unternehmen. Viele Weingüter haben ihre Vinothek an fünf oder sechs Tagen die Woche zu bestimmten Zeiten geöffnet. Ein kurzer Klick auf die Webseite genügt, um das in Erfahrung zu bringen. Dann fährt man einfach ohne Anmeldung vor und bekommt ein paar Weine zum Verkosten gratis eingeschenkt. Beim Adieu nimmt man ein paar Flaschen oder Kartons mit. Oder auch nicht.
v. l. n. r.: Lisa, George, Anne, Michael und Patricia vor der Kellerbesichtigung.
In Spanien läuft der Weintourismus in der Regel anders ab. Zuerst muss man die Besuche vorab telefonisch oder per E-Mail arrangieren und bestimmte Tage und Zeiten anfragen. Zweitens ist eine Visite fast immer mit einem Rundgang durch die Weinkellerei und einem anschließenden Tasting von drei bis vier Weinen verbunden. Die Kosten für eine solche Führung inklusive Degustation liegen je nach Weingut bei zehn bis dreißig Euro pro Person.
Da man im Leben schnell mal einen abfahrenden Zug verpasst, dachte ich mir kurzerhand auf den in der Provinz Granada gerade abfahrenden Zug „Weintourismus“ aufzuspringen und zu sehen, wo der hinführt. Am vergangenen Wochenende hatte ich „meine“ erste Gruppe – sechs britische Weinenthusiasten. Unser Ziel war das Weingut Dominio Buenavista, das ich neulich recht ausführlich auf diesem Blog vorgestellt habe. Besitzer Juan Palomar weilte in seiner zweiten Heimat USA, somit führte uns Önologin Rosa Maria Pascual durch den Betrieb und moderierte das anschließende Tasting.
Mit Önologin Rosa Maria Pascual (rechts) sprachen wir u. a. über den praktizierten biologischen Weinanbau.
Den treuen Lesern und Leserinnen dieses Blogs ist die Sierra de la Contraviesa / Alpujarra als eine Weinzone der D.O.P. Granada inzwischen ein Begriff. Sie mögen mir nachsehen, dass ich für Neuankommende ein paar bereits geschriebene Dinge komprimiert wiederhole. Neben der atemberaubenden Landschaft, sind es vor allem zwei Faktoren, die diese Weingegend südlich von Granada für mich speziell und für Weintourismus insgesamt attraktiv machen:
1) In der Sierra de la Contraviesa befinden sich die höchsten Weinberge Kontinentaleuropas mit bis zu 1.400 Metern Meereshöhe. Warum ist das so bedeutend? Weil wir uns auf dem Breitengrad nordafrikanischer Städte wie Tunis und Algiers befinden und die Sommer extrem heiß sind. Ein solch trocken-heißes mediterranes Klima ergibt normalerweise schwere Weine, die nicht selten zur Plumpheit neigen. An dieser Stelle kommt nun die Hochlage positiv ins Spiel: Sie bringt kühle Nächte mit sich und lässt die Rebstöcke ihre Produktion herunterfahren. Diese Ruhepausen verlängern die Reifezeiten der Beeren und begünstigen zudem die Säure- und Tanninbildung. Verblüffend frische und mitunter elegante Weine sind die Folge.
Der Autor dieses Blogs (links) und Michael beim Tasting (Foto: Yasmin Karami).
2) In der Sierra de la Contraviesa / Alpujarra wird der Qualitätsweinbau gerade erwachsen. Eine Pioniergeneration, zu der auch Juan Palomar zählt, verschreibt sich seit etwa 25 Jahren der Herstellung hochwertiger Weine. Viel wird mit Rebsorten experimentiert, und nahezu alles wird ausprobiert. Nichts ist unmöglich, um das Motto eines Autobauers zu zitieren. Es gibt noch keine eingefahrenen Strukturen und jahrhundertelange Weintraditionen wie in manchen anderen Regionen. Dieser Umstand macht es der langsam nachrückenden Generation junger Winzer und Winzerinnen wie Rosa Maria Pascual einfacher ihren Ideen und ihrem Verständnis von Wein nachzugehen.
Große Auswahl, feine Weine (Foto: Yasmin Karami).
Dominio Buenavista mit 100.000 Flaschen Jahresproduktion ist bezüglich der erwähnten Experimentierfreudigkeit ein Paradebeispiel: Unter der Marke „Veleta Wine“ kommt ein vierzehn Weine umfassendes Sortiment aus Schaumwein Brut Rosé, Schaumwein Brut Blanco, Süßwein rot, Süßwein weiß, zwei trockenen Weißweinen, einem trockenen Rosé und sieben trockenen Rotweinen in den Handel. Diese beachtliche Weinpalette wird wiederum aus zehn Rebsorten gekeltert: die autochthone Vijiriega sowie Chardonnay, Viognier, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Garnacha, Zinfandel, Graciano, Tempranillo, Merlot.
In Bezug auf den Arbeitsaufwand ist diese Vielfalt „eigentlich verrückt“, meint Önologin Rosa Maria. Andererseits ungemein spannend. Besonders betont sie den richtigen Zeitpunkt der Weinlese für die spätere Balance aus Frucht und Frische bei den Weinen. Bei zehn unterschiedlichen Rebsorten ist dieses exakte Timing eine echte Herausforderung. Je nach Sorte findet die Ernte so von August bis Oktober statt.
Yasmin greift nach dem Noladós, der Wein schmeckt einfach zu gut.
Und unser Besuchserlebnis? Modernste Kellertechnik, Schaumweine im Verfahren der Flaschengärung hergestellt, transzendentale Stille im Barriquelager und ein Spitzen-Verkostungsraum. Juan Palomar, der 1971 als Zwanzigjähriger in die USA auswanderte und dort als Chirurg sein Geld verdiente, hat sein Weingut im heimischen Andalusien schrittweise in einen professionellen Weinbetrieb gewandelt. Alle waren wir vom Anwesen, dem Weinkeller und den Weinen beeindruckt.
Nach zwei Stunden Führung und Tasting bei Dominio Buenavista gab’s sechs gutgelaunte Engländer, was in diesen Zeiten etwas heißen will. Von meiner Seite aus kann ich sagen: die beste Gruppe, die ich je hatte!
Weintourismus macht hungrig. Vor der Kulisse der Sierra Nevada gab’s abschließend ein Picknick.