Blind Dates mit Rueda Verdejo

Autor mit Verdejo

Dick und Nelleke haben mich zu einem Weinabend eingeladen. Das Paar lebt teils in Spanien, teils in den Niederlanden und betreibt die Weindistribution Granada Wijnen. Sie exportieren südspanische Weine aus Regionen wie Granada, Montilla-Moriles und Jumilla nach Holland und beliefern dort Weinhandlungen und Gastronomen. Einige meiner liebsten andalusischen Weingüter wie Garcia de Verdevique und Mendez-Moya habe ich über die beiden kennengelernt.

Beim Wein-Rendezvous mit dabei waren Simon und Alison aus London. Alison trinkt nur Weißweine. Mein Vorschlag eine Blindverkostung mit Verdejos aus Rueda durchzuführen, stieß somit auf breite Zustimmung.

Nur die Region Rueda und nur die Verdejo-Rebe ist zugegeben etwas eingegrenzt. Das Erkennen von Gemeinsamkeiten und feinen Unterschieden kann aber auch interessant sein, dachte ich. Bewusst verzichtete ich darauf einen im Holzfass vergorenen Weißwein (BFB = Blanco Fermentado en Barrica) in die Fünferriege aufzunehmen. Etliche dieser BFBs hatte ich auf einer Reise durch Rueda neulich probiert, allesamt schmeckten sie mir zu fett und zu behäbig.

5 Rueda Verdejo
v. l. n. r.: Marqués de Riscal, Cuatro Rayas, Hermanos Lurton, Protos, José Pariente: die Rueda Verdejo für unsere Blindverkostung.

Die Vorbereitung
Auf besagter (Presse-)Reise durch Rueda besuchte ich sieben Weingüter, die auf diesem Blog bereits in diversen Artikeln vorgestellt wurden. Darüber hinaus nahm ich an abendlichen Verkostungen teil, bei denen mir die Weine von Cuatro Rayas, Hermanos Lurton und José Pariente besonders positiv auffielen. Ergänzt um die zwei renommierten Weingüter Marqués de Riscal und Protos standen somit folgende Weißweine für unser Blind-Tasting auf dem Programm:

2016 Rueda Verdejo, Marqués de Riscal
Marqués de Riscal ist weltbekannt für seine Rotweine aus dem Anbaugebiet Rioja. Auf der Suche nach der idealen Lage für Weißwein entschied sich das Weingut in den frühen 1970er-Jahren für den Standort Rueda. Marqués de Riscal war Pionier bei der Bereitung der knackig-frischen Rueda Verdejo, wie sie die Weinwelt heute kennt und schätzt. Davor wurde in Rueda fast ausschließlich der oxidativ ausgebaute „Dorado“ gekeltert, der geschmacklich an Medium-Sherrys erinnert und heutzutage nur noch vereinzelt erzeugt wird.

2016 Rueda Verdejo, José Pariente
José Pariente ist ebenfalls zu jenen Vorreitern zu zählen, die den säurebetonten Verdejo-Stil prägten und populär machten. Er verstarb 1997, das nach ihm benannte Weingut wird seither von Tochter Victoria Pariente geführt.

2016 Rueda Verdejo, Viñedos Centenarios, Cuatro Rayas
Ein Wein aus alten Reben, die im Schnitt 108 Jahre alt sind und die Reblausplage überstanden haben. Zur Jahrhundertwende (19. auf 20.) schrumpfte der Schädling den Rebbestand in der Anbauregion Rueda von 90.000 auf wenige Hektar. Aus diesem Rest kommt u. a. der Viñedos Centenarios (oder auch der V1863 von Javier Sanz). Notiz am Rande: Cuatro Rayas ist die Hauptmarke der Genossenschaft Agricola Castellana, in der 600 Winzerfamilien zusammengeschlossen sind. Satte 16 Millionen Flaschen füllt die Agricola Castellana jährlich ab, davon 4 Millionen für Cuatro Rayas.

2015 Rueda Verdejo, Hermanos Lurton
Hermanos Lurton ist ein Gemeinschaftsprojekt der aus Frankreich stammenden Brüder Jaques und François Lurton. Der äußerst umtriebige François ist (Mit-)Inhaber weiterer Weingüter in Rueda (El Albar Lurton, Campo Eliseo) und darüber hinaus in Frankreich, Argentinien und Chile. Übrigens: Ein Teil der Lurton-Familie hat sich in Rueda mittels Eheschließung mit der traditionsreichen Winzerfamilie Belondrade verbunden. Daraus ist das jüngste Weingut Belondrade y Lurton entstanden.

2016 Rueda Verdejo, Protos
Protos, ein großer Name. Sogar Spanier, die nur oberflächlich mit Wein zu tun haben, kennen dieses Weingut. 1927 gegründet, ist es die älteste Bodega im heutigen Anbaugebiet Ribera del Duero. Dort werden vornehmlich Rotweine erzeugt. Eine Dependance für Weißweine wurde in den 2000ern in der Nachbarregion Rueda eröffnet.

Rueda Verdejo, verhüllt
Warm und sonnig ist’s im Oktober in Spanien.

Das Tasting
Bei Dick und Nelleke angekommen, nahmen wir spontan den sortenreinen Verdejo 2016 von Dominio de Ontur von der Winzergenossenschaft San José mit auf. Der Bio-Wein stammt aus dem Anbaugebiet Jumilla und wird von den beiden in Holland vertrieben. Ähnlich wie in Rueda gedeihen die Reben in Jumilla auf einem Hochplateau mit bis zu 900 Metern Meereshöhe. Das kontinentale Klima sorgt für sehr trockene, heiße Sommer und kalte Winter. Wir waren gespannt darauf, wie sich dieser Verdejo im Vergleich zu jenen aus Rueda schlägt.

Für das Blind-Tasting entfernte ich freilich die Kapseln und verhüllte die Etiketten. Die Weine bewerteten wir nicht im gängigen 20er- oder 100er-Punktesystem, sondern in einer persönlichen Rangliste (Platz 1 = 15 Punkte; Platz 2 = 12 Punkte; Platz 3 = 9 Punkte; Platz 4 = 5 Punkte; Platz 5 = 3 Punkte; Platz 6 = 1 Punkt). Bei fünf Verkostern lagen am Ende ebenso viele Ranglisten vor, deren Punkte wir zu einem Endergebnis addierten. Mit meinen Verkostungsnotizen liest sich das wie folgt:

Dick + Simon, Rueda Verdejo Tasting
Simon und Dick bei unsrer Verdejo-Probe.

Platz 1: Verdejo 2015, Hermanos Lurton, 58 Punkte
dreimal erster, zweiter, letzter
Ein wundervoller Wein mit Honig in der Nase und Grip am Gaumen. Vermochte alle zu überzeugen, außer Dick.

Platz 2: Verdejo 2016, Viñedos Centenarios, Cuatro Rayas, 40 Punkte
erster, zweiter, dritter, fünfter, letzter
Stieß bei den Verkostern auf Begeisterung wie Ablehnung. Meine Meinung: Elegant und würzig am Gaumen. Ein zurückhaltender Wein, der nicht protzt und auf den schnellen Effekt aus ist, sondern lange nachhallt.

Platz 3: Verdejo 2016, José Pariente, 34 Punkte
zweiter, zweinmal dritter, fünfter, letzter
Umstritten in unserer Runde. Manche meinten sein Geschmack wäre „Fake“ und unnatürlich. Jedoch einer meiner Favoriten. Die Nase erinnert mich an manche Rieslinge aus der Pfalz, am Gaumen saftig und komplex, reif und mit viel Struktur.

Platz 3: Verdejo 2016, Dominio de Ontur, 34 Punkte
zweiter, dritter, zweimal vierter, fünfter
Ein guter, saftiger Wein. Er hat Säure und zarte Frucht und einen für Verdejo typischen, leicht bitteren aber nicht unangenehmen Nachgeschmack. Einziges Manko: etwas flach.

Platz 5: Verdejo 2016, Protos, 31 Punkte
erster, dritter, vierter, zweimal letzter
Nach Meinung von Dick ein Verdejo, wie er zu schmecken hat. Der Wein hat zugegeben Säure und ist saftig. Alle anderen waren weniger überzeugt. Bei mir letzter Platz.

Platz 6: Verdejo 2016, Marqués de Riscal, 28 Punkte
zweiter, zweimal vierter, zweimal fünfter
Grüne Frucht, wirkt unreif. Okay zu trinken, aber auch nicht mehr. Im Vergleich doch enttäuschend.


Alison testet Wein.

Das Fazit
Wir sind keine anerkannten Weinkritiker, auch wenn Dick, Nelleke und ich beruflich mit Wein zu tun haben. Solche Tastings laufen bei uns unter der Kategorie „Weiterbildung“ und Spaß mit Freunden. Ebenso lagen unsere Einschätzungen teils weit auseinander. Was mich an dem Ergebnis allerdings vergnügt – da drückt die deutsche Schadenfreude durch – sind die letzten Plätze für die beiden „Großen“ Protos und Marqués de Riscal. Deren Verdejos gibt es hier in Spanien in fast jedem Supermarkt um die Ecke. Sie liegen preislich auch zwei, drei Euro niedriger als die Erstplatzierten. Für mein Empfinden sind es ordentliche, sauber gemachte, aber zugleich belanglose Weine für den Massengeschmack, der eine bestimmte Erwartungshaltung an einen Verdejo stellt, die hier bedient wird: Frisch und saftig und unkompliziert sollen sie sein. Die Marke „Rueda“ ist übrigens eine Goldgrube in Spanien: 43 Prozent aller verkauften Weißweine stammen aus diesem Anbaugebiet.

Insgesamt waren wir bei unserer Blindverkostung darüber erstaunt, wie unterschiedlich die Weine daherkommen – trotz gleicher Rebsorte und Region. Alle sechs Verdejo verfügen zwar über eine animierende Säure und Saftigkeit. Jedoch konnten wir verschiedenste Aromen von floral über kräuterig, erdig, karamellig, fruchtig, teigig, pflanzlich bis hin zu balsamisch wahrnehmen und darüber hinaus eine sehr unterschiedliche Weinstilistik von filigran (Lurton) bis kraftvoll (Pariente) erkennen. Da ich auf diesem Blog oft über spanische Weine schreibe, die in Deutschland nicht immer ganz einfach zu beziehen sind, sei an dieser Stelle erwähnt, dass diesmal alle fünf hier beschriebenen Rueda Verdejo beim Online-Weinhändler vinos.de eingekauft werden können.


Der Autor des Blogs und „seine“ Weine.

Der Nachgang
Mit den Weißweinen gaben wir uns nicht zufrieden. Zu fortgeschrittener Stunde öffnete Nelleke die neuen Jahrgänge von Horacio Calvente und Garcia de Verdevique. Da wir uns in der Alpujarra von diesen aus der Region kommenden Weinen praktisch ernähren, ist das ein spannender Moment. Wie genussvoll werden die kommenden 12 Monate wohl werden? Der Guindalera 2012 von Bodegas H. Calvente hat in den Niederlanden grade einen großen Preis eingefahren. Er wurde von einer Fachjury zum besten spanischen Rotwein in der Preisklasse 10 bis 20 Euro gekürt. Der 2013er-Jahrgang steht ihm in nichts nach: mächtig, elegant, konzentriert – ein Top-Wein.

Garcia de Verdevique bringt aktuell einen neuen Rotwein aus den Rebsorten Pinot Noir und Petit Verdot auf den Markt. Ein junger 2016er, der bereits so weich und dicht ist, dass man denkt, er habe eine jahrelange Flaschenreife hinter sich. Brillant! Was für eine Aussicht für’s kommende Weinjahr! Die Rebe Petit Verdot funktioniert in Andalusien übrigens sehr gut. Warum das so ist, gilt es für mich noch herauszufinden. Sobald ich’s weiß, gebe ich Ihnen auf diesem Blog Bescheid.


Nelleke mit tollem Finale: neue Jahrgänge von Calvente und Garcia de Verdevique

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