Alte Reben – die Überlebenskünstler

Alte Reben in der Provinz Granada

Alte Reben besitzen eine Erhabenheit, die mich stets berührt. Es macht mich geradezu ehrfürchtig einen Weinberg mit über hundert Jahre alten Reben zu begehen, die Stöcke anzufassen und ihre Gestalt zu betrachten. Jeder alte Rebstock sieht anders aus, einzigartig wie ein Fingerabdruck. Und manchmal stelle ich mir dabei vor, was diese Reben im Laufe ihres langen Lebens wohl alles an Dürren, Schädlingsplagen, Frosten und Stürmen überstanden haben müssen. Alte Reben sind Überlebenskünstler.

Doch ab wann gilt eine Rebe eigentlich als alt?

In ihrem Standardwerk „The World Atlas of Wine“ (7. Ausgabe) verorten die Autoren Hugh Johnson und Jancis Robinson eine alte Rebe bei dreißig Jahren und mehr. Als Grund führen sie auf, dass bei den meisten Reben die Erträge etwa ab dem 25. Lebensjahr nachlassen. Häufig roden Winzer die als unwirtschaftlich angesehenen Stöcke in diesem Alter und pflanzen neue Bestände an.

Vom Gesetzgeber gibt es hingegen keine Vorgaben, ab welchem Alter ein Weinetikett den Zusatz „Alte Reben“ bzw. in Spanisch „Viñas Viejas“ tragen darf. Die genannten dreißig Jahre sind ein Orientierungswert, auf den sich die Weinwelt – Plusminus fünf Jahre – geeinigt zu haben scheint.

Um die 120 Jahre: Tempranillo-Buschreben in der Alpujarra-Contraviesa, Andalusien.

Für mich hören sich dreißig Jahre allerdings nach überhaupt nicht viel an. Denn ich habe in Spanien unzählige Weingüter besucht, deren Reben es auf achtzig, neunzig, hundert und sogar bis zu 155 Jahre bringen. Da kommt die Zahl 30 im Vergleich recht mickrig daher.

Reben von hundert Jahren und älter finden sich in anderen Weinländern natürlich ebenfalls, im Verhältnis dürften sie in Spanien jedoch häufiger existieren. Ein Grund ist möglicherweise, dass alte Reben wegen ihres tiefen Wurzelwerks mit Dürre und Trockenheit besser klarkommen als junge Reben. Selbst in den trockensten Gegenden von Murcia, Kastilien-La Mancha oder Andalusien genügt alten Reben der wenige Niederschlag, der vom Himmel fällt. Die Pflanzen müssen nicht zusätzlich bewässert werden, was einen enormen Vorteil in diesen extrem wasserarmen Standorten darstellt.

Bei Bodegas Juan Gil in Jumilla, Murcia: Lage mit etwa 90 Jahre alten Monastrell-Reben.

Was macht Reben im Alter so besonders?

Ein Stichwort habe ich im vorigen Absatz mit dem „tiefen Wurzelwerk“ schon gegeben. Bis zu zwanzig Meter tief gräbt es sich in die Erde und ist so in der Lage mehr Nährstoffe und Feuchtigkeit aus tieferen Bodenschichten zu ziehen. Darüber hinaus lassen die Erträge bei alten Reben zwar nach; aber die Qualitäten, so heißt es gemeinhin, erhöhen sich: Die Moste gelten als aromatisch komplexer und konzentrierter. Da das so gut wie alle Weinmacher und Experten behaupten, gehe ich einmal davon aus, dass es stimmt.

Andererseits: Wenn Sie mir einen Spitzenwein aus zwanzig Jahre alten und einen aus hundert Jahre alten Reben blind servieren, würde ich die Weine wahrscheinlich nicht wegen des Alters ihrer Reben erkennen, sondern müsste wohl raten.

Auf rund 100 Jahre kommt diese Moscatel-Rebe in der Provinz Málaga

Wie alt können Reben überhaupt werden?

Knappe Antwort: Über 400 Jahre, auch wenn es dann mit den Erträgen nicht mehr weit bestellt sein mag.

Europaweit absolute Raritäten sind bereits „wurzelechte“ Reben, welche die große Reblausplage im 19. Jahrhundert überlebt haben. Im nordspanischen Anbaugebiet Rueda konnte ich einst eine solche zwei Hektar große Weinlage besichtigen: Pago de Saltamontes (Weingut Javier Sanz Viticultor) wurde 1863 erstmals schriftlich als Weinberg registriert und ist die älteste erhaltene Lage in der heutigen D.O. Rueda.

Die Reblaus zerstörte ab 1880 nahezu alle 90.000 Hektar Weinland in Rueda. Nur wenige hundert Hektar blieben verschont, darunter eben Pago de Saltamontes. Die Reblaus, welche die Wurzeln der Stöcke befällt, mag keine sandigen Böden wie sie in dieser Lage vorherrschen. Der Schädling kommt im sandigen Untergrund schwerlich voran. Ergänzend verhindern im Pago de Saltamontes die weiten Abstände in der Bepflanzung eine Fortbewegung der Zwerglaus von Stock zu Stock.

155 Jahre alter, wurzelechter Rebstock im Pago de Saltamontes, Rueda

Bereits ihr Urgroßvater sprach vom “alten Weinberg”, erzählt mir Leticia Sanz Alonso, die Tochter des Weinmachers. In Archiven schriftlich fixiert sei das Jahr 1863. Gut möglich, dass Pago de Saltamontes sogar älter sei. Abgestorbene Rebstöcke würden nicht durch Nachpflanzungen ersetzt, fährt Leticia fort, vielmehr würde die Weinlage konserviert. Die Reben kommen demnach auf ein Alter von mindestens 155 Jahren. Den Verdejo-Weißwein „V 1863“ aus dieser Lage sollte man probieren!

Sandige Böden (mit hohem Granitanteil) finden sich ebenso im Anbaugebiet Rías Baixas in Galicien. Dank jenes Untergrunds blieben einige Lagen von der Reblaus verschont und kommen heute auf 150 Jahre und mehr. Eine Besonderheit ist, dass diese alten Reben in Pergola-Erziehung gehalten werden. So nah am Atlantik bietet sich das an, denn das Blätterdach schützt die Trauben gleichermaßen vor Regen wie Sonne. Zudem werden die Rebgärten bei diesem Erziehungssystem gut durchlüftet. Früher bauten die Besitzer unter den Lauben sogar Gemüse an.

Über 100 Jahre ist diese in Pergola-Erziehung gehaltene Albariño-Rebe in Galicien alt.

Und wie schützt man Reben heute vor Reblaus-Befall?

Das ist eigentlich ein anderes Thema, welches mit „Alten Reben“ nicht direkt zu tun hat. Da ich die Reblaus im Zusammenhang mit alten, wurzelechten Reben nun schon erwähnt habe, will ich darauf trotzdem kurz eingehen: Im Gegensatz zu den europäischen Reben haben sich amerikanische Rebstöcke (Wildreben) als Reblaus-Resistent erwiesen. Ihre Wurzeln werden nicht vom Schädling befallen.

Heute gepflanzte Reben bestehen folglich aus einer amerikanischen „Unterlagsrebe“ und einer europäischen Sortenrebe. Unterlagsrebe und Sortenrebe werden zusammengefügt, man spricht im Fachjargon von „pfropfen“. Die amerikanische Unterlagsrebe wächst – einfach gesprochen – in den Boden, ihre Wurzeln werden nicht attackiert; während die europäische Sortenrebe nach oben wächst und die Trauben liefert. Diese zwingende Methode zum Schutz vor der Reblaus ist übrigens so neu nicht, in Frankreich entdeckte man ihre Wirksamkeit bereits in den 1880er Jahren.

5 Kommentare

  1. Hallo Herr Götz,
    dieser Beitrag ist zwar schon älter, aber ich versuche es trotzdem mal.
    Wir haben in Andalusien eine schöne alte Finca geerbt, die auf dem Grundstück einen alten Laubengang mit Reben in Pergola-Erziehung hat, als auch ein Weinfeld mit Tempranillo-Buschreben. Das alles etwas ungepflegt, unbeschnitten.
    Wir würden gerne selber einsteigen, vor allem erstmal schneiden und dann auch weitere Kenntnisse erwerben über die weitere Pflege.
    Können Sie uns Bücher/Literatur empfehlen auf deutsch, die uns den Weinbau/Pflege/Schnitt in Spanien näher bringen?
    Es gibt z.B. ein ausführliches Buch von Luis Hidalgo „Poda de la Vid“, 2004, das auch ins Französische übersetzt wurde, „Taille de la vigne“ 2005. Leider finden wir auf deutsch dagegen gar nichts für Buschreben in Spanien.
    Wir würden uns freuen, wenn Sie uns weiterhelfen könnten. Zunächst haben wir uns diesen Beitrag ausgedruckt.
    Übrigens gibt es unten im Haus eine kleine Bodega für die Weinherstellung, incl. zwei großen Barriques.
    Wir haben Lust drauf, benötigen aber zunächst Anleitungen, zur Einarbeitung.

    Herzlichen Dank für Rückmeldung!

    1. Hallo Frau Verspohl,
      Danke für Ihren Kommentar. Das klingt ja wunderbar, was Sie da haben. Ich habe Freunde in Andalusien, die einmal in einer ähnlichen Situation wie Sie waren. Grundstück mit Haus (in den 90ern) erworben, und darauf gabs einen Weinberg mit alten Reben in verwahrlostem Zustand. Sie haben dann begonnen den Weinberg aufzupäppeln und Weine zum Eigengebrauch zu keltern. Heute, gut 20 Jahre später, machen sie mit die besten Weine der D.O. Málaga.
      Meine Freunde haben damals zuerst Hilfe bei einheimischen Nachbarn gesucht, die auf dem Land ja in der Regel alle einen eigenen Weingarten haben. Von denen haben sie sich schrittweise in die Methoden der Weinbergsarbeit (Rebschnitt, etc.) einführen lassen. Das macht sicher am meisten Sinn, denn die Einheimischen kennen ihr spezifisches Terroir und die Bedürfnisse der Reben am besten. Dies wäre auch mein persönlicher Ratschlag für den Anfang.
      Meine Freunde haben nach einigen Jahren dann auch einen Önologen für die Weinbereitung konsultiert und von ihm gelernt wie man im Keller richtig arbeitet. Das wäre dann ggf. irgendwann einmal der zweite Schritt. Man findet allerdings auch auf YouTube viele Videos, in denen (Hobby)Winzer von ihren Erfahrungen erzählen.
      Viele Grüße und viel Erfolg,
      Thomas Götz

      1. Vielen herzlichen Dank für Ihren interessanten Bericht, Herr Götz.
        Dann werden wir mal sehen, was wir draus machen können….
        Insgesamt sind es immerhin 50 / 60 ha, wobei Wein nur einen kleinen Anteil ausmacht.
        Vielleicht teilen wir das Ganze auch auf, einen Teilverkauf anstreben.
        Das wirklich Gute ist, dass wir dort eine eigene Quelle haben, ständig Wasser zur Verfügung.

        Die Finca liegt übrigens in den Alpujarras ganz in der Nähe von Manolo und seinem Baranco Oscuro. Mein 2016 verstorbener Schwager und er kannten sich sehr gut.

        Danke für Ihre Wünsche und herzliche Grüße.

        1. Ob Ihr es glaubt oder nicht, ich bin im Begriff ein kleines Weingut bei Moraira zu kaufen, hab die selben Ideen, das Gut ist auch verwahrlost, es hat auch alte Reben,
          mal sehen ob es klappt dass ich das Ding auch bekomme, es ist auch aus einem Erbe.
          Gruss Uwe Göhring

    2. Hallo Frau Verspohl,

      sehen Sie doch einmal hier: https://www.weinbau.rlp.de/Internet/global/themen.nsf/AF11E29C48E9812EC12587410026EE8C/$FILE/Praxisleitfaden%20Oenologie%202022.pdf

      oder

      Rebschnitt: Weintrauben und Tafeltrauben richtig schneiden von Arno Becker et.al.

      Vielleicht finden sie hier auch ein paar nützliche Informationen. Ansonsten denke ich, dass die Empfehlung von Herrn Götz auch ein sehr guter Ansatz ist, dabei bekommen Sie wohl am ehesten praxisnahe Informationen, wenn die Sprache kein Problem ist. Peter Sissek macht es mit seinem Sherry-Projekt ganz genauso ;-).

      Viele Grüsse
      Gunter Barbosa

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