Eigentlich wollte ich ab heute in Düsseldorf sein, weil dort eigentlich die ProWein stattfinden sollte. Stattdessen bin ich in der Sierra Nevada. Eigentlich ist es schöner hier. Gestern habe ich mir Weinberge mit über 100 Jahre alten Reben angeschaut. Ihnen sind die Probleme der Welt egal. Sie waren schon da, als der spanische Bürgerkrieg auch in dieser abgeschiedenen Region wütete und sich die Menschen schreckliches Leid zufügten. Die alten Reben kümmert das nicht. Sie selbst haben schon viele Krisen erlebt: Dürreperioden, Schädlingsbefall, schwere Unwetter. Und sie sind immer noch da. Die alten Reben wissen, dass auf schlechte Tage wieder gute folgen.
Eigentlich ist die Sierra Nevada nicht für Wein bekannt. Schon eher für Skifahren. 1996 fand hier die Alpine Ski-WM statt. Der legendäre Alberto Tomba gewann zweimal Gold. Trotzdem gibt es viele alte Weinberge. Zumeist sind es Mischsätze mit den Sorten Jaén Blanco, Vijiriega, Chelva, Montua, Pedro Ximénez, Moscatel, Jaén Negro, Tempranillo und Romé. Traditionell keltern die Einheimischen daraus einen kräftigen Rosado, den sie „Vino de Costa“ nennen. Das heißt „Küstenwein“ auf deutsch. Obwohl wir uns im Bergland befinden und einige Gipfel fast 3500 m.ü.NN erreichen, ist das Mittelmeer nur wenige Kilometer entfernt. Daher der Name.
Eigentlich ist der „Costa“ trotzdem ein Bergwein. Denn in der Sierra Nevada befinden sich die höchsten Weinlagen Europas. Die beiden Fotos oben zeigen Reben auf etwa 1150 Metern Höhe. Es geht sogar noch weiter hinauf: Mitten im Dorf Capileira gibt es eine kleine Parzelle auf 1460 Metern Höhe. Nirgendwo habe ich in Spanien und Europa einen höher gelegenen Rebgarten gesehen (abgebildet ist er auf dem Foto unten). Den Besitzer kenne ich nicht, will mich beim nächsten Besuch aber nach ihm erkundigen. Wie es aussieht, werde ich die kommenden Wochen weniger bzw. gar nicht verreisen. Somit bleibt Zeit meine direkte Umgebung besser kennenzulernen.
Eigentlich hätte es im Winter regnen bzw. auf den Gipfeln der Sierra Nevada schneien sollen. Eigentlich sind die Winter in dieser Region nass und aufgrund der Höhenlagen kalt. Eigentlich ist es die Zeit, in der die Natur zur Ruhe kommt. Früher, sagen die alten Leute in meinem Dorf, war das so. Heuer hat es den ganzen Winter über nur an drei Tagen geregnet, und es war frühlingshaft warm. Eigentlich setzt die Mandelblüte Mitte Februar ein. Dieses und letztes Jahr schon zu Silvester, also gute sechs Wochen früher. Es bleibt abzuwarten, ob die alten Reben der Sierra Nevada auch den Klimawandel überstehen. Eigentlich sind sie Überlebenskünstler.