Bei Madrid denken viele an den Prado, die Fußballclubs Real und Atlético oder den Königspalast. Aber Madrid und Wein? Diese Kombination kommt wohl den wenigsten in den Sinn.
Es mag daher überraschen, dass die spanische Hauptstadt mit einer fast 6.000 Hektar großen Weinappellation aufwartet, deren Weinberge bereits wenige Kilometer außerhalb der Stadt beginnen. „Wir haben sehr unterschiedliche Terroirs, deshalb haben wir das Anbaugebiet in vier Subzonen aufgeteilt“, erklärt Mario Barrera, Technischer Direktor der DO Vinos de Madrid. „Die Zone San Martín ist zum Beispiel von Granitböden geprägt, die Zone Arganda wiederum von Kalkstein.“
Ein Winzer, der sich in beiden Untergebieten bestens auskennt, ist Marc Isart. Sein Weingut Cinco Lenguas befindet sich in der östlich gelegenen Arganda-Zone, in der malerischen Kleinstadt Chinchón. Der Ort blickt auf eine lange Weingeschichte zurück, wovon die jahrhundertealten Keller unter den Häusern zeugen. In einigen sind noch die Tonamphoren erhalten, in denen früher der Wein vergoren wurde (das Nachbardorf Colmenar de Orejo war einst bekannt für die Herstellung von Amphoren). Im 19. Jahrhundert, vor der Ankunft der Reblaus, verfügte die Region Madrid über 60.000 Hektar Rebfläche. Das Gebiet um Arganda war damals ein wichtiger Lieferant von Weiß- und Roséweinen (Claretes) für die Stadt. Heute ist Arganda die größte Subzone der DO Vinos de Madrid, mit Weinbergen auf einer Hochebene und einem kontinentalen Klima mit kalten Wintern, heißen Sommern und starken Kontrasten zwischen Tag und Nacht. Im Herbst kann es vorkommen, dass man morgens eine Winterjacke und nachmittags Sonnencreme braucht.
Marc Isart bewirtschaftet sieben Hektar, verteilt auf sieben Parzellen. Seine ältesten Weinberge stammen aus den 1930er Jahren. Die Mischsätze bestehen hauptsächlich aus der autochthonen Weißweinsorte Malvar und der Rotweintraube Tinto Fino, auch Tinta Madrid genannt. Dieser lokale Tempranillo-Klon hat eine dickere Schale als beispielsweise in der Rioja und daher einen höheren Farb- und Tanningehalt.
Darüber hinaus lässt sich Marc von den Traditionen der Region inspirieren: „Meine Idee ist es, die Aromen der Vergangenheit wieder zu beleben und Weine zu erzeugen, wie sie vor der Industrialisierung des spanischen Weinsektors in den 1990er Jahren gemacht wurden.“ Das bedeutet für ihn, etwa auf Temperaturkontrolle und den Zusatz önologischer Mittel zu verzichten und stattdessen auf Spontanvergärung, Schalenkontakt bei Weißweinen und im Ausbau auf Amphoren, Betontanks und gebrauchte Eichenfässer zu setzen. Das Ergebnis sind köstliche, präzise und ungeschminkte Weine, bei denen die Trinkbarkeit und Persönlichkeit im Vordergrund stehen und die zudem mit moderatem bis niedrigem Alkoholgehalt daherkommen.
Von Osten nach Westen, von der Hochebene in die Berge.
Wie in Arganda ist Marc Isart auch in der Subzone „San Martín de Valdeiglesias“ ein Pionier. Der erste Jahrgang seines jüngsten Projekts dort, Salvajes de Gredos, kommt gerade auf den Markt. Die Weine sind eine Koproduktion zwischen ihm und dem Winzer Miguel Santiago. Die Fassproben und die ersten frisch abgefüllten Weine, die wir gemeinsam im Keller verkosten, deuten auf schlanke und saftige, elegante und spannungsgeladene Gewächse hin.
Die San Martín-Zone ist Teil der Sierra de Gredos, einer Gebirgskette westlich von Madrid, die sich über fünf Provinzen und drei Weinbaugebiete erstreckt, darunter auch die DO Vinos de Madrid. Der bis zu 2.592 Meter hohe Bergzug hat sich zu einem Hotspot für das entwickelt, was einige Kritiker die „New Wave of Spanish Wine“ nennen. „Gredos ist eine einzigartige Kombination aus sehr alten Garnacha-Weinbergen, aus Granitböden und Höhenlagen in einem spezifischen Gebirgsklima. Es gibt keinen vergleichbaren Ort auf der Welt“, erklärt Dani Landi von Comando G. Ihr Weinberg Las Umbrias, aus dem sie einen Einzellagenwein keltern, ist auf rund 1.000 Metern der höchstgelegene in der DO Vinos de Madrid. In den letzten 10 bis 15 Jahren haben sie und andere Erzeuger wie 4 Monos, Bernabeleva, Carlos Sánchez und Marañones die Wahrnehmung spanischer Rotweine verändert und zur Renaissance der Garnacha in Spanien beigetragen. Sie haben das erreicht, indem sie eine neue Seite der Sorte aufgezeigt haben, mit einem Weinstil, der Eleganz und Frische in den Vordergrund stellt.
Die Garnachas aus Gredos sind meist hell in der Farbe, weil die Winzer während der Maischestandzeit behutsam extrahieren. So entstehen Rotweine, die am Gaumen leicht wirken, aber zugleich enorm vibrierend und vielschichtig, griffig und mineralisch sind. Die Trauben werden oft mit den Rappen vergoren, um mehr phenolischen Gripp und Frische zu erhalten. Ergänzend zu den rotfruchtigen und pfeffrigen Aromen, welche die Rebsorte Garnacha typischerweise bietet, finden sich auch florale, kräuterige und mitunter ätherische Noten in den Weinen. Einige Kritiker bezeichnen die Gewächse als „burgundisch“, aber die Region hat ihre eigene Identität und ist äußerst vielfältig: Die jährliche Niederschlagsmenge schwankt je nach Tal und Gemeinde zwischen 400 und 900 mm. Es ist daher logisch, dass viele Erzeuger eine terroirbezogene Klassifizierung mit Orts- und Lagenweinen vornehmen.
Zudem gibt es ausgezeichnete Weißweine aus dem autochthonen Albillo Real. Quellen zufolge wurde diese Rebsorte bereits im 16. Jahrhundert am königlichen Hof in Madrid als Tafel- und Weintraube geschätzt. „Das Besondere an Albillo Real ist das Mundgefühl“, sagt Isabel Galindo, Önologin der Bodegas Las Moradas de San Martín, die einen biodynamischen Albillo Real aus bis zu 90 Jahre alten Buschreben keltert. „Man erhält seidige und cremige Texturen, eine anregende Salzigkeit und einen leicht bitteren Twist im Abgang“. Galindo hebt außerdem die typischen Aromen dieser Weißweinsorte hervor, etwa Honig, Zitrus und weiße Blüten. Nicht zu verwechseln und auch nicht verwandt ist der Albillo Real übrigens mit dem Albillo Mayor, aus dem Weingüter in Ribera del Duero neuerdings häufiger Weißweine erzeugen.
Die Weine Madrids bieten Vielfalt und Eigenständigkeit
Die DO Vinos de Madrid hat noch zwei weitere Subregionen: El Molar, nördlich der Hauptstadt, hat die bei weitem kleinste Rebfläche. Navalcarnero liegt wiederum südlich der City. „Es handelt sich um eine Übergangszone zwischen der Hochebene von Arganda und dem bergigen Gebiet von San Martín“, erklärt Aitor Paul vom 2017 gegründeten Weingut A Pie de Tierra. „Hier findet man Weine, die kräftiger sind, wie in Arganda, aber auch feiner, wie in San Martín.“
Stilistisch ist A Pie de Tierra auf der feinen Seite anzusiedeln. Die sortenreine Garnacha „Fuerza Bruta“ gewinnen sie aus einem 1956 gepflanzten Weinberg. Aufgrund des sandigen Quarz-Granit-Bodens beträgt der pH-Wert dieses Weins in manchen Jahren nur 3,0. Außerdem ist die Parzelle von einem Wäldchen und einem Fluss umgeben. „Das bedeutet, dass zum einen der Boden mehr Feuchtigkeit hat und zum anderen unser Weinberg immer ein paar Grad kühler ist als die anderen Plots in der Umgebung“, sagt Aitor Paul. Das Ergebnis dieses spezifischen Bodens und Mikroklimas ist ein subtiler, knackiger und energiegeladener Rotwein und ein weiterer Beweis dafür, dass die DO Vinos de Madrid ein Paradies für terroirgeprägte Weine ist. Die großen Weinbauregionen der Welt haben alle ihre eigenen Traditionen, ihre Leitrebsorten und unverwechselbaren Terroirs. Madrid hat sie auch. Zeit, sie zu entdecken.
Weitere Infos:
Dieser Beitrag ist auch in englischer Sprache auf der Webseite Foods and Wines from Spain erschienen.
Alle Beitragsfotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten
Titelbild: Weinberg in der Subzone Arganda, © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten