Familia Torres und die vergessenen Rebsorten Kataloniens

Auf Einladung von Familia Torres verbrachte ich drei Tage mit internationalen Kollegen in Katalonien. Unter anderem besuchten wir Weinberge im Penedès und im Priorat. Hochspannend war auch die Verkostung von fünf sortenreinen Weinen aus den autochthonen Trauben Forcada, Moneu, Pirene, Querol und Gonfaus.


Spanische Winzerinnen und Winzer entdecken derzeit das Potenzial alter lokaler Rebsorten wieder, die im 20. Jahrhundert beinahe ausgestorben wären. Um ein paar Beispiele zu nennen: In Valencia lassen Celler del Roure, Rafael Cambra und Javi Revert die Rotweinsorten Arcos, Forcalla und Mandó wieder aufleben. In der Sierra de Salamanca keltern Viñas del Cambrico und Viñas Serranas wunderbare Weine aus der weißen und blauen Rufete, und in Manchuela widmet sich Juan Antonio Ponce mit beeindruckendem Erfolg den Rebsorten Albilla und Moravia Agria.

Die genannten Trauben wurden im 20. Jahrhundert aus verschiedenen Gründen aus dem Weinbau verdrängt. Einige lieferten zu wenig Ertrag oder waren weniger robust im Anbau; andere ergaben zu leichte und zu helle Weine, die nicht dem vorherrschenden Trinktrend entsprachen und sich ebenfalls nicht für die Bulkwein-Produktion eigneten, bei der es um möglichst hohe Farbintensität und Alkoholgrade ging. 

Es ist nur folgerichtig, dass Spanien heute seine vergessenen Rebsorten neu entdeckt. Das trägt zur Vielfalt bei und gibt den Weinen ein weiteres Alleinstellungsmerkmal. Viele der alten Trauben sind auch besser an die jeweiligen örtlichen Bedingungen angepasst, was gerade im Zuge des Klimawandels und der immer extremer werdenden Verhältnisse ein Vorteil für den Anbau darstellen kann. In der Menge sprechen wir aber (noch) von einer eher kleinen Bewegung: Im Jahr 2022 nahmen nach Angaben des spanischen Agrarministeriums allein die beiden Sorten Tempranillo und Airén rund 41 Prozent der Rebfläche des Landes ein.

Ein wegweisendes Projekt zur Wiederbelebung alter lokaler Rebsorten stammt von Familia Torres. Begonnen hat es zu einer Zeit, als es in Spanien alles andere als modern war, sich diesen Trauben zu widmen. Ich erzähle diese faszinierende Geschichte von Vergangenheit und Zukunft, von Bewahrung und Hoffnung so, wie ich sie neulich beim Besuch des Weinguts am Stammsitz im Penedès gehört habe.

Familia Torres, Projekt alte Rebsorten

Familia Torres‘ Projekt der alten Rebsorten

Ende des 19. Jahrhunderts vernichtete die Reblaus – wie andernorts auch – die meisten Weinberge in Katalonien. Nach der Plage pflanzten die Winzer an, was gerade gefragt war, etwa Macabeo, Xarel.lo, Garnacha und Ull de Llebre (Tempranillo). „Aber aus alten Büchern wissen wir, dass es viel mehr Rebsorten gab als heute“, sagt Miguel Torres Maczassek. Ein Professor für Weinbau habe seinen Vater Miguel A. Torres vor vierzig Jahren auf die Idee gebracht, dass einige der alten Sorten nach der Reblausplage wahrscheinlich wild überlebt hätten. Miguel A. Torres beschloss, nach diesen alten Sorten zu suchen.

Am Anfang war es ein philanthropisches Projekt, sagt Miguel Torres Maczassek. „Es ging nicht darum, Wein zu produzieren, sondern eine Sammlung von Rebsorten zu erhalten, die es in der Vergangenheit gab.“ In den 1980er Jahren begann Familia Torres, Anzeigen in katalanischen Lokalzeitungen zu schalten: Wenn ein Winzer irgendwelche Reben finde, die er nicht bestimmen könne, solle er sich bitte melden, lautete der Aufruf.

Tatsächlich meldeten sich im Laufe der Jahre zahlreiche Personen mit Funden aus ganz Katalonien bei Familia Torres. „Wir nahmen Proben und schickten sie an die Universität von Montpellier, wo es die größte DNA-Datenbank für Rebsorten gibt“, erzählt Torres Maczassek. Mit Hilfe von DNA-Tests konnten sie so bis heute fast 60 verloren gegangene Rebsorten aus der Zeit vor der Reblaus ausfindig machen.

Zelle, Labor, Gewächshaus, Versuchsweinberg, Terroir

Nachdem Familia Torres eine alte Sorte mit einer einzigartigen DNA identifiziert hatte, war es nicht sofort möglich, sie zu vermehren. Denn die wilden Reben waren mit Viren infiziert, von denen sie erst befreit werden mussten. 

Um gesundes Rebmaterial zu erhalten, entnahm Familia Torres den Frühjahrstrieben im oberen Teil der Pflanze einige Zellen, die keine Viren enthielten. Die Zellen wurden dann im Labor mit Nährstoffen versorgt und in Reagenzgläsern zu Pflänzchen herangezogen. Anschließend kamen sie zur Aufzucht in ein Gewächshaus.

Labor
Aus den Zellen der alten Rebstöcke werden im Labor neue, virusfreie Reben gezüchtet.
Gewächshaus
Im Gewächshaus erfolgt die Aufzucht, bevor die Reben in einen Versuchsweinberg gepflanzt werden.

Vom Gewächshaus ging es für die Rebstöcke anschließend in einen Versuchsweinberg. „Hier pflanzten wir alle Sorten im gleichen Boden und mit der gleichen Wassermenge an, um die jeweiligen Eigenschaften und Unterschiede der Reben herauszufinden“, sagt Miguel Torres Maczassek.

Mit den im Experimentierfeld erlangten Erfahrungswerten legte Familia Torres dann Weinberge am jeweils besten geeigneten Standort an. Beispielsweise wächst die spätreifende Forcada heute im wärmeren mediterranen Klima des Penedès, die Rotweinsorte Pirene in den kühlen Höhenlagen von Costers del Segre am Fuße der Pyrenäen. Der Prozess von der Entdeckung der Rebe über deren Identifizierung, Zucht, Anbau, Zulassung durch die Behörden bis hin zur finalen Weinbereitung könne mehr als 15 Jahre dauern, sagt Torres Maczassek.

Versuchsweinberg im Penedès
Der Versuchsweinberg im Penedès, auf dem alle wiederentdeckten Reben angebaut werden. Bis heute umfasst die Sammlung knapp 60 Sorten.
Anbau der Pirene
Familia Torres kultiviert die Rotweinsorte Pirene auf 8,7 Hektar im Anbaugebiet Costers del Segre in den Ausläufern der Pyrenäen auf über 900 Metern Höhe.

Alte Rebsorten gegen den Klimawandel

Der erste Wein, für den die Familie Torres eine der alten Rebsorten verwendete, war der Grans Muralles 1996 mit einem geringen Anteil Garró in der Cuvée. Richtig ernst wurde es mit dem Weinprojekt aber erst, „als wir um das Jahr 2008 herum immer mehr die Auswirkungen des Klimawandels spürten“, sagt Miguel Torres Maczassek. „Da haben wir angefangen, die Rebsorten-Sammlung genauer zu untersuchen, um zu sehen, ob es vielleicht Reben gibt, die mit Hitze und Wassermangel gut zurechtkommen.“ 

Auf diese Weise konnte das Weingut unter den rund 60 Trauben einige besonders trockenheitsresistente und spätreifende Sorten ausfindig machen. Weitere Versuche mit ihnen zeigten, dass die Weinqualität so gut war, dass sich ein Anbau in größerem Stil lohnte. Heute sind es fünf Rebsorten, auf die sich Familia Torres konzentriert und aus denen sie sortenreine Weine keltert: Es sind die weiße Forcada sowie die Rotweinsorten Moneu, Pirene, Querol und Gonfaus. „Es gibt noch andere Trauben, die in Zukunft interessant werden könnten“, sagt Miguel Torres Maczassek. Aber man dürfe den Markt nicht mit zu vielen Weinen aus unbekannten Sorten auf einmal überfordern. 

Die wiederentdeckten Rebsorten stellt Familia Torres der Allgemeinheit zur Verfügung, also auch anderen Winzern. „Es sind ja nicht unsere Sorten“, sagt Torres Maczassek. „Diese Trauben gibt es, weil unsere Urgroßeltern sie genutzt haben. Sie sind Teil der Geschichte Kataloniens.“ Die Namen der Rebsorten hingegen sind neu: „In den alten Büchern sind die Beschreibungen so allgemein gehalten, dass wir nicht sagen konnten, dass es sich um diese oder jene Traube handelt. Deshalb haben wir meistens den Namen des Ortes oder des Tals verwendet, in dem wir die Rebe gefunden haben.“

Grans Muralles
Die Rebsorte Querol ist nach dem Dorf benannt, in dem sie 1998 wiederentdeckt wurde. Sie wächst heute auf 1,7 Hektar im Anwesen Grans Muralles in der DO Conca de Barbera.

Die Weinprobe mit Forcada, Moneu, Pirene, Querol und Gonfaus

Der verantwortliche Weinmacher von Familia Torres, Josep Sabarich, führte durch die Verkostung. „Wenn man zum Beispiel mit Cabernet Sauvignon arbeitet, hat man einen Rahmen und eine Richtung“, sagt er. „Aber bei diesen Rebsorten hat man ein leeres Blatt Papier vor sich und muss entscheiden, welchen Weg man gehen will.“ Man habe nur einen Versuch pro Jahr, sagt Sabarich, und es sei ein langer Prozess, bis man für jede Rebsorte den passenden Weinstil entwickelt habe.

Forcada 2021

Die Weißweintraube Forcada vinifizierte Josep Sabarich erstmals im Jahr 2014. „Anfangs bauten wir den Wein in Holzfässern aus. Wir haben aber gemerkt, dass dies nicht die beste Art ist, um die fruchtigen und floralen Aromen der Rebsorte voll zur Geltung zu bringen“, sagt der Weinmacher.

Beim Jahrgang 2021 reiften nur noch 10 Prozent des Weins im Barrique, der Rest im Stahltank auf der Feinhefe. Das Ergebnis ist ein superfrischer Weißwein mit einer knackigen Säure von 7,7 Gramm pro Liter. Die hohe Säure wird von einer seidigen Textur umhüllt und gemildert, der Wein zieht sich geradlinig durch den Mund, der lange Abgang ist straff, und der niedrige pH-Wert (2,73) deutet auf ein gutes Reifepotenzial hin.

Die Forcada ist in der DO Penedès für den Weinbau zugelassen. Familia Torres kultiviert sie auf derzeit 31 Hektar im nördlichen Teil der Appellation auf einer Höhe von 550 bis 580 Metern. Laut Familia Torres handelt es sich um eine trockenheitsresistente Sorte mit einem langen Reifezyklus, die erst im Oktober geerntet wird. Das Weingut verwendet die Forcada auch als Hauptsorte in der Cuvée Clos Ancestral Blanco.

Kollege Matthias Neske, aka Chez Matze, bei der Verkostung.

Moneu 2020

Die Rotweintraube Moneu ist ebenfalls in der mediterran geprägten DO Penedès im Anbau. Torres kultiviert sie auf 16,5 Hektar. Sie komme mit hohen Temperaturen und Trockenheit gut klar, sagt Josep Sabarich. Wegen ihrer dicken Schalen könnte die Moneu dunkle, kräftige Weine hervorbringen. Dieses Gewächs ist aber transparent und schlank. „Wir wollen die Moneu in ihrer reinen Form zeigen und den Charakter der Sorte erhalten“, sagt Sabarich. Eine kurze Mazeration von vier Tagen und wenig Extraktion erbringen die gewollte Finesse, Spannung und Präzision.

Im Glas zeigt sich ein vielschichtiger Rotwein mit einem interessanten und eigenständigen Profil. Moneu 2020 hat anregende Kräuternoten, eine erdig-kühle Aromatik, eine beinahe stahlige Textur und einen würzigen Abgang. Im Gesamtbild mutet das Gewächs eher atlantisch kühl als mediterran an. „Wir sind immer noch am Lernen“, sagt Sabarich. Man fragt sich folglich, wie gut dieser Wein erst in zukünftigen Jahrgängen sein wird. Schon jetzt ist er außergewöhnlich.

Pirene 2021

Die Rebsorte Pirene wächst weiter nördlich und landeinwärts in Katalonien im Anbaugebiet Costers del Segre. Das Klima ist kontinentaler als im Penedès, was sich in größeren Temperaturunterschieden zwischen Winter und Sommer sowie zwischen Tag und Nacht äußert. Der 8,7 Hektar große Weinberg liegt auf bis zu 950 Metern Höhe am Fuße der Pyrenäen. Die Suche nach höheren und damit kühleren Lagen ist eine Möglichkeit für die spanischen Winzer, sich an den Klimawandel anzupassen.

Die Pirene ist eine spätreifende Traube, die Lese des eher warmen Jahrgangs 2021 fand im Oktober statt. Der Ausbau des Weins erfolgte in einer Kombination aus Stahltank und Holzfässern unterschiedlicher Größe. „Wir verwenden immer gebrauchte Fässer“, sagt Josep Sabarich. „Neue Eiche wäre zu viel für eine so delikate Traube wie Pirene.“ In der Tat ist es ein subtiler und feinwürziger Rotwein mit anregenden floralen Noten, frischen rotfruchtigen Aromen und griffiger Textur. Auf der Prowein im März konnte ich bereits den Jahrgang 2020 probieren, er besitzt die gleiche Sinnlichkeit und schlanke Eleganz wie der 2021er. Ein bisschen erinnert mich dieser Wein an die „New Wave Garnachas“, wie sie vermehrt aus Gredos, Aragon und Navarra kommen.

Familia Torres baut die Rebsorte Pirene auf derzeit neun Hektar in bis zu 950 Metern Höhe an.
Familia Torres baut die Rebsorte Pirene auf derzeit neun Hektar in bis zu 950 Metern Höhe an.

Querol 2020

Mit Querol 2020 kommen wir zu einem Rotwein, der im Vergleich eine dichtere, dunklere Farbe sowie mehr Körper und Alkohol aufweist, aber auch eine schöne Saftigkeit und Frische besitzt. Familia Torres kultiviert die 1998 in der Provinz Tarragona entdeckte Rebsorte auf 1,7 Hektar im Anwesen Grans Muralles in der Appellation Conca de Barbera. Das Gewächs fühlt sich im Mund weich, cremig und geschmeidig an, und das feinkörnige Tannin gibt ihm ein stabiles Rückgrat.

Gonfaus 2021

Wie Pirene wächst auch die Gonfaus in der kontinental geprägten DO Costers del Segre. Die 13 Hektar befinden sich mit 450 bis 550 Höhenmetern allerdings in tieferen Lagen. Wie alle Rotweine des Projekts hat auch dieser eine kurze Mazerationszeit von weniger als einer Woche, und wie bei den anderen Weinen liegt der Schwerpunkt auf Frische und Trinkbarkeit, obwohl Gonfaus 2021 konzentrierter ist als etwa der Pirene des selben Jahrgangs. Die Mischung aus rauchigen Noten, dunkler Frucht, lebhafter Säure und reifem Tannin trägt zur Balance und Persönlichkeit des Weins bei.

Weinmacher Josep Sabarich (links) und Miguel Torres Maczassek, Geschäftsführer der Familia Torres.
Weinmacher Josep Sabarich (links) und Miguel Torres Maczassek, Geschäftsführer der Familia Torres.

Die neuen Hoffnungsträger

Mit dem Projekt „Ancestral Varieties“, so der englische Name, verbindet Familia Torres die Vergangenheit mit der Zukunft. „Wir glauben, dass diese Rebsorten zukünftig sehr wichtig für uns werden können, weil sie uns helfen, uns an die Klimaerwärmung anzupassen“, sagt Josep Sabarich am Ende der Verkostung. Welch erstaunliche Wendungen die Zeit doch manchmal nimmt. Was in den 1980ern als Projekt zur Bewahrung eines historischen Erbes begann, gibt vierzig Jahre später Hoffnung für die Zukunft. Und nicht zuletzt können wir Verbraucher jetzt diese großartigen und einzigartigen Weine aus den vergessenen katalanischen Trauben genießen.

Miguel A. Torres, Präsident von Familia Torres, initiierte das Rebsorten-Projekt in den 1980er Jahren.
Miguel A. Torres, Präsident von Familia Torres, initiierte das Rebsorten-Projekt in den 1980er Jahren.

Weitere Infos:

Fotos 1 bis 7: © Familia Torres
Fotos 8 bis 11: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten

Titelbild: Forcada-Reben im Anwesen Mas Palau im Penedès

Dieser Artikel ist Teil der Beitragsreihe Support Your Local Grape.

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