Nach acht Jahren erscheint erstmals ein Gastbeitrag auf Spaniens Weinwelten. Er stammt von Toni Aguado, ein profunder Kenner der spanischen Weinszene und Vertriebsleiter B2B bei Pinard de Picard. Toni hat den Aufstieg des neuen Spaniens hautnah miterlebt, liebt aber auch die Klassiker. Der Text ist ein Auszug aus seiner Arbeit zum Rioja Wine Educator von 2017 über den Klassiker schlechthin: R. López de Heredia Viña Tondonia. Der Beitrag ist heute so aktuell wie damals, denn Tondonia ist zeitlos und unterliegt keinen Moden. Mehr jetzt von Toni Aguado …
Als kleiner Junge verfolgte ich die lebhaften Diskussionen, wenn meine Familie im Haus meiner Großmutter in Burgos gemeinsam am Tisch saß. Es waren diese intensiven Diskussionen, wie wir sie alle kennen, wenn es um Politik oder Fußball geht. Aber die Erwachsenen sprachen nicht über Steuerpolitik und auch nicht darüber, ob Real Madrid besser ist als der FC Barcelona. Wichtiger war die Frage, welchen Wein man zum Essen trinken sollte, den aufstrebenden neuen Star Ribera del Duero oder den jahrhundertealten Klassiker Rioja. Ich war beeindruckt von der Schönheit der Weinetiketten von Castillo de Ygay, Marqués de Murrieta, Marqués de Riscal oder López de Heredia. Ich war auf jeden Fall ein „hincha“ (spanisch für Fan). Ohne dass ich den Wein überhaupt getrunken hatte, war ich ein Liebhaber des Rioja.
Die Jahre vergingen und ich wurde erwachsen. Ich starrte nicht länger nur auf diese Weinflaschen, sondern wurde im Elternhaus oder bei meinem Onkel Ricardo behutsam in die Welt der Weine eingeführt. Mit 18 Jahren war ein 1981er Marqués de Riscal Gran Reserva zu einem Rinderfilet schlicht der Himmel …
Der klassische Rioja-Stil
Die klassischen Rotweine der Rioja sind Verschnitte mit Tempranillo als Protagonist. Garnacha, Mazuelo, Graciano und die weiße Viura werden verwendet, um die Balance zu wahren. Es kommen keine überreifen Trauben zum Einsatz und es wird auch nicht mit langen Mazerationsphasen gearbeitet. Traditionelle Riojas sind von klarer, rubinroter Farbe, haben straffe Tannine, sind nicht zu dick, überhaupt nicht wuchtig, dafür frisch und von eleganter Erscheinung. Die Weine haben einen eher niedrigen Alkoholgehalt und einen relativ hohen Säuregehalt. Am Gaumen gehen sie eine einzigartige Symbiose von Primärfrucht und Tannin ein. Sie werden über einen langen Zeitraum ausgebaut, um eine noch längere Zeit zu überdauern, manche von ihnen halten ewig.

Zunächst werden die Weine in gebrauchten Fässern aus amerikanischer Eiche „erzogen“, das spanische Wort lautet „criar“. Auf die Reifung im Fass folgt eine zweite in der Flasche. So kommen die traditionellen Riojas bereits trinkfertig auf den Markt und reifen prächtig weiter: Eine elegante Frucht entwickelt sich, die Tannine nehmen ab, die Säure bleibt präsent. Die Weine sind weich, ausgewogen, alles andere als laut, und vor allem sind sie einzigartig.
Wenn wir vom „echten“ klassischen Rioja-Stil sprechen, dann ist R. López de Heredia Viña Tondonia das Meisterstück. Heutzutage ist das Weingut als Verfechter der klassischen Rioja-Werte bekannt, denn es hat seine Weinbereitung seit den Anfängen nicht verändert. Gegründet im Jahr 1877 und mit einer über 140-jährigen Geschichte, könnte mancher Kritiker versucht sein, die Kellerei als altmodisch und konservativ zu bezeichnen. Aber als der Gründer, Rafael López de Heredia y Landeta, nach Haro kam, war er ein Visionär und auf die Zukunft ausgerichtet und somit ein Avantgardist.
Die Anfänge von R. López de Heredia Viña Tondonia
Was für den einen ein Glücksfall ist, kann für den anderen eine Katastrophe sein – die Rede ist von der Reblaus. Als viele französische Weinberge durch die Phylloxera verloren gingen, profitierte die Rioja generell und Rafael López de Heredia speziell von dieser Situation. Französische Händler kamen in die Rioja, um alternative Quellen für Trauben und Weine zu finden, um die Kundennachfrage zu befriedigen. Rafael, ein begeisterter Schüler in der Kunst der Weinherstellung, folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Er kam aus Chile und war neu in der Region, aber er spürte, dass er in Haro am richtigen Ort war. Als er die klimatischen Bedingungen, den Boden und die Natur studierte, war er überzeugt: Haro und seine Umgebung sollten perfekt geeignet sein, für den Anbau und die Herstellung eines Weins, der schließlich weltberühmt werden sollte.
Die Weinkellerei: Ein Labyrinth aus Kellern und Gebäuden
Im Jahr 1877 beschloss Rafael López de Heredia, damals 20 Jahre alt, mit der Planung und dem Bau der Weinkellerei neben dem Bahnhof von Haro zu beginnen. Zuvor hatte er Abnahmeverträge mit französischen Händlern abgeschlossen, und er investierte das so gewonnene Kapital in die Entwicklung der Bodega. Der heute bekannte Komplex ist der älteste von Haro und eine der drei ersten Bodegas der Rioja. Obwohl die Kellerei wie ein Meisterwerk aussieht, ist sie nach den ursprünglichen Plänen noch unvollendet. So beeindruckend die Fassade ist, so beeindruckend sind auch die reinen Zahlen: rund 53.000 Quadratmeter Grundfläche, 19.700 Quadratmeter Gebäude, 3.400 Quadratmeter unterirdische Keller, die bis zu 200 Meter lang und 15 Meter tief sind. Darin befinden sich 72 große Eichenfässer mit unterschiedlichem Fassungsvermögen, vom kleinsten mit 6.000 Litern bis zum Riesen mit 64.000 Litern.
Ein Teil des Geheimnisses von Tondonia liegt in den Eichenfässern. Mehr als 13.000 Bordeaux-Fässer aus amerikanischer Eiche lagern im Keller. Das Anwesen wirkt auf Besucher wie ein Labyrinth. La Bodega Vieja (der alte Keller), La Bodega Nueva (der neue Keller, erbaut zwischen 1890 und 1892), La Bisiesta, La Dolorosa, La Bodega de Reservas, El Cadillo, El Frontón (der Pelota-Hof, pelota ist ein spanisches Rückschlagspiel was traditionell mit den blanken Händen gespielt wird), El Cementerio (der Friedhof, erbaut 1940) und El Calado (erbaut 1892) sind Teile der Kellerei, die über einen Zeitraum von hundert Jahren erbaut wurden. Der jüngste und modernste Teil ist das 2006 errichtete Gebäude von Zaha Hadid in Form einer Weinkaraffe. Es dient als Empfang für Gäste und beherbergt auch den emblematischen Brüsseler Stand, der für die Weltausstellung 1910 gebaut wurde.
Als ich zum ersten Mal die Bodega sah, mit dem ikonischen „Txori Toki“, dem Vogelhausturm, fühlte ich mich wie mein zweijähriger Sohn vor dem Weihnachtsbaum. Die meisten Menschen müssen Bücher lesen, um etwas über die Vergangenheit zu erfahren, bei R. López de Heredia Viña Tondonia kann jeder ein Stück Weingeschichte in Echtzeit erleben.

Vier Weinberge: Viña Tondonia, Cubillo, El Bosque und Zaconia
Von Anfang an verfolgte Don Rafael eine einfache Philosophie: Um eine gleichbleibende Qualität der Trauben zu gewährleisten, erachtete er es für notwendig, eigene Weinberge zu besitzen, ein Umstand, der in der Rioja nicht üblich war. Infolgedessen besitzt R. López de Heredia vier Weinberge in der Zone Rioja Alta.
Der emblematische Weinberg Viña Tondonia erstreckt sich über 100 Hektar und liegt am rechten Ufer des Ebro. Die Lage in einem Mäander aus Schwemmlehm und großen Mengen an Kalkstein bietet eine perfekte Umgebung für den Anbau von Trauben. Um die Besonderheit dieser Lage zur Schau zu stellen, wurde sie gleich zum Namensgeber der Bodega erhoben. Nur wirklich große Weine aus besonderen Jahrgängen erhalten das Privileg der „Gran Reserva“. Diese Perfektion wurde u. a. in den Jahren 1976, 1973, 1970, 1968, 1964, 1961 und auch 1954 erreicht, wahrhaft historische Jahrgänge.
Ein weiterer Weinberg, Viña Cubillo, liegt zwischen 455 und 485 Metern Höhe, etwa 4 Kilometer vom Weingut entfernt. Der Boden ist eine Mischung aus Lehm und Kalkstein, die insgesamt 24 Hektar sind aufgeteilt in 16 Hektar Tempranillo, 4 Hektar Garnacha, je 2 Hektar Mazuelo und Graciano. Die daraus gekelterten Weine werden als Crianza verkauft, könnten aber aufgrund ihrer langen Reifezeit auch als Reserva oder Gran Reserva angeboten werden. Der gleichnamige Wein „Viña Cubillo“ zählt zweifellos zu den spektakulärsten Crianzas der gesamten Rioja.
Die Lage El Bosque (der Wald) liefert die Trauben für den Rotwein Viña Bosconia. El Bosque liegt am Ufer des Ebro auf 465 Metern Höhe an den südlichen Ausläufern der Sierra Cantabria. Die 15 Hektar große Rebfläche ist ein Mischsatz aus Tempranillo, Garnacha, Mazuelo und Graciano. Der Boden besteht aus Lehm und Kalkstein, und das Durchschnittsalter der Reben liegt bei 40 Jahren. Der Wein hat eine tiefere Farbe und etwas mehr Körper als „Viña Tondonia“, wenn man einen Quervergleich ziehen möchte.
Viña Zaconia ist der Kellerei am nächsten gelegene Weinberg, nur 200 Meter von der Bodega entfernt. Die nach Süden ausgerichteten Hänge sind karg und steinig, so dass die Wurzeln gezwungen sind, tief in den Boden zu gehen, der hauptsächlich aus Kalkstein besteht. Die Bedingungen sind ideal für weiße Trauben, deshalb sind die insgesamt 24 Hektar fast ausschließlich mit Viura bepflanzt. Der fertige Weißwein wird traditionsgemäß als Viña Gravonia bezeichnet und etikettiert.
Der Stil: geschmeidig, subtil, vielschichtig, einzigartig
Für die Weinherstellung verwendet das Weingut nur eigene Trauben und setzt auf die typischen Rioja-Sorten: Tempranillo, Granacha, Graciano und Mazuelo für die Rotweine, Viura und Malvasía für die Weißweine. Tempranillo ist die vorherrschende Rebsorte mit einem Anteil von 70 bis 80 Prozent. Garnacha ist mit 10 bis 15 Prozent die zweitwichtigste Sorte. Die Weinlese erfolgt von Hand.
Bei R. López de Heredia ist die Zeit der Schlüssel. Rund 20 Jahre reift eine Gran Reserva, je zur Hälfte im Fass und in der Flasche, bevor sie auf den Markt kommt. Es gibt keine andere Bodega, die ihre Weine nach so strengen Kriterien ausbaut. Sobald die Weine beide Gärungsprozesse durchlaufen haben und der Bodensatz oder Trub entfernt wurde, ist der Wein bereit, in 225-Liter-Bordeaux-Fässern in den unterirdischen Kellern zu reifen. Die Fässer sind so alt wie möglich, wenn nötig werden sie repariert oder bei Bedarf durch neue Fässer aus der eigenen Küferei ersetzt.

Während der Reifung in den Fässern durchläuft der Wein einen langsamen Oxidationsprozess, der ihm den typischen klassischen Rioja-Stil und darüber hinaus das einzigartige Bouquet von R. López de Heredia verleiht. Alle Weine von R. López de Heredia werden handwerklich und ohne industrielle Zusatzstoffe hergestellt. Interventionen wie regelmäßiges „Racking“, ein- oder zweimal pro Jahr und Klärung mit frischem Eiweiß, sonst nichts. Die „crianza“ (Erziehung) der Weine wird mit einer langen Reifung auf der Flasche abgeschlossen. Im Resultat macht die Kombination von Frucht, tertiären Aromen und oxidativen Noten die Weine vielschichtig. Das Zusammenspiel mit der prägnanten Säure und den kräftigen, aber geschmeidigen Tanninen verleiht ihnen einen unverwechselbaren Charakter. Sie sind komplex am Gaumen und erzählen eine Geschichte von Zeit, Geduld, Herkunft und Tradition; sie setzen auf eine subtile Frucht und Zugänglichkeit – im Gegensatz zu vielen modernen, opulenten Riojas.
Dieser klassische Rioja-Stil war in den 1990er Jahren mit dem Aufkommen der „Parker-Weine“ nicht mehr besonders gefragt. Im Unterschied zu anderen Rioja-Kellereien blieb R. López de Heredia dem Stil jedoch treu. „Unsere tägliche Arbeit ist in der Tradition verwurzelt und basiert gleichzeitig auf unserem tiefen Glauben an die Gültigkeit unserer Methoden“, sagt María José López de Heredia (Titelfoto links), die Urenkelin des Gründers, die das Weingut heute mit zwei weiteren Geschwistern leitet.
Viña Tondonia ist heute wieder voll im Trend
Mehr als 140 Jahre Geschichte; die erste Bodega im „barrio de la estación“, dem Bahnhofsviertel von Haro; eine der ältesten Kellereien der Rioja; ein weltweit bekanntes Label wie Viña Tondonia; Erwähnungen in jeder seriösen Weinliteratur – mehr braucht es nicht, um die Leistung von R. López de Heredia zu erklären. Im November 2017 fand im 2-Sterne-Restaurant Haerlin in Hamburg ein „Wine and Dine“ statt: Weine aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart, von einer Tondonia Gran Reserva 1964 bis zu einer Gravonia Crianza 2007, bei einer Teilnahmegebühr von 400 Euro. Alle 24 Tickets hatte ich in weniger als 15 Minuten mit nur einem Post auf Facebook verkauft, es hätten leicht 100 Karten sein können. So etwas hatte ich in meiner Karriere noch nie erlebt.
Wer Tondonia trinkt, erlebt den Geschmack der historischen Rioja. Kaum verwunderlich also, dass die Weine wieder in Mode sind. Ein Tondonia ist als „staple piece“ bei Sammlern und Liebhabern gefragt und darf ebenso auf den klassischen und hippen Weinkarten rund um den Globus nicht fehlen. Vor allem die Blancos und Gran Reservas von R. López de Heredia Viña Tondonia sind rar und teuer geworden.
Weitere Infos:
Text: Toni Aguado
Fotos: Jennifer Tatarinov
Weine von López de Heredia Viña Tondonia gibt es hier im Shop von Pinard de Picard. Leserinnen und Leser von Spaniens Weinwelten erhalten einen Rabatt von 10%. Der Rabattcode SWW2025 ist gültig bis zum 9. Mai 2025.
PS: Das Weingut hieß zunächst R. López de Heredia. Später wurde die von 1913 bis 1914 gepflanzte Lage Viña Tondonia im Namen integriert. Seither ist der offizielle Name R. López de Heredia Viña Tondonia. Umgangssprachlich ist in der Weinszene meist nur von „Tondonia“ die Rede.
Liebe Toni, danke für den schönen Bericht. Als Liebhaber von Weinen im „alten“ Stil bin ich natürlich ein Bewunderer solcher Weingüter, die nicht bei jedem Trend die Philosophie über den Haufen werfen.
Ich habe bisher nur 1 Flasche Cubillo, 1 Flasche Boscoñia und 2 Flaschen Tondonia Reserva von verschiedenen Jahrgängen getrunken. Während mir die beiden ersten Flaschen viel Spass machten, hatte ich mit dem Tondonia Reserva meine Probleme. Für meinem Geschmack war er viel zu holzig, auch etwas süss, Richtung Karamell. „Vielschichtig“ ja, „subtil“ nein, „geschmeidig“ auch eher nein. Wenn ich die Auswahl hätte zwischen einem Reserva Tondonia und einem Gran Reserva 904 von Rioja Alta, dann würde ich ohne zögern den 904 nehmen.
Liebe Grüsse aus dem Greyerzerland.
Daniel
Hallo Daniel, Danke für deinen Kommentar! Ich leite ihn an Toni weiter.
Herzliche Grüße! Thomas