„Läßt man Rioja als Spaniens Bordeaux und Burgund in einem gelten, dann muß man die berühmte Tempranillo-Rebe als Vereinigung von Cabernet-Sauvignon und Pinot Noir betrachten.“
Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von der englischen Weinautorin Jancis Robinson. Und die Grande Dame der Weinkritik muss es schließlich wissen. In ihrem 1987 erstmals erschienenen Werk „Reben, Trauben, Weine“ fährt Mrs. Robinson an anderer Stelle fort, dass Tempranillo die positiven Eigenschaften sowohl des Pinot Noir als auch des Cabernet Sauvignon in sich berge.
Eine Rebe — viele Stile und Namen
Rioja gleich Burgund und Bordeaux ergibt nach Jancis Robinson analog Tempranillo gleich Cabernet Sauvignon und Pinot Noir. Auch wenn das Beispiel konstruiert erscheinen mag, so hat der Gedanke doch etwas für sich: Wie Pinot Noir ist Tempranillo nicht zwingend auf ein massives Tanningerüst angewiesen, sondern kann mit feiner Säure und einer weichen Textur einen eleganten und lang anhaltenden Eindruck am Gaumen entfalten. Mit dem Cabernet Sauvignon gemeinsam hat Tempranillo wiederum die Fähigkeit, beachtliche Gerbstoffe zu entwickeln und Weine lange haltbar zu machen.
Die Tempranillo variiert ihren Stil stark mit dem Terroir, auf dem sie wächst: Ob atlantisch, kontinental oder mediterran geprägtes Klima; ob Kalkböden in Rioja, Flussgestein in Toro, sandig-lehmiger Untergrund in La Mancha oder schiefrige Böden in andalusischen Bergzügen: All diese Faktoren spielen eine Rolle, ob ein Tempranillo eher mit filigraner Struktur oder kräftigem Körper, eher säure- oder fruchtbetont daherkommt. In der Regel finden sich in einem guten Tempranillo-Wein jedoch alle diese Merkmale wieder, nur unterschiedlich gewichtet, was die Weine insgesamt vielschichtig und gut ausbalanciert macht.
Große, fünfeckige Blätter, die Unterseite leicht wollig (Foto: Patricia R. Soto / © ICEX).
Mit Rebsorten verhält es sich ein wenig wie mit Sprachen: Es gibt das Deutsche, zu dem Varianten wie Hochdeutsch, Bayerisch, Schwäbisch, Sächsisch, etc. gehören.
Biologisch gesehen, gibt es ebenfalls nicht DIE eine Tempranillo, sondern mindestens sieben unterscheidbare Familien, wie der Rebsortenexperte Fernando Martínez de Toda ausgemacht hat. Dabei liegen die Tinto de Madrid und Tinta de Toro genetisch etwas weiter entfernt von allen anderen, sodass man diese beiden manchmal als eigene Sorten interpretiert. Die Tinta de Toro, die eben im Anbaugebiet Toro vorkommt, ergibt zum Beispiel tendenziell konzentriertere und kräftigere Rotweine. Sie ist der Kraftprotz unter den Tempranillos.
Darüber hinaus benutzen viele spanische Region traditionell einen eigenen Namen für die Rebe: Ull de Llebre (Katalonien), Cencibel (La Mancha, Valdepeñas), Tinto fino, Tinta del país (Ribera del Duero), Tinta de Toro, Tinto de Madrid, u.s.w.
Die großen Tempranillo-Gebiete: Rioja und Ribera del Duero
In der spanischen Fachwelt ist es nahezu unbestritten, dass Tempranillo besonders Kalkböden liebt. Deren Kalziumcarbonat gilt als einer der wichtigsten Bestandteile für die Weinqualität. Die durch Karbonatlösungen hervorgerufene Bodenstruktur kann zum einen gut Wasser speichern, zum anderen fördern alkalische Bodenverhältnisse die Versorgung der Rebe mit mineralischen Nährstoffen. Diese sind wichtig für die Gesundheit der Pflanze.
Rebsortenforscher haben herausgefunden, dass der Ursprung der Tempranillo im oberen Ebrotal liegt, vermutlich im heutigen Rioja. Kalkhaltige Böden sind vor allem in den Subzonen Rioja Alavesa und Rioja Alta viel vorhanden. In der gesamten DOCa Rioja beträgt die Rebfläche über 60.000 Hektar. Auf mehr als 75% davon wird Tempranillo kultiviert. Den Rest teilen sich Sorten wie die weißen Viura (Macabeo) und Malvasia sowie die roten Mazuelo (Carinena), Garnacha und Graciano, die gerne zwischen 5 und 20% mit Tempranillo verschnitten werden.
In der DO Ribera del Duero wird zu über 90% Tempranillo angebaut (Foto: Pablo Neustadt / © ICEX)
Und auch die zweite berühmte Tempranillo-Region Spaniens, Ribera del Duero, verfügt über Böden mit hohem Kalkanteil. Hier hat sich der Fluss Duero über Jahrtausende in die Hochebene eingegraben und an den dabei entstehenden Hängen kalkige Erde freigelegt.
In der DO Ribera del Duero ist der Stellenwert der Tempranillo sogar noch höher als im Rioja. Zwar kommt die Appellation „nur“ auf 20.000 Hektar Anbaufläche. Diese sind allerdings zu über 90% mit Tempranillo bestockt. Entsprechend wird die Sorte, die hier oft Tinta del País oder Tinto Fino genannt wird, häufiger sortenrein ausgebaut als im Rioja.
Auf diesem Blog wiederhole ich zwar mantraartig, dass spanischer Wein viel mehr als Tempranillo und Rioja bzw. Ribera del Duero ist. Aber freilich lässt sich nicht verleugnen, dass diese zwei Anbaugebiete aufgrund von Tradition und Qualität maßgeblich zur internationalen Wahrnehmung und Reputation des Weinlands Spanien beitragen: Vega Sicilia, Pingus, Remírez de Ganuza oder Tondonia — das sind Namen, die weltweit zu den ganz Großen gehören.
Begleitend zur Erstellung dieses Beitrags habe ich mir je zwei sortenreine Tempranillo aus den beiden renommiertesten Appellationen besorgt und dabei auf Weingüter gesetzt, die (fast) jeder Liebhaber spanischer Weine kennt.
100% Tempranillo: 2x Rioja (links), 2x Ribera del Duero (rechts)
Bodegas Izadi. Crianza 2015. DOCa Rioja (Alavesa). Ca. 10 Euro
Komplex! Diese Crianza, zu 100% aus 45 Jahre alten Tempranillo-Reben gekeltert, hat mich bei der Verkostung am meisten überrascht, weil sie sich für einen 10-Euro-Wein als enorm vielschichtig und facettenreich entpuppt. Da ist rote Frucht, da sind Aromen von Tabak und Lakritz, da sind kraftvolle Tannine, die in Kombination mit frischer Säure und dezenten Holznoten (14 Monate Barrique) eine prima ausbalancierte Gesamtstruktur bilden. Dieser Wein zeigt ist griffig am Gaumen, sehr saftig, harmonisch und hat einen langen Abgang.
Bodegas Cepa 21/Emilio Moro. Cepa 21 2015. DO Ribera del Duero. Ca. 18 Euro
Easy-drinking! Ein Wein aus einem Weinprojekt, hinter dem das legendäre Weingut Emilio Moro steckt und das vom Fußballer Ronaldo mitfinanziert wird. Nicht der eitle Gockel, der gerade für Portugal bei der WM aufläuft, sondern der Original-Ronaldo aus Brasilien. 80% der Produktion von Cepa 21 gehen in die USA, wo es neben China besonders viele „Etiketten-Trinker“ zu geben scheint.
Die Cepa 21 2015 kommt sehr sauber, geradlinig und mit glatten Tanninen daher. Es handelt sich um den eingänglichsten und modernsten der vier Weine: 12 Monate Barrique geben ihm ein gutes Gerüst, geschmacklich tritt das Holz aber vollständig in den Hintergrund und es dominiert eine reife, dunkle Frucht. Der Wein fühlt sich gut und weich am Gaumen an, zeigt zugleich einen kraftvollen Körper, ist schön zu trinken, hat aber weniger Tiefgang als der zuvor besprochene Tempranillo von Izadi.
Bodegas Sierra Cantabria. Reserva 2011. DOCa Rioja (Alavesa). Ca. 16 Euro
Elegant! Ein sortenreiner Tempranillo, der 18 Monate in neuen und belegten Barriques reift und im klassischen Stil alle vier Monate umgezogen wird. Die Erträge der über 30 Jahre alten Reben sind auf 2900 Liter pro Hektar reduziert. Önologe Marcos Eguren hat daraus einen großartigen Rotwein erzeugt, der über tolle Säure und Grip am Gaumen bei gleichzeitiger Weichheit mit Aromen von Leder und Cassis verfügt. Ein Tipp: Trinken Sie diesen eleganten Wein nicht auf einmal! Nach ein paar Tagen wird er etwas mürber und nimmt Aromen von getrockneten Früchten an, ohne dabei an Saftigkeit zu verlieren. Einfach nur herrlich.
Viña Sastre. Roble 2016. DO Ribera del Duero. Ca. 9 Euro.
Würzig! Auf über 800 m Höhe und auf kalkhaltiger Tonerde wachsen die 25 Jahre alten Reben für diesen sortenreinen Tempranillo. Mit der zuvor besprochenen und fast preisgleichen Crianza 2015 von Izadi kann der Roble 2016 trotzdem nicht mithalten. „Roble“ stellt wie die Begriffe Crianza, Reserva und Gran Reserva eine Kategorie dar, die sich auf die Reifezeit eines Weins in den Barriques und in der Flasche bezieht. Für die DO Ribera del Duero gelten hierbei folgende Regeln:
Eine Crianza reift mindestens 24 Monate, davon mindestens 12 Monate in Eichenfässern und die restliche Zeit in der Flasche.
Eine Reserva reift mindestens 36 Monate, davon mindestens 18 Monate in Eichenfässern und die restliche Zeit in der Flasche.
Eine Gran Reserva reift mindestens 60 Monate, davon mindestens 24 Monate in Eichenfässern und die restliche Zeit in der Flasche.
Bei Roble liegen die Reifezeiten unter der Crianza. Nach Angaben des Weinguts Sastre liegt der Ausbau im Holzfass für diesen 2016er bei 5 bis 10 Monaten. Bestimmt würden dem Wein noch ein bis zwei Jahre in der Flasche guttun, ehe man ihn öffnet. Zum jetzigen Zeitpunkt zeigt er sich unrund: die Tannine zu schroff und das Aroma zu würzig. Zurück bleibt ein pelziger und scharfer Abgang. Zur Ehrenrettung dieses erstklassigen Weinguts soll gesagt sein, dass es sich beim Roble 2016 um einen Ortswein (Vino de Pueblo) handelt und nicht um einen der höher eingestuften Lagenweine (Vino de Parcela) von Viña Sastre.
Dick und Nelleke während der Blindverkostung.
Blind Tasting mit zwei Weinprofis: Jancis Robinson hat recht
Soweit meine Verkostungsnotizen und Einschätzungen zu den Weinen. Am Tag darauf habe ich zwei niederländische Freunde zu einer Blindverkostung eingeladen. Nelleke und Dick sind Inhaber der Distribution Granada Wijnen, mit der sie auf südspanische Weine spezialisiert sind. Weingüter aus Granada, Almeria, Jumilla oder La Mancha gehören zum Sortiment.
In diesem Fall durften sich die zwei Weinprofis an den nordspanischen Tempranillos probieren. Allerdings hatten Dick und Nelleke keine Ahnung, welche Weine sie da parallel verkosten würden: Preis, Rebsorte, Region? Die beiden erhielten keinerlei Auskünfte von mir.
Und siehe da: In der Tat fielen die Namen Pinot Noir und Cabernet Sauvignon als es darum ging, die Rebsorte anzugeben. Nelleke sagte einmal: „It is like a blend with Pinot Noir in it.“ (Izadi) und „This one is Syrah and Cabernet Sauvignon, I think.“ (Cepa 21). Die Reserva 2011 von Sierra Cantabria schätzte sie korrekt als einen sortenreinen Tempranillo.
Tempranillo – eine Rebe, viele Namen und Stile.