Auf Spaniens größte Weinmesse Fenavin habe ich mich lange vorab gefreut. Und das, obwohl ich davon ausging zwei Nächte im Auto zu schlafen, da alle Unterkünfte in Ciudad Real belegt waren. Aber was tut man nicht alles als weinverrückter Blogger? Geduscht – so sah es mein Plan vor – hätte ich morgens in einem Hallenbad. Als ich am Dienstag gegen 4 Uhr früh in der Sierra Nevada losfuhr, war diesbezüglich alles vorbereitet: Ich hatte Bettdecke, Kopfkissen, Badelatschen und Handtücher mit im Gepäck und war mental auf zwei unbequeme Nächte in meinem Hyundai vorbereitet.
Aus dem Film „Sleepless in La Mancha“ wurde für mich überraschender- und glücklicherweise nichts. Denn ich traf Winzer Dionisio de Nova, den ich im November 2018 in seinem Weingut La Bodega de las Estrellas in Valdepeñas besucht hatte. Der Artikel über Dionisio de Nova und seine biodynamischen, in 200 Jahre alten Tonamphoren ausgebauten Weine ist hier nachzulesen.
Dionisio wollte kaum glauben, dass ich tatsächlich zwei Nächte im Auto schlafen würde als ich das im Gespräch beiläufig erwähnte. Kurzerhand bot er mir den kostenfreien Bezug eines Apartments in seinem Weingut an. Im Grunde bot er es nicht an, er bestand nahezu darauf. Wie großzügig!
Ergo fuhr ich fortan mit Dionisio und seinem Mitarbeiter Samuel zwischen der Messe in Ciudad Real und der Unterkunft in Valdepeñas morgens bzw. abends hin und her. Dionisios deutsche Frau Karina machte jeden Tag das Frühstück und bereitete ein Lunchpaket für mich zu. Gesund und ordentlich zu essen ist wichtig, wenn man an einem Tag rund hundert Weine verkostet. Für mich hat sich das angefühlt wie ein Sechser im Lotto. Gut ausgeschlafen und verköstigt – was will man mehr? Einen ganz herzlichen Dank an Dionisio und Karina von meinem Schreibtisch aus!
Heuer nur wenig Galicien
Auf der diesjährigen Fenavin präsentierten sich fast 2000 spanische Weingüter. Immer wieder gefällt mir gut, dass die Fenavin zwar eine recht große Messe ist, zugleich aber auch entspannt und zwanglos wirkt. Hektik will hier kaum aufkommen, und man begegnet fast überall gut gelaunten Menschen. Die Qualität der Aussteller ist in vielen Fällen exzellent. Zumindest trifft das auf die Mehrheit der 57 Erzeuger zu, von denen ich an den zweieinhalb Tagen 236 Weine verkostet habe.
Wie auf der vorangegangenen Fenavin begeisterten mich die spektakulären Albariño von Eulogio Pomares, namentlich der Carralcoba 2017 (im Kastanienfuder ausgebaut), der Castiñeiro 2017 (in Amphoren ausgebaut) sowie der schalenvergorene Maceración con Pieles 2017 (Ausbau im Akazienfuder). Ebenfalls eindrucksvoll und komplex sind einige Albariño von Bodegas Albamar wie der PAI 2018 und der Finca o Pereiro 2017.
Entgegen meinen üblichen Messe-Gewohnheiten habe ich mich ansonsten weniger mit Galicien befasst und stattdessen verstärkt ein Auge auf Weingüter aus anderen Regionen geworfen. Ein paar davon will ich im Folgenden hervorheben.
Zwei aus Andalusien – Forlong und Viñedos Verticales
Dass Spanien ein wunderbares Weißweinland ist, zeigen nicht nur die oben genannten Weingüter aus Galicien, sondern ferner Erzeuger aus dem südlichen Andalusien. In der Sherry-Hochburg El Puerto de Santa Maria ist Bodegas Forlong zuhause. Weltbekannt sind die weißen, kalkhaltigen Albariza-Böden des Sherry-Gebiets, die unter anderem das Wasser sehr gut speichern können. Im Gegensatz zu den meisten Erzeugern der Region werden bei Forlong jedoch keine Fino- und Oloroso-Sherrys, sondern trockene Weiß-, Rosé- und Rotweine gekeltert.
Insbesondere die Weißweine sind eine Wucht: Weinmacher Alejandro Narvaez vergärt die heimische Rebe Palomino Fino mal auf PX-Schalen (Forlong 80/20 2018), mal baut er sie in Oloroso-Fässern aus (El Amigo Imaginario 2017), mal reift die Palomino für zwei Jahre unter Florhefe (La Fleur 2016). Das klingt nicht nur abgefahren, sondern schmeckt auch so. Die Weißweine von Forlong sind etwas für Weinfreaks.
Kaum weniger imponierend ist, was Vicente Inat und Juan Muñoz in ihrem gemeinsamen Projekt Viñedos Verticales machen. Der Name bedeutet übersetzt „Vertikale Weinberge“ und bezieht sich auf die teils extremen Steillagen, wie sie in der Axarquia vorkommen. Jene Axarquia ist eine Subzone der DO Sierras de Málaga. Inat und Muñoz vinifizieren dort die einheimischen weißen Reben Pedro Ximénez, Doradilla und Moscatel de Alexandría sowie die autochthone rote Romé. Durch Höhenlagen von bis zu 1000 Metern enthalten die Weine allesamt eine fabelhafte Säure.
Als besonders gelungen empfinde ich den trockenen Weißwein Filitas y Lutitas 2016 aus 90% Moscatel und 10% PX. Er wird in 100 Jahre alten Brandyfudern vergoren und darin für weitere zehn Monate gereift. Die feinen fruchtigen Aromen stammen von der Moscatel, das würzige Finish von der PX und durch den Ausbau im 3300-Liter-Fuder erhält der Wein eine herrliche Textur und Komplexität. Das ist großes Moscatel-Kino.
Zwei nahe Madrid – Marc Isart und Arrayán
Einen Moscatel – den Cantocuerdas 2017 – konnte ich ferner am Tisch bei Marc Isart von Bodegas Bernabeleva aus der DO Vinos de Madrid probieren. In diesem Fall handelt es sich um die Varietät Moscatel de Grano Menudo, die dezent tropische Frucht und viel mineralische Saftigkeit zeigt. Toll auch der Weißwein Navaherreros Blanco 2017 aus Albillo Real und Macabeo, an dem mir die Aromatik von getrockneten Kräutern besonders zusagt.
Vielleicht nochmals einen Tick beeindruckender sind die Bernabeleva-Rotweine aus der Garnacha-Rebe: Sehr frisch, mit wenig Farbe und zugleich enorm druckvoll und elegant kommt beispielsweise der Carril del Rey 2017 daher. Die im Schnitt 75 Jahre alten Reben wurzeln auf Granitböden in der Sierra de Gredos, eine Berggegend westlich von Madrid, die sich zu einer der angesagtesten Weinregionen Spaniens entwickelt hat. In Kennerkreisen ist Gredos ganz weit oben eingestuft – dank Winzern wie Marc Isart.
Neben Bodegas Bernabeleva ist Marc Isart ferner in einem eigenen Weinprojekt aktiv: La Maldición ist ebenfalls in der DO Vinos de Madrid angesiedelt, die Weinberge befinden sich aber weiter östlich und außerhalb der Sierra de Gredos. Frech schmeckt die Maldicíon Clarete 2018, eine Art von Rosado, für den Isart Weiß- und Rotwein vermischt. Ich gucke ein wenig blöd, weil ich das mit der Rosébereitung anders kenne. Früher habe man das in seiner Region immer so gemacht, sagt er. Vom Rotwein kommt die Struktur, vom Weißwein die Frische. Mit der Reihe La Maldicíon knüpft Isart bewusst an alte Formen des Weinkelterns an. Unbedingt probieren!
Dass das Umland von Madrid eine gewisse Garnacha-Stilistik entwickelt hat, die von frischer, schlanker Eleganz zeugt, bestätigen außerdem Bodegas Arrayán. Önologin Maite Sánchez goss mir saftig-mineralische, von großer Reinheit gekennzeichnete Rotweine ins Glas. Aus Cebreros, dem kastilisch-leonesischen Teil der Sierra de Gredos, kommen zum Beispiel die Trauben für den Garnacha de Arrayán 2015. Auch wegen der Höhenlage von bis zu 980 Metern bringt jener Rotwein eine knackige Säure von 6,6 g/l mit, was ihn insgesamt sehr lebhaft und trinkanimierend macht. Formidabel zudem ein in Amphoren ausgebauter Albillo Real 2018: ein Weißwein mit geschmeidiger Textur, der einen anregenden Gegensatz aus süßlich-verführerischer Nase und trocken-kräuterigen Aromen am Gaumen zeigt.
Zwei aus Teneriffa – Ignios Orígenes und Suertes del Marqués
Individuell und außergewöhnlich sind darüber hinaus mehrere Gewächse von den Kanarischen Inseln. Den Baboso Negro 2012 von Ignios Orígenes kannte ich bereits. Nun hatte ich die Gelegenheit mit Weinmacher Borja Pérez den 2015er-Jahrgang der sortenrein abgefüllten Rotweine Baboso Negro, Vijariego Negro und Listan Negro horizontal zu verkosten.
Der Baboso – teils mit Ganztrauben vergoren – kommt mit erdigen und rauchigen Aromen sagenhaft daher. Ob diese Noten auf die vulkanischen Böden Teneriffas zurückzuführen sind, vermag ich nicht zu sagen. In jedem Fall ist das rauchig-mineralische im Baboso von Ignios Orígenes sehr präsent. Der Rotwein schmeckt zudem saftig und weich; er ist facettenreich bei gleichzeitiger Schlankheit. Mit jedem Schluck, den mir Borja Pérez nachschenkt, meine ich neue Geschmacksnuancen wahrzunehmen.
Wir sind bei Teneriffa nicht am Ende angelangt: Die roten Einstiegsweine 7 Fuentes und El Lance von Suertes del Marqués kannte ich bereits. Und die sind so gut, dass ich auf die höher eingestuften Gewächse mehr als gespannt war. Mit Winzer Jonatan Garcia Lima verkostete ich zuerst mächtige Weißweine aus der Sorte Listán Blanco. Wir sprachen dabei sogar über weinfremde Themen wie Social Media.
Als wir bei der Hälfte der zehn Weine angekommen waren, erschienen asiatische Distributoren zu einem Termin. Jonatan Garcia Lima entschuldigte sich bei mir, er müsse nun gehen. Er fügte hinzu, ich dürfe mir gerne die restlichen (Rot)Weine selbst einschenken. Nun gut, wo fangen wir an? Alle sind sie aus der Sorte Listan Negro gekeltert, und alle entstammen sie Einzellagen von 0,4 bis 1,5 Hektar Größe. Rauchig und druckvoll ist der La Solana 2017; vollmundig und weicher der El Esquilón 2017 (Listan Negro & Tintilla); mit balsamischen Noten und Aromen von Teer, Gummi und Petroleum der El Chibirique 2017. Superspannend! Vom saftigen, fein balancierten El Circuelo 2017 goss ich etwas mehr ins Glas. Jenen hatte ich als Begleiter zum Lunch erkoren.
Zwei aus Katalonien – Mas Doix und Edetaria
Bei ein paar bekannten Klassikern wollte ich freilich auch vorbeischauen: Als ich bei Mas Doix aus der DOCa Priorat am Stand auftauchte, standen nur drei Flaschen auf dem Tresen. Ich stellte mich als Blogger vor, verkostete, gab Kommentare ab und nannte im Gespräch zwei, drei Namen, mit denen ich zu tun habe. Ob ich eine Visitenkarte dabei hätte, fragte die freundliche Dame. Klar, kein Problem. Sie ging kurz weg und als sie zurückkam, meinte sie, ich solle doch gerne von diesem Wein probieren und zog den „1902 Centenary Carignan“ unterm Tisch hervor. Sie hätte davon nur eine Flasche auf die Messe mitgebracht. Der Wein sei ziemlich teuer. Jenen sortenreinen Rotwein aus Cariñena, Jahrgang 2015, spuckte ich dann auch nicht aus, wie es auf Messen sonst üblich ist. Das wäre respektlos und dumm.
Der 1902 Centenary Carignan entstammt einer steilen Schieferlage, deren Reben eben 1902 gepflanzt wurden. Die Trauben werden in 10 kg fassenden Kisten gelesen und die Beeren am Sortiertisch vor der Weiterverarbeitung zweifach selektioniert. Nur 850 Flaschen werden jährlich abgefüllt. Und wie ist der Wein? Sehr komplex, perfekt ausbalanciert und sehr elegant! Sofern sich das nach zwei Schlucken sagen lässt.
Ein weiterer hoch einzuschätzender Cariñena, der Finca La Pedrussa 2015, stammt vom in der DO Terra Alta ansässigen Weingut Edetária. Allein schon wegen des von Kräuteraromen begleiten langen Abgangs ist dieser Rotwein sein Geld wert. Von der „komplexesten Rebe Kataloniens“ spricht Edetária-Mitarbeiter und Sommelier Nani Ramon. Im Falle dieses Weins kommen die Cariñena-Rebstöcke auf ein erhabenes Alter von achtzig Jahren.
Vor allem widmet sich Edetária der Garnacha-Rebe in all ihren Varietäten: Eine Besonderheit ist die an den Blättern haarig-pelzige Garnacha Peluda. Aus ihr entsteht der sortenreine Rotwein Finca La Personal 2016, der frisch, elegant und salzig im Mund wirkt. Vibrierend und würzig wiederum der Finca la Genuina 2016 aus Garnacha Tinta.
Von den diversen Weißweinen aus der Sorte Garnacha Blanca – alle durchweg erstklassig und mit Grip – sticht der Finca La Terrenal 2016 heraus: geschmeidig, vollmundig, ein würziges und langes Finish. Mein Fazit: Edetária bedient sowohl ein breiteres Publikum, als auch anspruchsvolle Weintrinker. Die Gewächse sind zugänglich und zeigen Finesse in einem. Das ist eine echte Kunst. Chapeau!
Zwei aus Salamanca – Viñas del Cambrico und Viñas Serranas
Wenn ich gezwungen wäre eine rote Lieblingssorte zu nennen, dann würde ich vermutlich Garnacha sagen. Möglicherweise bekommt die Garnacha von der Rufete bald Konkurrenz. Was ich von dieser autochthonen Rotweinsorte aus Kastilien und León bislang kenne, ist mächtig elegant, aromatisch und saftig. Vor allem die Sierra de Salamanca scheint ein Hotspot der Rufete zu sein.
Am Stand von Viñas del Cambrico erklärt mir Weinmacher Fernando Maillo Ferrán, dass die rote Rufete – ähnlich der Pinot Noir – sehr dünne Schalen habe. Die Sorte kommt mit dem kontinentalen Klima, den Hochlagen und Granitböden in Salamanca trotzdem gut zurecht. Unter anderem wegen dieser Merkmale entstehen hochfeine, vielschichtige Rotweine mit großem Spannungsfeld wie der Cambrico Rufete Granito 2014.
Im Gegensatz zur roten Rufete besitzt die weiße Rufete dicke Schalen. Der daraus gekelterte Viñas del Cambrico Blanco ist vollmundig, leicht moussierend, sehr lang und tief. Ein spannender wie ungewöhnlicher Weißwein.
Ferner konnte ich mit Viñas Serranas ein junges wie vielversprechendes Weinprojekt – ebenfalls aus der Sierra de Salamanca – kennenlernen. Der erste Wein wurde 2016 abgefüllt. Mit dem 2017er-Jahrgang begann Cesar Ruiz die besten Parzellen (alles alte Reben) separat auszubauen. Teils sind Mischsätze darunter wie beim El Canchorral 2017, bestehend aus der Hauptsorte Rufete und Reben wie Aragonés (Tempranillo-Typ), Calabrés (Garnacha-Typ) oder Palomino. Schön frisch schmeckt er, und die Tannine sind feinkörnig.
Im Renvivas 2017 verbrüdern sich rote und weiße Rufete. Der Wein ist vielschichtig und subtil. Der schalenvergorene Weißwein (bzw. Orange) El Helechal 2017 ist sortenrein aus Rufete Blanco gekeltert. Er verfügt über eine packende Säure, wirkt mächtig und sogar etwas fleischig. Das ist stark und speziell, wie so einiges auf der diesjährigen Fenavin.
Abschließende Anmerkung: Ich bin mir bewusst, dass dieser Beitrag inflationär viele positive Adjektive und Beschreibungen enthält. Jedoch: Es ist nun einmal so, dass die hier vorgestellten Weingüter bzw. Weine zu meinen Favoriten der Fenavin 2019 gehören. Ein paar weitere Fenavin-Lieblinge stelle ich zu einem späteren Zeitpunkt auf diesem Blog vor.
Link zur Messe: www.fenavin.com