Nuria Altés und Rafael de Haan betreiben im katalanischen Terra Alta seit zehn Jahren das Weingut Herència Altés. Seither sind sie zu den Top-Erzeugern der Appellation aufgestiegen. Kürzlich habe ich beide interviewt. Wie man das heutzutage macht, haben wir uns auf Zoom zum Gespräch getroffen.
Der Name des Weinguts lautet übersetzt „das Erbe von Altés“. Und Altés ist der Familienname von Nuria. Als Kind, erzählt sie, hatte sie noch gar kein Interesse an Wein und ärgerte sich jedes Mal, wenn sie mit den Eltern und Großeltern zur Arbeit in die Weinberge gehen musste. „Aber Wein war immer präsent in unserem Leben“, fügt sie an, „und du ziehst automatisch mit“. Irgendwann fing sie Feuer und studierte Agrarwissenschaften, ein Studiengang, der bereits das Fach Önologie beinhaltete.
Zuerst arbeitete Nuria für eine Kooperative in Terra Alta. Sie war dort sowohl in der Weinbereitung als auch im Vertrieb involviert. Auf einer Geschäftsreise lernte sie in London Rafael de Haan kennen, der im Weinexport tätig war. An diesem Punkt überspringen wir einige Jahre: Heute hat das Paar zwei Kinder im Alter von 13 und 11 Jahren, und sie haben 2010 Herència Altés gegründet.
Alte Reben, viel Garnacha Blanca und biologischer Anbau
Anfangs kelterten Nuria und Rafael vier Weine aus den Sorten Garnacha Blanca, Garnacha Tinta, Syrah und Cariñena. Die Trauben bezogen sie aus Weinbergen, die Nurias Familie gehören. Dann, im Jahr 2013, erstand das Paar den ersten eigenen Weinberg: die 21 Hektar große Lage La Serra. Lassen wir die beiden am besten selbst zu Wort kommen:
„La Serra ist eine Lage mit vielen kleinen Parzellen und mit über 100 Jahre alten Reben. Als wir ihn kauften, war der Weinberg in einem schlechten Zustand. Wir mussten viel Pflege in diese Lage stecken und haben sogleich auf biologischen Anbau umgestellt. Es benötigte Zeit, um die Böden wieder zu vitalisieren. Zuerst hatten wir Erträge von 750 kg je Hektar. Heute liegen wir bei etwa 1150 kg, weil wir die Reben zurück in einen besseren Zustand bringen.
Eine Besonderheit des Anbaugebiets Terra Alta sind die großen Vorkommen der Rebsorte Garnacha Blanca. Ein Drittel der weltweiten Anbaufläche dieser weißen Traube befindet sich in der Region. Auf stolze acht Hektar mit Garnacha-Blanca-Reben kommt allein die besagte Lage La Serra. Das Decanter-Magazin hat den Weißwein, den Herència Altés hieraus gewinnen, als „beste Garnacha Blanca Spaniens“ ausgezeichnet. Jener 2018 La Serra Blanc (32 Euro) ist ein mächtiger und komplexer Wein, dem eine burgundische Dimension anhaftet. Mein Schwiegervater ist beim Abendessen aufrichtig begeistert und sagt, das sei „spektakulär“. So ein Wort verwendet er höchstselten.
Wein ist auch Geschmacksache, und persönlich gefällt mir 2019 Benufet (14,90 Euro) noch besser. Dies ist ebenfalls eine sortenreine Garnacha Blanca, die Herència Altés einzig in Zementtanks ausbauen. Im Ergebnis kommt ein direkter, geradliniger Weißwein mit viel Spannung, Grip und Länge daher. Das ist straff und kompakt, das wirkt klar, zwingend und nobel. Dieser Weißwein – wie soll ich sagen? – zieht sich ganz schnell weg. Mit jedem Schluck bekommt man mehr Lust. Aufgrund der knackigen Frische hat er für mich einen atlantischen Charakter. Bei einer Blindverkostung könnte man ihn fast für einen Godello aus Galicien halten. Das ist richtig interessant und großartig.
It’s the freshness, stupid!
Allein wegen der starken Präsenz der raren Garnacha Blanca und der noch viel rareren Rotweintraube Garnacha Peluda (dazu später mehr) ist Terra Alta ein spannendes Weingebiet. Gibt es darüber hinaus Faktoren, die das Terroir speziell machen, Nuria und Rafael? Die Antworten bitte der Reihe nach: Ladies first, dann der Herr.
„Für mich machen Lehm und Kalk das Terroir von Terra Alta aus. Die Böden sind wirklich faszinierend, sie haben ganz unterschiedliche Texturen. Es kommt sogar im selben Weinberg vor, dass manche Bereiche viel mehr Kalk- und andere wiederum viel mehr Lehmanteil besitzen. Außerdem gibt es einen spezifischen sandigen Boden, den wir ‚Panal‘ nennen: Der Sand kommt aus der Sahara und wurde über Jahrmillionen vom Wind übers Mittelmeer getragen.
„Wichtig sind ferner die Winde in Terra Alta: Der ‚Cierzo‘ aus dem Norden ist ein trockener Wind, der vor Krankheiten im Weinberg schützt. Und ‚Garbi‘ ist ein feuchter Wind vom Mittelmeer, der die Frische im Weinberg erhält. Nachts bekommen wir niedrige Temperaturen dank dieser Winde. Ohne sie, wäre es kaum möglich den frischen Weinstil, den wir anstreben, zu erhalten.
Die Frische und Eleganz in allen Weinen von Herència Altés finde ich wirklich beeindruckend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Terra Alta die südlichste und trockenste Weinregion in Katalonien ist. Im Durchschnitt fallen dürftige 350 mm Regen im Jahr, und die schwül-heiße Mittelmeerküste ist nur fünfzig Kilometer entfernt.
Es hilft freilich, dass die besten Weinberge von Herència Altés auf 400 bis 550 Metern Meereshöhe liegen. Dies trägt zur nächtlichen Abkühlung bei. Trotzdem verhält es sich nicht zwingend so, dass die Winde und relative Höhenlage automatisch frische Weine ergeben. Ich kenne so manche Gewächse aus Terra Alta, die unfrisch, überreif und zu schwer daherkommen. Welche Rolle kommt denn den Weinmachern zu, wenn wir von Frische und Eleganz im Wein sprechen?
„Im Weinberg geht es für uns darum, die richtige Balance aus Reife und Säure zu erhalten. Wir ernten jedes Jahr früher. Früher, als die meisten Kollegen in der Region. Im Keller pressen wir die Trauben mit den Stielen. Das bedeutet doppelt so viel Arbeit, weil in unsere Presse 2,5-mal mehr entrappte Beeren passen würden als Ganztrauben. Außerdem benutzen wir nur den Vorlaufmost. Somit erhalten wir den besten Saft, der am wenigsten Schalenkontakt hat.
Rafael und Nuria erzählen, dass ihre Art der Weißweinbereitung auf eine Begegnung mit einem französischen Winzerkollegen im Jahr 2014 zurückgeht. Er gab ihnen Tipps, wie sie Frische und Eleganz in mediterranen Weißweinen erhalten. Mitunter kann die Garnacha Blanca recht üppig und schwer ausfallen, mit vielen Bitterstoffen und Tanninen. Rafael und Nuria suchen freilich nach einer feineren, eleganteren Stilistik. Zudem ist ihnen wichtig, dass die Primäraromatik im Wein zum Ausdruck kommt.
Vortrefflich gelingt dies bereits mit der sortenreinen 2019 Garnatxa Blanca (8,90 Euro), ein saftig-frischer und astrein balancierter Weißwein. Das vielbeschworene Preis-Genuss-Verhältnis ist bei diesem Gewächs ganz hervorragend. Ebenfalls tiptop sind die weiteren „Einstiegsweine“ von Herència Altés: Konkret sind das ein Rosé- und ein Rotwein, jeweils aus Garnacha Tinta. Auch sie bieten viel Wein für schmales Geld.
Herència Altés – großes Garnacha-Kino
Ich hatte Herència Altés übrigens schon längere Zeit auf dem Radar: Martin Müller von Vino & Alma gab mir einmal zwei Weine zum Probieren mit. Neulich stand ich dann in Kontakt mit Christian Zeter, dem deutschen Importeur des Weinguts. Er hat eine Mustersendung mit allen Garnacha-Weinen von Herència Altés veranlasst. Genauer gesagt, sind es vier Garnacha Blanca, vier Garnacha Tinta und eine Garnacha Peluda, die ich in den letzten zwei Wochen getrunken habe.
Zu einem Grillabend – wieder mit Schwiegervater – öffnete ich 2017 La Pilosa (17,90 Euro). Dieser helle, transparente Rotwein wird aus Garnacha Peluda gewonnen, eine Rebsorte, die eine Mutation der Garnacha Tinta ist. Sie wird in ganz Spanien nur auf ein paar hundert Hektar angebaut. “Peluda” bedeutet Haar, und die Traube heißt so, weil die Unterseite ihrer Blätter behaart ist. Im Vergleich zur Garnacha Tinta produzieren die Beeren der Garnacha Peluda außerdem etwas weniger Zucker und mehr Säure.
Um jenen 2017er La Pilosa zu beschreiben, fallen mir viele Wörter ein: Säure, Balance, Finesse, Tiefe, Zug, Präsenz, Länge. Der Wein wird mit Luftkontakt besser, und dann ist es beeindruckend, wie klar und reintönig er ist. Ich mag diesen frischen und direkten Weinstil ungemein, da ist nichts kitschiges oder übertriebenes zu spüren.
Auch der grandiose Lagenwein 2017 La Xalamera (28,50 Euro) aus Garnacha Tinta musste am selben Abend dran glauben. Dieser Rotwein ist großes Garnacha-Kino. Welch verführerischer Duft in der Nase, was für eine Eleganz am Gaumen! Ich verfalle kurz in die Comic-Sprache und sage einfach: WAUWWWWW.
Generell haben alle Rotweine von Herència Altés so gar nichts Schweres und Überreifes an sich. Es sind nicht die typisch mediterranen Garnachas mit viel Kraft und Farbe. Wie bekommen Nuria und Rafael das hin? Was macht die Stilistik ihrer Rotweine aus?
„Garnacha ist gerade trendy. Auch erwarten die Leute heute etwas anderes von dieser Sorte als vor fünf Jahren. Das kommt uns zugute, weil wir stets den frischeren Garnacha-Stil gesucht haben. Der allgemeine Geschmack geht in diese Richtung, wo wir schon immer waren. Unser Ziel ist Eleganz und Frische. Dafür setzen wir auf so wenig Extraktion wie möglich. Wir machen uns keine Gedanken über die Farbe des Weins. Wenn der Rotwein hell und transparent ist, dann ist das okay für uns.
Bevorzugt arbeiten Nuria Altés und Rafael de Haan mit österreichischen Stockinger-Fudern und Zementtanks. Damit liegen sie ganz auf Linie, was bei der jungen spanischen Winzergeneration angesagt ist: Der Trend geht weg von den kleinen Barriques, weg von den Holzaromen. Stattdessen tritt die Idee des unverfälschten Ausdrucks von Terroir und Primäraromatik in den Vordergrund.
Mit sechzig Hektar Rebfläche und einer Produktion von etwa 200.000 Flaschen im Jahr sind Herència Altés zwar kein kleines Weingut, doch die Philosophie geht eindeutig in eine handwerkliche Richtung: Den Fokus richten Nuria und Rafael auf biologische Arbeit im Weinberg und auf alte Reben mit niedrigen Erträgen. Im Keller setzen sie auf Spontanvergärung und nehmen insgesamt wenige Eingriffe bei der Weinbereitung vor. Genau so sieht das neue Spanien aus: weniger Industrie, mehr Handwerk.
Ein oxidativ ausgebauter Orange Wine
Ein Merkmal der neuen spanischen Weinszene liegt ferner in der Rückbesinnung auf lokale und regionale Weintraditionen. Beispielsweise erfahren autochthone Rebsorten, die fast schon ausgestorben waren, überall in Spanien ein Comeback. Lesen Sie dazu gerne meine fortlaufende Beitragsreihe Support your local grape.
Hinzu kommt die Wiederentdeckung und Wertschätzung traditioneller Weine und Weinstile, und in diese Kategorie fällt der 2016 Trementinaire (23,90 Euro) aus Garnacha Blanca. Es handelt sich um einen mit Schalenkontakt vergorenen Orange Wine, der für zwei Jahre oxidativ in gebrauchten 300-l-Holzfässern ausgebaut wird. Beim Trinken dieses wunderbaren Weins kommt mir Jerez in den Sinn. Mich erinnert das an die leichte Version eines Amontillado. Aber wieso hat jemand im 900 Kilometer entfernten Katalonien die Idee einen solchen Wein zu machen, Nuria?
„Diese Art von Wein hat eine lange Tradition in Terra Alta. Unsere Vorfahren haben alle Trauben stets auf den Schalen vergoren und in Holzfässern ausgebaut. In Terra Alta heißt dieser Wein ‚Brisat‘. Wir haben die Tradition quasi übernommen, nur dass wir es heute in einer ausgeklügelteren und eleganteren Art machen als die Leute früher.
Trementinaire, erzählt Nuria, hießen die Frauen, die früher in die Berge gingen, um Heilkräuter zu sammeln. Dieser Weinname passt, finde ich, weil 2016 Trementinaire eine noble kräuterige Aromatik hat und sich außerdem superelegant im Mund anfühlt. Auch auf die Gefahr hin, dass ich zu viele Superlative bemühe: Die Weine von Herència Altés ergeben ein famoses Gesamtbild. Frische, Eleganz und Klarheit – Worte, die in diesem Beitrag häufig gefallen sind – ziehen sich als Leitmotiv durchs ganze Sortiment.
Blick in die Zukunft
Herència Altés gehören zu den Top-3-Produzenten in Terra Alta. Seit 2010 sind Nuria Altés und Rafael de Haan einen erstaunlichen Weg gegangen. Sie haben das Weingut Schritt für Schritt vergrößert, die Qualitäten stetig verbessert und ihre Stilistik verfeinert. Was ich im Glas habe, sind durch die Bank Spitzenweine in ihrem jeweiligen Preissegment, die weltweit exportiert werden. Wenn man so viel in relativ kurzer Zeit erreicht, hat man dann noch Träume? Wo wollen die beiden in zehn Jahren sein?
„Das Wichtigste ist, dass wir auch in zehn Jahren glücklich mit unserer Arbeit und unserem Leben sind. Die letzten zwei Jahre waren nicht einfach für uns als Weinmacher. Aktuell beschäftigt uns COVID-19, davor bereits die US-Strafzölle auf spanischen Wein, und dann schwelt da noch der Katalonien-Konflikt. All das sind Hürden, die wir zu nehmen haben. Es wäre schön, wenn die nächsten zehn Jahre diesbezüglich ruhiger verlaufen. Am liebsten würden wir uns noch mehr in den Weinbergen aufhalten und zusammen mit unserm Team sein.
Die Zeiten, da müssen wir uns nichts vormachen, sind gewiss nicht die Leichtesten. Beim Schreiben dieses Texts, als es um die Erde und Winde in Terra Alta ging, kam mir auf einmal ein Song in den Sinn, der mich herausgeholt hat aus dem September-Blues. Let’s be funky, instead …
Weitere Informationen
Bezugsquelle, u. a.: www.vinoalma.de
Beitragsfotos 1 bis 5: Mit freundlicher Genehmigung von © Herència Altés
Wirklich ein interessanter Bericht und ich kann auch alles unterschreiben, was über die Weine gesagt ist. Die Wahrheit ist aber auch, dass die neue Bodega (ebenso wie etliche andere in Spanien) ein Muster an kühler Modernität und eine seelenlose Stätte von Business ist.
Ich erinnere mich noch gut an die alte Bodega hinter einem Holztor in einem verschlafenen kleinen Ort. Die Stille, der Wind und das kleine Cafe im Dorf mit den abgearbeiteten Senioren erinnerten daran, dass Weinbau schon immer ein beharrlicher Kampf war. Wie belebend war der Enthusiasmus der jungen Mitarbeiter, die für dieses tolle Projekt arbeiteten. Das ließ einen auch über die Plastiksäcke mit Holzchips hinwegsehen. Wer eine Barrique-Version des formidablen Granatxa Negra brauchte, dem war eh nicht zu helfen.
Das wird hier (wie an anderen Orten) nie wieder kommen. Also, lieber Aficionado, kaufe deinen Herencia Altes in Deutschland und nutze deine Reisen in die Terra Alta für andere Entdeckungen. Wir haben sie gemacht, aber jetzt wissen wir nicht mehr, ob Teilen nicht auch Zerstören bedeutet.
Gut, für alle die gerne suchen: 20 km weiter gibt es eine kleine Kooperative, die die Kunst des Garnatxa Blanca mindestens genauso gut beherrscht.