Die letzten zwei Monate war ich in acht spanischen Anbaugebieten unterwegs und bin dabei in die entlegensten Ecken des Landes gelangt. Für ein paar Tage habe ich den Weinberg gegen die Großstadt eingetauscht, um in Madrid unter anderem den Salón Grandes Blancos de España zu besuchen. Wie der Name bereits sagt, geht es bei diesem Event einzig um Weißweine. Spanien hat in dieser Hinsicht deutlich mehr zu bieten, als es der durchschnittliche deutsche Weintrinker glauben mag.
Der Corona-Situation geschuldet, gab es zweistündige Zeitfenster für die Fachbesucher. Das Publikum wurde so auf mehrere Intervalle verteilt, damit der Andrang an den Tischen nicht allzu groß ausfällt. Ich checkte von 13 bis 15 Uhr ein und hatte mir ein straffes Programm auferlegt. Das Feld an renommierten Erzeugern war beachtlich, da wollte ich so viel wie möglich verkosten. Am Ende waren es über fünfzig Weine. Nach einer 18-monatigen Pause – Veranstaltungen dieser Art betreffend – machte es richtig Spass sich in den „Verkostungstrubel“ zu stürzen. Auf ein paar Gewächse, die mir im Nachhinein besonders hängen geblieben sind, gehe ich im Folgenden ein.
Trockene PX aus Málaga und Cordoba
Andalusien ist meine Wahlheimat und in Sachen Weißwein für mich ein Paradies. Eine gute Bekannte ist Winzerin Victoria Ordóñez. Ich treffe sie häufig in Málaga, wo sich ihr Weingut befindet, und dieses Mal nun auf dem Salon in Madrid. Victoria hatte den frisch abgefüllten Jahrgang 2019 von Voladeros mit dabei, ein trocken ausgebautes Gewächs aus der Sorte Pedro Ximénez. Ihre Reben in den Bergen von Málaga sind über 100 Jahre alt und ergeben niedrigste Erträge von im Schnitt 900 kg/ha. Die Parzellen liegen auf 800 bis 1000 Metern Höhe. Voladeros ist also ein echter Mountain Wine und stellt im Ergebnis nicht nur die Spitze dar, welche die PX-Traube zu bieten hat, sondern gehört für mich generell zu den zehn besten Weißweinen Spaniens. Seine Intensität und Eleganz sind schlichtweg ergreifend. Dabei ist die PX keine hocharomatische Sorte wie etwa Riesling, vielmehr kommt Voladeros mit erdiger Mineralität und kräuterigen Aromen daher, und er entwickelt viel Druck am Gaumen. Ein großartiger Gastrowein.
Den ersten Platz bezüglich PX teil sich Victoria mit der ruhmreichen Bodegas Alvear aus dem Anbaugebiet DO Montilla-Moriles in der Provinz Cordoba. Jenes Weingut, 1729 gegründet, wird mittlerweile in achter Familiengeneration geführt. Ausgesprochen spannend sind die fünf Weine der Linie „3 Miradas“. Alle aus PX gekeltert, entstanden sie ursprünglich aus einer Kooperation von Alvear mit den neuen spanischen Weinstars Envinate. Nun hat niemand Geringerer als Ramiro Ibáñez (Cota 45) das Ruder übernommen und die Weinbereitung verändert – nicht mehr in Zementamphoren wie unter Envinate, sonder in Sherry-Fässern (Botas). Auf dem Weinsalon probiere ich die neuen Jahrgänge aller fünf 3-Miradas-Weine. Sie geben ein ganz starkes Gesamtbild ab. Hervorzuheben ist Tres Miradas Cerro Macho 2019. Die Trauben kommen von einem 1950 angelegten Weinberg. Er liegt auf 610 Metern Höhe und verfügt über die im Gebiet typischen Albariza-Kalkböden. Der Wein reift 18 Monate unter Florhefe, ist präzise und geradlinig, hat eine enorm straffe Säure, ein salzig-mineralisches Profil und viel Persönlichkeit. Nicht gespritet (anders als die Finos aus Jerez), liegt er nur bei 13,5% Alkoholgehalt. Große Klasse, wenngleich kein Stoff für Anfänger.
Großes Albariño-Kino von Pazo de Señorans
Natürlich kommen Spitzen-Weißweine auch von der quasi entgegengesetzten Seite des Landes, sprich vom galicischen Atlantik. Ein weltbekannter Name ist Marques de Murrieta, vor allem für Weine aus Rioja. Das Weingut hat mit Pazo Barrantes aber auch einen Ableger im Anbaugebiet DO Rías Baixas. Zweifellos sind dessen Albariños wie Pazo Barrantes 2019 und La Comtesse 2017 von sehr hoher Qualität; so wirklich vom Hocker hauen sie mich – wie auch die vorigen Jahrgänge – allerdings nicht. Mir ist der Barrantes-Stil ein bisschen zu cremig, ein Tick zu verspielt und im Falle von La Comtesse etwas zu holzig (obwohl der Wein in großen 3000-l-Fudern ausgebaut wird). Das mag Jammern auf hohem Niveau sein, jedoch kosten besagte Weine mit 35 bzw. 53 Euro schon ein klein wenig Geld. Und für diesen Preis (oder weniger) kann man in Rías Baixas einige wunderbare Alternativen finden.
Im Vergleich sagen mir die Albariños von Pazo de Señorans mehr zu. Sie sind klarer im Profil und schnörkelloser und trotzdem tiefgründig und komplex. Generell einer der besten Albariños ist Selección de Añada, im Salon wurde der Jg. 2012 präsentiert. Weinmacherin Berta Garcia baute ihn fast acht Jahre im Stahltank aus, davon liegt er mindestens drei Jahre auf der Hefe. Der Wein hat null Oxidationsnoten, ist topfrisch und wirkt fast noch jugendlich. Nochmals eine Steigerung bietet Tras Los Muros 2018. „This is serious stuff“, würden Briten sagen: ein moderner geradliniger Stil; dezent stinkige reduktive Noten; insgesamt eine enorm verführerische Nase; am Gaumen mit Grip und viel Zug nach hinten raus. Kein typischer Albariño und hochinteressant. Dass Tras Los Muros über knackige Säure und Mineralität verfügt, erübrigt sich zu sagen.
Top-Stoff aus der Rioja
Den teuersten Weißwein Spaniens keltert übrigens das zuvor erwähnte Weingut Marques de Murrieta. Hierbei handelt es sich um ein Gewächs aus der DOCa Rioja. Die Castillo Ygay Blanco Gran Reserva Especial (aktueller Jahrgang 1986) kommt im Handel auf 700 bis 800 Euro. Die hatten sie freilich nicht mit auf den Salon nach Madrid gebracht. Stattdessen probierte ich Capellania 2016 (ca. 35 Euro), der mir ebenfalls etwas zu holzig erschien. Gut möglich, dass sich das mit ein paar Jahren Flaschenreife schön ausbalanciert, aber Stand jetzt, hatte Rioja bessere Kaliber zu bieten.
Eines davon ist Montes Obarenes 2017 von Gómez Cruzado, ein Weingut, das sich im legendären Eisenbahnviertel von Haro befindet. Wenngleich nicht so berühmt wie seine Nachbarn Tondonia, CVNE und Muga, gehört es doch zu den Traditionshäusern im Anbaugebiet. Montes Obarenes ist ein Blend aus 75% Viura (Macabeo) und Tempranillo Blanco, die aus einer natürlichen Mutation der roten Tempranillo hervorging. Typisch für die klassischen Weißweine der Rioja findet die Weinbereitung in Barrique statt. Eher untypisch wird ein kleinerer Teil des Weins (20%) in Zementtanks vergoren und ausgebaut. Das Resultat ist beeindruckend: Der Wein hat eine erstklassige Balance, ist elegant und lang im Abgang. Das Holz ist hervorragend eingebunden und die Aromatik komplex. Fabelhaft.
Der Sieger des Weinsalons in Bezug auf das Preis-Genuss-Verhältnis war für mich Valenciso Fermentado en Barrica 2018. Der Weingutsname Valenciso entsteht aus der Verknüpfung der Inhabernamen Luis Valentin und Carmen Enciso. Sie gründeten ihre Bodega im Jahr 1998 in Rioja Alta. Besagten Weißwein keltern sie aus Viura (70%) und Garnacha Blanca. Die Trauben erhalten sie aus Weinbergen auf etwa 600 Metern Höhe. Die gesamte Weinbereitung findet in Barriques aus kaukasischer Eiche statt, aber keine Angst, das Holz ist tiptop integriert. Auch dies ist ein aromatisch komplexer Wein mit floralen, würzigen und weißfruchtigen Aromen, dazu mit eleganter cremiger Textur und großartiger Frische.
Es gab selbstverständlich weitere beachtliche Weine, wie zum Beispiel den Verdejo Quintaluna 2019 von Ossian. Dieses Weingut verfügt in der Provinz Segovia über einen beeindruckenden Bestand an Weinbergen aus Vor-Reblauszeiten (über 60 Hektar). Oder die beiden Reserva Blanco 2008 und 2012 von Remírez de Ganuza, einem sehr bekannten Namen aus Rioja Alavesa. Ich will es an dieser Stelle nun aber mit dem Bericht über den Salón Grandes Blancos de España belassen und stattdessen auf ein weiteres Tasting in Madrid eingehen. Lesen Sie gerne weiter.
Neue Entdeckungen mit Aitor bei Lavinia
Während auf dem Salon Grandes Blancos die bekannten Namen zu finden waren, hatte ich tags darauf eine Degustation mit Weinen, von denen zumindest einige unterm Radar fliegen. Ich besuchte den Weindistributor Lavinia und traf dort Sommelier Aitor Paul. Ich kenne Aitor seit April diesen Jahres, als ich ihn in seinem Weingut A Pie de Tierra besuchte. Den Namen sollte man sich merken. Aitor und sein Freund David Villamiel keltern im Vorland der Gredos-Berge zwei Rotweine aus Garnacha. Ihr erster Jahrgang war 2017 und für ihren 2018er erhielten sie bereits 93 bzw. 92 Parker-Punkte. Das ist mehr als beachtlich für so ein junges Projekt, das noch in der Entwicklung steckt.
Jedenfalls arbeitet Aitor auch für Lavinia, so wie früher übrigens Fernando García von Comando G. Ein kurzer Hinweis, falls Sie einmal Madrid besuchen sollten: Lavinia ist nicht nur ein Distributor von Weinen, sondern betreibt ebenfalls ein Weingeschäft, in dessen oberer Etage sich eine Weinbar und Restaurant befinden.
Aitor hatte eine Degustation mit 12 Weinen aus dem Sortiment von Lavinia vorbereitet, von denen ich nur drei kannte. Für mich war es spannend, neue Namen kennenzulernen. Ein solcher ist Recuero & Co. Es ist das Projekt des Winzers Jesús Recuero. Er hat Weinberge nahe Toledo (Kastilien-La Mancha) und in der Sierra de Gata (Extremadura), die er biodynamisch bearbeitet. Außerdem setzt er auf lokale Rebsorten. Aus der weißen Traube Malvar keltert er Mélangé Bajo Velo 2016. Der Wein reift in Amphoren unter Florhefe und zeigt die für diese Ausbauart typischen Mandelaromen. Ebenfalls ein Weißwein ist Calambur 2017. Jesús erzeugt ihn aus der Rebsorte Pardilla. Dieser Wein hat Aromen von Trockenblumen, Frucht ist quasi nicht vorhanden. Beides sind ungewöhnliche Weine, auch herausfordernd. Ich mag solche Gewächse, die sich nicht an Konventionen halten und den Pfad üblicher Geschmacksmuster verlassen.
Wir probierten vier klasse Rotweine von Akilia (Bierzo), Alvar de Dios (Toro und Arribes) und Albamar (Rías Baixas). Einerseits kommen sie aus unterschiedlichen Gebieten und sind aus dortigen lokalen Rebsorten gekeltert. Entsprechend haben diese Weine eine ganz eigene Persönlichkeit. Andererseits haben sie doch auch eine Sache gemein: Es sind frische, hellfarbene und schlanke Rotweine, die nicht holzig schmecken, die gut strukturiert sind (ohne von Tannin dominiert zu sein) und die nicht schwer, sprich leicht daherkommen. In Szenekreisen hat der dunkelfruchtige, alkoholische Holzbock wirklich ausgedient. Die meisten Weintrinker mögen Spanien mit solchen Rotweinen verbinden, aber die spanische Avantgarde geht in die komplett entgegengesetzte Richtung.
Zurück zum Weißwein und einem meiner Lieblingsthemen: Verdejo und Rueda. Ausgezeichnet finde ich den sortenreinen Verdejo Amarre Salvaje 2014 von Bodegas Vidal Soblechero. Dieses Gewächs ist nicht so übertrieben fruchtig und gefällig, wie es geschätzt mehr als 90% der Verdejos aus der DO Rueda sind. Vielmehr definiert es sich durch griffige Textur, Länge, Frische und Mineralität. Der von uns verkostete 2014er-Jahrgang erschien noch unter der Herkunftsangabe „Vino de la Tierra Castilla y León“, also als Landwein. Die neueren Jahrgänge dieses kleinen Familienweinguts gelangen mit der Herkunft DO Rueda in den Handel, was mich sehr freut, denn bei all dem Mainstream steht der DO Rueda mehr Individualität gut zu Gesicht. Ich werde dieses Weingut im Auge behalten und bald jüngere Jahrgänge ihrer Verdejos probieren.
Das Geburtstagstasting – fünf Jahre Spaniens Weinwelten
Last, but not least komme ich zum Jubiläumstasting. Vor fünf Jahren habe ich den ersten von mittlerweile 230 Blogs auf Spaniens Weinwelten publiziert. Darüber hinaus schrieb ich 105 weitere Artikel für Magazine wie Weinkenner, Wein+Markt, Connect.Insider und Vino&Alma. Warum also nicht einmal ein Wochenende lang feiern?, dachte ich mir, und organisierte zwei Weinproben mit Freunden.
Der allererste Blogbeitrag vom Oktober 2016 handelt von einer Degustation mit deutschen und spanischen Weinen. Das war ein Fest mit den Familien López, Medina und Mulet aus Granada, Madrid und Sevilla. Auf den Tag genau fünf Jahre später, lud ich meine Freunde wieder ein, diesmal zu einem Blind-Tasting mit acht spanischen Weinen, die sie bewerten sollten. Die zwei Siegerweine kamen tatsächlich aus der DO Valencia: Casalabor 2018 (100% Arcos) von Rafael Cambra und Caliza 2018 (100% Monastrell) von Casa Los Frailes. Beide Weingüter habe ich kürzlich in der Provinz Valencia besucht, sie werden bald Thema in einem eigenen Beitrag sein.
Wenn Sie es bis hierhin geschafft haben, dann dürften Sie ein gesteigertes Interesse für spanische Weine und diesen Blog haben. Wer liest sonst schon einen ellenlangen Text über Tastings in Madrid? Ist ja zugegeben nicht so ein sexy Thema, und von Crime auch keine Spur. Mich freut Ihr Interesse natürlich total, zum Glück bin ich nicht der einzige Weinverrückte. Das Schreiben bereitet mir Spass, wäre ohne Leserinnen und Leser wie Sie aber wertlos. Deshalb bedanke ich mich sehr herzlich für alle Klicks, Kommentare, E-Mails und Anrufe der letzten fünf Jahre und ebenso für wohlwollendes Schweigen. Cheers, Salud und Prost an Sie Alle! Die Reise durch Spanien geht weiter. Ich freue mich auf unsere nächsten fünf gemeinsamen Jahre.