Die Rückkehr der Tonamphore

Amphoren, alt, Verum

Tonamphoren dienten bereits vor Tausenden von Jahren zur Herstellung, Lagerung und dem Transport von Wein. Mit dem Aufkommen modernerer Behälter, zuerst dem Beton- und später dem Edelstahltank, verschwanden sie in der Versenkung. Nun ist in Spanien – und nicht nur dort – wieder eine wachsende Bewegung zu beobachten, bei der sich Top-Erzeuger dem alten Gefäß zuwenden. Man kann durchaus von einem Trend im Kleinen sprechen. Acht klasse Weine stelle ich in diesem Beitrag vor.


Im Frühjahr 2021 grub das Weingut Verum in Tomelloso in Kastilien-La Mancha einen unterirdischen Weinkeller aus dem 19. Jahrhundert aus. Man rechnet damit, dass sich über 2.000 solcher Keller, die früher zur Weinherstellung und -lagerung dienten, unter der Kleinstadt befinden. In der freigelegten Höhle befanden sich mehrere Tonamphoren, von denen acht unversehrt geborgen und anschließend gereinigt wurden und nun bei Bodegas Verum bei der Weinbereitung im Einsatz sind.

Eine mehrere hundert Jahre alte Tonamphore wird in Tomelloso von Bodegas Verum geborgen.
Eine mehrere hundert Jahre alte Tonamphore wird in Tomelloso von Bodegas Verum geborgen. (Foto + Titelbild oben: © Joaquín Parra)

So spektakulär die Bilder von der Bergung der Tongefäße sein mögen, Bodegas Verum ist kein Einzelfall. Die Tonamphore (spanisch: Tinaja de Barro) hat sich inzwischen weit über die reine Naturweinszene hinaus etabliert. Bei Weingutsbesuchen in Spanien stoße ich immer häufiger auf Amphoren. Sie stehen oder liegen nicht mehr nur am Eingangstor zur Zierde, sondern kommen tatsächlich im Weinkeller zum Einsatz. Für dieses Comeback sind aus meiner Sicht vor allem zwei Gründe verantwortlich:

1. Die Besinnung auf lokale Traditionen ergibt Weine mit Identität

Die Modernisierung des spanischen Weinbaus in den 1990er-Jahren war vor allem technisch getrieben, sagen mir Leute, die diese Zeit in Spanien miterlebten. Nach dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 1986 floss viel Geld aus Brüssel in die Weinindustrie und die Kellereien erhielten modernste Ausstattungen. Spanien konnte in dieser Zeit die Qualität in der Breite deutlich verbessern: Die meisten Weine wurden sauber und gut vinifiziert. Vielerorts gingen bei dieser technischen Modernisierung aber lokale Traditionen und Charakter verloren. Dem Aufstieg des spanischen Weins – die Exportzahlen gingen ab den 1990ern steil nach oben – tat dies keinen Abbruch.

Heutzutage genügt es jedoch nicht mehr, dass ein Wein gut und sauber gemacht ist, denn das sind praktisch alle. Selbst 3-Euro-Weine aus dem Supermarkt sind selten fehlerhaft. Worum es heute außerdem geht, ist Charakter. Ein Wein sollte den Ort, von dem er kommt, repräsentieren. Erst dies hebt ihn von den gesichtslosen und uniformen Massenweinen ab. Insbesondere in den autonomen Gemeinschaften Kastilien-La Mancha, Extremadura und Valencia ist die Tonamphore ein traditionelles Behältnis, die über viele Jahrhunderte die Weinbereitung prägte. Diese Regionen verfügen über reichlich rote Erde, sprich Lehmböden, aus denen man früher Tonamphoren anfertigte. Für dortige Winzer bietet sich der Gebrauch von Amphoren geradezu an, um ihren Gewächsen wieder mehr Lokalkolorit und somit Identität zu verleihen.

In die Erde gelassene Tonamphoren bei Celler del Roure im Anbaugebiet Valencia.
In die Erde gelassene Tonamphoren bei Celler del Roure im Anbaugebiet Valencia. (Foto: © Celler del Roure)

Darüber hinaus erzählen mir jüngere Winzer und Winzerinnen, dass sie den Ansatz ihrer Eltern – denen sie die Einführung von Pflanzenschutzmitteln, Kunstdüngern, Maschinen, Reinzuchthefen, etc. zuschreiben – ablehnen und sich stattdessen am Weinbau und der Weinbereitung ihrer Großeltern und Urgroßeltern orientieren. Diesbezüglich erscheint die Hinwendung zum traditionellen Ton (und ebenso zu Beton) folgerichtig.

2. Tonamphore = Weine von Klarheit und Reinheit

Das Comeback der Tonamphore auf reines Traditions- und Ortsbewusstsein zurückzuführen, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Neulich traf ich etwa den Winzer Javier Arizcuren in der Rioja. Aus der Rebsorte Mazuelo (Cariñena) keltert er einen Rotwein, den er in Tonamphoren ausbaut. Die Traube, erklärt Arizcuren, sei eine reduktive Sorte, die zudem über viel Tannin verfüge. Der Mazuelo benötige deshalb eine gewisse Sauerstoffzufuhr bei der Weinbereitung. Nicht Eichenfässer, sondern Tonamphoren sind für ihn die idealen Gefäße hierfür. Arizcuren meint, dass die Amphore – zumindest im Falle der Mazuelo – zu mehr Reinheit und Klarheit bei der Weinaromatik führt als Holzfässer.

So wie Javier Arizcuren argumentieren mittlerweile viele Winzer und Winzerinnen. Die 1980er, 1990er und 2000er-Jahre stehen ja nicht nur wie zuvor gesagt für eine technische Modernisierung der spanischen Weinkeller, sondern auch für den Ausbau in kleinen und neuen Barriquefässern, die die Weine aromatisch stark beeinflussen. Diese 225-Liter-Eichenfässer sind bei der spanischen Avantgarde völlig aus der Mode gekommen. Wer Terroir geprägte Weine erzeugen will, und darum geht es im heutigen Spanien, wird auf Behälter setzen, die weniger Eigengeschmack an den Wein abgeben. Entsprechend steigt das „junge Spanien“ mehrheitlich auf großformatige und gebrauchte Holzfässer, auf Zementtanks oder eben Tonamphoren um. Sie gelten als geschmacksneutraler und erlauben gleichzeitig eine Mikrooxidation im Ausbau. Manche Winzer bezeichnen Amphoren als „terroirfreundlicher“, da sie authentischere Weine mit weniger Make-up als jene aus den Barriquefässern hervorbrächten. Darüber hinaus sagen sie, dass Amphoren die ursprüngliche Frische der Trauben besser bewahren würden. Die Aromatik sei kühler als bei Holz.

In der Bodega Cerrón in Jumilla kommt die Tonamphore auch zum Einsatz.
In der Bodega Cerrón in Jumilla. Eins der spannendsten Weingüter des jungen Spaniens. (Foto: © Thomas Götz)

Die Tonamphore war fast, aber nie ganz verschwunden

Es gibt also verschiedene Gründe, weshalb Weingüter wieder auf die Tonamphore setzen. Manche Erzeuger haben dagegen nie aufgehört sie zu verwenden und den Versuchungen des Edelstahltanks widerstanden. Vor ein paar Jahren besuchte ich eher zufällig die Bodega de las Estrellas in der Kleinstadt Valdepeñas. Das gleichnamige D.O.-Anbaugebiet hat sich in den letzten vierzig Jahren zu einem Zentrum der Massenweinproduktion entwickelt. Einst kleine Weingüter wurden zu riesigen Betrieben, etwa Felix Solis. Sie verlegten ihre Kellerei aus der Innenstadt an den Stadtrand, wo sie regelrechte Fabriken für die industrielle Weinproduktion erbauten.

Einer der diesen Weg nicht mitging, ist Winzer Dionisio de Nova. Er blieb im Ort Valdepeñas und keltert seine Weine weiterhin in einem neun Meter tief gelegenen Keller. Vor 150 Jahren, erzählt er, existierte ein ganzes Netz solcher unterirdischer Weinkeller in Valdepeñas. Mit 10 bis 15 ºC sind die dortigen Temperaturen das ganze Jahr über konstant kühl. Die Amphoren, die Dionisio de Nova in seiner Bodega de las Estrellas bei der Weinherstellung verwendet, stammen noch aus der Gründungszeit des Familienweinguts am Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals war insbesondere das etwa 100 Kilometer entfernt liegende Villarrobledo ein Zentrum der Amphorenproduktion. Die Gegend rund um die Stadt verfügt über reichhaltige Lehmböden.

Rund 200 Jahre alte Amphoren in einem neun Meter tiefen Keller in der Bodega de las Estrellas in Valdepeñas.
Rund 200 Jahre alte Amphoren in einem neun Meter tiefen Keller in der Bodega de las Estrellas in Valdepeñas. (Foto: © Thomas Götz)

Poröser als Eiche, endlos viele Optionen

Ton ist im Rohzustand poröser und somit luftdurchlässiger als Eiche (bei der es freilich ebenfalls Unterschiede gibt. Französische Eiche ist etwa poröser als amerikanische). In früheren Jahrhunderten wurden die Tongefäße deshalb auf der Innenseite versiegelt, um zu verhindern, dass Wein (oder Wasser oder Öl) nach außen dringt. Auf der iberischen Halbinsel machte man dies häufig mit einem Gemisch aus Bienenwachs und Pinienharz, was sicher einen aromatischen Einfluss auf den Wein hatte und was heutzutage ja genau nicht mehr erwünscht ist – Stichwort unverfälschte Terroirweine.

Mittlerweile brennt man Amphoren dagegen so hart, dass eine Versiegelung nicht zwingend notwendig ist. Darüber hinaus ist das verwendete Tonmaterial reiner als zu früheren Zeiten, als man nur die lehmige Erde nahm und daraus den Ton für die Produktion der Gefäße herstellte. So manchem Ton mischt man heute sogar kontrolliert einen geringen Anteil Kies oder Sandstein unter. Seit 1793 ist etwa diese Werkstatt in der Extremadura in 10ter Familiengeneration in Produktion. Zudem existiert ein lebhafter Second-Hand-Markt für Tonamphoren. Wie bei Holzfässern gibt es demnach auch bei Amphoren eine schier unendliche Auswahl mit Variablen wie Alter, Hersteller, Größe, Form und Eigenschaften bezüglich Material und Oberflächenbeschaffenheit. Es bleibt im Ermessen des Winzers und der Winzerin, welche Art von Tonamphore sie als Geeignetste für die Herstellung ihrer Weine ansehen. Und zu den acht Weinen, die durch die Bank ausgezeichnete Speisebegleiter darstellen, kommen wir jetzt …

La Bodega de las Estrellas, Valdepeñas.
La Bodega de las Estrellas, Valdepeñas. (Foto: © Thomas Götz)

Tipps: Acht spanische Weine aus Tonamphoren

Tierra Savia – Piu Anfora Tinto 2020 – Sierra Morena de Sevilla
Großartiger Rotwein aus einem bislang weitgehend unbekannten Gebiet, der Sierra Morena im Norden der Provinz Sevilla. Diese sortenreine Garnacha erinnert stark an jene aus Gredos, so hell, fein, scheinbar leicht und wunderbar trinkig wie sie ist. Ein sauberer und reintöniger Naturwein aus über 200 Jahre alten Tonamphoren (800 bis 1500 Liter), die in der Region gefertigt wurden.

Bodegas Verum – Las Tinadas Airén de Pie Franco 2021 – La Mancha
Klasse Weißwein aus der oftmals belächelten Rebsorte Airén. Die Trauben kommen von wurzelechten Reben (rund 70 Jahre alt) in einer Einzellage auf 720 Metern Höhe. Spontanvergärung des Vorlaufmosts im Stahltank. Der Ausbau erfolgt für vier Monate in 5000-Liter-Tonamphoren und danach vier weitere Monate in Edelstahl. Frische florale Nase, geschliffene Textur und mineralisch.

Celler del Roure – Safrà 2020 – Valencia
Dem wegweisenden Weingut in Valencia gehört ein alter unterirdischer Keller mit rund 100 Tongefäßen, die in die Erde eingelassen sind (siehe Foto oben). Zwanzig dieser Amphoren sind im Einsatz, etwa für die Erzeugung dieses wunderbar schlanken, eleganten und schwungvollen Rotweins aus den lokalen Sorten Mandó und Arcos. In Spanien kostet Safrà zwölf Euro im Handel, eine bessere Preis-Leistung geht fast nicht.

Bodega Cerrón, Stratum Wines – El Cerrico 2021 – Jumilla
Einzigartiger Weißwein aus 101 Jahre alten, wurzelechten Airén-Rebstöcken. Die Spontanvergärung der Trauben erfolgt in 450-Liter-Amphoren (siehe eins der Fotos oben). Bodega Cerrón befindet sich im „La-Mancha-Teil“ der D.O. Jumilla, wo die Weinberge mit bis zu 1.000 Metern besonders hoch liegen. Dieser Weißwein ist subtil, hat Tiefgang und Power und unendlich viel Charakter.

Juanjo Cerdan, Bodega Cerrón, im 101 Jahre alten Airén-Weinberg (Foto: © Thomas Götz)

Arizcuren – Solo Mazuelo Amfora 2021 – Rioja
Die Mazuelo-Trauben für diesen saftigen, gut strukturierten und erdig-mineralischen Rotwein stammen aus einer Höhen­la­ge am Mon­te Yer­ga in Rioja Oriental. Winzer Javier Arizcuren baut den Wein zehn Monate in Tonamphoren aus. Die Mikrooxidation verleiht der gerbstoffreichen Mazuelo-Sorte mehr Balance. Ein frischer wie spannender Rotwein von großer Klarheit. So schmeckt das neue Rioja.

Esmeralda Garcia – Vayuste 2019 – Segovia
Großes Verdejo-Kino kommt von Esmeralda Garcia. Der Weißwein aus einer Einzellage mit feinsandigen Böden und mit 180 bis 220 Jahre alten Reben verfügt über vibrierende Säure, ist subtil, geradlinig und präzise und hat einen beeindruckend langen Zug. Die Winzerin presst die ganzen Trauben und vergärt den Most in einer Tonamphore. Bis zum Abfüllen bleibt der Wein in dieser Amphore auf der Vollhefe. „Je weniger ich am Wein mache, umso besser das Resultat“, sagt Esmeralda Garcia.

La Bodega de las Estrellas – Ego Amfora 2014 – Valdepeñas
Schön gereifter Rotwein aus alten Tempranillo-Reben. Der vierjährige Ausbau in der Tonamphore (siehe Fotos oben) trägt womöglich zur kühlen Erdigkeit dieses Weins bei. Dazu ist er saftig und frisch und läuft mit poliertem Tannin weich über den Gaumen. Das ist interessant und macht Freunde.

Veronica Ortega – VO Cal 2020 – Bierzo
Linearer und druckvoller Weißwein aus der Rebsorte Godello aus einer Einzellage. Extrem griffig und salzig-mineralisch am Gaumen. Das hat außergewöhnlich viel Persönlichkeit. Winzerin Veronica Ortega baut das Gewächs in einer Kombination von 800-Liter-Tonamphore und großformatigen Holzfässern aus.

Veronica Ortega, Bierzo, mit Tonamphore.
Foto: © Veronica Ortega

Nachtrag 24. Januar: Einen Tag nach diesem Beitrag erschien auch im Online-Magazine Spanish Wine Lover dieser lesenswerte Artikel über Juan Padilla, einem Hersteller von Tonamphoren im bereits erwähnten Ort Villarrobledo.

6 Kommentare

  1. Ein sehr interessanter und informativer Artikel der Freude beim Lesen bereitet. Man kann sich richtig gut vorstellen dass so ein Wein besonders und echt schmeckt!!
    Dankeschön dafür.
    Madeleine Hager

  2. Lieber Thomas,
    sehr interessanter Beitrag, dem wir voll und ganz zustimmen können. Für alle Leser: die Naturweine aus Tonamphoren des hier vorgestellten, spanischen Weingutes „La Bodega de las Estrellas“ erhalten Sie in der Weinfleck Vinothek in Memmingen oder online unter WEINFLECK.DE
    Herzliche Grüße.
    Jochen

    1. Hallo Jochen, Dankeschön. Freut mich, dass die Weine von La Bodega de las Estrellas in deinem Sortiment und somit auch in Deutschland erhältlich sind. Cheers und viele Grüße! Thomas

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