Vino de Pasto: Die Rettung von Jerez?

Bei spanischen Weißweinen denken die meisten Leute an die DO Rueda mit der Rebsorte Verdejo und die galicische DO Rias Baixas mit der Rebsorte Albariño. Doch die spannendsten Entwicklungen finden derzeit in der historisch bedeutendsten Weinregion des Landes statt: dem Marco de Jerez. Geht es nach César Saldaña, dem Präsidenten der DO Jerez-Xérès-Sherry, soll es bald sogar eine neue DO für die dortigen Weißweine geben.

Jerez war natürlich schon immer ein Weißweingebiet, denn Sherry ist im Grunde nichts anderes als ein gereifter Weißwein. Bei den trockenen Sherrys gibt es zwei Hauptstile: die biologisch unter einem Florhefeschleier gereiften Finos und Manzanillas und die oxidativ gereiften Olorosos. Daneben gibt es zwei „Zwischenstile“, den Amontillado und den Palo Cortado, die zunächst unter Florhefe und später oxidativ reifen. 

Seit 2022 gelten in der DO Jerez-Xérès-Sherry neue Regelungen, von denen drei hervorzuheben sind: Erstens müssen Sherrys nicht mehr zwingend aufgespritet werden, wenn sie die Mindestalkoholwerte von 15 Prozent für Fino und Manzanilla und 17 Prozent für Oloroso auf natürliche Weise erreichen. Zweitens müssen die Reifekeller nicht mehr im sogenannten Sherry-Dreieck liegen, also in den drei Städten Jerez de la Frontera, Sanlúcar de Barrameda oder El Puerto de Santa María. Sherrys dürfen nun auch in den Kellern anderer Gemeinden des DO-Gebietes wie Lebrija, Chipiona, Chiclana und Puerto Real ausgebaut werden. Drittens: Neben den bereits zugelassenen Rebsorten Palomino, Moscatel und PX hat der Kontrollrat auch alte Rebsorten wieder für den Anbau zugelassen, die zum Teil noch aus der Zeit vor der Reblausplage stammen. Es handelt sich um Beba, Cañocazo, Mantúo, Perruno und Vigiriega.

Vino de Pasto – Irgendwo zwischen Weißwein und Sherry

Die eigentliche Revolution in und um Jerez findet jedoch (noch) außerhalb der DO-Regularien statt, und zwar in Form des sogenannten Vino de Pasto.

Der Name leitet sich vom Verb „pastar“ ab, was so viel bedeutet wie „weiden“ oder „grasen“, wobei die Tiere so lange fressen, bis sie nicht mehr können. Derart drastisch soll es beim Weingenuss freilich nicht zugehen. Eine sinngemäße, freie Übersetzung von Vino de Pasto wäre etwa „Wein zum Essen“. Und damit ist auch schon viel über den Sinn und Charakter dieser Weine gesagt, denn sie sind wunderbare Essensbegleiter. 

Das Gleiche gilt natürlich auch für die klassischen Finos und Manzanillas, die ebenfalls Lust auf Essen machen und nach einer Speisebegleitung verlangen. Der Unterschied der Vino de Pasto besteht darin, dass sie erstens nicht aufgespritet sind und somit, zweitens, einen geringeren Alkoholgehalt haben. Die überwiegende Mehrheit der Vino de Pasto, die ich in den letzten Jahren getrunken habe, und gerade erst wieder auf der Weinmesse Vinoble, hat einen Alkoholgehalt zwischen 11 und 13 Volumenprozent. Ein dritter Punkt ist, dass zwar nicht alle, aber doch viele Vino de Pasto wie die Finos unter einem Florhefeschleier reifen, dies aber in den meisten Fällen deutlich kürzer, also einige Monate und nicht Jahre. Insofern haben die Vino de Pasto eine klare Identität, sie sind unverkennbar „Jerez“, wirken aber zugleich zeitgemäßer im Stil.

Von Atlantik und Albariza geprägte Weine

„Der Vino de Pasto ist ein Mittelding zwischen einem stillen Weißwein und einem Sherry“, sagt Ramiro Ibañez vom Weingut Cota 45 und zeigt mir auf seinem Handy das Foto einer Weinkarte aus dem Jahr 1863: In deren Angebot findet sich unter der Kategorie „Natural Sherry“, was in diesem Fall nicht aufgespritet bedeutet, auch die Subkategorie Vino de Pasto. Der Name und der Weinstil sind also nicht neu, sie sind nur im Zuge der Sherry-Industrialisierung, die in den 1980er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, in Vergessenheit geraten. Nun erlebt der Vino de Pasto ein Revival: „Die Zahl der Produzenten ist in den letzten fünf Jahren stark gestiegen“, sagt Ramiro Ibañez. „Das ist die Zukunft von Jerez. Die Leute trinken immer weniger Sherry.“

Während die meisten klassischen Sherrys eher Stil-Weine sind, die sich über die Arbeit im Keller definieren, ist es bei den Vino de Pasto vor allem auch der Terroirbezug, der sie in der spanischen Szene gerade so angesagt macht. Laut Ramiro Ibañez stammen die Vino de Pasto stets aus einer hervorragenden Weinlage. Er selbst zeigt die Feinheiten des Terroirs der Marco de Jerez eindrucksvoll in seiner Weinserie UBE auf, die aus nicht gespriteten, unter Florhefe gereiften Weißweinen aus der Rebsorte Palomino besteht. So keltert er jeweils einen Wein aus den bekannten Lagen Miraflores, Paganilla, El Carrascal und El Reventon. Die Unterschiede zwischen diesen vier Lagenweinen sind frappierend und faszinierend und ergeben sich aus der Nähe der Weinberge zum Atlantik und der Beschaffenheit der Albariza-Böden, von denen es laut Ramiro Ibañez mindestens 15 verschiedene Subtypen gibt. „Je näher wir am Atlantik sind, desto geradliniger werden die Weine“, sagt Ramiro Ibañez. „Und je weiter man ins Landesinnere kommt, desto mehr Körper bekommen sie.“ Der UBE Miraflores, sage ich immer, lässt einen mit seiner Leichtigkeit und Luftigkeit fliegen, und der UBE El Reventon holt einen mit seinem Gewicht wieder auf den Boden zurück.

Weißweine ohne Frucht, aber mit viel Geschmack

Im Profil zeichnen sich die meisten Vino de Pasto durch ihre Griffigkeit am Gaumen und ihre Textur, also ihr Mundgefühl, aus. Oft weisen sie im Abgang eine anregende salzige Mineralität auf. Es sind keine fruchtbetonten Weißweine und damit auch keine Weine für die breite Masse der Weintrinker, insbesondere in Deutschland. „Weißwein ohne Frucht geht in Deutschland gar nicht“, sagte mir Stephan Mohr, ein Leser von Spaniens Weinwelten, dem ich gerade auf der Vinoble in Jerez begegnet bin.

Insofern bin ich in meinem Weingeschmack eher untypisch deutsch, denn ich kann von diesen Weinen nicht genug bekommen. Es sind wunderbare Trinkweine, easy-drinking im Vergleich zu Fino, aber alles andere als langweilig, sondern anregend, vielschichtig und charaktervoll, mal salzig, mal kräuterig, mal leicht, mal vollmundig.

Im Folgenden stelle ich einige meiner Lieblingserzeuger aus Jerez in einer Bilderserie mit kurzen Kommentaren vor.

Spannende Erzeuger in der Marco de Jerez

Ramiro Ibañez, Cota 45, Vino de Pasto
Ramiro Ibañez, Bodegas Cota 45. Seine Weinreihe UBE ist einzigartig.
Willy Perez, mit La Escribana
Willy Pérez, Bodegas Luis Pérez. Mit El Muelle de Olaso und La Escribana hat er zwei charakterstarke Vino de Pasto im Portfolio. Letztgenannter ist aus der Lage Macharnudo.
De La Riva, Vino de Pasto 2019
De La Riva ist das gemeinsame Projekt von Ramiro Ibañez und Willy Pérez. Dieser Vino de Pasto ist „mind-blowing“. Ganz großes Kino!
Alejandro Muchada
Großes Kino sind auch die biodynamischen Einzellagenweine von Alejandro Muchada (Foto) und David Leclapart, Bodegas Muchada-Leclapart. Keine Reifung unter Florhefe.
Cortada von Primitivo Collantes
Der Palma Cortada reift sowohl unter Florhefe als auch oxidativ. Ähnelt einem Amontillado, ist aber nicht gespritet. Großartiger Stoff. Das Weingut Primitivo Collantes hat auch bemerkenswerte Weißweine bzw. Vino de Pasto im Portfolio.
Sotovelo. Spannender Vino de Pasto
Ein wundervoller, seidig-eleganter Vino de Pasto kommt auch von Sotovelo. 100 Prozent Palomino aus der Weinlage Balbaina.
Ebenfalls aus der Lage Balbaina in Sanlúcar de Barrameda ist dieser delikate und herrlich frische Weißwein vom Weingut Barrialto.

Die Rettung für Jerez?

„Die Vino de Pasto sind die Rettung für Jerez“, sagte mir ein US-amerikanischer Importeur auf der Vinoble angesichts der sinkenden Absatzzahlen von Sherry. Laut New York Times umfasste das Sherry-Gebiet in den 1980er Jahren rund 28.000 Hektar Rebfläche, heute sind es nur noch 6.000 Hektar.

Wohl auch deshalb ergänzen einige der großen und bekannten Sherry-Häuser ihr Portfolio um Weißweine, etwa Bodegas Valdespino. Ihren Weißwein „Ojo de Gallo“ gewinnen sie aus Trauben aus der Lage Macharnudo. Das Gewächs kommt nach Angaben des Weinguts bereits auf eine Produktion von rund 500.000 Flaschen pro Jahr.

Aus meiner Sicht ist es vor allem die Kombination aus den traditionellen Sherrys und den wiederbelebten Vino de Pasto, die die Region derzeit so aufregend macht. Beide profitieren voneinander und beiden gehört die Zukunft. Einige Sherry-Häuser sagen auch, dass ihre Absätze wieder steigen. Es gebe insbesondere in der Sommelier-Szene und in der Gastronomie wieder ein verstärktes Interesse an Sherry.

Vino de Pasto: Eine neue DO soll kommen!

Bei einem Fest der Vereinigung „Territorio Albariza“ am Vortag der Vinoble traf ich auch César Saldaña, den Präsidenten der DO Jerez-Xérès-Sherry. Er erzählte mir, dass eine neue DO speziell für die Vino de Pasto geplant sei. „Da das Anbaugebiet, die Rebsorten und sogar viele der Erzeuger dieselben wie bei Sherry sind, macht es Sinn, dass diese Weine unter dem Dach des selben Kontrollrats stehen“, so Saldaña.

In einem erstem Schritt soll laut dem Präsidenten das genaue Reglement für die Vino de Pasto erarbeitet werden. „Der zweite Schritt liegt darin, die neue DO in die Entscheidungsgremien der bestehenden DO Jerez-Xérès-Sherry zu integrieren“, fährt Saldaña fort. „Der dritte Schritt ist einen Namen für die neue DO zu finden.“ Saldaña hofft, dass dieser Prozess – einschließlich der Genehmigungen durch die nationalen und europäischen Behörden – im Laufe des Jahres 2026 abgeschlossen wird und die neue DO für die Vino de Pasto der Marco de Jerez rechtlich in Kraft treten kann. 

Sollte diese DO in Zukunft entstehen, wäre das Verhältnis wohl ähnlich wie in Portugal zwischen der DOC Douro und der DOC Porto, also zwei Herkunftsbezeichnungen, die sich dasselbe geografische Gebiet teilen, vom selben Kontrollrat verwaltet werden, aber für unterschiedliche Weinbereitungsverfahren und Weinstile stehen. Bisher erscheinen die Vino de Pasto aus der Marco de Jerez entweder unter der Landweinherkunft VT Cádiz oder unter der allgemeinen Angabe Vino de España.

Spannende Erzeuger in Montilla-Moriles

Geht es um Fino & Co., dann steht die DO Montilla-Moriles in der Provinz Córdoba immer ein wenig im Schatten der Sherry-Region. Dabei ist der Weinstil Amontillado sogar nach einem der namensgebenden Orte des Gebiets benannt: Das zusammengesetzte Substantiv „A-Montilla-Do“ bedeutet übersetzt „im Stil von Montilla“.

Ähnlich verhält es sich mit dem Vino de Pasto: Schaut man sich die Artikel in den einschlägigen Weinmedien an, blicken fast alle nur auf Jerez.

Es ist aber wichtig, dass wir Montilla-Moriles nicht vergessen!! Denn die dortigen Weißweine sind genauso spannend und eigenständig wie die von Jerez. Unterschiede bestehen etwa im Fokus auf die Rebsorte Pedro Ximénez (PX), im extremeren kontinentalen Klima und der Weinbereitung in Amphoren.

Im Keller beim Weingut Pérez Barquero in Montilla.

Der Fresquito Vino de Pasto von Pérez Barquero reift ein Jahr unter Florhefe in den für das Gebiet typischen Zementamphoren, anschließend ein weiteres Jahr in Holzfässern. Der Wein schlägt geschmacklich die Brücke zwischen Weißwein und Fino, hat also eine starke andalusische Identität und ist für das Weingut nebenbei auch wirtschaftlich lukrativer: So kostet zum Beispiel der zehn Jahre unter Florhefe gereifte Fino Gran Barquero beim spanischen Online-Händler Bodeboca derzeit 12,25 Euro. Der insgesamt nur zwei Jahre gereifte Fresquito Vino de Pasto dagegen 14,75 Euro.

Weitere empfehlenswerte Erzeuger in Montilla-Moriles sind – wieder in Bild und mit kurzem Kommentar – die Folgenden.

Miguel Castro, Sierra de Montilla
Phänomenal gute Vino de Pasto kommen von Miguel Castro. Er gewinnt sie aus verschiedenen Lagen in der Sierra de Montilla.
Los Insensatos de la Antehuela
Von Los Insensatos de la Antehuela stammt der seidige, tiefgründige El Pretil. Viel Persönlichkeit und Eigenständigkeit.
Alvear Cerro Macho, Vino de Pasto
Ultrasalzig und sehr geradlinig: Der Tres Miradas Cerro Macho 2020 von Bodegas Alvear. Großer Stoff.

Weitere Infos

Alle Beitragsfotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten

3 Kommentare

  1. Hallo Thomas
    Leider bekomme ich Deinen Newsletter nicht mehr. Kannst Du mich wieder in die Verteiler-Liste aufnehmen ? Danke.
    Obwohl ich die meisten Vinos de Pasto herrlich finde, bin ich etwas weniger optimistisch was seine Zukunft anbelangt. Jedensfalls werden sie in der heimischen Gastonomie kaum angeboten.
    Was mich skeptisch macht, ist die Tatsache, dass die Weine, die unter Flor reifen, einen dominanten Geschmack haben, die Franzosen im Jura nennen das „Goùt du Jaune“ in Anspielung auf den Vin Jaune.
    Die Jerez-Manzanilla-Weine sind nicht nur wegen dem hohen Alkohol-Gehalt in der Krise, sondern vorallem wegen diesem „Flor-Geschmacks“. Wer also den Jerez-Manzanilla nicht mag, wird kaum einen Vino de Pasto mögen.

    Liebe Grüsse aus dem Greyerzerland.
    Daniel

    1. Hallo Daniel, freut mich von dir zu hören und danke für deinen Kommentar!

      Ich glaube schon, dass die Vino de Pasto ein breiteres Publikum ansprechen als die klassischen Finos. Das ist zumindest die Erfahrung, die ich bei meinen Weinproben für Endkunden mache. Da gibt es immer einige Leute, denen die Finos „zu streng“ sind, eben wegen des Flor-Geschmacks, denen die Vino de Pasto aber sehr gut gefallen, weil der Flor-Einfluss weniger deutlich ist. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis mache ich ähnliche Erfahrungen. Da gibt es auch ein paar Leute, die keinen Fino mögen, aber gerne Vino de Pasto trinken.

      PS: Ich schaue gleich mal auf die Newsletter-Liste, was da los ist, damit du ihn wieder erhältst.

      Beste Grüße, Thomas

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