24 Stunden in Rueda


Eine schöne Fügung führte mich Ende September für einen Tag ins Weingebiet Rueda. Die DO Rueda fragte mich, ob ich Lust hätte, einige Weingüter während der Weinlese zu besuchen. Da ich zu dieser Zeit ein paar Termine in und um Madrid hatte, stieg ich kurzerhand in den Schnellzug nach Valladolid, der für die 200 Kilometer nur eine Stunde braucht. Die Visite im Weingebiet war ebenso kurz wie kurzweilig.

Rueda, das kann man ohne Übertreibung sagen, hat seit der Jahrtausendwende eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte geschrieben. In Zeiten, in denen der nationale und globale Weinkonsum sinkt, geht es für Rueda und seine Weißweine nur aufwärts. Seit dem Jahr 2000 wuchs die Rebfläche im DO-Gebiet von 6.700 Hektar auf heute 20.800 Hektar und mit ihr die Rebsorte Verdejo, die 86 Prozent der Rebfläche ausmacht. 

Jener Verdejo ist im Anbau eine relativ hitzebeständige und im Geschmacksbild eine aromatische Traube, die meist fruchtige Weißweine mit lebendiger Säure und mittlerem Körper ergibt. In Spanien sind diese Weißweine unglaublich beliebt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Worte „Weißwein“ und „Rueda“ für die Spanier wie Synonyme sind. Landesweit hat Rueda einen Anteil von 43 Prozent am Absatz der Weißweine mit DO-Herkunft. Damit setzt die Region fast so viel Weißweine um wie alle anderen 68 spanischen DO-Gebiete zusammen.

Ich kam abends am Bahnhof in Valladolid an. Die Weiterfahrt mit dem Auto ins Weingebiet dauerte 30 Minuten. Nach einem Dinner ging es zur Weinlese.

23.30 Uhr: Nachtlese bei Traslagares

Rueda liegt auf der kastilischen Hochebene, nordwestlich von Madrid. Das Land ist flach und weitläufig, so dass es einfach ist, ausgedehnte Weinberge im Spalier zu errichten. Diese Weinberge können leicht mit dem Vollernter gelesen werden, was in Rueda eine übliche Praxis ist. Die mächtige Maschine fährt durch die Rebzeilen, über die Rebstöcke hinweg, rüttelt die Beeren vom Stiel und fängt sie auf. Das bedeutet, dass die Weinbeeren bereits bei ihrer Lese an einem kleinen Ende geöffnet sind. Damit sie nicht zu oxidieren beginnen, findet die Maschinenlese nachts statt, weil es dann kühler ist.

Nachtlese mit Vollernter in Rueda
Nach der Lese mit dem Vollernter werden die Trauben umgeladen und sofort in die Kellerei gebracht.

Die Bodega Traslagares besitzt keinen eigenen Vollernter, sondern mietet ihn. 350 Euro zahle er pro geerntetem Hektar für Maschine und Fahrer, erzählt Weingutsbesitzer Herr Martínez. Für einen Hektar braucht die Maschine etwa eine Stunde. Das sind in der Regel 7.000 bis 8.000 Kilo Trauben. Die Ernte von 50.000 Kilo Trauben dauert demnach rund sieben Stunden. Dann, so Martínez, sei die Tageskapazität der Kellerei erreicht und die Lese für diese Nacht beendet. Für mich war es auch das Tagesende. Gegen 1.30 Uhr schlüpfte ich ins Bett.

9.30 Uhr: Ein Dorado bei Cuatro Rayas

Halbwegs ausgeschlafen ging es am Morgen zur Bodega Cuatro Rayas. Die 1935 gegründete Winzergenossenschaft ist der größte Weinproduzent der DO Rueda. Ihr gehören 300 Winzer an, die zusammen 2.200 Hektar Rebfläche bewirtschaften. Bei so vielen Weinbergen kann man sich vorstellen, dass darunter einige Spitzenlagen sind, die die Kooperative mehr und mehr entdeckt. Herausragend finde ich den schnörkellosen, sehr griffigen und mineralischen „Longverdejo 2022“. Er ist als „Gran Vino de Rueda“ klassifiziert, was die höchste Qualitätsstufe der DO darstellt, für die etwa strengere Ertragsvorgaben und ein Mindestalter der Reben von über 30 Jahren gelten.

Außerdem stellt Bodegas Cuatro Rayas einen traditionellen Wein her, der „Dorado“ genannt wird. Das bedeutet „golden“, weil der Wein diese Farbe hat. Erst in den 1970ern begannen die ersten Produzenten in Rueda, den fruchtigen Weißweinstil zu entwickeln, für den die Region heute bekannt ist. Davor war der Dorado Standard. 

Bei Bodegas Cuatro Rayas, Rueda
Mit dem niederländischen Journalisten Lars Daniels vor den Fässern, in denen bei Cuatro Rayas der Dorado reift. Die DO Rueda hatte für Lars ein dreitägiges Programm organisiert. Ich schloss mich einen Tag lang an.

Der „Dorado en Rama 61“ wird bei Cuatro Rayas je zur Hälfte aus Verdejo und Palomino Fino gewonnen. Den Grundwein baut das Weingut in einem Zementtank aus den 1940er Jahren aus. Nach einem Jahr wird er in Holzfässer umgefüllt, die ältesten stammen aus den 1950er Jahren. Sie sind nur zu 5/6 gefüllt. Während des Sommers bildet sich auf dem Wein eine Florhefeschicht, die im Herbst, wenn es kühler wird, wieder abstirbt. Auf diese Weise reift der Wein sowohl biologisch als auch oxidativ. Das Prinzip ist das gleiche wie bei einem Amontillado, auch wenn die Herstellung nicht identisch ist. 

Bei der unfiltrierten Abfüllung (en Rama) entnimmt Cuatro Rayas immer nur einen kleinen Teil des Weins aus dem Holzfass und fügt die entsprechende Menge neuen Weins hinzu. So entsteht im Fass ein Jahrgangsverschnitt, wie wir ihn in ähnlicher Form vom Sherry kennen. Im Ergebnis ist der „Dorado en Rama 61“ beeindruckend komplex. Er hat nussige Aromen und einen Hauch Orangenzeste, die gewisse Schärfe eines Amontillados, eine ebenso polierte wie vielschichtige Textur und einen animierenden salzigen Abgang. Alles ist tiptop ausbalanciert. Das ist kein Wein für jedermann und jederfrau, sondern für Kenner. Absolut großartig!

11.30 Uhr: Großer Verdejo bei Belondrade

Ganz besonders freute ich mich auf den Besuch im Weingut Belondrade, denn ihr Verdejo „Belondrade y Lurton“ zählt zu den großen Weißweinen Spaniens. Empfangen wurden wir von Jean Belondrade Lurton aus der zweiten Generation der Familie. Das Weingut wurde 1994 von seinem Vater Didier Belondrade in La Seca gegründet. Er richtete es nach dem französischen Château-Prinzip ein. Das bedeutet, dass die Trauben aus den eigenen Weinbergen stammen, die sich um die Kellerei gruppieren. 

Heute bewirtschaftet das Weingut 41 Hektar im biologischen Anbau. Die 26 Parzellen, darunter einige sehr alte Weinberge, werden in Subparzellen unterteilt und als solche vinifiziert. Die Trauben werden von Hand gelesen und die Weine spontan vergoren. Das Weingut führt jedes Jahr eine außergewöhnliche Anzahl von Mikrovinifikationen in bis zu 400 Fässern durch. Auf diese Weise wollen Didier und Jean Belondrade und Önologin Marta Baquerizo das Terroir immer besser verstehen und kennen lernen. Ich würde nur zu gerne einmal bei der Assemblage der finalen Weißweine dabei sein. 

Bei Bodegas Belondrade
So klar und präzise wie die Architektur bei Belondrade sind auch die Weine.

Wer mit Jean Belondrade die Weinberge und den Keller besichtigt, merkt schnell, dass hier Perfektionisten am Werk sind. Nichts wird dem Zufall überlassen, sie wissen genau, was sie tun, arbeiten akribisch und wollen die Prozesse immer weiter verbessern. 

Vom Spitzenwein des Hauses, „Belondrade y Lurton“, probieren wir die Jahrgänge 2022 und 2015. Die Textur des 2022er liegt irgendwo zwischen seidig und cremig, das Holz ist sehr subtil im Hintergrund eingebunden und der Wein hat einen langen, anregenden, leicht bitteren Abgang. Der 2015er übertrifft das Ganze mit seinen schönen Reifetönen, seiner ausdrucksstarken Aromatik und seiner vielschichtigen Textur. Er ist enorm frisch und klar, mit sinnlicher Würze und Eleganz und einer bemerkenswerten Länge. Dieser Wein wird auch noch in 10 oder 15 Jahren ein Genuss sein.

13.30 Uhr: Vertikale bei Finca Montepedroso

Danach ging es weiter zur Finca Montepredoso. Sie ist neben Belondrade das einzige Weingut der DO Rueda, das Mitglied in der renommierten Vereinigung Grandes Pagos de España ist. Finca Montepedroso gehört zur Weingruppe Familia Martinez Bujanda. Die Familie ist seit fünf Generationen im Weingeschäft tätig und besitzt etwa die Weingüter Viña Bujanda und Finca Valpiedra in Rioja und Finca Antigua in La Mancha. 

Marta Santander Martinez Bujanda führte uns durch das Weingut. Das Anwesen liegt auf einer Höhe von 750 Metern, ist mit 25 Hektar Verdejo bepflanzt und bietet einen herrlichen Blick auf das Dorf Rueda, nach dem das Anbaugebiet benannt ist. Die Böden in den Weinbergen sind überwiegend kiesig und lehmig, wie es für diesen Teil der DO recht typisch ist. 

Tasting bei Finca Montepedroso
Vertikale 2023, 2017 und 2015 bei Finca Montepedroso. Auch im Bild Mario Muñoz von der DO Rueda und Lars Daniels.

Das Weingut keltert zwei reinsortige Verdejo. Das Flaggschiff „Finca Montepedroso“ wird im Stahltank ausgebaut und liegt fünf Monate auf der Feinhefe. Es gehe ihnen darum, den Charakter des Verdejo unverfälscht zum Ausdruck zu bringen, sagt Marta. Der Jahrgang 2023 präsentiert sich mit fruchtigen und kräuterigen Aromen von guter Intensität. Er hat einen mineralischen Unterton und fühlt sich seidig und energiegeladen am Gaumen an. Mit einem Preis von 8,50 Euro dürfte dieser schön balancierte Weißwein so manchen „Best Buy“-Preis einheimsen. Wie gut er ist, zeigten auch die von uns verkosteten Jahrgänge 2017 und 2015. Sie haben nichts von ihrer Spannung und Frische verloren und an aromatischer Komplexität und Mundgefühl noch zugelegt. 

Aus einer kleinen Partie dieses Weißweins keltert das Weingut außerdem den Topwein „Montepedroso Enoteca“. Dieser reift zusätzlich ein Jahr im Betonei und ein Jahr in der Flasche, bevor er auf den Markt kommt. Die Textur ist im Vergleich vielschichtiger, der Abgang länger. Beide Weißweine sind auch ausgezeichnete Essensbegleiter, wie wir beim abschließenden Lunch im Weingut feststellen konnten.

16.30 Uhr: 150 Jahre alte Reben bei Martinsancho

Der letzte Weingutbesuch des Tages sollte zu einem überraschenden Höhepunkt werden. Ich kannte das Weingut Martinsancho noch nicht und hatte daher keine Erwartungen. Wir trafen die Winzer Jesús und Eduardo Prieto. Sie erzählen uns, dass sie das älteste Weingut in La Seca besitzen. Seit 1780 keltert ihre Familie dort Wein.  

Die alte unterirdische Bodega im Dorf schauten wir uns aber gar nicht an, sondern fuhren sogleich zu einem Verdejo-Weinberg aus den 1970er Jahren. „Unser Augenmerk liegt auf den Weinbergen“, sagt Jesús Prieto. Sein Sohn Eduardo berichtet auch vom Großvater Angel Rodriguez Vidal, der einer der Pioniere in Rueda war und 1980 zu den Gründungsmitgliedern der DO gehörte „Mein Opa war der erste in Rueda, der Sauvignon Blanc gepflanzt und Weinberge im Spalier angelegt hat“, sagt Eduardo. „Aber er mochte beides nicht.“ Deshalb kehrte der Großvater zum autochthonen Verdejo und zur traditionellen Buschrebenerziehung zurück. 

150 Jahre alter Weinberg, Bodega Martinsancho, DO Rueda
Eduardo und Jesús Prieto in einem 2,5 ha großen Weinberg mit 150-jährigen wurzelechten Reben.

Heute besitzt die Familie zwei Weinberge aus der Zeit vor der Reblausplage und zwei Lagen aus den 1970er Jahren, die der Großvater aus einer massalen Selektion aus den Vor-Reblaus-Weinbergen anlegte. Alles Verdejo. Einen der uralten Plots besuchen wir. Er befindet sich in der Nähe des Flusses Duero, in einer Zone, die die Einheimischen „El Infierno“ nennen und die über sehr sandige Böden verfügt. Und weil die Reblaus sandigen Untergrund nicht mag, weil sie sich dort nicht fortbewegen kann, haben einige dieser Weinberge die Plage bis heute überlebt. 

Das genaue Alter der wurzelechten Reben wüssten sie selbst nicht, sagen Jesús und Eduardo Prieto. Aber da der Weinberg immer im Besitz der Familie war und das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wurde, können sie mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass er in den 1870er Jahren gepflanzt wurde. 

Aus ihren vier biozertifizierten Weinbergen erzeugen Jesús und Eduardo einen einzigen Weißwein, der den Namen des Weinguts trägt: Martinsancho. Keine Bewässerung der Reben, Handlese, Spontanvergärung mit wilden Hefen und Ausbau auf der Feinhefe sind einige seiner Parameter. Im Ergebnis zeigt sich ein wundervoller Verdejo im Glas, aromatisch, mineralisch, von seidig-cremiger Textur, mit Tiefe und Persönlichkeit. Wir verkosten die Jahrgänge 2023 und 2021 im Weinberg. Kann man sich ein besseres Ambiente vorstellen als inmitten von 150 Jahre alten, knarzigen Reben!

Anschließend fuhren wir zurück nach Valladolid.

19.30 Uhr: Sightseeing in Valladolid

Nach einer kurzen Pause im Hotel, schnell duschen und E-Mails beantworten, stand eine Stadtführung durch Valladolid auf dem Programm. Das fand ich richtig toll, denn oft übernachte ich bei Weintrips zwar in Städten, komme aber wegen des vollen Besuchsprogramms an Weingütern kaum dazu, sie näher kennenzulernen. 

In der Pasaje Gutierrez in Valladolid
In der Pasaje Gutierrez in Valladolid

Es gibt nur ein kleines Problem: Während ich mir beim Wein so gut wie jedes Detail, das mir jemand erzählt, auf Anhieb merken kann, verhält es sich bei Stadtführungen genau umgekehrt. Am nächsten Tag habe ich alles schon wieder vergessen. Was ich aber sagen kann, ist, dass Valladolid eine wunderschöne Stadt ist, was man erst auf den zweiten Blick sieht. Es gibt etwa architektonisch beeindruckende Gebäude aus der Zeit der Romanik und Gotik, die charmante Pasaje Gutierrez aus dem 19. Jahrhundert, die nach dem Vorbild der Pariser Einkaufspassagen erbaut wurde, und einen der schönsten Plaza Mayors Spaniens. Ich möchte auf jeden Fall mit meiner Familie hinfahren und mehr Zeit für die Hauptstadt von Kastilien und León haben. 

21.30 Uhr: Tapas in Los Zagales

Wenn ich zurück nach Valladolid komme, dann sicher auch wieder ins vielfach prämierte Restaurant Los Zagales. Ich glaube nicht, dass ich jemals in einer spanischen Taverne war, die so innovative, mitunter kuriose und zugleich köstliche Tapas zubereitet. Das dampfende Häppchen Tierra-Mar-Aire (Erde-Meer-Luft) oder das in Zigarrenform servierte Puro de Sardina sind nur zwei der vielen Klassiker auf der Karte. 

Die Tapa "Tierra-Mar-Aire" im Restaurant Los Zagales.
Die Tapa „Tierra-Mar-Aire“ im Restaurant Los Zagales. Cool und köstlich.

Mario Muñoz von der DO Rueda nahm Lars und mich anschließend in weitere Tapas-Bars mit. Wir hatten einen Heidenspass (und einen vollen Magen). Danach ab ins Bett und am nächsten Morgen mit dem Schnellzug zurück nach Madrid.


Weitere Infos:

Alle Fotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten

Mehr über Rueda auf der offiziellen Webseite dorueda.com

Und ein paar meiner Favoriten in den 24 Stunden …

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