Wie lange kann oder soll ein Wein im Holzfass reifen? Vor ein paar Monaten habe ich in einem Artikel auf diesem Blog argumentiert, dass eine überlange Alterung des Weins im 225-Liter-Eichenfass (Barrique) nicht vorteilhaft sei, weil dadurch die Primäraromen der Traube von den Röst- und Vanillearomen des Holzfasses quasi erschlagen würden.
Eine Leserin hat in einer E-Mail an mich als Antwort auf besagten Artikel darauf hingewiesen, dass ein intensiver Holzgeschmack im Wein nicht zwingend auf die Dauer im Eichenfass zurückzuführen sei. Weine mit sechs Monaten Barrique, schrieb sie, schmeckten oftmals viel „holziger“ als welche mit 36 Monaten oder mehr. Als klassisches Beispiel eines nicht holzbetonten Weines mit wörtlich „elend langem Barrique“ führte sie den Tondonia von López de Heredia auf.
Diesem Fingerzeig musste ich natürlich nachgehen, und kürzlich habe ich die Tondonia Reserva 2003 mit satten 72 Monaten Ausbau im Eichenfass bei mir zuhause probiert.
López de Heredia: Historisches Weingut mit moderner Vinothek. Der Anbau aus dem Jahr 2002 stammt von Stararchitektin Zaha Hadid (Foto: Dpto. Multimedia / © ICEX).
López de Heredia – Traditionsweingut in Rioja Alta
López de Heredia gehört zu den prestigeträchtigsten Weingütern des an Prestige nicht armen Weingebiets Rioja. Zum 125-jährigen Bestehen ließ sich das nach wie vor in Familienhand liegende Weingut einen imposanten Anbau der leider zu früh verstorbenen Architektin Zaha Hadid errichten. Das futuristisch anmutende Gebäude soll – so deute ich es – einerseits zeigen, dass dieses Traditionsweingut nicht in der Vergangenheit verankert ist. Andererseits legt der Bau ein außerordentliches Selbstbewusstsein an den Tag: Im Hause López de Heredia kennt man den eigenen Stellenwert und ist sich seiner Größe bewusst.
Bereits im Gründungsjahr 1877 verfügte die Weinkellerei im Ort Haro in Rioja Alta über beeindruckende Ausmaße, und jede Generation trug das ihre zur Erweiterung des Betriebs bei. Heute begegnen Besucher einem insgesamt 53.000 Quadratmeter großen Anwesen (ca. acht Fußballfelder), das über 3.700 Quadratmeter unterirdische Weinkeller verfügt. Einer dieser Keller wurde 200 Meter lang und 15 Meter tief in einen Fels geschlagen. Allein in diesem Raum lagern 12.900 Barriques – also die 225 Liter fassenden Eichenfässer, die im Rioja und überall in Spanien als wichtigstes Behältnis zur Reifung des Weins herangezogen werden. Bei einem Einkaufspreis von um die 600 Euro für ein solches Holzfass verwundert es nicht, dass López de Heredia bis heute eine eigene Küferei zur Anfertigung der Bottiche unterhält.
In der hauseigenen Küferei werden die Eichenfässer hergestellt (Foto: Dpto. Multimedia / © ICEX).
Viña Tondonia – fünf Kultweine von López de Heredia
Das Label „Viña Tondonia“ umfasst eine Serie fünf verschiedener Weine: zwei Weiß-, zwei Rot- und einen Roséwein. Was diese Tondonia-Weine gemeinsam haben, ist der geradezu unfassbar lange Ausbau in Barriquefässern sowie die ebenfalls beeindruckend lange Flaschenreifung. Die Tondonia Gran Reserva kommt beispielsweise auf zehn Jahre Barrique und weitere zehn Jahre in der Flasche. Derzeit gelangt der 1996er-Jahrgang in den Handel, was die Besonderheit von López de Heredia exemplarisch unterstreicht: Nicht viele Weingüter können es sich leisten ihre abgefüllten Weine zehn Jahre liegen zu lassen, bevor sie in den Verkauf gehen.
Für Otto Normalverbraucher bezahlbar sind die Reserva Tinto (rot) und die Reserva Blanco (weiß). Um die zwanzig Euro kostet eine Flasche der aktuellen Jahrgänge 2003 und 2004 im spanischen Fachhandel. Sowohl die rote, als auch die weiße Tondonia Reserva bringen es auf stolze sechs Jahre Eichenfass und mindestens weitere sechs Jahre Flaschenreife. Die Vinifizierung erfolgt im Bordeaux-Stil: Zweimal im Jahr wird der Wein abgezogen, das heißt in ein anderes Fass umgefüllt und mit frischem Eiweiß geklärt. Trubstoffe und Hefesatz werden auf diese Weise entfernt.
Unter anderem nahe der Ortschaft Briones (Rioja) wachsen die Reben für den Viña Tondonia (Foto: Dpto. Multimedia / © ICEX).
Die Verkostung der Tondonia Reserva 2003
Ein roter Tondonia ist stets eine Cuvée aus der Hauptsorte Tempranillo sowie den in geringeren Mengen einfließenden Rebsorten Garnacha, Graciano und Mazuelo (Cariñena). Insgesamt war ich sehr gespannt auf diesen Rotwein und ganz besonders darauf, ob mein auf zuviel Holznoten allergisch reagierender Gaumen welche wahrnimmt. Denn die Ausgangsfrage dieses Artikels lautet bekanntlich, ob die lange Reifung im Eichenfass einen Wein „holzig“ macht oder eben nicht.
Eichenholz – das sei kurz allgemein dargelegt – gibt durch seine Poren strukturgebendes Tannin an den Wein ab und beeinflusst ihn mit seinen holzinhärenten Tertiäraromen: Ein holziger Geschmack bedeutet in der Weinsprache, dass der Wein ausgeprägte Röst-, Tabak- und/oder Vanillearomen besitzt. Viele Weintrinker, vor allem die ältere Generation, mögen das. Die jüngere Generation verlangt tendenziell nach fruchtbetonten Weinen, bei denen die Holznoten weniger dominieren.
Meine Verkostung lief so ab: Ein erstes Glas probierte ich unmittelbar nach dem Öffnen der Flasche. Dann wanderte der Tondonia in den Dekanter. Etwa alle zwei Stunden nahm ich ein paar weitere Schlucke. Ein letztes Glas trank ich am Folgetag. Klingt nach Nerd ohne soziale Kontakte, ich weiß, aber mir war wichtig zu sehen wie sich der Wein im Kontakt mit der Luft entwickelt.
Viña Tondonia, Reserva 2003. Very Vintage.
Die Tondonia Reserva 2003 ist kein Überwein, der mich „umhaut“. Schenkt man der einschlägigen Weinkritik Glauben, gibt es ausgezeichnetere Jahrgänge, beispielsweise den 2004er. Trotzdem lässt sich viel Positives sagen. Das Bukett offenbart gleich nach dem Öffnen der Flasche für einen so alten Jahrgang einen erstaunlich reintönigen Duft von reifer und reicher Frucht (Kirsche). Im Hintergrund treten dezent animalische Noten von abgehangenem Fleisch zu Tage, die sich bei zunehmendem Luftkontakt verflüchtigen.
Am Gaumen macht der Tondonia besonders Spass. Anfangs zeigt er sich mit lebhaftem Tannin noch etwas aufgeregt. Nach mehreren Stunden im Dekanter ist das Tannin weich eingebettet, der Wein schmeckt für sein Alter verblüffend frisch und saftig. Auch am nächsten Tag ist nichts von Müdigkeit zu spüren. Summa summarum kommt diese klassische Rioja mit ihren 13% Vol. eher unprätentiös im positiven Sinne daher: schlank, elegant und mit einem bleibenden Abgang. Zur Ausgewogenheit des Weins trägt sicher auch die lange Flaschenreifung bei. Zu keiner Zeit, das muss an dieser Stelle nun gesagt sein, dominieren Röst-, Tabak- oder Vanillearomen – entsprechende Holznoten nehme ich nicht wahr.
Die eingangs erwähnte Leserin hatte also Recht: Langer Holzkontakt bedeutet nicht automatisch viel Holzgeschmack. Zur jahrelangen Reifung im Barrique schreibt sie: „Die Weine werden irgendwann wieder mürber und das Holz ist nicht mehr vorherrschend.“ Schönen Dank an Frau S. für diesen Hinweis!
Link zum Weingut: www.lopezdeheredia.com