Zum ersten Tasting des Jahrzehnts habe ich Freunde, Familie und Nachbarn geladen. Anstatt Weine nach Punkten bewerten zu lassen, fragte ich bei der Blindverkostung nach Preis, Rebsorte, Region und Land. Vorneweg: Alle meine sieben „Tester“ lagen bei allen sechs Weinen in nahezu allen Kategorien komplett daneben.
Zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass die Frage nach dem Herkunftsland des Weins eine Finte war, denn alle Gewächse kamen aus Spanien. Darüber hinaus tat ich sogar so, als ob wir es mit einem internationalen Wine-Up zu tun hätten. Last, but not least ist es wirklich schwierig Weine blind zu verkosten und zu bestimmen, ohne auch nur einen einzigen Anhaltspunkt zu haben.
Wie es sich für eine Blindprobe gehört, hatte ich die Flaschen mit Papier umwickelt, und ich servierte die sechs Weine in drei Runden. Es wurden also immer zwei Weine quasi „gegeneinander“ verkostet. Welche Gewächse wir hatten und wofür sie gehalten wurden, dazu nun mehr.
Runde 1: Zweimal PX, Zweimal Trocken
Kein Tasting ohne Andalusien. So viel Lokalpatriotismus darf sein. Dieses Mal hatte ich zwei trockene Weißweine der Rebsorte Pedro Ximénez ausgewählt. Traditionell wird die Traube in Andalusien zu sirupartigen Süßweinen verarbeitet. Seit geraumer Zeit gibt es vermehrt Erzeuger, die das Potenzial der Rebe für trocken ausgebaute Weißweine erkennen und ausschöpfen.
Eine davon ist Victoria Ordoñez, die in einer Garage in Málaga Stadt herausragende Weißweine aus alten PX-Reben keltert. Der La Ola del Melillero 2017 wird im Stahltank für zehn Monate auf der Feinhefe ausgebaut. Das Lesegut kommt aus den Höhenlagen der Montes de Málaga, einst das Anbaugebiet für die ruhmreichen Málaga-Weine. Im 19. Jahrhundert wurden die Rebflächen in den „Montes“ durch die Reblaus arg dezimiert und konnten sich davon nie wieder erholen. Nun lässt Victoria Ordoñez – eine gebürtige Malagueña – diese große Weintradition wieder aufleben. Freilich nicht was die Menge angeht, doch in der Klasse allemal.
Die Pedro-Ximénez-Rebe – kurz PX – ist eine Kreuzung aus der arabischen Tafeltraube Gibi und einer uns unbekannten Sorte, deren DNA sich bislang in keiner Datenbank aufspüren lässt. Die Mauren brachten die Gibi einst durch den Hafen in die Region Málaga, von wo aus sie sich in ganz “Al Andaluz” verbreitete und zur PX kreuzte.
Der Name Pedro Ximénez ist erst seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich. Schriftliche Quellen lassen dies zumindest vermuten. Wahrscheinlich ist die Rebe nach dem damaligen Bischof von Toledo benannt: Nach der christlichen Rückeroberung Andalusiens war es üblich, arabische durch kastilische Namen zu ersetzen.
Heutzutage kommt die PX überwiegend in der Provinz Cordoba im Anbau vor. Und eben aus der dortigen D.O. Montilla-Moriles stammt der zweite Wein unseres Tastings. Jener 3 Miradas Vino de Pueblo 2017 ist eine Kooperation des Weinguts Alvear und des Weinprojekts Envínate. Oder in anderen Worten: Das älteste Weingut Andalusiens erzeugt mit ein paar der angesagtesten Weinmacher Spaniens diesen Wein. Vergoren wird er in Tonamphoren, danach reift er acht Monate unter Florhefe.
Soweit die Vorberichte zur Runde Eins. Es handelt sich also um zwei trockene Weißweine aus der selben Rebsorte (PX), mit gleichem Preis (15 €) und gleichem Jahrgang (2017). Die Unterschiede bestehen in der Region (Málaga vs. Cordoba) und in der Weinbereitung (Stahltank/Feinhefe vs. Amphoren/Florhefe).
Aufgrund des unterschiedlichen Ausbaus haben wir es freilich mit aromatisch sehr verschiedenen Weinen zu tun. Beide sind allerdings knochentrocken, ein bisschen salzig-mineralisch im Abgang und vor allem knackig-frisch. Die zwei letztgenannten Merkmale sind wohl der Grund, warum die sieben Verkoster mehrheitlich auf Deutschland und Riesling bzw. Galicien und Albariño tippten. Und dies bei Weinen aus dem heißen Andalusien!
Die Präferenzen betreffend (ich fragte zudem, welcher Wein besser gefällt), geht diese Runde mit 5:2 Stimmen an Victoria Ordoñez und La Ola del Melillero 2017.
Runde 2: Zweimal Godello, Zweimal Valdeorras
Galicien besteht nicht nur wie manche denken aus Atlantik und Albariño, sondern verfügt ebenso über ein bergiges Hinterland und zahlreiche autochthone Rebsorten. Eine davon ist die weiße Godello. Vor fünfzig Jahren galt die Traube als nahezu ausgestorben. Heute ist sie eine der Trend-Sorten in ganz Spanien.
Die Godello ist eine von mehreren autochthonen Reben Spaniens (wie Albariño, Mencía, Monastrell, Cariñena, etc.), die in den 1990er- und 2000er-Jahren von Winzern, Weinexperten und Konsumenten wieder entdeckt wurden. Im Zuge des damals zunehmend kritischen Globalisierungsdiskurses, sagen Kulturwissenschaftler, ging nämlich parallel ein gesteigertes Interesse an Regionalität einher. Und von dieser „Wiederentdeckung des Regionalen“ profitierte unter anderem die Godello.
Als Hochburg darf das Anbaugebiet Valdeorras in Zentralgalicien bezeichnet werden, wenngleich die Traube in den benachbarten D.O.s Ribeira Sacra und Bierzo ebenfalls populär ist. Reden wir von Valdeorras und Godello, müssen wir auch von Rafael Palacios sprechen: Überragende 98 Parker-Punkte und 99 Peñin-Punkte für seinen raren Lagenwein Sorte o Soro 2016 deuten vom Potenzial der Rebsorte und dem Können des Weinmachers.
Rafael Palacios, der Jüngste unter neun Geschwistern, entstammt einer berühmten Winzerfamilie. Sein Vater José gründete 1948 das Weingut Palacios Remondo in Rioja. Ferner ist Bruder Alvaro für seine Rotweine aus dem katalanischen Priorat weltbekannt. Außerdem ist Alvaro mit dem Neffen Ricardo Pérez Palacios im hochgeschätzten Weingut Descendientes de J. Palacios im Bierzo aktiv.
Von Rafael Palacios wählte ich den Louro do Bolo 2018 für die Blindprobe. Die Gärung des Weins erfolgt im 3500-l-Fuder; anschließend verbleibt er in den Holzgebinden für weitere vier Monate auf der Feinhefe.
Darüber hinaus entschied ich mich für den Godello Lías 2017 des Weinguts A Coroa. Dieser Weißwein wird in Stahltank vergoren und in jenem Behältnis für sechs Monate auf der Feinhefe ausgebaut. Die Kellerei von A Coroa liegt übrigens wie die von Rafael Palacios im Ort A Rua.
Folglich hatten es die Blindverkoster zweimal mit der selben Region und Rebsorte und wieder mit preisgleichen Weinen (15 €) zu tun. Unterschiede bestehen hingegen im Jahrgang (2018 vs. 2017) und in der Weinbereitung (Holzfuder vs. Stahltank).
Insgesamt verfügt die Godello-Traube über viel Körper, Extrakt und gute Säurewerte. Im Vergleich zur Albarino enthält sie weniger Apfel-, sondern mehr Weinsäure, was Godello-Weine in der Regel abgerundeter und weicher erscheinen lässt. Auf beide degustierten Weine trifft diese Feststellung zu. Durch den Ausbau im Holzfuder wirkt der Louro do Bolo 2018 in seiner Textur im Vergleich cremiger und fülliger.
Und was sagen unsere Probanden? Sie tippten mehrheitlich auf Albariño und Chardonnay, was ich aufgrund der Frische (Albariño) und des Körpers (Chardonnay) beider Weine schlüssig nachvollziehen kann. Aber knapp vorbei ist eben auch daneben. Immerhin folgerten Alan, Dick und Nelleke, es müsse sich um die gleiche Rebsorte handeln, einmal im Stahltank, einmal im Holzfass ausgebaut. Chapeau!
Die Frage, welcher der zwei Godellos im aktuellen Guía Penin mit 93 Punkten bewertet wird, beantworteten ausnahmsweise alle sieben korrekt. Denn beide Gewächse kommen genau auf diese Zahl. Bezüglich der persönlichen Präferenzen war es hingegen eine klare Sache: Diese Runde geht mit 6:1 Stimmen an den Louro do Bolo 2018 und Rafael Palacios.
Runde 3: Zweimal nicht Pinot Noir
Eigentlich sollte die Überschrift dieses Kapitels „Zweimal Garnacha, zweimal Hochlage“ lauten. Aber weil der rechte Wein im Foto unten einen Korkfehler hatte, ersetzte ich ihn kurzfristig mit einem Rotwein aus Alicante aus der Sorte Forcallat. Genau: Forcallat. Haben Sie sicher noch nie gehört. Auch so eine fast vergessene Sorte, die neuerdings wieder einen – zugegeben kleinen – Aufschwung erlebt.
Der Alagú Forcallat 2016 (13 €) von Casa Corredor ergänzte bzw. konkurrierte somit um die Gunst meiner Weinfreunde gegen den Marañones Garnacha 2014 (19 €) aus der Sierra de Gredos (D.O. Vinos de Madrid). Für mich gar nicht überraschend und doch interessant: Beide Rotweine wurden von fast allen für Pinot Noir gehalten. Warum, erkläre ich jetzt.
Was ich nicht nur in dieser, sondern bei Blindproben generell feststelle: Immer wenn Rotweine zart und elegant wirken und dazu etwas Kuhstallgeruch verströmen, gibt es einen automatischen Reflex sie als Pinot Noir einzustufen. So auch dieses Mal.
Im Vergleich ist der Alagu Forcallat 2016 saftiger und fruchtiger; der Marañones Garnacha 2014 kommt dafür tiefer, balancierter und eleganter daher. Was aber beide Rotweine eint: Sie sind farblich deutlich heller, dazu frischer und feiner wie es viele Konsumenten von spanischen Weinen kennen bzw. erwarten. Dies sind keine dunklen Kraftpakete à la Priorat oder Ribera del Duero (nichts gegen die Regionen by the way).
Marañones-Önologe Fernando Garcia ist übrigens die eine Hälfte des Weinprojekts Comando G. Jenes immer noch relativ junge Weinmacher-Duo hat den spanischen Weinstil in den letzten Jahren maßgeblich revolutioniert. Mit ihrer Suche nach alten Garnacha-Reben in den Höhenlagen der Sierra de Gredos setzen Comando G ganz klar auf Frische und Eleganz. Zugleich sind die Weine tief und mit Druck am Gaumen. Man kann diesbezüglich von einem „Gredos-Stil“ sprechen, der auch bei Weingütern wie Jimenez-Landi, Bernabeleva, 4 Monos oder eben Marañones zu finden ist.
Eine echte Überraschung war der Alagú Forcallat 2016 aus der Alicante-Region. In dieses Projekt der MGWines Group ist unter anderem der spanische Winzerstar Raul Perez involviert. Der ziegelrote Wein zeigt eine klare, sehr sauber herausgearbeitete Frucht und hat einen tollen Trinkfluss. Mit 13 Volumenprozent wirkt er für das südliche Spanien fast schon leicht. Es liegt daher nahe, diesen Rotwein nicht im mediterranen Raum, sondern weiter nördlich in Richtung Atlantik zu verorten.
Beide Weine kamen bei meinen Freunden sehr gut an; insgesamt geht die Runde mit 5:2 Stimmen an den Garnacha 2014 von Bodegas Marañones.