42° 25′ Nord – ein Breitengrad, zwei völlig verschiedene Weingebiete

Alte Rebe bei Gerardo Méndez

Als Kind habe ich mir manchmal vorgestellt, ich würde in meinem oberschwäbischen Dorf einfach damit beginnen immer geradeaus in eine Richtung zu laufen. Immer geradeaus, ohne dass mich Zäune, Mauern und Berge aufhalten könnten. Und mich überraschen lassen, wo ich auf diesem Weg überall so hinkomme. Irgendwann würde ich auf ein Meer treffen und die Reise wäre zu Ende.

Gedanklich ziehe ich in diesem Beitrag eine solche schnurgerade Linie. Von der Mittelmeerküste in der katalanischen Region Empordà beträgt die Entfernung zum am Atlantik gelegenen Salnes-Tal in Galicien genau 981 Kilometer Luftlinie. Einmal quer durch Spanien von Ost nach West. Durch beide Gebiete verläuft exakt derselbe Breitengrad: 42° 25′ Nord. Trotz der identischen geografischen Breite könnte der jeweilige Weinanbau unterschiedlicher kaum sein. Dieser Beitrag behandelt ein Thema, welches ich immer wieder aufgreife: Die Vielfalt des Weinlands Spanien.

Der Breitengrad 42° 25' Nord. Einmal quer durch Nordspanien.
Gleicher Breitengrad, aber fast 1000 km voneinander entfernt: Das Salnes-Tal in der galicischen D.O. Rías Baixas und die katalanische D.O. Empordà am Mittelmeer

Breitengrad 42° 25′ Nord: atlantisches vs. mediterranes Klima

Das Salnes-Tal ist die größte Weinbauzone der Appellation D.O. Rías Baixas. Jenes Anbaugebiet zieht sich südlich der Pilgerstadt Santiago de Compostela den Atlantik bis zur portugiesischen Grenze entlang. Um die 170 Regentage und etwa 1300 mm Niederschlag im Jahr sorgen für ein grünes und fruchtbares Land. Selbst wenn es einmal nicht regnet, bleibt das Klima feucht. Denn häufig ziehen am Morgen Tauschwaden vom Atlantik hinein ins Salnes-Tal, und die nassen salzhaltigen Tröpfchen legen sich auf den Rebstöcken nieder.

Das Salnes-Tal in der D.O. Rías Baixas. Hier geht der Breitengrad 42° 25' Nord durch.
Das Salnes-Tal in der D.O. Rías Baixas. Die Reben werden in Laubenhaltung erzogen.

Auf demselben Breitengrad – jedoch auf der anderen Küstenseite Spaniens – ist das Klima in der D.O. Empordà völlig anders. Die Region grenzt an die Costa Brava und die südlichen Pyrenäen-Ausläufer. Mit etwas über 50 Regentagen und rund 600 mm Niederschlag im Jahr ist das Klima typisch mediterran, das bedeutet überwiegend warm und trocken. Die Niederschläge sind dabei ungleich verteilt. Vor allem regnet es im Winter, während die Sommermonate extrem wasserarm und heiß sind. Den Reben wird in dieser Zeit viel Widerstandskraft abverlangt. Der raue Nordwind „Tramuntana“ aus Richtung Pyrenäen sorgt zumindest für Abkühlung und dafür, dass die Trauben nicht zu schnell überreifen.

Alte Garnacha-Rebe in der D.O. Empordà, im Hinterland der Costa Brava. Ebenfalls auf dem Breitengrad 42° 25' Nord.
Alte Garnacha-Rebe in der D.O. Empordà, im Hinterland der Costa Brava.

Rebsorten, Böden und Erziehungssysteme

Das hohe Niederschlagsaufkommen in Rías Baixas prägt den Weinanbau. Viel Regen und Reben – das ist eine delikate Angelegenheit: Es drohen Krankheiten wie Mehltau, Botrytis oder Schwarzfäule. Die Albariño-Traube ist für das feuchte atlantische Klima wie gemacht. Verglichen mit anderen Rebsorten – so sagen Winzer vor Ort – zeigt sie sich resistenter gegen Pilz- und Fäulnisbefall. Laut Auskunft des zuständigen Kontrollrats kommt die Rebe auf 96% der Weinproduktion im Anbaugebiet. Ferner existieren einige feine autochthone Trauben wie die roten Sorten Caiño und Espadeiro und die weiße Loureira.

Darüber hinaus wird die Albariño im Salnes-Tal bzw. in Rías Baixas zumeist in der traditionellen Lauben-Erziehung gehalten. Bei diesem System sind die Trauben weit vom nassen Boden entfernt und es herrscht eine bessere Ventilation im Weinberg. Gerade in einem feuchten Klima ist das von Vorteil. Einst wurde im bitterarmen Galicien unter den Rebenlauben sogar Gemüse angebaut.

Last, but not least kommt eine wichtige Funktion den Granitsandböden in Rías Baixas zu. Es sind durchlässige Böden, in die das Wasser gut einsickern kann. Weil sich die Reblaus in diesem sandigen Untergrund schwer fortbewegen kann, und weil die Reben in der Laubenhaltung außerdem weit voneinander entfernt stehen, überlebten in Rías Baixas einige Rebgärten die große Reblausplage im späten 19. Jahrhundert. So finden sich teils über 200 Jahre alte Reben der Albariño in Rías Baixas.

Albariño übersetzt sich als „Der Weiße vom Rhein“. Der Name basiert auf der inzwischen widerlegten Annahme, die Traube stamme vom Rhein und sei ein Riesling-Abkömmling. Eine Zeit lang kursierte auch die These, dass Mönche aus dem Burgund die Sorte über den Pilgerweg nach Galicien gebracht hätten. DNA-Tests zeigen hingegen, dass eine Verwandtschaft weder zu den Burgundersorten, noch zur Riesling besteht. Stattdessen darf man davon ausgehen, dass sie eine der vielen autochthonen Rebsorten des portugiesisch-galicischen Kulturraums ist. In Portugal wird die Rebe unter dem Namen Alvarinho kultiviert, dabei allerdings selten reinsortig wie in Rías Baixas abgefüllt.

Gut 200 Jahre alte Albariño-Rebe im Salnes-Tal
Gut 200 Jahre alte Albariño-Rebe im Salnes-Tal

Die Hauptsorte in der D.O. Empordà ist die autochthone Rotweintraube Cariñena. Weltweit kennt man die Rebsorte als Carignan, in Katalonien sagen manche auch Samsó. Sie ist anfällig für Mehltau und würde in einem nassen und feuchten Klima wie im Salnes-Tal nicht klarkommen. Trockenes mediterranes Klima sagt ihr hingegen zu.

Die Trauben der Cariñena produzieren mehr Säure und Tannin als jene der Garnacha, die in Empordà (wie in ganz Katalonien) ebenfalls populär ist. Folglich fallen Cariñena-Weine tendenziell frischer und strukturierter aus. Häufig werden Garnacha und Cariñena verschnitten. Vereinfacht gesagt: Die Garnacha bringt die Frucht, die Cariñena die Struktur. So ergänzen sich beide Sorten in einer Cuvée.

Während die rote Cariñena bzw. Carignan vielen Weinliebhabern noch ein Begriff ist, weiß nahezu niemand, dass darüber hinaus eine Weiße und Graue Cariñena existieren. In Spanien kommen einzig in der D.O. Empordà diese drei Cariñena -Varietäten gemeinsam vor.

Die graue „Cariñena Gris“ ging als Mutation aus der roten Cariñena hervor. Wie die Grauburgunder entwickelt sie eine rötlich-pinke Beerenhaut. So lassen sich aus der offiziell weißen Traube nicht nur Weiß-, sondern auch Roséweine keltern.

Die weiße „Cariñena Blanca“ ist wiederum eine Mutation der grauen Traube. Sie verfügt ebenfalls über fantastische Säurewerte und stellt somit einen geeigneten Cuvée-Partner der Garnacha Blanca dar (wie es sich bei den roten Varietäten ebenfalls verhält). Die Sorte kommt extrem selten vor, dürfte allerdings dank des Engagements einiger Qualitätswinzer eine Zukunft haben.

In Empordà gibt es von der Cariñena und Garnacha verhältnismäßig viele alte Reben (bis zu 125 Jahre), die in Buscherziehung gehalten werden. Hierbei bilden die Reben ein Blätterdach, das die Trauben vor zu viel direkter Sonnenbestrahlung schützt. Jüngere Bepflanzungen werden gerne im Lyra-Erziehungssystem angelegt. Das hat mit dem bereits erwähnten Nordwind Tramuntana zu tun, der in der Spitze bis zu 150 km/h erreicht. Benannt ist das Rebenerziehungssystem nach der Lyra (Leier), weil die Metallgestänge in der Form dem antiken Zupf- und Saiteninstrument ähneln. In jener V-förmigen Drahtrahmenerziehung wachsen die Reben abwechselnd nach links und rechts und bilden so einen durchlässigen Windkorridor.

So erfordert jedes Klima bzw. Terroir seine eigene spezifische Vorgehensweise: Im regenreichen Salnes-Tal hat sich die Laubenerziehung als vorteilhaft erwiesen. Im sonnenverwöhnten und windigen Empordà die Busch- und Lyra-Erziehung.

Weinberg von Vinyes d'Olivardots in Lyra-Erziehung, D.O. Empordà
Weinberg von Vinyes d’Olivardots in Lyra-Erziehung, D.O. Empordà

Die Weinstilistik: säurebetont vs. körperreich

Aufgrund der spezifischen Bedingungen am galicischen Atlantik verfügen die Weine aus Rías Baixas über ein gemeinsames Merkmal: Sie sind in der Regel säurebetont. Die Albariño-Weißweine von Top-Erzeugern wie Zarate, Rodrigo Méndez, Alberto Nanclares, Albamar und Gerardo Méndez (Foto unten) zeichnen sich unter anderem durch eine knackige Säure, spürbare Mineralität und animierende Zitrusaromatik aus.

Darüber hinaus kommen aus Rías Baixas vermehrt leichte, schlanke, farblich helle und säurebetonte Rotweine aus den Sorten Caiño Tinto und Espadeiro. Diese roten Gewächse liegen zumeist zwischen 11 und 12,5% Vol. Alkoholgehalt, während die Säurewerte gerne 8 g/l und mehr erreichen. Jene Rotweine aus Rías Baixas können äußerst fein und filigran daherkommen, mit einer Aromatik, die eher in die florale als fruchtige Richtung geht.

Bei Gerardo Méndez (Do Ferreiro) im Salnes-Tal in der D.O. Rías Baixas
Bei Gerardo Méndez (Do Ferreiro) im Salnes-Tal in der D.O. Rías Baixas

Ganz anders die Stilistik in der D.O. Empordà. Viel Sonne, Licht und Wärme ergeben körperreiche Weine mit viel Extrakt und Kraft. Im Vergleich sind die Rotweine dunkler, sie haben einen höheren Alkoholgehalt (14 bis 15,5% Vol.) und weniger Säure (um die 5 g/l). Die guten Erzeuger wie Vinyes d’Olivardots, Espelt Viticultors, Cosmic Vinyaters, Martí Fabra und Roig Parals bekommen es trotzdem hin frische und hervorragend balancierte Weine zu erhalten, die zwar kraftvoll, aber nicht fett sind. Es sind Weine mit Spannung und Rückgrat.

Auch die Weißweine aus den Sorten Garnacha Blanca und Macabeo verfügen zumeist über Frische, Körper und Schmelz und eine insgesamt gute Balance, haben aber im Vergleich weniger Säure als die galicischen Albariño.

Alte Reben werden in Empordà als Buschreben gehalten
Alte Reben werden in Empordà als Buschreben gehalten

Der Breitengrad 42° 25‘ Nord und die Vielfalt des Weinlands Spanien

Das war ein Beispiel von zwei Anbaugebieten, die auf exakt demselben Breitengrad liegen, sich allerdings an einem anderen Meer befinden und folglich von einer unterschiedlichen Klimazone geprägt sind. Es gibt neben Spanien nur ein einziges weiteres Land, in dem Wein sowohl am Atlantik als auch am Mittelmeer angebaut wird. Das ist Frankreich.

Für mich steht dieser Vergleich von D.O. Rías Baixas und D.O. Empordà beispielhaft für die Vielfalt des Weinlands Spanien und für die großen Unterschiede, die Weine aus Spanien bieten. Auf jenem Breitengrad 42° 25‘ Nord (genau in der Mitte der Strecke von Mittelmeer zu Atlantik) befinden sich übrigens die Weinfelder der Kleinstadt Haro in der Rioja Alta. Hier kämen nochmals ganz neue Terroir-Faktoren wie kontinentales Klima, Kalkböden, andere Rebsorten (Tempranillo) sowie Weinbau in Hochlagen und entlang von Flüssen (Ebro) hinzu.

Verglichen zur D.O. Empordà am heißen Mittelmeer werden im kühleren Klima von Rioja Alta und Rioja Alavesa die Tannine in den Beerenhäuten nicht ganz so reif. Deshalb werden Rioja-Weine in der Regel über einen längeren Zeitraum in Holzfässern und in der Flasche ausgebaut. Man kann sagen, dass durch den längeren Holzausbau und das längere Flaschenlager die Tannine „poliert“ werden. Dies ist zumindest ein Merkmal der klassischen Rioja-Weine von traditionellen Marken wie Viña Tondonia, Castillo Ygay und Viña Ardanza.

Außerdem passieren wir auf dem Breitengrad 42° 25‘ Nord die Stadt Ponferrada, welche das Weinzentrum der D.O. Bierzo darstellt. Aus diesem Anbaugebiet habe ich in letzter Zeit einige hochklassige Rotweine aus der Mencía-Traube im Glas gehabt. Ich denke, ich werde Mencía und Bierzo bald einmal einen eigenen Blogbeitrag widmen. Deshalb belasse ich es für den Moment bei dieser Erwähnung und hoffe, dass Sie einfach wieder bei mir reinschauen.


Weitere Infos:

Foto 1: © OpenStreetMap

Alle weiteren Beitragsfotos: © Spaniens Weinwelten

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