Was Spanien speziell macht, wurde ich jüngst bei einer Weinverkostung gefragt. Meine Antwort: „Die Vielfalt! Ich glaube, dass Spanien wie kein zweites Weinland über unterschiedlichste Klimazonen und einmalige geografische Bedingungen verfügt. Und daraus erhalten wir eine schier unendliche Vielfalt an Weinen.“
Es ist hin und wieder ratsam, sich nicht im Kleinteiligen zu verlieren, sondern auf das Große und Ganze zu blicken. Deshalb war ich froh über diese Frage und nehme sie zum Anlass in diesem Artikel über die spanische Vielfalt zu schreiben. Dabei sei vorneweg gesagt, dass diese Vielfalt so vielfältig ist, dass sie in einem eher kurz gehaltenen Blogbeitrag nur verallgemeinernd dargestellt werden kann. Im Folgenden fünf Faktoren, die Spanien einzigartig vielfältig machen.
Bodegas El Nido, Jumilla
1. Atlantik, Mittelmeer, Meseta oder: Von Wüste bis Regen ohne Ende
Im Südosten Spaniens in der andalusischen Provinz Almeria liegt die Desierto de Tabernas. Filme wie Lawrence von Arabien und Spiel mir das Lied vom Tod wurden in dieser einzigen Wüste Europas gedreht. Bewegen wir uns von der nah am Mittelmeer gelegenen Tabernas-Wüste per Luftlinie etwa 800 km in nordwestliche Richtung, dann landen wir in der Ortschaft Pontevedra in Galicien am Atlantik. Hier, im Zentrum des Anbaugebiets Rías Baixas, regnet es mit bis zu 1500 mm/Jahr doppelt so viel wie in Hamburg.
Mit Atlantik und Mittelmeer sind schon einmal zwei geografische Faktoren genannt, über die von den bedeutenden Weinländern einzig Frankreich noch verfügt. Zwischen dem Ozean im Norden und dem Meer im Süden erstreckt sich die sogenannte Meseta, eine riesige Hochebene, die Kastilien-La Mancha und Kastilien-León durchzieht.
Klimatisch bedeutet dies, dass Spanien einen Mix aus feuchten atlantischen, rauen kontinentalen und trockenen mediterranen Klimazonen bietet. Überall in diesen Zonen wird Wein angebaut – in einem heißen und extrem trockenen Anbaugebiet wie Jumilla genauso wie im enorm regenreichen Rías Baixas. Und das heißt wiederum: Vom knackigen Weißwein mit frischer Säure bis zum samtig weichen Rotwein mit Aromen von Beerenkompott, Trockenfrüchten und süßer Lakritz ist alles drin.
Atlantisches, kontinentales und mediterranes Klima existieren natürlich nicht überall in Reinform. Exklusiv atlantisch sind beispielsweise Anbaugebiete wie das erwähnte Rías Baixas oder das baskische Getariako Txakolina. Ganz kontinental wären wiederum die Appellationen Rueda und Ribera del Duero. Ausschließlich mediterran das katalanische Penedés und Alicante.
In vielen spanischen Regionen überschneiden sich die Klimaeinflüsse hingegen: Weingebiete wie Rioja, Navarra oder das aragonesische Campo de Borja sind ganzheitlich betrachtet atlantischen, mediterranen UND kontinentalen Einflüssen ausgesetzt. Das Bierzo zeigt sich atlantisch-kontinental, Terra Alta mediterran-kontinental, während die Serrania de Ronda in Andalusien atlantisch-mediterran geprägt ist.
Steillagen am Fluss Síl in Ribeira Sacra (Foto: Luis Carré / © ICEX)
Einen nochmals eigenen Klimakorridor stellen Flussläufe wie der Duero und Ebro dar. Der Grund: Wasser reflektiert Licht. Licht ist wiederum für die Photosynthese der Reben wichtig. Flüsse dienen zudem als Wärmespeicher, die abends und nachts Wärme in die Weinberge abstrahlen. Die Nähe zu Flüssen (bzw. Gewässern im allgemeinen) kann für Reben deshalb von Nutzen sein – ganz besonders in den kühleren Regionen Nordspaniens. Mit die wichtigsten nordspanischen Anbaugebiete liegen an Ebro (Rioja, Navarra) bzw. Duero (Ribera del Duero, Rueda, Toro).
Auch im galicischen Ribeira Sacra – zu deutsch: das heilige Ufer – üben die Flüsse Miño und Sil ihren klimatischen Einfluss aus. In Kombination mit den dortigen Schiefer- und Granitböden bringt die rote Sorte Mencía mineralische und elegante Rotweine hervor.
2. Der Faktor Höhe – Spanien ist das zweithöchste Land Europas
Mit einer Durchschnittshöhe von 625 Metern ist Spanien nach der Schweiz das zweithöchste Land Europas. Gerade in der mollig warmen Südhälfte des Landes ist der Faktor Höhe von Bedeutung, denn die Hitze des Tages wird dadurch mit niedrigen Nachttemperaturen kompensiert.
Signifikante Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht – die den Reben guttun – existieren in weiten Teilen Spaniens nur aufgrund entsprechender Hochlagen. Warum sind diese Wechsel so wichtig? Zur Entwicklung von Frucht und Zucker benötigen Reben einerseits viel Sonne (Wärme und Licht). Zu einer guten Balance gehören aber auch Gerbstoffe und Säure. Um diese herauszubilden, muss der Rebstock seine Höchstleistung herunterfahren und eine Ruhepause einlegen können. Dazu braucht es kühle Nächte.
120 Jahre alte Reben (Mischsatz) auf 1300 m Höhe in der Sierra de la Contraviesa bei García de Verdevique.
Nirgendwo in Europa geht es so hoch hinauf wie in Spanien. Die höchstgelegenen Weinberge finden sich in der DOP Granada in der Alpujarra-Contraviesa, sie reichen auf bis zu 1400 m hinauf. In diesem mediterranen Bergklima ergeben Rebsorten wie Tempranillo, Garnacha, die autochthone Vigiriega und selbst die sensible Pinot Noir ausgezeichnete Qualitäten – das zeigt sich unter anderem bei einem Weingut wie Barranco Oscuro.
Ebenfalls werden Reben in der weiten Meseta-Hochebene in Kastilien-La Mancha und Kastilien-León auf über 1000 m Höhe kultiviert. In Weingebieten wie Manchuela oder Ribera del Duero geht es diesbezüglich am höchsten. Über ein raues kontinentales Bergklima verfügt wiederum die Sierra de Gredos westlich von Madrid. Erzeuger wie Bodegas Bernabeleva und Comando G keltern hier aus alten Garnacha-Stöcken, die teils in über 1000 m Höhe wurzeln, hochspannende Weine.
Freilich gibt es nicht DEN einen Hochlagenwein. Was sich bei Weinen aus der Höhe jedoch oft sagen lässt, ist, dass sie nicht nur alkoholisch und fruchtbetont daherkommen, sondern zusätzlich über frische Säure und straffe Tannine verfügen. So erscheinen selbst Weine aus den südlichsten Gefilden Spaniens als komplex strukturiert.
3. Die Böden: Kalk, Schiefer, Granit und mehr
Einen weiteren Baustein in der Weinerzeugung nehmen freilich die Böden ein. Ob Lehm, Sand, Kies, Kalk, Schiefer oder Granit – alle beeinflussen auf ihre Weise das Wachstum der Rebe und den Geschmack der Traube.
Albariza heißen die weißen Kalkkreideböden in der Provinz Cadiz, auf denen die Palomino-Reben für die Sherry-Produktion wachsen. Dieser spezifische Untergrund kann große Mengen an Wasser speichern und den Rebstock so selbst bei extremer Trockenheit noch mit Nährstoffen versorgen. Derartige Böden kommen ausschließlich in diesem Teil Andalusiens vor.
Das Priorat ist u.a. für schieferhaltige Böden bekannt, hier ein Weinberg von Mas Martinet (Foto: Matías Costa / © ICEX).
Darüber hinaus verfügt Spanien über das ganze Spektrum wertvoller Böden: Kalkböden sind beispielsweise ein Markenzeichen der berühmten Appellationen Rioja und Ribera del Duero. Man sagt deren Paraderebe Tempranillo harmoniere besonders gut mit Kalk und ergebe dabei Weine von großer Tiefe und Harmonie.
Im Priorat und in Teilen der Sierras de Málaga ist es Schiefer, der den Weinen einen mineralischen Anklang gibt. Mineralität zeigt sich außerdem in den Weißweinen, die aus den galicischen Gebieten Rías Baixas und Valdeorras kommen. Hier sind es Granitböden, die beispielsweise Aromen von kaltem Stein hervorbringen.
Man kann die Aufzählung problemlos verlängern: Lehm und Ton finden sich häufig in der Extremedura und in La Mancha. Kiesel und Schotter bestimmen das Bild in Rueda und Toro, Sandböden in Jumilla und so fort.
4. Rebsorten: Von A wie Airén bis Z wie Zalema
Klima, Hochlage, Böden – ein „Terroir“ ist erst mit den Rebsorten komplett. 179 verschiedene Trauben sind in Spanien derzeit für den Weinbau zugelassen. Eine durchaus beeindruckende Zahl, die geschmackliche und aromatische Vielfalt garantiert. Die Anzahl der kultivierten Rebsorten in Italien ist sogar doppelt so hoch, das sei an dieser Stelle gerne gesagt.
Bekannte spanische Rebsorten sind die weißen Verdejo, Albarino, Godello, Macabeo (Viura) und Palomino Fino. Aus Letztgenannter werden die Sherrys erzeugt. Auch Pedro Ximénez ist in Bezug auf Süßweine bekannt. Die prominenten roten Trauben sind Tempranillo und ferner Garnacha, Monastrell, Mencia, Bobal und Cariñena (Mazuelo).
Sorten wie Tempranillo oder Garnacha sind landesweit populär und werden fast überall angebaut. Andere Gewächse können eher als regionale Reben bezeichnet werden, die sich den jeweiligen örtlichen Bedingungen perfekt angepasst haben. Rebsorten und Regionen wie Verdejo & Rueda, Mencia & Bierzo oder Albarino & Rias Baixas gehören (fast) zusammen wie Romeo & Julia.
160 Jahre alte Rebe bei Javier Sanz Viticultor, Rueda
Darüber hinaus existieren etliche weiße und rote Trauben, die echten Kennern geläufig sein mögen, den meisten Weinliebhabern hingegen unbekannt sein dürften. In alphabetischer Folge sind dies zum Beispiel: Airén, Albillo, Baboso, Cayetana, Chelva, Doradilla, Espadeiro, Forcallat, Graciano, Hondarribi Zuri, Jaén Blanco, Listan Blanco, Loureira, Moscatel de Alejandría, Negramoll, Pedral, Prieto Picudo, Romé, Souson, Tintilla, Treixadura, Turruntes, Vigiriega, Xare-lo, Zalema.
Diese Liste weniger bekannten Rebsorten ließe sich deutlich verlängern, ich beschränke mich bei der Nennung einzig auf jene Trauben, die ich selbst schon kennengelernt und probiert habe. Mitunter sind hochfeine und spannende Tropfen darunter – probieren sie mal den Alagú Forcallat von Casa Corredor und den Ariyanas Rosado Romé von Bodegas Bentomiz.
5. Die Kanarischen Inseln – das letzte Puzzleteil
Wir wissen nun, dass Wein in Spanien am Atlantik, am Mittelmeer, auf Hochebenen, entlang von Flüssen, in Gebirgen, in extremer Trockenheit und hoher Feuchtigkeit angebaut wird. Doch damit nicht genug: Was das Weinland vielfältig wie kein zweites macht, sind die Kanaren. Jene Inselgruppe nahe Afrika stellt das letzte Puzzleteil dar, wenn wir von einem weltweiten Alleinstellungsmerkmal sprechen.
Die Kanaren liegen auf geografischer Breite der Sahelzone und vom nächsten Punkt grade mal hundert Kilometer davon entfernt. Reichlich Sonne, atlantische Passatwinde und vulkanische Böden ergeben teils hochkomplexe und elegante Weine wie man bei Erzeugern wie Suertes del Marqués (Teneriffa), Matías í Torres (La Palma) oder El Grifo (Lanzarote) sehen bzw. schmecken kann.
Rechts im Bild: Die Táganan-Weinparzellen auf Teneriffa (Foto: Desconocido / © ICEX)
Ein weiteres Charakteristikum des Weinbaus auf den Kanaren besteht darin, dass die Inselgruppe von der großen Reblausplage, die den europäischen Kontinent im 19. Jahrhundert heimsuchte, verschont blieb. Somit sind die Reben wurzelecht und können ungepfropft gepflanzt werden. Deshalb finden sich teils jahrhundertealte Reben in den Weinbergen wieder, und dies dürfte ferner ein Grund für die beeindruckende Vielfalt an autochthonen Sorten sein. Diese tragen Namen wie Gual, Listán Blanco, Marmajuelo, Baboso und Negramoll, um nur ein paar zu nennen.
Was an den Kanaren ebenfalls erstaunt, ist die Kleinteiligkeit im Weinbau. Zum Beispiel ist Teneriffa mit einer Länge von 84 Kilometern und einer Breite von maximal 54 Kilometern nicht gerade eine große Insel, beherbergt aber stolze fünf DO-Anbaugebiete. Je nach Himmelsrichtung, Nähe zum Ozean oder der Hochlage (von 100 bis 1500 m Meereshöhe wird Wein angebaut) haben wir es mit differenzierten wie spezifischen klimatischen Bedingungen zu tun.
Weinbau auf vulkanischer Asche, Lanzarote (Foto: © CRDO Lanzarote / Joaquín García Vera)
Faszinierend sind ferner die Weinparzellen auf Lanzarote anzusehen. Auf schwarzen vulkanischen Ascheböden werden Reben in Mulden erzogen. Die Winzer heben diese Mulden so tief aus, bis sie auf eine festere Bodenschicht stoßen. Manche der Löcher können bis zu zwei Meter tief sein. In den Kuhlen sammelt sich außerdem bei den seltenen Regenfällen das Wasser. Um jede Mulde ist ferner mit Steinen ein Mäuerchen im Halbkreis gezogen, um die Gewächse vor aufgewirbelter Asche durch die nordöstlichen Passatwinde zu schützen. Was für ein Aufwand, um Wein zu gewinnen! Der feine Asche-Untergrund auf Lanzarote lässt die Wurzeln der Reben übrigens bis tief in den Boden wachsen und kann Wasser gut speichern.
Kurzum
Hin und wieder reißt einen das eigene Thema ja zu sehr mit. Und manche neigen dazu, das eigene Thema zu überhöhen. Mein Ding ist „Wein & Spanien“ und sicher ist der vorangehende Text auch eine Hommage. Was sich aber ganz objektiv sagen lässt: Spanien hat den Atlantik, der Italien fehlt. Und Spanien hat spektakuläre Hochlagen, die Frankreich fehlen. Und mit den Kanarischen Inseln gehört zu Spanien ein nochmals ganz eigener kleiner Weinkosmos. Das soll nicht heißen, dass aus Spanien bessere Weine kommen als aus den anderen großen Weinländern. In diesem Artikel geht es allerdings um die Vielfalt – und diese ist in Spanien einzigartig und macht es als Weinland unter anderem so speziell. Salud!