Wein ist Geografie in der Flasche. Dieser simple wie wahre Satz von Jancis Robinson kam mir kürzlich im Gespräch mit Jorge Muga in den Sinn. Jorge ist Kellermeister von Bodegas Muga in Rioja Alta, und in einem von mir moderierten Online-Tasting ging es um die nahezu idealen Bedingungen, welche die Rioja dem Weinbau bietet.
Ein gutes Beispiel sind diesbezüglich die zwei Gebirgszüge Sierra Cantabria und Montes Obarenes, welche das Gebiet nach Norden zum Atlantik hin abschirmen. Der Ozean ist nur 90 Kilometer Luftlinie von Haro entfernt, eine Kleinstadt, die das Weinzentrum in der Subzone Rioja Alta darstellt. Legendäre Weingüter wie López de Heredia Viña Tondonia, La Rioja Alta und Muga befinden sich hier in direkter Nachbarschaft.
Wenn nun Nordwinde die Regenwolken vom Atlantik in Richtung Rioja tragen, dann bleibt ein guter Teil davon in Sierra Cantabria und Montes Obarenes hängen. Die Berge sind mit etwa 1500 Metern aber auch nicht so hoch, dass gar kein Regen in die Rioja durchziehen könnte. Man kann somit sagen: Gäbe es Sierra Cantabria und Montes Obarenes nicht, dann wäre das Gebiet viel feuchter und Sorten wie Tempranillo, Garnacha oder Mazuelo könnten kaum im Anbau existieren.
Wären diese Berge allerdings 3000 Meter hoch, zum Beispiel wie die benachbarten Pyrenäen, dann würden sie eine undurchdringbare Wand bilden und das Klima in der Rioja wäre viel trockener. So kann man sagen, dass Rioja Alta – wo sich die Weinberge von Bodegas Muga befinden – ein sehr gutes klimatisches Gleichgewicht hat: Es ist weder zu feucht, noch zu trocken. Der Weinbau profitiert von etwa 600 mm Niederschlag und von über 2000 Sonnenstunden im Jahr.
Die Weinlage Baltracones und der Faktor Boden
Von Relevanz sind darüber hinaus die Böden in der Rioja. Auch hier herrscht in den Weinlagen von Bodegas Muga eine gute Balance: Weder sind sie zu arm, noch zu fruchtbar. Man erkennt das gut am Querschnitt eines Bodens auf dem Foto unten: Das Bild zeigt das Bodenprofil der Weinlage Baltracones, von der die Trauben für die Reserva Muga Selección Especial kommen. Dieser Boden besteht aus drei farblich verschiedenen Schichten, die nur in der Kombination einen Top-Untergrund ergeben.
Die weiße Schicht wurde vor etwa 100 Millionen Jahren gebildet, als Rioja noch Teil des Meeres war. Dieser Boden ist weiß, hauptsächlich wegen des Kalziums und anderer Salze, die er enthält. Es handelt sich um einen Untergrund, der die Fruchtbarkeit des Bodens begrenzt, da das Kalzium die meisten Nährstoffe blockiert. Würde diese weiße Ebene alleine vorkommen, könnten Reben nicht wachsen, denn der Boden ist zu arm.
Die rote Schicht wurde vor fünf Millionen Jahren gebildet. Es handelt sich um einen Schwemmboden, der reich an Eisen und anderen Nährstoffen ist. Allerdings enthält er wenig Stickstoff, was wiederum die Fruchtbarkeit des Weinbergs einschränkt. Dies ist positiv zu sehen, denn zu üppige Erträge sind nicht gut für die Traubenqualität.
Die obere braune Schicht ist nur zwei Millionen Jahre alt. Dieser Schwemmboden hat die höchste Konzentration an organischen Bestandteilen, und seine Zusammensetzung ist sehr gut für die Entwicklung und das Wachstum der Pflanze im Frühling. Im Sommer ist diese Schicht hingegen zu trocken, um die Pflanze mit Nährstoffen zu versorgen. Diese Aufgabe übernimmt dann die mittlere rote Schicht. Wir haben es folglich mit einer „Bodencuvée“ zu tun, deren drei Schichten verschiedene Aufgaben zukommen.
Bekannt ist die Rioja eigentlich für Kalkböden. Die Bodenstruktur im Gebiet ist jedoch deutlich komplexer und vielfältiger, als dass man Rioja auf Kalk reduzieren könnte. Ich denke, das vorangehende Beispiel zeigt dies ganz gut. Gerade die Rebsorte Tempranillo, erzählt Jorge Muga im Webinar, verändert ihren Charakter sehr stark, abhängig vom Boden, auf dem sie wächst. Manchmal enthält eine Parzelle fünf verschiedene Böden.
Zu den insgesamt exzellenten Weinbaubedingungen in Rioja Alta tragen – last, but not least – die Höhenlagen bei. Die Weinberge von Bodegas Muga befinden sich auf 430 bis 600 m.ü.NN. Das sind zwar keine so extremen Hochlagen, wie wir sie teils aus Zentral- und Südspanien kennen. Für Nordspanien sind diese Werte allerdings gut. Die Höhe bedingt kühle Sommernächte, und so verlängert sich der Reifezyklus der Trauben. Vor allem die früh reifende Tempranillo profitiert von den kühleren Bedingungen. In einem sehr heißen Klima würde sie zu schnell überreifen.
Um an dieser Stelle nochmals auf das Zitat von Jancis Robinson – „Wein ist Geografie in der Flasche“ – zurückzukommen: Sicher ist es kein Zufall, dass die Rioja – und ganz besonders deren Subzonen Alta und Alavesa – Spaniens Top-Weingebiet ist. Spezifische geografische und geologische Faktoren, wie ich sie vorangehend beschrieben habe, ergeben nahezu optimale Bedingungen für den Weinbau. Im Resultat entstehen elegante Weine mit Frische und Finesse, wie zum Beispiel jene von Bodegas Muga und deren Nachbarn Viña Tondonia.
Bodegas Muga – das (richtige) Holz macht den Unterschied
Bodegas Muga und Viña Tondonia sind „seit Kindheitstagen gute Freunde“, wie es Kellermeister Jorge Muga in dem Online-Tasting sagte. Die zwei legendären Erzeuger aus Haro haben ein paar Gemeinsamkeiten: In ihren riesigen Weinkellern befindet sich kein einziger Stahltank; die gesamte Weinbereitung erfolgt in Eichenholz. Zudem unterhalten beide Weingüter eine eigene Küferei, in der sie Holzfässer anfertigen.
Die Hauptunterschiede liegen darin, dass bei Muga überwiegend französische Eiche zum Einsatz kommt, während Viña Tondonia nur mit amerikanischer Eiche arbeitet. Außerdem setzt Viña Tondonia auf mehr ältere Fässer und längere Reifezeiten in Barriques und Flasche. Der Muga-Kultwein Prado Enea Gran Reserva kommt trotzdem auf drei Jahre Ausbau in Barriques und drei weitere Jahre Flaschenlager, bevor er im siebten Jahr in den Handel gelangt. In üblicher Rioja-Tradition ist es eine Cuvée mit der Hauptsorte Tempranillo (80%), ergänzt um Garnacha, Graciano und Mazuelo.
Die Küferei sei aus rein wirtschaftlicher Sicht „nicht rentabel“, erzählt Jorge Muga im Webinar. Gewiss kostet es viel Geld eine Küferei zu unterhalten, weshalb es in Spanien praktisch keine Weingüter mehr gibt, die so etwas machen. Warum aber macht es Muga? Für Jorge gibt es zwei entscheidende Vorteile: Erstens erhält das Weingut die Kontrolle über das Produkt: Vom Holzeinkauf, über das jahrelange Trocknen des Holzes bis hin zum Anfertigen und Toasten der Fassinnenseite ist alles in eigener Hand.
Zweitens werden die gefertigten Fässer dem jeweiligen Jahrgang angepasst. Je nachdem wie die Trauben eines Jahrs ausfallen, kann ein Fass zum Beispiel mal mehr, mal weniger Toast erhalten. Auch die Holzart kann variieren. Eiche ist nicht gleich Eiche. „Es gibt keine Regeln“, sagt Jorge Muga. Damit meint er, dass das Weingut bei der Weinbereitung nicht nach Schema F verfährt. Bei Muga werden die Fässer auf den Wein abgestimmt, und dieser fällt nunmal jedes Jahr anders aus. Eine solche Anpassung erfordert freilich eine langjährige Erfahrung und ein profundes Wissen um den richtigen Holzeinsatz. Bei Muga wird dieses Wissen seit Generationen erworben und vertieft. Viele Test sind dafür notwendig. Jorge sagt, von zwanzig Versuchen gingen 19 schief und einer klappt.
Was macht Barrique mit Terroir?
Seit einigen Jahren gibt es in der spanischen Weinszene einen Trend, der weg von den 225-Liter Barriquefässern geht. Viele jüngere Winzer und Winzerinnen sind der Meinung, dass diese kleinen Eichenfässer den Wein zu stark beeinflussen und folglich „das Terroir nicht respektieren“ (O-Ton) würden. Deshalb steigen sie auf größere Holzgebinde oder sogar ganz auf Zementtanks und Tonamphoren für die Weinbereitung um.
Ich frage Jorge Muga, was er über solche Aussagen denkt. Dass Barriques das Terroir nicht respektieren würden, will er natürlich nicht gelten lassen. Man müsse eben nur wissen, wie mit Holz richtig umzugehen ist, sagt er. Holz sei nicht gleich Holz. Es gebe verschiedenste Hölzer aus verschiedensten Wäldern von guter und schlechter Qualität. Um Holz zu verstehen, sagt Jorge, benötige es viel Erfahrung und Zeit. Eine Zeit, die viele jüngere Weingüter gar nicht haben können.
Zweifellos ist der richtige Holzeinsatz eine Kunst, die nur wenige Kellermeister so gut beherrschen wie Jorge Muga. Holz darf einen Wein nicht maskieren und nicht dominieren. Er bekommt das bei seinen Weinen genau so hin.
Muga – Familienweingut in dritter Generation
Das Weingut wurde 1932 von den Eheleuten Isaac Muga und Aurora Caño mitten im Haroer Eisenbahnviertel gegründet. Die Weingeschichte der Familie reicht allerdings deutlich weiter zurück. Isaac Mugas Vater war bereits Kellermeister bei La Rioja Alta, und Aurora Caño stammt ebenfalls aus einer Weinfamilie. Zuerst erzeugte das Weingut Rosados und junge Rotweine, wie es damals für kleinere Weingüter in der Rioja sehr üblich war. Der spanische Bürgerkrieg (1936-1939) und dessen wirtschaftliche Folgen verhinderte anfangs ein Wachstum.
Die Söhne Manuel und Isacín führen den Betrieb in den 1960er-Jahren dann in eine neue Ära. Das Weingut zieht innerhalb des Eisenbahnviertels an einen deutlich größeren Standort, und 1969 erscheint der erste Jahrgang des Kultweins Prado Enea. Diese Gran Reserva schlug sofort ein, und seither ist Muga eine einzige Erfolgsgeschichte. Die Weine landen regelmäßig auf den „großen“ Tischen, sprich bei den (Staats)Banketten von Präsidenten und Monarchen.
Die heutige dritte Muga-Generation besteht aus den sieben Kindern der zweiten Generation. Die Familie und ebenfalls das Weingut werden also nicht kleiner. Obwohl Muga mit 1,5 Mio. Flaschen im Jahr auf eine stolze Produktion kommt, haben wir es mit einem klassischen Familienweingut zu tun. Alle arbeiten sie im Betrieb, und es gibt keine weitere Eigentümer. Für deutsche Ohren mag das seltsam klingen, weil wir derart große Familienweingüter in Deutschland nicht kennen. In Spanien kommt so etwas durchaus häufiger vor. Natürlich arbeiten bei Muga noch ein paar mehr Leute im Betrieb, insgesamt sind es 90 Mitarbeiter.
Rioja klassisch und modern
Muga ist ein namhaftes Weingut in Rioja Alta mit einer legendären Weinbereitung: Traditionell findet die gesamte Erzeugung in Eiche statt. Sowohl große Holztanks, als auch kleine Barriques kommen zum Einsatz. Die Schönung der Weine erfolgt in klassischer Rioja-Manier mit Eiweiß. Hinzu kommt alle paar Monate ein Umziehen des Weins in neue Barriques. Auf eine abschließende Filtrierung verzichtet das Weingut.
Zudem erfolgt die Vergärung mit wilden Hefen, also spontan. Laut Jorge Muga geht es in einem Keller, der nur aus Holzfässern besteht, gar nicht anders. Stahltanks könne man ja desinfizieren, aber die alten Holztanks bei Muga natürlich nicht. Hier bilden sich im Keller automatisch lokale Hefen, mit deren Hilfe eine Spontanvergärung stattfindet.
Die Unterscheidung in klassisches Rioja und modernes Rioja gefällt Jorge Muga allerdings nicht so gut. Er spricht lieber von einer „Evolution“ in der Rioja. Jorge führt das Beispiel seiner Großeltern auf: Sie hätten Mischsätze gehabt, und alle Trauben wurden von ihnen gemeinsam gelesen und gemeinsam vergoren. Heute werden die Trauben separat gelesen und vergoren, der Weinbau und das Weinmachen wären komplexer geworden.
Das unten stehende Foto zeigt so einen Mischsatz, den Großvater Isaac Muga im Jahr 1933 anlegte. Die unterschiedlich verfärbten Reben weisen auf mehrere Rebsorten im Weinberg hin. Konkret sind es Viura, Tempranillo, Garnacha und Mazuelo. Diese alte Lage ergibt Trauben für den Premiumwein Torre Muga. Heute wird diese Parzelle zu vier Zeitpunkten gelesen, nämlich genau dann, wenn die jeweilige Rebsorte reif ist: Zuerst die weiße Viura, dann Tempranillo, danach Garnacha und zuletzt Mazuelo.
Darüber hinaus erwähnt Jorge Muga den heutzutage exakteren Umgang mit Böden. „Meine Generation erntet keine Weinberge mehr, sondern Böden“, führt er aus. „Wir schauen uns die Weinberge und ihre Böden genau an, und aus den unterschiedlichen Böden machen wir jeweils andere Weine.“ Der Grund für dieses Vorgehen liegt vor allem in der Tempranillo-Traube, die ihren Charakter stark nach Boden verändert.
Wo wir von Tempranillo sprechen, ist es ebenfalls wichtig die roten Trauben Garnacha, Graciano und Mazuelo zu erwähnen. In den Muga-Rotweinen kommen sie stets auf einen Anteil von zwanzig bis dreißig Prozent. Sie stellen also eine bedeutende Minderheit dar. Warum erzeugt das Weingut nicht einfach sortenreine Tempranillo, wie es immer mehr Erzeuger in der Rioja tun? Jorge antwortet, dass er nicht an reinsortige Tempranillo-Weine glaubt, weil sie für ihn zu simpel ausfallen. Eine Cuvée führt seiner Ansicht nach zu mehr Eleganz und Komplexität.
Fernerhin sind Muga-Rotweine für ein langes Altern ausgerichtet. Auch nach dreißig und vierzig Jahren sollen sie top-frisch schmecken. Säurereiche Rebsorten wie Graciano und Mazuelo (andernorts als Cariñena bzw. Carignan bekannt) sind hierfür elementar. „Dank dieser Reben altern unsere Weine besser“, erklärt Jorge. Mit dem Klimawandel kann er sich sogar gut vorstellen, dass Graciano und Mazuelo mit ihrer „wunderbaren Säure“ einen noch wichtigeren Anteil bei den zukünftigen Muga-Weinen einnehmen.
Lassen wir uns diesbezüglich gerne überraschen.
PS: Das ganze Online-Tasting und Webinar mit Jorge Muga gibt es in Spielfilmlänge auf YouTube zum Nachschauen: