Geboren im Herzen des Penedès

Thomas im Penedès

Im Februar besuchte ich die Barcelona Wine Week, worüber ich ausführlich in der WEIN+MARKT und hier im Weinkenner berichtete. Da es von der katalanischen Hafenstadt nicht weit bis in den Penedès ist, verlängerte ich die Visite um einen Tag und fuhr mit dem Auto die 45 Minuten hinaus aus der Metropole und hinein in die Weinregion am Fuße der Montserrat-Berge. Hier traf ich die Schaumwein-Erzeuger Can Feixes und Gramona. Beide gehören dem Verbund Corpinnat an.

Der Penedès gehört zu den historisch bedeutendsten Weinregionen Spaniens. So stammen etwa die ersten spanischen Schaumweine nach der traditionellen Methode im Jahr 1872 aus dem Penedès-Gebiet. Bekannt sind die Schäumer weithin unter dem Namen Cava. Doch nicht alles, was im Penedès heutzutage prickelt, heißt Cava. Dazu später mehr. Jedenfalls spürt man im Penedès, dass die Weinkultur – ähnlich wie in Rioja und Jerez – einen großen Einfluss im Alltagsleben hat: Weinbau und Weingenuss sind praktisch überall präsent und tief im Bewusstsein der Menschen verankert.

Die Region ist auch aus geografischer Sicht interessant. Ein markantes Wahrzeichen sind vor allem die 1.200 Meter hohen Montserrat-Berge, die den Penedès nach Norden hin abschirmen und vor den kalten Nordwinden aus den Pyrenäen schützen. Darüber hinaus ist zur Mittelmeerküste im Süden und Osten das 600 Meter hohe Garraf-Gebirge vorgelagert. Nach Westen wird der Penedès wiederum von einem Gebirgszug eingefasst, den die Leute in der Region als „Prelitoral“ bezeichnen. Somit ist das Gebiet von Mittelgebirgen quasi eingekreist, wodurch es einen sehr eigenständigen Charakter erhält. Man fühlt sich fast wie in einer separaten Welt.

Weinberge von Gramona im Penedès
Weinberge von Gramona. Im Hintergrund die markanten Montserrat-Berge (Foto: © Thomas Götz)

Gramona – Biodynamie und lange Reifung auf den Hefen

Zuerst mache ich Station bei Gramona. Das Weingut zählt zu den großen Namen, zur Crème de la Crème der katalanischen Schaumwein-Erzeuger. Die Cousins Jaume und Xavier Gramona führen den Betrieb in fünfter Familiengeneration. Deren Söhne Leo und Roc Gramona sind nun dabei, das Tagesgeschäft so langsam zu übernehmen. Die Jahresproduktion beläuft sich auf etwa 700.000 Flaschen Schaum- und weitere 700.000 Flaschen Stillwein.

Als Erstes unternehmen wir eine Tour in die Weinberge. Das weitläufige Anwesen nahe Sant Sadurni d’Anoia umfasst neben 110 Hektar Rebgärten auch Wälder mit Eichen- und Pinienbäumen, an deren Ränder mediterrane Sträuchern wie Rosmarin und Thymian gedeihen. Auf dem Grundstück, im Grunde ist es ein Bauernhof, leben Bienenvölker, Pferde und Schafe. Mit dem Kompost düngt das Weingut Gramona die Weinberge. Dazu pflügen die Pferde die Rebanlagen, was gegenüber dem Traktor weniger Bodenverdichtung bedeutet, und die Schafe fressen das Gras ab, wenn es zu hoch wird. Seit 2014 praktiziert Gramona den biodynamischen Anbau nach Demeter-Kriterien.

Darüber hinaus kauft das Weingut Trauben für die Produktion hinzu. Gramona hat hierfür die Organisation „Alianzas por la Tierra“ (Partnerschaft für die Erde) gegründet, der lokale Weinbauern angehören, die ebenfalls biodynamischen Weinbau betreiben. Für den Mehraufwand, den diese Form der Weinbergsbestellung bedeutet, erhalten die Bauern von Gramona deutlich höhere Traubenpreise als marktüblich.

Mit Roc Gramona.
Mit Roc Gramona.

Der Weltruf des Weinguts basiert auf seinen Schaumweinen, deren gemeinsamer Nenner die Méthode Traditionelle, eine lange Reifung auf den Hefen und die autochthone Weißweintraube Xarel.lo darstellen. Während des Mittagessens mit Leo Gramona und einigen weiteren internationalen Gästen trinken wir etwa die Schäumer Imperial 2017 mit über vier Jahren Hefelager, ferner Lustros 2014 mit über sieben Jahren, Celler Batlle 2012 mit über neun Jahren und Enoteca 2009 mit über 13 Jahren Reifung auf den Hefen. Alle sind sie Cuvées mit Xarel.lo als Hauptrebsorte. Zudem macht die weiße Macabeo einen weiteren wichtigen Bestandteil in den Blends aus.

Besonders der Lustros 2014 aus 70 Prozent Xarel.lo und 30 Prozent Macabeo entpuppt sich als vorzüglicher Essensbegleiter. Er verfügt über eine samtig-cremige Textur, wirkt trotz reichlich Körper sehr geradlinig und präzise, hat viel Spannung und Mineralität. Die Aromatik enthält Kernobst und Noten, die auf das Hefelager zurückgehen, wie etwa Brotkruste. Die Hefearomen gewinnen aber nie die Oberhand, sie sind wunderbar integriert, sodass der Schaumwein eine enorm anregende Frische und Klarheit besitzt.

Blend aus Xarel.lo und Macabeo. Acht Jahre auf der Hefe. Gramona
Blend aus Xarel.lo und Macabeo. Acht Jahre auf der Hefe. Brut Nature. Großes Kino.

Dass Gramona überhaupt so lange Hefelager anwendet, sei eher dem Zufall geschuldet, erzählen sie im Weingut: Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zerstörung, die damit einherging, habe es so gut wie keine Schaumwein-Bestände mehr in Deutschland, Frankreich und Italien gegeben. Die Nachfrage nach dem prickelnden Gute-Laune-Party-Getränk sei nach Kriegsende aber groß gewesen. Das Weingut Gramona seinerseits konnte wegen des spanischen Bürgerkriegs (1936 bis 1939) und der allgemein schlechten Wirtschaftslage während des Zweiten Weltkriegs über einen Zeitraum von zehn Jahren kaum Schaumweine absetzen. Die Lager waren entsprechend voll.

Xavier Gramona erzählte mir einmal bei einem Zoom-Meeting, dass das Weingut demnach im Jahr 1945 beauftragt wurde, seine gesamten Bestände mit französischen Etiketten zu versehen. Die Weine wurden anschließend nach Frankreich transportiert und dort verkauft. „Die Konsumenten bevorzugten tatsächlich unsere alten Jahrgänge wie 1933, 34 und 35. Sie schätzten unsere zehn Jahre alten Xarel.los ganz besonders.“ So bemerkte die Familie Gramona, dass ihre Schäumer viel länger reifen können als ursprünglich angenommen. Ergo entschied man sich fortan, einen 10 Jahre auf der Hefe gereiften Schaumwein beständig auf den Markt zu bringen.

Im "Solera-Keller" bei Gramona für die Dosagen.
Im „Solera-Keller“ für die Dosagen. (Foto: © Thomas Götz)

Biodynamischer Anbau, Böden aus Kalk, Sand und Lehm, die autochthone Rebsorte Xarel.lo und lange Hefelager: Diese Faktoren tragen zum Charakter der Gramona-Schäumer bei. Das i-Tüpfelchen bildet die Dosage, die aus verschiedenen „Soleras“ gewonnen wird, das älteste davon aus dem Jahr 1907.

Solera ist ein Ausbausystem, das im späten 18. Jahrhundert im Sherry-Gebiet entwickelt wurde. Es geht hierbei um den fortlaufenden Verschnitt junger und alter Jahrgänge, wodurch einerseits Konstanz, andererseits Komplexität entsteht. Die Reifung des Weins erfolgt in einer großen Anzahl von Fässern, die in der Regel in drei übereinander liegenden Reihen angeordnet sind.

Das Weingut Gramona baut Weine für die Dosagen in solchen Soleras oxidativ aus. Das ist natürlich wahnsinnig spannend, weshalb ich Leo Gramona nach dem Lunch bat, ob wir ein paar der oxidativ gereiften Weine – in Spanien auch Rancio genannt – probieren können. Gefragt, getan: Es war ein großartiges Erlebnis diese Rancios mit unterschiedlichem Durchschnittsalter zu probieren. Manche der Weine sind enorm intensiv im Geschmack, nussig und scharf, sodass sie nie einzeln als Dosage verwendet werden, sie würden den Schäumer erschlagen. Sie werden vielmehr mit leichteren Pendants verschnitten. Diese Art von Dosage trägt freilich ebenfalls zum eigenständigen Stil der Schaumweine bei.

Leo Gramona
Leo Gramona, ziemlich verwackelt, mit einem oxidativ ausgebauten Wein.

Corpinnat – geboren im Herzen des Penedès

Die Schaumweine von Gramona, das mag für deutsche LeserInnen komisch klingen, firmieren nicht als Cava. Das Weingut trat im Januar 2019 – zusammen mit einigen weiteren Erzeugern im Penedès – aus Unzufriedenheit über die Regularien und Qualitätsstandards aus der DO Cava aus. Ihren neuen Verbund nannten sie Corpinnat, und ihre Schäumer gelangen seither unter dieser Bezeichnung in den Handel.

Die Abspaltung der Corpinnat-Weingüter ging nicht ohne Nebengeräusche vonstatten. Politisch und emotional handelt es sich um ein stark aufgeladenes Thema im Penedès und in Katalonien, auf das ich an dieser Stelle nicht näher eingehen will. Das Verhältnis zwischen DO Cava, der eingetragenen EU-Marke Corpinnat, dem Projekt Conca del Riu Anoia von Pepe Raventos und – last, but not least – der DO Classic Penedès (eine weitere Schaumwein-Herkunft im Gebiet) habe ich in einem langen Hintergrundbericht hier im August-Heft 2022 von WEIN+MARKT erörtert. Wer den Artikel liest, weiß im Detail über die Situation Bescheid.

Auszug aus meinem 7-seitigen Bericht in der WEIN+MARKT, in dem es um das Verhältnis von Cava, Corpinnat, Classic Penedès und Conca del Riu Anoia geht.

Der Name Corpinnat ruft aufs Erste keine geografischen Assoziationen hervor, obwohl er für eine eindeutige Herkunft steht. Der Begriff setzt sich aus dem lateinischen Wort „Pinnae“ für Penedès sowie den katalanischen Wörtern „cor“ (Herz) und „nat“ (geboren) zusammen. Corpinnat bedeutet folglich „Geboren im Herzen des Penedès“. Dem Corpinnat-Verbund gehören demnach nur Weingüter aus dem Penedès an, aktuell sind es elf. Zwar stammen über 80 Prozent der Produktion der DO Cava ebenfalls aus dem Penedès, das Cava-Herkunftsgebiet erstreckt sich aber auch über weitere spanische Regionen, etwa bestimmte Zonen in Aragón, La Rioja, Extremadura und Valencia. 

Die Regularien des Corpinnat-Verbunds sind streng. Für die Mitglieder sind etwa ein biologischer Anbau und Handlese verpflichtend. Für die Zeit von der Tirage bis zum Degorgement gilt ein Minimum von 18 Monaten. Jedes Weingut muss darüber hinaus einen Schaumwein mit über 30 Monaten und einen mit über 60 Monaten Hefelager auf dem Markt anbieten. Ferner ist der Zukauf von Grundweinen für die Schaumwein-Erzeugung gänzlich verboten. Wer wiederum Trauben dazu bezieht, verpflichtet sich zu Preisen, die weit über dem Marktniveau liegen. Dies erfolgt, um lokale Weinbauern zu unterstützen und die kleinteilige Struktur des Penedès zu erhalten. Die hohen Qualitätsstandards werden von einer unabhängigen Stelle kontrolliert und zertifiziert.

Can Feixes – die Parellada als Star

Auch das Weingut Can Feixes gehört Corpinnat an. Ich traf dort zur Abendstunde ein, so dass das Foto unten beinahe einen pastellfarbenen Charakter erhielt.

Das Anwesen Can Feixes. Im Penedès.
Das Anwesen und Weingut Can Feixes. (Foto: © Thomas Götz)

Das 300 Hektar große Anwesen blickt auf eine lange Geschichte zurück. Im 15. Jahrhundert lag es in der Nähe einer christlichen Festung. Der damalige Bischof erkannte das Land der Familie Feixes zu. „Can“ bedeutet auf katalanisch „Haus“. Der Name Can Feixes übersetzt sich demnach als „Das Haus der Feixes“. Das Landgut, das mehrere Häuser und eine Kapelle enthält, wurde 500 Jahre lang innerhalb der Familie Feixes weitervererbt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es allerdings keine Erben mehr, und so ging das Grundstück mittels Kauf an die Familie Huguet über.

Ich werde von Joan Huguet empfangen. Zusammen mit drei seiner Brüder betreibt er Can Feixes in dritter Familiengeneration. Ihre 80 Hektar Weinberge bewirtschaften sie nach biologischen Kriterien. Joan ist derzeitiger Präsident der DO Penedès. Das Weingut keltert jährlich etwa 150.000 Flaschen Stillweine aus autochthonen Trauben wie Garnacha und Macabeo und internationalen Sorten wie Chardonnay und Cabernet Sauvignon. Die Etiketten der Stillweine tragen eben die Herkunftsangabe DO Penedès. Einige der hervorragenden Rotweine gelangen erst nach längerem Flaschenlager in den Handel, etwa die elegante Reserva Especial, deren aktueller Jahrgang 2009 ist.

Joan Huguet, Co-Inhaber und Winzer, Can Feixes
Joan Huguet, Co-Inhaber und Winzer (Foto: © Thomas Götz)

Darüber hinaus erzeugt das Weingut Can Feixes rund 50.000 Flaschen Schaumwein im Jahr, die – wie schon gesagt – unter der Angabe Corpinnat erscheinen. Den Schäumer Huguet de Can Feixes Reserva 7 Anys gibt es quasi in zweifacher Ausfertigung – sowohl in Brut Nature als auch in Brut. In beiden Fällen handelt es sich um den identischen Blend aus den Rebsorten Parellada (60%), Macabeo (30%) und Pinot Noir (10%). Das Hefelager beträgt jeweils mindestens sieben Jahre.

Dass ausgerechnet die Parellada die Hauptrebsorte in einer Schaumwein-Cuvée darstellt, kommt eher selten vor. Die Weißweintraube kann schwungvolle und erfrischende Weine mit spritziger Säure und niedrigen Alkoholgraden ergeben. Trotzdem steht sie immer ein wenig im Schatten von Xarel.lo und Macabeo. Viele Winzer im Penedès sagen, dass die Parellada zu wenig Körper habe, um etwa einem langjährigen Hefelager standhalten zu können.

Dabei zeigen die beiden Schaumweine von Can Feixes sehr schön auf, dass die Parellada zu Unrecht als Leichtgewicht gilt und dass man aus ihr sehr wohl Spitzengewächse mit einer langen Reifung auf den Hefen gewinnen kann. Die Brut Nature 2015 Huguet de Can Feixes Reserva 7 Anys ist aromatisch komplex, verfügt über Spannung, eine cremige Textur und ein lang anhaltendes Finish. Eine derartige Qualität zum Preis von knapp über 15 Euro ist beeindruckend. Das Geheimnis liege im Grundwein, sagt Joan Huguet. Er müsse über gute Konzentration verfügen, um der langen Autolyse in der Flasche standzuhalten.

Blend aus Parellada, Macabeo und Pinot Noir. Sieben Jahre Hefelager. Can Feixes.
Blend aus Parellada, Macabeo und Pinot Noir. Sieben Jahre Hefelager. Spitzenklasse.

Can Feixes befindet sich ein Stück weiter landeinwärts in einem eher abgeschiedenen Winkel des Penedès, etwa 40 Kilometer Luftlinie von der Mittelmeerküste entfernt. Es ist ein ruhiger, sehr ländlich geprägter Ort. Zur besonderen Atmosphäre trägt auch der ehemalige Weinkeller bei, den mir Joan Huguet zeigt. In der über 100 Jahre alten Bodega befinden sich noch Fässer, die einige oxidativ ausgebaute Weine enthalten, überwiegend aus der Rebsorte Macabeo. Bei manchen dieser „Rancios“ reicht der Jahrgang bis in die 1940er zurück. Es ist auch diese lebendige Tradition, die das Penedès bis heute zu einem der großen Weinbaugebiete Spaniens macht.

Im historischen Weinkeller mit den oxidativen "Rancio"-Weinen. Can Feixes, Penedès.
Im historischen Weinkeller mit den oxidativen „Rancio“-Weinen. (Foto: © Thomas Götz)

Das war mein Tag im Penedès. Für Außenstehende ist diese historische Weinregion im Hinterland von Barcelona nicht ganz einfach zu verstehen: Ihre rund 25.000 Hektar Rebfläche verteilen sich sage und schreibe auf die drei Schaumwein-Herkünfte DO Cava, DO Classic Penedès und die eingetragene EU-Marke Corpinnat sowie die zwei Stillwein-Herkünfte DO Penedès und DO Catalunya.

Eine derartige Zersplitterung deutet darauf hin, dass ziemlich starke Spannungen und unterschiedliche Interessenlagen, etwa zwischen großen und kleinen Erzeugern, existieren müssen. Und obwohl es zwischen (und innerhalb) dieser Gruppierungen einige Gräben und Meinungsverschiedenheiten zu geben scheint, wird man als Besucher doch stets von allen Seiten herzlich und freundlich empfangen. Als offizieller „Cava Educator“ war ich freilich nicht das erste und auch nicht das letzte Mal dort.

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