Wahre Größe hat ein Weingebiet nur dann, wenn es über ein einzigartiges Terroir, eigene Traditionen und eine angemessene Zahl von Spitzenerzeugern verfügt. Bei letzterem holt Málaga so langsam auf.
Wenn ich mir für Málaga etwas wünschen dürfte, dann weniger Tourismus und mehr Anerkennung in der Weinwelt. Schon in einem früheren Beitrag schrieb ich, dass das Weingebiet im 19. Jahrhundert mit 112.00 Hektar Rebfläche zu den größten und bedeutendsten der Welt zählte. Dostojewski, Schiller, Goethe – alle tranken sie Málaga. Wegen der Reblausplage, die ab 1878 auftrat, und auch wegen den beiden Weltkriegen, in denen der einst so wichtige deutsche Markt wegbrach, verschwand die Region in der Versenkung. Heute ist das Anbaugebiet zwar viel kleiner und viel weniger bekannt, zählt aber weiter zu den interessantesten Spaniens, das wiederentdeckt werden will.
Málaga verfügt vor allem über ein einzigartiges Terroir, auch wenn es nicht das eine Málaga gibt, sondern sehr verschiedene „Málagas“. Das Anbaugebiet erstreckt sich über die gesamte Provinz, die den Namen der Hafenstadt trägt, und umfasst ganz unterschiedliche Zonen. Die „Serrania de Ronda“ rund um die gleichnamige Stadt bietet bis zu 900 Meter hohe Lagen, überwiegend lehmige Böden und ein Klima mit kontinentalen Einflüssen. In der Zone „Manilva“ wiederum liegen die Weinberge mit ihren kalkigen Albariza-Böden direkt am Mittelmeer, nahezu auf Meereshöhe. Und wenn wir dann weiter nach Osten gehen, kommen die historisch wichtigsten und für mich auch heute noch interessantesten Zonen „Montes de Málaga“ und „Axarquia“. Dort sind wir ebenfalls nahe am Mittelmeer, aber es sind Berggebiete, geprägt von Höhenlagen bis 1.000 Metern und frischen Meeresbrisen.
Was mich an den Montes und der Axarquia so fasziniert? Die Stille, die schroffen Berge, die weißen, verschlafenen Dörfer, die Steilhänge, der Blick von den Weinbergen auf und über das glitzernde Mittelmeer (der manchmal bis Marokko reicht). Ich war schon Dutzende Male dort und habe Winzer getroffen, die einen 50 Jahre alten Weinberg als „jung“ bezeichnen, weil es so viele alte Reben gibt. Das erinnert mich automatisch an das katalanische Priorat, wo ein Wein nur dann die Bezeichnung „Viñas Viejas“ (alte Reben) auf dem Etikett tragen darf, wenn die Reben mindestens 75 Jahre alt sind.
In Bezug auf das Terroir gibt es also verschiedenartige Málagas. Bei den Herkünften sind es mit der DO Málaga und der DO Sierras de Málaga zwei Appellationen. Das Verhältnis ist wie in Portugal zwischen der DOC Douro und der DOC Porto, also zwei geschützte Ursprungsbezeichnungen, die sich dasselbe geografische Gebiet teilen, vom selben Kontrollrat verwaltet werden, aber für unterschiedliche Weinbereitungsverfahren und Weinstile stehen. Die DO Málaga umfasst vor allem Süßweine und die traditionellen, gespriteten Málaga-Weine (die manchmal auch trocken sind). Die DO Sierras de Málaga beinhaltet die trockenen, nicht gespriteten Rot-, Weiß- und Roséweine.
Fabio Coullet: Wein statt Mango
Inzwischen gibt es in Málaga eine ganze Reihe Erzeuger mit kleiner Produktion, aber exzellenten Weinen. In der Axarquia und in den Montes sind das etwa Bentomiz, Telmo Rodriguez (Molino Real), Sedella, Viñedos Verticales und Victoria Ordoñez; dazu La Melonera, Friedrich Schatz und Cortijo Los Aguilares in Ronda und Bodegas Nilva in Manilva. Neu hinzugekommen ist der Argentinier Fabio Coullet in der Axarquia.
Letzteren besuchte ich jüngst mit meinem Weinfreund Peter Stuckwisch. Fabio erzählt uns, dass er 2002 nach Málaga kam und zunächst als Agraringenieur mit Mangos und Avocados arbeitete, von denen es leider immer mehr Plantagen im Hinterland der Costa del Sol gibt. Leider, weil diese Früchte zu viel Wasser brauchen, das immer knapper wird. Im Jahr 2012 beschloss er dann, die Branche zu wechseln: „Ich wollte in einem Bereich arbeiten, der eine Verbindung mit der Region hat und zu ihr passt“. Und das ist natürlich der Wein und nicht die Avocado oder Mango. Doch bis er die Weinberge für sein Projekt beisammen hatte, vergingen weitere neun Jahre. 2021 war sein erster Jahrgang. Anfangs stand ihm noch der bekannte Winzer Pepe Mendoza (Alicante) beratend zur Seite.
Uralte Reben, Schieferböden und frischer Wind im doppelten Sinne
Die Kellerei, in der wir verabredet sind, befindet sich im Bergdorf Almáchar. Das ist jene Gemeinde mit den meisten Weinbergen bzw. der größten Rebfläche in der Axarquia. Wir fahren in eine Lage nah an der Ortschaft. Sie weist den typischen Axarquia-Vierklang auf: pure Schieferböden, 80 Jahre alte Reben der Moscatel de Alejandría, Hochlage auf über 600 Metern und ein Wind aus Richtung des 10 km entfernten Mittelmeers, der an diesem Maitag besonders heftig bläst. Die Weinberge von Fabio Coullet, und überhaupt die meisten in der Axarquia, können aufgrund ihrer Steilheit und der unsymmetrischen Bepflanzung der Buschreben nicht maschinell bearbeitet werden. Zum Beispiel erfolgt die Weinernte mit der Hilfe von Maultieren, die das Lesegut abtransportieren.
Fabio Coullet gewinnt Trauben aus zehn Parzellen. Zusammen kommen sie auf 15 Hektar. Teils sind es eigene Weinberge, teils kauft er Trauben von Weinbauern hinzu, was in der kleinteiligen Axarquia, in der Besitz breit gestreut ist, sehr üblich bzw. eine Notwendigkeit ist. Die Erträge sind mit maximal 2.500 Kilo pro Hektar äußerst gering. Die Gesamtproduktion seiner Bodega liegt derzeit bei 25.000 Flaschen im Jahr. Neben der Hauptsorte Moscatel keltert er Weine aus den autochthonen Weißweinsorten PX und Doradilla sowie aus Garnacha und der lokalen Rotweinsorte Romé.
Dabei entstehen fabelhafte Weine, etwa der salzig-mineralische Secuencial 2021, ein Blend aus Moscatel, PX und Doradilla, dessen Fokus auf Frische und Geradlinigkeit liegt. Die Technik der Batonnage setzt Fabio Coullet vorsichtig ein, weil er nicht will, dass die Weine in die Breite gehen. Trotzdem besitzen seine Weißweine ein anregendes, seidiges Mundgefühl, wie etwa der reinsortige Moscatel Villazo 2022, der wunderbar frisch ist und attraktive Aromen von Honig, Kräutern und Fenchel vereint.
Wir probieren uns durch das gesamte Portfolio, das etwa den absolut eigenständigen, mineralischen und transparenten Rotwein Romé-Conte 2021 von 116 Jahre alten Reben aus einer 0,8 Hektar großen Parzelle umfasst. Auch verkosten wir den superfrischen und griffigen Garnacha Ingénito 2021, des Weiteren einen zitrischen und strukturierten Orange Wine und einen natürlichen Süßwein mit feinem Säurespiel. Ebenso interessant wie klasse ist ein Wermut, der aus einem Verschnitt von einem Oloroso aus Jerez, einem Moscatel aus Málaga und einem PX aus Montilla entsteht. Ganz Andalusien in einer Flasche sozusagen, mit Kräutern und Gewürzen verfeinert.
Ich gehe hier nicht weiter auf diese Gewächse ein. Sie sind durchweg empfehlenswert, haben Persönlichkeit und Trinkfluss, und da das Weingut erst am Anfang steht, wird sich zeigen, was noch so alles kommen mag. Vielmehr ist für mich das Gesamtbild entscheidend: Fabio Coullet ist ein weiterer sehr guter Winzer in Málaga und steht für eine positive Entwicklung der Region. Denn wahre Größe, das schrieb ich schon im Vorspann, hat ein Weingebiet nur dann, wenn es über ein einzigartiges Terroir, eigene Traditionen und eine angemessene Anzahl von Spitzenerzeugern verfügt. In Bezug auf das Terroir und die Traditionen können nur wenige andere Regionen auf der Iberischen Halbinsel mit Málaga konkurrieren. Was lange Zeit fehlte, war eine gewisse Anzahl von Top-Erzeugern. In dieser Hinsicht macht Málaga weitere Schritte vorwärts. Ein frischer Wind bläst also nicht nur durch die Weinberge, sondern generell durch das Gebiet.
Und noch ein Gastrotipp
Auch wenn ich eingangs sagte, dass weniger Tourismus in Málaga wünschenswert (und notwendig) wäre. Wenn man die Stadt einmal verlässt und in Richtung Axarquia fährt, findet man an der Küste im Ort Mezquitilla die großartige Taverne „El Yantar“, die neben einer ausgezeichneten Küche (zu günstigen Preisen) auch über eine außergewöhnliche Auswahl an Champagner, an spanischen und ganz besonders andalusischen Weinen verfügt. Peter und ich verbrachten dort ein vierstündiges Mittagessen und konnten nicht genug bekommen. Also unbedingt hingehen. Cheers!
Titelfoto: © Peter Stuckwisch
Alle weiteren Bilder: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten