Weniger ist mehr – das Motto der neuen spanischen Generation

Der 38-jährige Luis Haxel ist gebürtiger Bayer und lebt seit seinem 12.Lebensjahr in Madrid, wo er heute mit „Vigneron Select“ eine Weindistribution mit Fokus auf kleinere, spezielle Erzeuger betreibt. Ich habe Luis auf der diesjährigen Madrid Fusion kennengelernt und ihn gefragt, ob er einen Gastbeitrag darüber schreiben möchte, wie er die spanische Weinwelt gerade wahrnimmt und was für ihn die interessantesten Entwicklungen sind. Hier ist sein Text.

Was ich an der Welt des Weins so liebe, ist die ständige Bewegung und der konstante Wandel. Spanien ist da keine Ausnahme. Es gibt viele Veränderungen, und heute möchte ich über zwei davon sprechen: über die Konsumgewohnheiten (also, wie und was wir jüngeren Weinaficionados momentan in Spanien trinken) sowie über die Weinherstellung in Spanien und wie sie sich verändert hat.

Weniger Wein, dafür mehr Qualität

Unsere Geschmäcker verändern sich – natürlich auch beim Wein. Sei es durch Trends, äußere Einflüsse oder den Generationenwechsel. Generell ist es so, dass der Alkoholkonsum zurückgeht, das ist kein Geheimnis. In Spanien ist zum Beispiel der Weinkonsum in den letzten 15 Jahren um etwa 10 Prozent gesunken. Ein Punkt stimmt mich dennoch optimistisch: Die Leute trinken heute zwar weniger Wein als früher, dafür aber besser. Während die Menge sinkt, geben wir seither rund 25 Prozent mehr aus, wie etwa Konsumstatistiken des spanischen Marktforschungsinstituts OIVE zeigen. Die Menschen scheinen also auf mehr Qualität setzen – und das ist etwas Gutes.

Am meisten spüren diese Trendwende wohl die großen Kellereien – jene, die auf Masse und industrielle Produktion setzen und damit die Supermarktregale füllen. Die sehr günstigen Massenweine (jene unter 5 Euro) bleiben zunehmend liegen, bzw. verkaufen sich nicht mehr in der Menge wie früher. Auch das zeigen verschiedene Marktstudien.

Die kleinen Erzeuger dagegen, die auf Individualität und Qualität statt Konformität und Quantität setzen, verkaufen häufig alles und haben in vielen Fällen sogar Schwierigkeiten, die Nachfrage zu decken. Ein Beispiel ist das Projekt Família Peyri aus dem Priorat in meinem Portfolio von Vigneron Select. Im ersten Jahrgang 2023 wurden 1.500 Flaschen produziert, im zweiten Jahrgang 2024 rund 2.000 Flaschen. In beiden Fällen war der Wein in kurzer Zeit ausverkauft, und weder das Weingut noch der Vertriebspartner in Barcelona oder ich in Madrid konnten die Nachfrage vollständig decken – insbesondere nicht seitens der Restaurants mit Michelin-Stern.

Pau Peyri von Familia Peyri, Priorat. Hier mit Demijohns im Bild. Im Portfolio von Vigneron Select
Pau Peyri von Familia Peyri, Priorat. Hier mit Demijohns im Bild.

Leichtere Rotweine und strukturiertere Weißweine

Der Wandel macht auch vor den Weinfarben nicht halt. Rotwein war in Spanien schon immer der König – und ist es im Grunde noch. Aber: Sein Konsum sinkt, besonders bei den unter 40-jährigen. Gleichzeitig steigen die Zahlen bei Weiß- und Roséweinen. 

Besonders interessant finde ich, dass es derzeit zwei gegensätzliche Trends gibt, was die Weinstilistik betrifft: Während Spanien ja eigentlich für kräftige, schwere Rotweine bekannt ist, suchen viele jüngere Konsumenten und Winzer heute bei den Roten nach mehr Frische, mehr Frucht, mehr Leichtigkeit, dafür weniger Holz, weniger Alkohol und weniger Farbe. Und bei den Weißen erkenne ich genau das Gegenteil: mehr Struktur, mehr Holz, längere Maischestandzeit, kräftigere Farbe – und Weine mit Lagerpotenzial. 

Freilich bezieht sich dieser Trend nicht auf Massenweine, sondern auf das gehobene Weinsegment. Beispiele für die neuen Roten sind Projekte wie Jade Gross, José Gil oder GR99 in der Rioja. Bei den Weißen denke ich etwa an Envínate auf Teneriffa, den Weißwein El Cerrico von der Bodegas Cerrón in Jumilla oder an das Weingut Cantalapiedra in La Seca, Rueda.

Energiegeladene Weine kommen von Jade Gross, Rioja, im Portfolio von Vigneron Select
Energiegeladene Weine kommen von Jade Gross, Rioja

Mehr Vielfalt als je zuvor

Ich finde auch, dass wir heute viel stärker die Vielfalt suchen als früher. Mit „wir“ meine ich vor allem die jüngeren Weintrinker und die echten Aficionados. Die Generation meines spanischen Schwiegervaters (etwa um die 60 Jahre) bleibt gern bei den Klassikern: Rioja, Ribera del Duero, viel Holz, viel Alkohol, viel Extrakt. 

Aber das ändert sich wie gesagt. Die jüngere spanische Weinszene, der ich angehöre, trinkt gerne Weine aus aller Welt, aus allen Stilen. Natürlich sind Naturweine in Mode, haben ihr eigenes Publikum – aber dieses Thema wäre einen eigenen Artikel wert. Mit Vielfalt meine ich vielmehr etwas anderes: Dass man heutzutage Weine aus Regionen Spaniens trinkt, die früher kaum jemand kannte oder die man sogar belächelt hat wie zum Beispiel Bierzo und Jumilla. Mehr Leute interessieren sich heute stärker für die Herkunft, Geschichte und Machart eines Weins und probieren generell mehr aus.

Zu dieser Entwicklung beigetragen, haben sicherlich Importeure, Online-Shops und soziale Medien. Früher war es kompliziert, an viele Weine überhaupt heranzukommen – heute genügt ein Klick. Dazu gibt es mehr Informationen, mehr Möglichkeiten, mehr Bildung. Natürlich ist vieles teurer geworden – wer heute Grand Cru aus Burgund trinken will, braucht ein gutes Budget. Wenn er überhaupt an die Weine herankommt. Aber gleichzeitig kann man heute mit einem Klick spannende Weine aus Australien bestellen, was vor ein paar Jahren noch undenkbar war.

Es gibt zudem immer mehr spannende Weinbars, die diese Entwicklung fördern, indem sie die Weinvielfalt zelebrieren. Ich lebe in Madrid, und meine Favoriten dort sind Angelita, La Fisna, Ganz und La Canibal. Hier bekomme ich beispielsweise Weine von einigen meiner Favoriten wie Jorge Olivera aus Aragón oder Diego Magaña aus dem Bierzo und Rioja (Dominio de Anza).

Weinberg von Jorge Olivera im Hochland von Huesca, Aragón
Weinberg von Jorge Olivera im Hochland von Huesca, Aragón

Die Art, Wein zu machen, hat sich stark verändert

Ich habe bisher über den Konsum gesprochen, etwa darüber, dass leichtere Rotweine im Trend liegen. Bleibt die alte Frage: Was war zuerst – Henne oder Ei? Trinken wir im gehobeneren Bereich – damit meine ich Weine etwa jenseits der 20 Euro – anders, weil die Winzer anders vinifizieren? Oder vinifizieren sie anders, weil wir es so wollen?

Wahrscheinlich beides. Und natürlich spielen auch äußere Einflüsse mit – etwa die Zeit der „Parkerisierung“, als viele Weine auf den Geschmack eines einzigen Kritikers ausgerichtet waren. Zum Glück hat sich das geändert. Fakt ist jedenfalls: Die Art, Wein zu machen, hat sich stark verändert. Die heutigen sogenannten Vignerons teilen eine bestimmte Haltung, sie haben ein paar Dinge gemeinsam, von denen ich hier fünf Stichpunkte auflisten möchte:

Minimale Intervention. Möglichst wenig Eingriffe und Zusätze bei der Weinbereitung, so natürlich wie möglich, dafür mehr Authentizität. Unter anderem deshalb habe ich den Titel „Weniger ist mehr“ gewählt.

Alternative Methoden. Oft sind sie gar nicht neu, sondern eine Rückkehr zu alten Traditionen – etwa der Ausbau in Amphoren, wie ihn zum Beispiel die Bodega Forlong in Jerez praktiziert.

Amphoren bei Bodega Forlong, Jerez
Amphoren bei Bodega Forlong, Jerez

Neugier. Die besten Winzer trinken viel – und gut. Sie reisen, verkosten, probieren Neues. Das prägt ihren Stil. 

Weinberg vor Keller. Der Fokus liegt draußen: Rebschnitt, Begrünung, Biodiversität, Ertragsanpassung, Erntezeitpunkt – all das zählt mehr als Technik im Keller. Wer gut im Weinberg arbeitet, muss im Keller kaum „reparieren“.

Wiederentdeckung. Alte Rebsorten, vergessene Regionen, verlassene Weinberge – sie alle erleben ein Comeback.

Ein paar Beispiele will ich zum zuletzt aufgeführten Punkt geben: In der Sierra de Gredos baut Bodegas SotoManrique wieder Wein in Cebreros an – einer Gegend, die einst 4.000 Hektar Reben hatte und heute nur noch 400 Hektar. Statt billiger Fassware, wie sie dort früher von den Genossenschaften hergestellt wurde, sind die Weine dafür heute von hoher Qualität und haben einen höheren Wert, wovon die verbliebenen Weinbauern profitieren, denn sie erhalten nun wieder höhere Traubenpreise. 

Pepe Rodriguez de Vera kultiviert fast ausgestorbene Sorten im Südosten Spaniens
Pepe Rodriguez de Vera kultiviert fast ausgestorbene Sorten im Südosten Spaniens

In Jerez wiederum macht Juan Jurado mit seinem Projekt Agrícola Calcárea den Porfía Blanco, das ein stiller, nicht gespriteter Weißwein aus sechs fast verschwundenen Rebsorten (Listán, Cañocazo, Mantua de Pilas, Indiana, Jaén Blanco und Vijiriega). Und der Winzer Pepe Rodríguez de Vera widmet sich mit seiner Linie Sopla Levante fast 20 nahezu ausgestorbenen einheimischen Sorten wie Valencí Negre in der Region Valencia. All das trägt zu mehr Individualität und Abwechslung bei.

Diese und andere faszinierende Projekte sorgen dafür, dass wir gerade eine spannende und extrem vielfältige Zeit in der spanischen Weinwelt erleben. Ich bin sehr neugierig, wie es weitergeht – und werde es mit Freude verfolgen.

¡Salud! / Zum Wohl!
Euer Luis

Luis Haxel, gebürtiger Bayer, betreibt in Madrid die Distribution Vigneron Select
Luis Haxel, gebürtiger Bayer, betreibt in Madrid die Distribution Vigneron Select

Weitere Infos:

Ihr findet Luis Haxel auf Instagram: @weinstorming und @vigneron_select
Und ebenfalls im Netz: vigneron-select.com

Titelbild: Ana Benés und Carlos Mendoza von GR99, Rioja
Alle Fotos: © Vigneron Select

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