Andy McLeod keltert im katalanischen Terra Alta vorwiegend Weine aus der weißen und roten Garnacha. Vor einem Jahr habe ich sein Weingut Celler Alimara auf diesem Blog vorgestellt. Nun habe ich Andys ersten Jahrgang 2016 wieder probiert. Besonders dem Referenzwein El Senyal Negre – ein Verschnitt aus Garnacha Tinta, Cariñena und der seltenen Sorte Garnacha Peluda – hat das zusätzliche Jahr Flaschenreife gut getan: Säure und Tannine sind harmonischer eingebunden; gleichzeitig zeigt der Rotwein mehr Grip am Gaumen und eine feine Würze im Abgang. Ferner wird das Bukett nicht mehr von einer üppigen Kirschfrucht dominiert, sondern wirkt 12 Monate später vielschichtiger und filigraner.
Andy sagt, es gehe ihm weniger um Intensität, sondern vor allem um die Eleganz bei seinen Weinen, und genau in diese Richtung bewegt sich der El Senyal Negre 2016 hin. Andy sagt auch, dass dieser Rotwein freilich immer noch jung ist und sein ganzes Potenzial vermutlich erst in ein, zwei oder drei Jahren zeigen wird. Ich habe noch ein paar Flaschen auf Lager und werde dann wieder probieren.
Dieser kurze Abstecher nach Terra Alta und zu den im Reifeprozess befindlichen Weinen von Neuwinzer Andy McLeod bringt mich zu einem allgemeinen Thema der Weinbereitung, welches in seiner Bedeutung von einigen Konsumenten glaube ich unterschätzt wird: Die Flaschenreifung als letzter Feinschliff am Wein. Denn ist der Wein erst einmal abgefüllt, hat er noch lange nicht fertig.
El Senyal Negre 2016. Bereits ein Jahr Flaschenreifung hat ihn verändert.
Das Geheimnis der Flaschenreifung
Im Gegensatz zu allen anderen abgefüllten Getränken kann sich ein guter Wein in der Flasche nochmals verfeinern. Ein Grund hierfür ist die Reaktion des Weins mit Sauerstoff. Bereits im Flaschenhals befindet sich genügend O2, von dem sich der Wein über Jahre zu „ernähren“ vermag. Ein Naturkorken ist dabei nicht zwingend nötig, selbst bei einem dichten Drehverschluss verfügt die Flasche über ausreichend Luft, um mikrobiologische Prozesse im Wein auszulösen.
Diese mikrobiologischen Prozesse sind äußerst komplex und von der Wissenschaft nicht völlig entschlüsselt. Nur so viel: Wein besteht zu 75 bis 85% aus Wasser. Der Rest ist Alkohol und Extrakt. Das Extrakt enthält Stoffe wie Glyzerin, Minerale, Säuren, Tannine, Ester, Laktate, Proteine und vieles mehr. Bei der Reaktion dieser Inhaltsstoffe mit Sauerstoff bilden zum Beispiel die im Wein enthaltenen Tannine längere Ketten und machen ihn so weicher. Dieses Phänomen betrifft insbesondere Rotweine. Aber auch Geschmacksstoffe, die an Phenolmolekülen hängen, reagieren mit Sauerstoff und können die Aromen eines Weins verändern: Junge Weine sind häufig von Frucht dominiert, während bei gereiften Weinen gerne erdige, balsamische, karamellige und animalische Aromen hervortreten.
Die Flaschenreifung verändert also die Struktur und den Geschmack eines Weins. Sie stellt im Grunde seine letzte Entwicklungsstufe dar. Welche Düfte und Aromen eine solche langsame Reifung hervorbringt, ist nicht planbar und macht eines der vielen Geheimnisse des Weins aus.
Flaschenreifung bei Campo Viejo im Rioja (Foto: Dpto. Multimedia / © ICEX)
Nicht jeder Rotwein muss altern, und so mancher Weißweine dürfte reifen
Wann ein Wein seine optimale Reife erreicht hat, lässt sich nicht mit einer Gesetzmäßigkeit sagen, sondern nur erschmecken. Der persönliche Gusto spielt dabei eine Rolle. Klar ist zudem, dass die meisten Weine irgendwann aufgrund von Oxidation kippen und an Qualität verlieren bzw. völlig hinüber gehen. Einen durch Oxidation zerfallenen Wein erkannt man an einem Essigstich oder einem Maggi-ähnlichen Geruch. Zu viel Sauerstoff schadet also wiederum, weshalb sich nur wenige Tropfen für ein Flaschenlager von 20 Jahren oder mehr eignen. Außerdem verhält es sich nicht so, wie häufig angenommen wird, dass Rotweine automatisch besser werden, je mehr sie altern und Weißweine jung getrunken werden müssten. Hierzu im Folgenden zwei kurze Beispiele.
Ich war 2017 in der größten und bekanntesten spanischen Weißweinregion Rueda unterwegs. Dabei habe ich bei einem vom Kontrollrat der DO Rueda organisierten Dinner Pablo del Villar, Besitzer des Weinguts Oro de Castilla, kennengelernt. Er präsentierte unserer Journalistengruppe zuerst einen Verdejo des Jahrgangs 2016: Es handelte sich um einen frischen, mineralischen und saftigen Weißwein; typisch für Verdejo enthielt er Frucht und eine knackige Säure. Absolut schön zu trinken. Soweit, so gewöhnlich für Rueda. Nahezu alle Rueda Verdejo werden mit jungen ein oder zwei Jahren getrunken.
Im Anschluss servierte uns Pablo del Villar einen älteren Jahrgang dieses Verdejo (an das Lesejahr kann ich mich leider nicht mehr erinnern). Ein Unfall, wie er sagte. Die Palette sei schlichtweg im Lager übersehen worden und stand unbeachtet mehrere Jahre herum. Bei einer Produktion von über 1 Mio. Flaschen im Jahr kann so etwas vorkommen. Dieser in der Flasche gereifte Verdejo schmeckte völlig anders als sein junges Pendant: weniger frisch, weniger fruchtig, dafür mit komplexeren Aromen und einem mächtigeren Körper ausgestattet. Ich fand diesen Vergleich hochinteressant.
Ebenfalls erinnere ich mich heute noch an die bis zu 15 Jahre alten Riesling-Gewächse des Weinguts Dr. Bürklin-Wolf (als ich 2010 einer Präsentation im Auswärtigen Amt in Berlin beiwohnte) und deren wunderbares Zusammenspiel aus reifer Frucht und feiner Säure in einem mächtigen Körper. Das ist aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Einer meiner Weinspezies erzählte neulich vom Privileg einen 90 Jahre alten Moscatel probieren zu dürfen, der immer noch bzw. außergewöhnlich schmeckte.
Nicht nur ein elend langer Ausbau im Holzfass, sondern auch die jahrelange Flaschenreifung machen den Mythos der berühmten Tondonia-Weine aus (Foto: Fernando Briones / © ICEX).
Achtung mit der Belüftung von gereiften Weinen
Meistens sind es dann aber doch Rotweine, von denen Sie und ich die älteren Jahrgänge trinken. Mit „älter“ meine ich eine Zeitspanne von 5 bis 10 Jahren. Das ist selbstverständlich nicht wirklich alt. Lassen wir aber die heutigen Maßstäbe gelten (sehr viele Rotweine werden dieser Tage ganz jung getrunken), dann denke ich wir können uns hier auf den Begriff „älter“ verständigen.
Bei Rotweinen habe ich so etwas wie zwei „Hausweine“. Beide kommen sie vom Weingut Garcia de Verdevique, von dem ich nicht allzu weit entfernt wohne und das ich häufig besuche, um mich mit Weinen einzudecken. Beide Weine sind aus den Sorten Tempranillo und Cabernet Sauvignon gekeltert. Der eine Wein wird 12 Monate im Eichenfass ausgebaut und erfährt im Anschluss für mindestens fünf weitere Jahre ein Flaschenlager. Aktueller Jahrgang im Handel: 2011. Der andere Tropfen wird im Stahltank ausgebaut und jung abgefüllt. Aktueller Jahrgang: 2016.
Nun erinnere ich mich noch gut an einen deutschen Weinhändler, der mir für das Dekantieren stets folgende Faustformel mit auf den Weg gab: „Pro Jahr gibt’s du dem Wein eine Stunde Luft“, sagte er immer. Soll heißen: Ein zwei Jahre alter Rotwein erhält zwei Stunden Luft, ein sieben Jahre alter entsprechend sieben Stunden, ein achtzehn Jahre alter demnach achtzehn Stunden.
Das ist falsch, wie ich heute weiß. Und es ist auch logisch nachvollziehbar, warum das falsch ist: Weshalb sollte ein über viele Jahre gereifter Wein durch das Dekantieren nochmals mehr Luft erhalten als ein junger Wein, der kaum Zeit hatte mit Luft zu reagieren? Der gereifte Wein hat die Reaktion mit Sauerstoff ja bereits zur Genüge vollzogen! Es verhält sich genau umgekehrt: Alte, gereifte Weine können durch zu viel Sauerstoff kippen und ruiniert werden, während bei jungen ungereiften Weinen eine Luftzufuhr sinnvoll sein kann, um zum Beispiel die Tannine abzumildern. Das Dekantieren von jungen Weinen ist im Grunde nichts anderes als eine Reifung im Turboverfahren.
Dementsprechend gehe ich bei meinen roten Hausweinen so vor: Die Crianza 2011 kommt ohne dekantieren direkt ins Glas und ist auch sogleich in ihrer ganzen Komplexität und Eleganz präsent. Einmal schenkte mir Antonio Garcia eine Flasche des 1999er-Jahrgangs. Der damals 18 Jahre „alte“ Wein, übrigens ungeschwefelt, schmeckte direkt aus der Flasche heraus hochfein und filigran und benötigte keine zusätzliche Luft. Der Wein atmet im Glas, das genügt in diesen Fällen.
Den 2016er Jahrgang gebe ich hingegen in den Dekanter und fülle ihn durch einen Trichter wieder zurück in die Flasche. Doppeltes dekantieren sagt man hierzu. Auf diese Weise erhält der Wein in kurzer Zeit eine hohe Sauerstoffdosis. Da es sich um einen sonnenverwöhnten, körperbetonten Rotwein mit sehr kräftigen Tanninen handelt, macht das Sinn: Durch den Kontakt mit Sauerstoff werden die Tannine weicher und binden sich besser in die Gesamtstruktur ein. Bei jungen gerbstoffreichen Rotweinen kann eine Belüftung also ggf. einen gewissen Qualitätssprung mit sich bringen.