Javier Revert – „Mensch und Ort lassen sich nicht kopieren“

Javier Revert im Weinkeller

Wer Valencia hört, denkt zuerst an Orangen, Paella und eventuell noch Fußball. Wein kommt den wenigsten Leuten in den Sinn. Das ist schade, denn die Provinz hat eine lange Tradition, ureigene Rebsorten und außergewöhnliche Erzeuger vorzuweisen, deren Weine weitaus interessanter sind, als ein Großteil aus den namhafteren spanischen Appellationen. Insbesondere trifft diese Feststellung auf Javier Revert zu.

Von kargen Bergen und fruchtbaren Tälern

Mit meinem Weinfreund Peter Stuckwisch bin ich im hintersten Winkel der Provinz Valencia unterwegs. Kastilien-La Mancha und die Provinz Alicante sind jeweils nur einen Steinwurf weit entfernt. In der Ortschaft La Font de la Figuera befindet sich – gegenüber den Gebäuden der Winzergenossenschaft – der Keller von Javier Revert. An einem 22. September ist er normalerweise mit der Weinlese beschäftigt. Aber weil es immer wieder regnet, legt er heute eine Pause ein.

Als Peter und ich eintreffen, schlägt Javier vor, zuerst in seinen Wagen zu steigen und in die Weinberge zu fahren. Auf dem Weg erzählt er uns, dass zwei seiner Urgroßväter bereits Weingüter in seinem Heimatdorf La Font de la Figuera betrieben. Das war zu einer Zeit, bevor die Kooperative gegründet wurde, in der sich die vielen kleinen Erzeuger des Ortes zu einem Großbetrieb zusammenschlossen.

Javier selbst ist studierter Agraringenieur und Önologe und arbeitete von 2006 bis 2016 als Technischer Direktor bei Celler del Roure. Jenes Weingut ist über die Grenzen von Valencia hinaus für seine Pionierarbeit mit fast vergessenen lokalen Rebsorten, einer Rückbesinnung auf traditionelle Methoden der Weinbereitung und dem Fokus auf einen frischen, schlankeren Weinstil hoch angesehen.

Der Berg im Hintergrund gehört bereits zu Kastilien-La Mancha.
Der Berg im Hintergrund liegt bereits in Kastilien-La Mancha.

2016 initiierte Javier Revert dann sein persönliches Projekt unter eigenem Namen. Er konnte hierfür auf fünf Hektar altes Rebland an der Nordseite eines Berges zugreifen, welches sein Urgroßvater einst anlegte. Die kalkigen Böden sind arm an Nährstoffen und die Weinberge liegen auf 700 bis 830 Metern Höhe. Das Klima ist somit kühler als etwas weiter unten im Tal, wo sich die meisten Weinberge des Gebiets befinden. Dort sind die Böden außerdem fruchtbarer und können bewässert werden. Vereinfacht gesagt, übersetzt sich die kühlere Witterung in den Bergen mit Frische im Wein, weil die Beeren ihre Säure besser konservieren.

Darüber hinaus pflanzte Javier weitere fünf Hektar mit jungen Reben in alten terrassierten Parzellen, die verlassen und verwildert waren und ebenfalls zu seiner Familie gehörten. Auch hierfür suchte sich Javier die schwerer zu bewirtschaftende Nordseite jenes Berges aus. Der Weinbau im Tal mag zwar einfacher sein und größere Erträge geben. Aber Javier Revert ist davon überzeugt, dass die besten Weinberge und Qualitäten hier oben in den kargen Bergen zu finden bzw. zu erhalten sind.

Mischsatz aus über 70 Jahre alten Reben, auf 750 m.ü.NN. Er ergibt die Trauben für den Weißwein Micalet.
Mischsatz aus über 70 Jahre alten Reben, auf 750 m.ü.NN. Er ergibt die Trauben für den Weißwein Micalet.

Ein faszinierender Weinberg ist ein über siebzig Jahre alter Mischsatz mit den weißen Trauben Tortosí, Trepadell, Malvasía, Merseguera, Macabeo und Verdil. Die Parzelle wurde 1948 und 1949 von Javiers Urgroßvater angelegt. Im einem Jahr verwendete er wurzelechte Reben, im anderen pfropfte er sie auf amerikanische Unterlagsreben.

Aus der 2,5 Hektar großen Lage auf 750 Metern Höhe verkosten wir später in der Kellerei den Weißwein Micalet 2020, in dem alle zuvor genannten Rebsorten enthalten sind. Seine griffige Textur und kreidige Mineralität sind beeindruckend. Dieses Gewächs ist geradlinig, schnörkellos und auf den Punkt präzise. „Man kann den Kalkstein spüren, es ist, als ob man den Stein trinkt“, ergänzt Javier. Sein Micalet liegt für zehn Monate auf der Vollhefe (ohne Batonnage) im Holzfass und Betonei. Die Trauben aus dieser Parzelle landeten bis 2015 bei der lokalen Kooperative, die sie mit dem Lesegut anderer Plots vermischte. Allein dafür muss man Javier Revert für sein Projekt dankbar sein: Sollte ich irgendwann einen besseren Weißwein aus dem östlichen spanischen Mittelmeerraum im Glas haben, dann lasse ich es Sie auf diesem Blog wissen.

Eine Rarität ist Micalet Velo, der ebenso aus jenem alten Mischsatz stammt. Der nicht gespritete Weißwein reift in Glasballons unter einer Florhefeschicht, wie wir es aus einigen andalusischen Gebieten kennen. Entsprechend hat er die typischen nussigen Aromen und Cidernoten, ist staubtrocken und erinnert mit seinem salzig-mineralischen Profil an einen Manzanilla. Das ist wirklich spannend, animierend und fabelhaft gut!

Einen Teil seiner Weine reift Javier Revert in Ballonflaschen, u.a. hier den Micalet Velo.
Einen Teil seiner Weine reift Javier Revert in Glasballons, u.a. hier Micalet Velo.

Das Entscheidende sind Ort und Mensch

Das Anbaugebiet D.O. Valencia ist für Außenstehende nicht leicht zu begreifen, weil es aus geografisch voneinander getrennten Subzonen besteht, die über unterschiedliche Klimas, Rebsorten und Weintraditionen verfügen. Valencia ist also nicht gleich Valencia.

Javier Reverts Lagen befinden sich in der Subzone Clariano im Grenzland zu Kastilien-La Mancha und Alicante. Das Mittelmeer ist 65 Kilometer entfernt, und durch die Höhenlage ist bereits ein kontinentaler Einfluss mit großen Temperaturschwankungen zwischen Winter und Sommer sowie Tag und Nacht zu spüren. Javier erzählt uns beispielsweise, dass mehrfach im Jahr Schnee in seinen Weinbergen liegt.

Innerhalb der Subzone Clariano gibt es das aus drei Dörfern bestehende Gebiet „Terres dels Alforins“, in dem für meinen Geschmack die interessantesten Erzeuger der Valencia-Appellation ansässig sind. So auch Javier Revert. Ein Alleinstellungsmerkmal von ihm sind die Lagen in den Bergen. Er hat sich dieses unwegsame Terrain ganz bewusst ausgesucht. Zum einen glaubt er an die bessere Qualität – dank sandiger und kalkiger, sprich ärmerer Böden und mehr Höhe.

Zum anderen, so Javier, wären die Berge der historische Ort für Wein in diesem Gebiet. Im fruchtbaren Tal mit seinen überwiegend lehmigen Böden sei über Jahrhunderte Getreide angebaut worden. Der Wein sei erst ab dem 20. Jahrhundert hinunter ins Tal gekommen. Folglich geht es Javier bei seinem Projekt in den Bergen auch um die Rekultivierung der historischen Terrassenlandschaft und um eine Rückkehr zum Ursprung. Die Mühen, die er dabei auf sich nimmt, sind imposant: Sein Großvater, erzählt uns Javier, könne zum Beispiel nicht verstehen, warum er in die Berge ging. Unten im Tal sei die Arbeit doch viel einfacher.

Javier Revert und Peter begutachten den im Weinberg vorherrschenden Kalkstein.
Javier und Peter begutachten den im Weinberg vorherrschenden Kalkstein.

In seinen Weinbergen setzt Javier Revert auf Biodiversität: Die Terrassenzeilen sind durchzogen von Wildkräutern wie Rosmarin, Thymian, Olivenkraut, wildem Fenchel und einem Ding mit fiesen Stacheln, an denen ich mir die Finger blutig pikse. Ebenfalls hält er eine Ziegenherde, deren Kot er kompostiert und als Dünger einsetzt.

Sein roter Spitzenwein heißt Simeta und ist aus der lokalen Rebsorte Arcos gekeltert. Der 2018er-Jahrgang landete in den „Top 100 Wine Discoveries 2020“ in Robert Parker’s Wine Advocate. Wir trinken den 2019er, der aufs Äußerste subtil, elegant und komplex ist. Und superfrisch dazu! Ein Wein, exakt wie Peter und ich ihn mögen.

Jene Arcos-Traube ist weitgehend unbekannt. Sie geriet in Vergessenheit, weil sie eher helle und leichte Rotweine ergibt und somit nicht attraktiv für die in Valencia lange Zeit verbreitete Bulkweinproduktion war. Die Traubenpreise für Bulkweine orientieren sich nämlich an der Farbintensität und am Zuckergehalt. Je höher, umso besser.

Nun, wo einige Weingüter ganz auf Qualität setzen, erlebt die Arcos in diesem Teil von Valencia ein kleines Revival. Die Sorte hat einen sehr langen Reifezyklus (länger als Monastrell) und kann den Unwettern, die das Gebiet im September öfters heimsuchen, gut standhalten. Ihre Beeren hängen relativ lose in den Traubenbüscheln, was bei feuchtem Wetter die Gefahr von Pilzkrankheiten verringert. Deshalb zeigt sich Javier wegen des aktuellen Regens nicht allzu beunruhigt darüber, dass er die Arcos noch nicht gelesen hat: „Bei Monastrell hätte ich Sorgen, aber die Arcos packt das.“

Javier Revert mit Arcos-Reben, die er vor einigen Jahren gepflanzt hat.
Javier Revert mit Arcos-Reben, die er vor drei Jahren gepflanzt hat.

Javier Revert keltert Simeta aus einer 1970 bestockten Einzellage. Seit dem 20er-Jahrgang verwendet er ferner die Trauben von Arcos-Reben, die er 2018 pflanzte. So jung und trotzdem eine hohe Weinqualität?, frage ich leicht kritisch. „Für mich ist der Ort wichtiger als das Alter der Reben“, entgegnet er. Er selbst arbeite gerne mit jungen Reben; sie erforderten einzig einen größeren Aufwand, da mehrmals im Jahr Laubarbeiten anfielen und die Erträge reduziert werden müssen.

Im Verlauf unseres Gesprächs erhalte ich den Eindruck, dass Javier Revert den derzeitigen Hype um alte Reben leicht übertrieben findet: „Alle Leute reden von alten Reben und schreiben ‚Viñas Viejas‘ auf ihre Etiketten. Aber das Entscheidende sind der Ort und der Mensch“, zeigt er sich überzeugt. Geradezu philosophisch ergänzt er, dass sich beim Wein nahezu jeder Trend und jede Arbeitsweise nachahmen lässt: „Andere können die gleichen Fuder und Betoneier verwenden wie ich und mit denselben Rebsorten arbeiten. Mich und meinen Ort können sie allerdings nicht kopieren.“

Diese Aussage ist so einfach wie zutreffend. Wer versteht, dass die Einzigartigkeit von Wein sich aus dem Verhältnis eines Orts und eines Menschen ergibt, der oder die hat das wichtigste bereits erkannt. Und was den Ort und den Menschen betrifft, so hat Javier Revert eine Substanz zu bieten, auf die man selten trifft.

Wir verkosten außerdem den Rotwein Sensal 2020 – eine Cuvée aus den typischen regionalen Rebsorten Monastrell, Bonicaire, Arcos, Forcalla und Garnacha. „Es ist ein Wein, wie ihn die Leute aus meinem Dorf früher tranken“, bemerkt Javier. Das Gewächs hat eine florale Nase, ist saftig-frisch und schlank. Rote Frucht ist da, aber nicht zu viel. Der Ausdruck ist klar und reintönig. Trinkspass 9/10. Die Trauben vergärt er etwa zu siebzig Prozent mit den Rappen, der Ausbau erfolgt größtenteils in Tonamphoren.

Topweine mit viel Persönlichkeit, besonders auch jener im rechten Hintergrund.
Topweine mit viel Persönlichkeit, besonders auch jener im rechten Hintergrund.

Nach einigen weiteren Fassproben von frisch vergorenen Weinen verabschieden wir uns und gehen zurück ins Hotel. Mit Peter Stuckwisch besuche ich in den nächsten Tagen sechs Weingüter in drei Anbaugebieten in drei autonomen Regionen. Dieser Beitrag war der Auftakt zu unserm Roadtrip durch Südspanien. Mehr folgt in Kürze.


Weitere Infos:

Neben diesem persönlichen Projekt unter dem Namen „Javi Revert Viticultor“ betreibt er fernerhin mit Winzerfreund Victor Marqués das Projekt La Comarcal in Utiel-Requena. Seit 2019 ist Javier Revert zudem Önologe im angesehenen Weingut Finca Sandoval in der D.O. Manchuela.

Bezugsquelle DE: blauwein.de
Beitragsfotos: © Spaniens Weinwelten

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