Das Kürzel 3G steht in Spanien nicht etwa für geimpft, genesen oder getestet, sondern für Gredos, Garnacha und Granit. „Was ist Gredos?“, mögen Sie sich fragen. Das ist der Name eines Gebirges westlich von Madrid, dessen höchster Gipfel 2.592 Meter erreicht. Seit etwa zehn Jahren sorgt jenes Gebiet dank Erzeugern wie Comando G für Furore in der Weinwelt. Gredos ist quasi der Inbegriff dessen, was internationale Kritiker als das neue Spanien bezeichnen. Ich war dort im April eine Woche unterwegs und habe mit Rico Nuevo einen der spannendsten Newcomer besucht.
Ein reiches Erbe an Weinbergen
Die Kellerei liegt mitten im Ort Borgohondo im Anbaugebiet D.O.P. Cebreros. Obwohl alle Leute nur „Gredos“ sagen, bezeichnet der Name kein offizielles Weingebiet. Vielmehr verhält es sich so, dass sich der Gebirgszug über drei autonome Regionen erstreckt, die jeweils eine eigene Appellation stellen. Die D.O.P. Cebreros deckt hierbei den kastilisch-leonesischen Teil der Gredos-Berge ab. Einen recht ausführlichen Überblick zu Gredos finden Sie in diesem früheren Beitrag von mir. Somit gehe ich an dieser Stelle auf die komplementären Anbaugebiete D.O. Méntrida und D.O. Vinos de Madrid nicht weiter ein.
Empfangen werde ich von Juan Andres Martín. Das Weingut mag mit dem ersten Jahrgang 2018 zwar blutjung sein; allerdings hat seine Familie weit zurückreichende Wurzeln in Borgohondo. Sein Ururgroßvater, erzählt Juan Andres, kam aus Galicien hierher und baute sich für damalige Verhältnisse ein Vermögen auf. Die Einheimischen verpassten ihm den Spitznamen „Rico Nuevo“ (Reicher Neuling), was eher nett und respektvoll gemeint war. „Nuevo Rico“ (Neureicher) wäre weniger freundlich. Und weil in spanischen Dörfern der Spitzname einer Familie von Generation zu Generation weitervererbt wird, ist auch Juan Andres einer der Rico Nuevos von Borgohondo.
Zum Besitz des Ururgroßvaters gehörten mehrere Weinberge. Dem Vernehmen nach kelterte er einen im Dorf äußerst populären Wein. Urgroßvater sowie Opa und Oma von Juan Andres setzten die Tradition der Weinerzeugung für den lokalen Markt fort. Im Keller zeigt er mir eine Amphore aus der Zeit seiner Großeltern. Er verwendet sie heute für den Ausbau seiner Weine. Generell fehlt es an der Kellerausstattung bei Rico Nuevo an nichts: Ich sehe Edelstahl- und Betontanks, Tonamphoren und Fuder, kleinere Holzfässer und eierförmige Flexitanks.
Die Faszination von Gredos liegt allerdings nicht in Kellern, sondern draußen in den Feldern. Im Allradwagen fahren wir über holprige Pisten in die Weinberge. Rico Nuevo bestellen etwa zwölf Hektar Rebland, die sich auf dreißig Parzellen verteilen und sich auf 800 bis 1200 Höhenmetern befinden.
Solche Hochlagen stellen generell ein wichtiges Merkmal der Gredos-Weine dar. Im Stil sind es oftmals straffe Rotweine mit einer nicht selten knackigen Säure, die aus dem kühlen Bergklima resultiert. Im April bekomme ich das ebenfalls zu spüren: In der Tat fallen die Nächte und Vormittage während meines gesamten Gredos-Aufenthalts frostig aus. „Im Sommer haben wir tagsüber bis zu 35°C im Weinberg“, erzählt Juan Andrés, „und nachts kühlt es auf 12°C ab.“ Dieser große Temperaturunterschied von über 20°C ist gut für die Reben. In den kühlen Nächten legen sie eine Ruhepause ein, fahren die Zuckerproduktion herunter und die Trauben können Säure besser konservieren.
Darüber hinaus – so sagen es einige bekannte Winzer – verleihen die vorherrschenden Granitsandböden den Weinen eine elektrisierende Säure. Nahezu überall im Gredos-Gebiet finden sich Granitfelsen, die verwittern und sich mit dem Sand vermischen. Diese Böden sind kühler als zum Beispiel die Schieferböden im Priorat. Denn Schiefer speichert Sonne stärker als Granitsand. Die kühle Anmutung der Gredos-Weine hat also mit einer Kombination aus zumeist extremen Höhenlagen und den Granitsandböden (die häufig auch Quartzanteile enthalten) zu tun. Dieses „Setting“ – inklusive dem beeindruckenden Bestand an alten Grenache-Reben – ist beispiellos: Auf der ganzen Welt findet sich kein vergleichbares Weingebiet.
Vielleicht sollte ich kurz auf die Personen von Rico Nuevo eingehen. Zum einen steckt die Familie Martín hinter dem Projekt. Sie besitzen einige Konditoreigeschäfte in und um Madrid. Tatsächlich sind sie Feinbäcker seit 1753 und seit acht Generationen!
Die Martíns haben außerdem – wie ich eingangs schrieb – Wurzeln in Borgohondo. Die Großmutter von Juan Andres lebt noch im Ort, in einem Haus, gleich neben der Kellerei. Allerdings war das Gredos-Gebiet lange Zeit völlig unbekannt und unbedeutend in Sachen Wein. Ihre Weinberge bearbeiteten sie zwar, den Haupterwerb stellte aber die Konditorei in Madrid dar. Zuletzt verpachteten sie ihre Rebgärten an einheimische Bauern. Nun aber entwickelt sich Gredos zu einem Mekka der spanischen Weinwelt, und so hat sich die Konditorenfamilie Martín wohl darauf besonnen, dass ihnen dank des Ururgroßvaters „Rico Nuevo“ mehrere Hektar Rebland gehören. Fantastische Weinberge mit alten Reben zwischen 50 und 120 Jahren sind es noch dazu. Also warum nicht auch Wein auf professioneller Basis keltern?
Da die „heutigen“ Martíns bezüglich Weinbau und Weinbereitung eher unerfahren waren, haben sie zum anderen Julio Prieto mit ins Boot geholt. Er ist ein angesehener Agraringenieur und Önologe, unter anderem arbeitet er zusammen mit Viña Zorzal in Navarra und mit Frontonio in Aragon. Die Familie Martín hat ihm sogar Anteile an Rico Nuevo offeriert, was bedeutet, dass Julio Prieto Mitinhaber ist. Mehrmals im Monat schaut er im Weingut vorbei. Juan Andres Martín lernt von ihm, spricht sich mit ihm ab und verrichtet die meiste Tagesarbeit vor Ort. Seinen Konditorberuf hat er aufgegeben, er fokussiert sich nun ganz auf den Wein.
Die ganze Palette von Orts- bis Einzellagenwein
Gredos ist eine einzigartige Weinregion in einer wilden Berglandschaft vor den Toren der Millionenstadt Madrid. Das dünn besiedelte Gebiet fühlt sich wie eine Insel auf der zentralspanischen Hochebene an: Südlich erstrecken sich die weiten Weinfelder von Kastilien-La Mancha. Nach Norden ist es in Kastilien-León kaum weniger weit und flach. Dagegen besteht Gredos aus Hanglagen in alle Himmelsrichtungen und aus zwei ganz verschiedenen Tälern. An manchen Orten fällt der Niederschlag mit 400 mm im Jahr äußerst spärlich aus; andere verfügen mit bis zu 1100 mm über ein geradezu atlantisches Regenaufkommen. Was für ein Kontrast.
Typisch für Gredos ist, dass die Winzer ihre Weine nicht nach den Reifestufen Crianza, Reserva und Gran Reserva klassifizieren, sondern ein Terroir-Modell mit Orts-, Lagen- und Parzellenweinen verfolgen. So auch Rico Nuevo.
Im Gesamtbild sind ihre Weine nicht ganz so schlank und feingliedrig, wie wir es von manchen Gredos-Erzeugern kennen. Der allseits bekannte spanische Kraftprotz sind sie allerdings auch nicht. Rico Nuevo finden einen sehr guten Mittelweg aus Finesse und Konzentration, aus Zurückhaltung und Expressivität, aus Frische und Reife. Mineralität und eine griffige Textur haben alle ihre Lagen- und Parzellenweine.
Aus einer Parzelle mit 0,3 Hektar auf 1200 Metern Höhe gewinnen Rico Nuevo ihre sortenreine Garnacha La Quebrá 2019. Die Produktion liegt bei knapp über 500 Flaschen pro Jahrgang. Der Einzellagenwein reift 14 Monate in 400-l-Holzfässern und war zum Zeitpunkt meines Besuchs noch nicht abgefüllt, bzw. der 2018er schon ausverkauft. Juan Andres schenkt mir eine Fassprobe ins Glas. Das ist sehr elegant und komplex, um es kurz zu sagen. Eine längere Beschreibung erspare ich Ihnen, der Wein ist eh kaum zu bekommen.
Besonders interessant und vor allem verfügbar sind zwei Lagenweine:
Aus dem Nordhang „El Sotillo“ stammt Jirón de Niebla 2018. Der Dreiklang aus Höhe (900 bis 1000 Meter), sehr alten Garnacha-Reben und Granitsand ist wie bei allen Weinen von Rico Nuevo auch bei diesem Gewächs selbstverständlich. Die Trauben werden zu 25 Prozent mit den Rappen spontan vergoren. Der Ausbau erfolgt teils in 400-l-Holzfässern, im Stahltank und in eierförmigen Flexitanks. Das Resultat gefällt mir hervorragend gut. Jirón de Niebla hat florale und rotfruchtige Aromen und ist topfrisch. Das Gewächs ist klasse strukturiert, ohne von Tannin dominiert zu sein, geradlinig, schnörkellos und mit einem satten Zug nach hinten raus.
Das Pendant zu Jirón de Niebla ist Barrera de Sol 2018. Dieser Rotwein kommt aus dem gleichen Tal, jedoch von der nach Südosten ausgerichteten Lage „El Zaudejo“. Ansonsten haben wir es mit der selben Rebsorte, gleicher Höhe, ähnlichem Boden und ähnlicher Weinbereitung zu tun. Trotzdem ist Barrera de Sol anders: Im Vergleich wirkt er etwas reifer, kraftvoller und runder und hat etwas mehr Alkohol. Ein ausgezeichneter Wein, den man unbedingt parallel zu Jirón de Niebla probieren sollte. Ein Detail im Terroir – die Weinberge liegen Luftlinie nur 300 Meter voneinander entfernt, sind aber nach Norden bzw. Süden ausgerichtet – führt hier zu einem verschiedenen Ausdruck.
Die Erträge der teils über 100 Jahre alten Reben sind übrigens verschwindend gering. Zum Beispiel ist die Lage „El Zaudejo“ des Weins Barrera de Sol drei Hektar groß. Rico Nuevo erhalten daraus gerade einmal 4.377 Flaschen (im Jg. 2018).
Neben diesen Parzellen- und Lagenweinen keltern Juan Andres Martín und Julio Prieto noch einen Weißwein aus der autochthonen Traube Albillo Real und zwei rote Ortsweine – natürlich aus Garnacha. Für diese Gewächse stammt das Lesegut aus diversen Lagen innerhalb der Gemeinde Borgohondo. Im April hatten sie die aktuellen Jahrgänge noch nicht abgefüllt (ich kam eine Woche zu früh), und so nahmen wir Fassproben. Notizen habe ich mir keine gemacht, und nach sechs Monaten verblasst die Erinnerung. Astrein und tiptop war das allemal, so viel weiß ich immerhin noch.
Rico Nuevo gehören bereits mit ihrem ersten Jahrgang 2018 zu den Toperzeugern in Gredos. Dieses Urteil stammt nicht von mir, sondern sinngemäß von Parker-Kritiker Luis Gutierrez. „Wir lernen immer noch viel dazu“, sagt Juan Andres Martín: „Unser 19er-Jahrgang fällt zum Beispiel frischer als der 18er aus, obwohl 2019 ein wärmeres Jahr war.“ Juan Andres erklärt sich dies damit, dass er und Julio Prieto mit zunehmender Kenntnis um ihre Weinberge den Lesezeitpunkt genauer treffen und ihre Lagen insgesamt stetig verbessern und ins natürliche Gleichgewicht bringen.
Diese Weinberge – das konnte ich bei meinem Besuch sehen – gehören zu den spektakulärsten im Gebiet. Und so freue ich mich als Weintrinker darauf, die Reise von Rico Nuevo zu verfolgen. Im November treffe ich sie wieder auf einem Peñin-Salon in Madrid und bin schon gespannt auf die dann abgefüllten Weine des neuen Jahrgangs.
Weitere Infos:
Bezugsquelle DE: www.inbarrique.de
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