Als ich Mitte April in der Sierra de Gredos unterwegs war, hat Corona die Stimmung noch stärker beeinflusst und den Alltag mehr eingeschränkt wie es aktuell in Zeiten mit sinkenden Inzidenzen und höherer Impfquote der Fall ist. Damals herrschte in Spanien noch der sogenannte „Alarmzustand“. Zum Beispiel durften die Grenzen zwischen den Provinzen und autonomen Regionen nur aus beruflichen Gründen passiert werden, weshalb ich mir vorab einen ganzen Stapel an Einladungs- und Bestätigungsschreiben für meine Reise besorgt hatte.
Sechs Tage lang bewegte ich mich zwischen Andalusien, Kastilien-La Mancha, Madrid und Kastilien-León, blieb aber von Polizeikontrollen unbehelligt. In meinem schönen Hotel in San Martin de Valdeiglesias war ich von Montag bis Donnerstag nahezu der einzige Gast, erst am Freitagabend begann sich das Haus zu füllen.
An einem Morgen fuhr ich nach dem Frühstück ins benachbarte Cadalso de los Vidrios zur örtlichen Kooperative Cristo del Humilladero. Es war ein ziemlich kühler Tag, der bereits auf den Frost der folgenden drei Nächte hindeutete. Frost im Frühjahr kann ein Problem für den Weinbau in den Gredos-Bergen darstellen, und so kam es auch in diesem Jahr, als einige Winzer einen Teil ihrer Ernte in den kalten Nächten verloren.
Der Umstieg von Fassware zu Qualitätsweinen
In Cadalso de los Vidrios traf ich Ricardo Moreno, den Weinmacher und Präsidenten der Kooperative. Die Genossenschaft wurde 1957 gegründet und kam zeitweise auf eine Produktion von sieben Millionen Litern im Jahr. Verglichen mit anderen Kooperativen im Gredos-Gebiet in Orten wie Cebreros und San Martin de Valdeiglesias war dies sogar eine eher kleine, wenngleich stattliche Menge.
Der Abstieg begann in den 1980er-Jahren: Viele der einst 400 Weinbauern konnten kaum noch ein Einkommen mit dem Verkauf ihrer Trauben erzielen. Die Preise waren derart niedrig, dass sich die aufwändige manuelle Arbeit in den Gredos-Bergen nicht mehr für sie lohnte. In der Folge wurden zahlreiche Weinberge aufgegeben und die Produktion der Genossenschaft sank drastisch. Als Ricardo Moreno vor etwas über zwanzig Jahren die Leitung übernahm, sah die Situation alles andere als gut aus.
Heute zeigt sich die Lage für die 42 verbliebenen Weinbauern der Kooperative deutlich verbessert: Die vor fünfzehn Jahren noch völlig unbekannte Sierra de Gredos ist mittlerweile auf der ganzen Welt für Rotweine aus der Garnacha-Traube berühmt. Vor allem hat dieser grandiose Aufstieg mit Erzeugern wie Comando G zu tun, deren Weinkeller sich ebenfalls in Cadalso de los Vidrios befindet, nur wenige hundert Meter von der Kooperative entfernt.
Da die Nachfrage nach Gredos-Weinen groß ist, tun sich auch für die Genossenschaft neue Märkte auf. Ricardo Moreno erzählt im Gespräch, dass er vor etwa acht Jahren damit begann die Produktion von billiger Fassware auf Qualität umzustellen: Er fing an Lagenweine zu keltern und erstmals füllte die Kooperative ihre Weine in Flaschen ab.
Darüber hinaus gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Comando G und der Genossenschaft: Erstgenannte beraten und unterstützen bezüglich Weinerzeugung und Kontakten zu Importeuren. Bestimmte Weinlinien wie „Granito del Cadalso“ und „Agricola de Cadalso“ werden in der Genossenschaft exklusiv für die Distributoren von Comando G erzeugt. Auch die Gredos-Linie des landesweit tätigen Erzeugers Peninsula Vinicultores keltert Ricardo Moreno in seiner Kellerei.
Albillo Real im Stahltank, im Holzfass und unter Florhefe
Ricardo Moreno ist nicht nur Önologe und Präsident der Kooperative, er besitzt und bewirtschaftet außerdem fünfzig Hektar eigene Weinberge in Cadalso, deren Trauben er ebenfalls in der Genossenschaftskellerei vinifiziert. Wie es sich für Gredos gehört, ist viel Garnacha darunter. Was ich aus jener Sorte probiere, gefällt mir außerordentlich gut, insbesondere gemessen am günstigen Preis dieser Weine zwischen fünf und zehn Euro. Ebenfalls kultiviert Ricardo für das Gebiet ungewöhnliche rote Trauben wie Merlot, Listan Prieto, Syrah, Graciano und Tempranillo.
Auf meine Frage nach seiner Lieblingstraube antwortet Ricardo mit „Albillo Real“. Gleich drei verschiedene Weißweine erzeugt er aus der Rebsorte: einen baut er im Stahltank aus, einen in Holzfässern und einen reift er unter einer Florhefeschicht, ähnlich wie wir es aus dem Sherry-Gebiet kennen.
Wir nehmen Fassproben und ich finde alle drei Weine richtig klasse. Die Albillo Real aus dem Stahltank ist frisch und zitrusfruchtig. Sie hat einen saftigen Zug und ist trinkanimierend. Mehr Mundfülle und Textur bietet im Vergleich freilich der im Holzfass ausgebaute Weißwein. Auch dieses Gewächs ist frisch und sauber gemacht und das Holz ist prima eingebunden. Es maskiert den Wein nicht.
Last, but not least widmen wir uns jenem Weißwein, der unter Florhefe reift. Nur 500 Flaschen im Jahr füllt Ricardo Moreno davon ab. Die Schicht ist dünner als bei den Finos in Jerez, wie mir der Blick in den kleinen Stahltank verrät. Der prima balancierte Wein hat einen oxidativen Touch und zudem die typischen Nussaromen, die bei dieser biologischen Reifung entstehen. Eine frisch abgefüllte und noch nicht etikettierte Flasche nehme ich mit nach Hause. Zur Paella machte jene Albillo Real richtig Spass.
Albillo Real – die weiße Traube der Sierra de Gredos
Im Anschluss fuhren Ricardo Moreno und ich in die Weinberge. Während viele der Garnacha-Reben im April noch nicht einmal ausgetrieben waren, standen jene der Albillo Real bereits in voller grüner Blätterpracht da. Dieser Umstand verweist bereits auf eine Eigenschaft der Traube: Es handelt sich um eine enorm schnell reifende Sorte, die in Gredos zumeist im August geerntet wird. Dabei tragen die Höhenlagen – der Ort Cadalso liegt auf über 800 Metern – dank kühler Nächte sogar zu einer Verlängerung des Reifezyklus bei. Ein weiterer Vorteil der Höhe ist, dass die Trauben in den kühlen Nächten frische Fruchtaromen und Säure besser konservieren.
Albillo Real war früher in ganz Kastilien verbreitet. Die Traube diente nicht allein zur Weinerzeugung, sondern wurde auch gegessen. Nach der Reblausplage verschwand sie im Laufe des 20. Jahrhunderts in der Versenkung. Sie blieb aber die wichtigste weiße Traube in der Sierra de Gredos und ergibt in den richtigen Händen mitunter spektakuläre Weißweine. Nicht zu verwechseln ist die Rebsorte mit der namensähnlichen Albillo Mayor, die gerade in Ribera del Duero ein kleines Revival erlebt.
Verglichen mit anderen weißen Sorten wie Verdejo und Moscatel verfügt die Albillo Real über eine eher dezente Primäraromatik. In Verbindung mit den armen Granitsandböden in der Sierra de Gredos entwickelt sie stattdessen eine griffige und komplexe Textur, hervorragende Säure und Mineralität. Eben weil die Sorte nicht übertrieben fruchtig ist, kann sie ein Terroir sehr gut übersetzen. Und was die Sierra de Gredos betrifft, so ist das Terroir einzigartig, wie ich unter anderem in diesem Beitrag beschrieben habe.
Nach fast vier Stunden verabschiede ich mich von Ricardo Moreno. In den 20 Jahren, in denen er Präsident und Weinmacher der Kooperative von Cadalso de los Vidrios ist, hat er den Wandel von Bulk- zu Qualitätsweinen in überzeugender Weise vollzogen.
Weitere Infos:
Hier der Link zu den drei besprochenen Weißweinen aus Albillo Real. Sie heißen Joyuelo Classic (Ausbau im Stahltank), Joyuelo Wood (Ausbau im Holzfass) und Joyuelo Velo (Ausbau unter Florhefe). In Deutschland haben die Weine der Kooperative Bodega Christo del Humilladero – auch jene aus Garnacha – noch keinen Vertrieb. Es wäre wünschenswert, wenn sich das in Zukunft ändert, weil sie aus meiner Sicht ein sehr gutes Preis-Genuss-Verhältnis bieten.