Recaredo: 100 Jahre, 100 Punkte

Die historisch bedeutenden Weinstile Spaniens – Sherry, Rioja Gran Reserva und Cava – basieren auf der Idee, dass Qualität durch Zeit entsteht. Das Grundprinzip lautet: Je länger die Weine reifen, desto besser, feiner und komplexer werden sie. 

Aber so wie sich die Zeiten ändern, wechseln auch die Perspektiven: Heute konzentriert sich die spanische Avantgarde auf das Terroir, etwa mit dem Keltern von Orts- und Einzellagenweinen. Die Reifezeit im Keller spielt dabei eine untergeordnete Rolle. 

Recaredo im katalanischen Penedès gehört zu jenen Weingütern des Landes, die die „alte“ Dimension der Zeit mit der „neuen“ Betonung des Terroirs verbinden. Recaredo ist Tradition und Avantgarde zugleich.

Kürzlich feierte das Weingut sein 100-jähriges Bestehen mit geladenen Freunden und Gästen, und ich hatte das Glück, einer von ihnen zu sein.

Biodynamie, Einzellagen und Paella

Am Vormittag besuchten wir ihre Weinberge in der Umgebung von Sant Sadurni d’Anoia, ein Städtchen, von dem es heißt, dass dort die glücklichsten Menschen der Welt leben, weil sie immer Schaumwein zu trinken und Schokolade zu essen haben (neben zahlreichen Sektkellereien gibt es dort auch eine Schokoladenfabrik). 

In einer hügeligen, von Weinbergen, Flusstälern und kleinen Wäldern geprägten Landschaft bewirtschaftet Recaredo rund 90 Hektar Rebland, alle biodynamisch und seit 2010 Demeter-zertifiziert. Hinzu kommen vier Hektar Oliven und 20 Hektar Wald.

Ein hervorgehobenes Ziel ihrer Arbeit besteht darin, die Böden in ihren Weinbergen zu vitalisieren und Erosion vorzubeugen. Sie arbeiten zum Beispiel mit Bodendeckern, um mehr organische Materie aufzubauen. Im Penedès liegt der Anteil der organischen Substanz im Boden meist unter einem Prozent. Diesen Anteil gilt es zu erhöhen, denn je mehr organische Marierie ein Boden enthält, desto besser kann er Wasser aufnehmen und speichern. Für den Weinbau im Penedès wird dieser Faktor immer wichtiger, denn die Trockenheit hat in den letzten Jahren nie gekannte Ausmaße angenommen hat: Eigentlich hatte die Region in der Vergangenheit nie größere Probleme mit Trockenheit. Die jährliche Niederschlagsmenge lag meist zwischen 500 und 600 mm. Doch 2021 waren es weniger als 350 mm, 2022 weniger als 300 mm und 2023 sogar weniger als 250 mm. Diese anhaltende Dürre wirkt sich negativ auf die Erträge aus und führt auch dazu, dass einige Reben ganz absterben. In diesem Frühjahr hat es zwar wieder mehr geregnet, „aber wir liegen immer noch im Hospital“, sagt Ton Mata, der das Weingut Recaredo in dritter Familiengeneration leitet. Wegen des Klimawandels haben er und sein Team begonnen, empfindlichere Rebsorten wie Macabeo durch die besonders trockenheitsresitenten Rotweintrauben Sumoll und Monastrell zu ersetzen.

Recaredo, Weinlage Turo d'en Mota
Der Teil in Einzelpfahlerziehung gehört zur ein Hektar großen Weinlage Turo d’en Mota.

Wir gingen durch die Weinlage Serral del Vell und durch ein kleines Waldstück zum legendären Weinberg Turo d’en Mota, aus dem der gleichnamige Schaumwein entsteht. Die ein Hektar große Parzelle mit kalkreichem Boden und 84 Jahre alten Xarel.lo-Buschreben befindet sich an einem Waldrand mit Blick auf die Montserrat-Berge. Seit 1999 erzeugen Recaredo daraus ein Einzellagen-Gewächs. Mit ihrem Ansatz das Terroir so authentisch wie es nur geht in die Flasche zu bringen, haben sie 2015 sogar damit begonnen, den Traubensaft aus den jeweiligen Weinbergen als Tirage für ihre diversen Lagen-Schaumweine zu verwenden. Das bedeutet konkret, dass der frische, konzentrierte Traubenmost von der Ernte 2024 als Tirage für den Grundwein des Jahrgangs 2023 dient. Das ist natürlich ein großer logistischer Aufwand, denn so finden bei Recaredo die Weinlese und die Tirage des Vorgängerjahrgangs gleichzeitig statt.

In unserer Gruppe ging es deutlich entspannter zu: Der Vormittag klang bei Paella, Gazpacho und Wein in einem kleinen Wäldchen inmitten von Weinbergen aus. Und als wir gerade mit dem Essen fertig waren, kam ein heftiger Regenschauer über uns herab, was – ich hatte die Trockenheit erwähnt – eine große Freude für alle im Penedès ist.

Austern, Fußball und Degorgieren

Nach einer Siesta besuchten wir am Abend das Weingut in Sant Sadurni d’Anoia, das direkt neben der Schokoladenfabrik liegt. Zum Aperitif schnell ein paar Austern und Wein, dann ging es auf einen Rundgang durch den unterirdischen Keller. An dessen Eingang hängt in einem Schaukasten ein Blatt Papier, auf das Josep Mata Capellades, der Gründer von Recaredo, schrieb: „Desde 1924 trabajo en asuntos champán y experimentos“ – „Seit 1924 beschäftige ich mich mit Champagner-Angelegenheiten und Experimenten“. Seine Nachkommen in der zweiten und dritten Generation taten es ihm gleich. Auch wenn der Champagner irgendwann nicht mehr Champagner, sondern Cava hieß. Und der Cava bei Recaredo heute nicht mehr Cava, sondern Corpinnat heißt.

Für das 100-jährige Jubiläum hat das Weingut eigens eine Pop-up-Ausstellung im Keller mit Fotos und Dokumenten aus der Geschichte der Familie und des Weinguts eingerichtet. Ein Foto aus dem Jahr 1930 zeigte Josep Mata Capellades als Fußballer. Er war ein ausgezeichneter Kicker, spielte mehrere Jahre in der zweiten spanischen Liga für den FC Sabadell und sogar ein Jahr in der ersten Liga für Espanyol Barcelona. Auf einer anderen Schautafel hingen handgeschriebene Dokumente, in denen er seine Tätigkeit als professioneller Degorgierer für verschiedene Weingüter im Penedès, darunter Codorniu, Mestres und Parés Baltá, festhielt. 

Degorgierzangen kommen bei Recaredo auch heute noch zum Einsatz.
Degorgierzangen kommen bei Recaredo auch heute noch zum Einsatz.

Das Handwerk des Degorgierens spielt bis heute eine zentrale Rolle im Weingut. Bei Recaredo reifen alle Schaumweine mit einem Naturkorken. Alle Flaschen – knapp 300.000 pro Jahr – werden von Hand gerüttelt und ebenso von Hand degorgiert, ohne dafür den Flaschenhals einzufrieren. Jordi Mata Caldú von der dritten und Josep Mata Casanovas von der zweiten Familiengeneration gaben uns eine Vorführung davon. Bis zu 250 Flaschen pro Stunde schaffen die geübten Degorgierer von Recaredo. Seit den 1980er Jahren sind ihre Schäumer übrigens ausnahmslos Brut Nature. Weil die Grundweine im mediterranen Klima des Penedès weniger säurehaltig sind als etwa in der Champagne, brauchen sie keine Dosage zum Ausgleich. Zudem steht Recaredo für sehr lange Hefelager, die bei mindestens 40 Monaten für den Einstiegsschäumer „Terrers“ und bei mindestens 150 Monaten für den Grand Cru „Turo d’en Mota“ liegen. 

Auf 19 Jahre Hefelager kommt sogar die zum 100-jährigen Jubiläum herausgegebene Sonderedition der hochfeinen Reserva Particular 2004, ein Blend aus zwei Drittel Xarel.lo und einem Drittel Macabeo. In der Schatzkammer des Kellers, wo die alten Jahrgänge schlummern, konnten wir Gäste ein Glas davon genießen. Die Aromatik ist von Nüssen geprägt, dazu rauchig und pilzig. Die Perlage ist superfein, die Textur mehr samtig als cremig und das anregende Finish atemberaubend lang. Im Grunde stellen Recaredo gereifte Weißweine mit komplexen Aromen, vielschichtiger Textur und feinster Perlage her. Es sind mindestens so sehr Weißweine wie Schaumweine.

Garnelen, Harmonie und Turo d’en Mota

Den Höhepunkt des Tages stellte das sechsgängige Dinner dar, begleitet von lang gereiften Schaumweinen. Eine wunderbare Harmonie bildeten etwa das Garnelengericht „Mr Mata’s Prawn“ und der frisch degorgierte Intens Rosat 2011 aus Garnacha und Pinot Noir. Der Name des Gerichts ist eine Hommage des Küchenchefs Joseba Cruz an den im November 2023 verstorbenen Antoni Mata Casanovas, der Recaredo in zweiter Generation leitete und eine große Vorliebe für diese Kreation hatte.

Recaredo stellen aber nicht nur Schaumweine, sondern auch beeindruckende Stillweine unter dem Namen Celler Credo her: Der Can Credo 2009, ein reinsortiger Xarel.lo, der den ersten Gang begleitete, zeigte eine superbe Frische und Vitalität angesichts seiner 15 Jahre. Ein Markenzeichen des Xarel.lo ist sicherlich, dass er dank seiner guten Säure und seines niedrigen pH-Wertes ein hervorragendes Reifepotenzial besitzt, was sowohl für Stillweine als auch für Schaumweine gilt. Zudem bringt diese autochthone Weißweintraube sehr eigenständige Weine mit viel Textur hervor. 

Großartiges Pairing: Mr. Mata's Prawn und Intens Rosat 2011
Großartiges Pairing: Mr. Mata’s Prawn und Intens Rosat 2011

Zu meinen Favoriten, jetzt sind wir wieder bei den Schaumweinen, gehört auch stets der würzig-mineralische Serral del Vell, der früher Brut de Brut hieß und von dem wir den Jahrgang 2007 zum Abendessen hatten. Bereits 2017 degorgiert, zeigte er sich knackig frisch, kraftvoll und vibrierend und mit einem sagenhaften Gripp im Mund. Und wie es typisch für einen Recaredo ist: mit einer Textur, die eher seidig-samtig als cremig ist.

Zum Abschluss wurde der Turo d’en Mota 2010 serviert, ein Schaumwein, der in seiner Feinheit, Tiefe und Balance in Spanien seinesgleichen sucht. Für eine sogenannte „Enoteca“ des Jahrgangs 2001 erhielt das Weingut kürzlich von Parker-Kritiker Luis Gutierrez 99-100 Punkte. „Enoteca“ bedeutet, dass einige Flaschen eines Jahrgangs zurückbehalten werden, um sie Jahre später auf den Markt zu bringen. Beispielsweise ist der aktuelle Jahrgang des Turo d’en Mota der 2010er (fast 13 Jahre Hefelager) und die aktuelle Enoteca der 1999er (über 23 Jahre Hefelager). „Mir gefällt die Idee, dass ein Wein ein zweites Leben hat“, sagt Ton Mata dazu. Die nächste Enoteca, von der etwa 150 Flaschen in den Markt gehen, wird der mit 99-100 RP bewertete Jahrgang 2001 sein. Der Turo d’en Mota ist damit der erste spanische Schaumwein und meines Wissens überhaupt der erste Schaumwein außerhalb der Champagne, der bei Parker die Höchstnote erhielt. 

So kann das Weingut Recaredo in diesem Jahr quasi eine doppelte Hundert feiern. Für mich war es jedenfalls eine große Freude diesen besonderen Tag mit ihnen verbringen und feiern zu dürfen. In ihrer Arbeit im Weinberg und mit ihrem Ansatz, Schaumweine mit Terroirbezug zu erzeugen, sind sie fortschrittlich und wegweisend. Im Keller hingegen pflegen sie ihre handwerklichen Traditionen wie vor 100 Jahren.

Recaredo & Friends
Recaredo & Friends

Weitere Infos:

Fotos 1, 3 & 5: © Recaredo
Fotos 2 & 4: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten

1 Kommentar

  1. Hola Thomas,

    da hast Du wieder einen wunderbar auf Fakten basierten, anschaulichen und informativen Artikel geschrieben. Vielen Dank. Finde ich immer wieder toll.
    Einziges Manko: Es fehlt das Rezept zu „Mr. Mata’s Prawns“ 😉

    Kürzlich habe ich Freunden einen 2018 TERRERS Brut Nature Gran Reserva zu einem Fenchel-Orangen-Salat mit etwas roter Zwiebel und einem Picudal-Olivenöl eingeschenkt. Das passte hervorragen zusammen.
    Klar, die hochwertigen Schaumweine aus dem Penedés, stammen sie nun von Corpinnat-Betrieben, Classic Penedés oder aus der DO Cava, kosten viel mehr als das, was die meisten unserer Landsleute (leider) je bereit wären, für Schaumwein auszugeben. Nach meiner Erfahrung sind diese Schäumer aus dem Penedés aber ihr Geld allemal wert und gerade die mit langem Hefelager sind im Vergleich zu Champagnern oder auch hochwertigen deutschen Winzersekten geradezu Schnäppchen. Und Recaredo ist da ganz vorne mit dabei!

    Saludos cordiales!

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