Nach drei Weingutsbesuchen in Valencia ging es für Peter und mich weiter nach Yecla. Dort waren wir mit dem Winzer Erik Rosdahl verabredet. Peter kannte bereits seine Weine, und zu sagen, er ist begeistert von ihnen, wäre eine glatte Untertreibung. Außerdem reiste Alba aus dem vier Stunden entfernten Granada an. Sie betreibt dort ein Geschäft für regionale Lebensmittel und Naturweine, die von überall her kommen. Sie handelt auch Eriks Weine und stellte für uns den Kontakt zu ihm her. Die Fünfte im Bunde war ihre Mitarbeiterin Jessica.
Die Fahrt nach Yecla dauerte knapp über eine halbe Stunde und die Landschaft wurde immer trockener. Murcia ist eine der regenärmsten Regionen ganz Spaniens, und dem nicht genug fallen die Winter extrem kalt und die Sommer extrem heiß aus.
Das Grundstück von Erik, bestehend aus einem halbverfallenen Bau, in dem sich der Weinkeller befindet und dem Rohbau eines Hauses, in dem er lebt, liegt irgendwo im gefühlten Nirgendwo, einige Kilometer von der Stadt Yecla entfernt. Als wir ankommen, erwarten uns Erik, Alba und Jessica bereits.
Erik, das wird sofort klar, ist ein absolut ungewöhnlicher, leicht schräger Typ. Einen Winzer wie ihn habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht getroffen. Was er macht, passt in keine Schublade. Seine Weine erzeugt er mit einfachsten Mitteln in einem schlecht beleuchteten, unaufgeräumten Keller, in alten Tonamphoren, von denen niemand weiß, wie alt sie genau sind. Um die Temperatur während der Gärung zu senken, wirft er einzig gefrorene Wasserflaschen in die Maische. „Mir gefällt die Idee, einen Wein ohne Maschinen zu machen“, sagt er dazu.
Seine Weine sind für mich rational nicht zu erfassen: Sie verfügen über eine Klarheit und Schönheit im Ausdruck, wie ich es in diesem Ambiente (mit Sauberkeit hat er es nicht so) niemals vermuten würde. Ein Pet-Nat, den wir zum Mittagessen trinken, erinnert in reinster Form an frisch gepflückte Erdbeeren. Sein Rotwein Chinquillo 2013 aus der Rebsorte Bobal duftet wie eine Blumenwiese und ist so frisch wie ein Gebirgsquell. Klar ist, dieser Mann verfügt über eine spezielle Begabung, die sich auf den ersten Blick nicht erschließt.
Dem Namen nach ist er Norweger oder Schwede, aber auf meine Frage, von woher er kommt, antwortet Erik knapp: „Ich bin auf der Welt zuhause“. Im Laufe des Besuchs erfahren wir immerhin, dass er einst in Kalifornien Käse erzeugte, der bei Promis in Hollywood auf großen Anklang stieß. Bevor er nach Yecla kam, um Wein zu keltern, lebte er in Asien. Allzu tief lässt er uns aber nicht in sein Leben schauen. Warum auch? Wir kennen uns schließlich kaum, und bei neugierigen Schreiberlingen, wie ich es bin, ist besser Vorsicht geboten.
Während unserer Gespräche, die durchaus philosophische Züge tragen, fragt er einmal rhetorisch: „Warum sollen die Kinder tun, was ihre Eltern schon machten?“ Er verstehe diesen gesellschaftlichen Ansatz nicht, fährt er fort, dass die Kinder ihren Eltern nacheifern sollten. Es sei doch viel besser, das eigene Leben anzugehen und selbst herauszufinden, was einen interessiert. „Wozu dieses Gehabe mit Weinmacher in x-ter Familiengeneration?“ Sein Vater, so viel ist zumindest klar, war kein Winzer.
Im Weinberg bekommen wir dann doch eine gewisse Ahnung von der speziellen Begabung des Erik Rosdahl, von dem, was seine Weine vielleicht so außergewöhnlich macht. Es ist Lesezeit und Erik erntet seinen Plot ganz alleine. Ich schaue mir eine alte Buschrebe an, und da hängen tiptop und kerngesund aussehende Traubenbüschel dran. „Der Stock ist bereits geerntet“, kommt Erik auf mich zu. Ich bin ein bisschen verdutzt und zeige auf die Trauben. „Nein, die gefallen mir nicht, die sind nicht gut, die verwende ich nicht.“ Vermutlich schaue ich Erik wie der ungläubige Thomas an. Also rupft er ein paar Beeren ab, kostet sie und erklärt mir, warum sie ihm nicht zusagen. Für mich schmecken sie dagegen einwandfrei.
Von jeder einzelnen Traube, die Erik erntet, schmeckt er zuerst einige Beeren. Was für ein Aufwand! Wahrscheinlich, denke ich mir, hat er einen besseren Geschmackssinn und eine bessere Intuition als manch andere Winzer. Und wie es scheint, ist er beim Aussortieren gnadenlos kompromisslos. Steckt hinter dieser etwas chaotisch anmutenden Fassade vielleicht sogar ein Perfektionist? Wer weiß das schon.
Für Peter und mich war jedenfalls die Zeit gekommen. Vor uns stand eine fünfstündige Autofahrt in die Berge von Granada. „Kommt gerne wieder“, so das Farewell von Erik, und ich bin durchaus gewillt dieser Einladung nachzukommen.
Al Sur de Granada – Südlich von Granada
Peter und ich kamen in der Dunkelheit in unserm Domizil in den Bergen südlich von Granada an und legten uns sogleich schlafen. Am nächsten Morgen trafen wir uns nach dem Frühstück und schauten uns das Dorf, in dem ich mit Frau und Kindern lebe, an. Die Region heißt Alpujarra. Sie besteht aus mehreren Bergzügen, die sich zwischen dem Mittelmeer (Costa Tropical) und den bis zu 3484 Meter hohen Gipfeln der Sierra Nevada erstrecken. Unser Haus liegt auf knapp 1000 Metern Höhe an den südlichen Ausläufern eben jener Sierra Nevada.
Bekannt ist die Alpujarra unter anderem für ihre weißen Dörfer im maurischen Architekturstil. Im Zuge der christlichen Rückeroberung Spaniens fiel Granada im Jahr 1492 als letzte Stadt unter arabischer Herrschaft. In der abgelegenen Alpujarra-Region konnten sich die Mauren hingegen bis 1570 behaupten, ehe sie in blutigen Schlachten den königlich-spanischen Truppen vollends unterlagen und umgesiedelt wurden.
Was blieb, waren die Errungenschaften aus der Jahrhunderte währenden Herrschaft der Mauren. Sie terrassierten die Berge für die Landwirtschaft und legten ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem an, das bis heute in Verwendung ist: Das Schmelzwasser der Sierra Nevada wird in größeren Becken (Alberquas) gesammelt und über viele Kanäle (Azequias) im Gebiet verteilt. Nahezu jeder Campo, inklusive meine zwei Olivenhaine, wird in der Alpujarra Alta auf diese Weise bewässert.
In unserem Wohnhaus verbrachte der Literat Gerald Brenan sieben Sommer mit der Familie meiner Frau. Meine verstorbene Schwiegermutter war seine Sekretärin. Der Schreibtisch, auf dem ich diese Zeilen tippe, gehörte einst ihm. Brenan kam 1919 als ausgedienter Soldat in die entlegene Alpujarra, wo er sich in einem Haus im Dorf Yegen einmietete. Im Verlauf der Jahrzehnte wurde er zu einem bedeutenden Schriftsteller und Chronisten andalusischen Lebens. Bis heute wird er in Andalusien verehrt, zahlreiche Straßen und Plätze sind nach ihm benannt. Sein größter Erfolg wurde die Autobiografie Al Sur de Granada. Das Buch erschien 1957 im englischen Original als „South from Granada“ und wurde 2003 von der BBC verfilmt. Beide sind absolut lesens- bzw. sehenswert und spielen in den Dörfern der Alpujarra.
Al Sur de Granada heißt außerdem das schöne Ladengeschäft von Alba, das sich in der Provinzhauptstadt befindet. Sie hatte eine Weinprobe organisiert, zu der Peter und ich an diesem Tag eingeladen waren. Über kurvige Bergstraßen und ein kurzes Stück Autobahn fuhren wir in die Stadt. Zum Tasting erschienen ferner ein Filmemacher aus Brooklyn, zwei junge Frauen aus dem Silicon Valley und eine Sommelière aus Málaga.
Das Wine-Up bestand aus den „Local Heroes“ Barranco Oscuro und Garcia de Verdevique sowie einigen Naturweinen aus ganz Spanien. Wir probierten zudem die tags zuvor bei Erik Rosdahl geöffneten Flaschen. Mein Favorit Chinquillo duftete plötzlich nicht mehr wie eine Blumenwiese, sondern war viel fruchtiger und erdig-mineralisch. Nicht zuletzt servierte Alba feinste Schokoladen, Olivenöle und Tapas.
Unter all den wirklich guten Weinen stellte Obstinat 2016 von Winzer Joan Rubió für mich die interessanteste Entdeckung dar. Joan Rubió war lange Jahre Önologe und Technischer Direktor bei Recaredo, einer der herausragendsten Schaumweinerzeuger Spaniens. Er führte bei Recaredo die biodynamische Arbeit in den Weinbergen ein. Seit 2015 betreibt er mit Celler Tiques sein eigenes Projekt. Die Weinberge im katalanischen Penedès-Gebiet stammen aus Familienbesitz, er bestellt sie ebenfalls biodynamisch. „Man sagt uns, wir müssten Böden desinfizieren, so als ob sie infiziert wären, weil sie lebendig sind“, bringt er den Irrsinn konventioneller Landwirtschaft auf den Punkt. Entsprechend sind seine Weingärten keine monotone Rebenwüste, sondern voller Gräser und Blumen. Kurz gesagt: Es geht um Biodiversität und Vitalität.
Obstinat 2016 ist ein herrlich frischer, aromatisch komplexer Orange Wine (18 Tage Schalenkontakt) aus der Xarel.lo-Traube. Das Gewächs hat erstaunlich viel Körper, wenn man bedenkt, dass es nur auf 10% Alkoholgrade kommt. Absolut großartig! Ich werde definitiv mehr Weine von diesem Erzeuger probieren.
Nach der Degustation in Granada war der Weintag für uns noch nicht beendet. Für den Abend stand ein Willkommensessen auf dem Plan. Meine Frau Emily hatte Gambas al Pil Pil, Salmorejo und Tortilla zubereitet. Die zwei letztgenannten Speisen gab es mittags bereits bei Al Sur de Granada als Tapas. Peter bekam somit die volle Dröhnung dieser andalusischen bzw. spanischen Klassiker ab. Dazu tranken wir Weine von Michel Gahier, Javier Revert, Celler del Roure und Dominio del Aguila.
Barranco Oscuro – hochgelegene Pioniere
Am folgenden Tag stand ein Trip in die Sierra de la Contraviesa an. Bezüglich Wein ist diese Bergkette sicher der interessanteste Teil der Alpujarra. Zuerst aber fuhren wir durch den Naturpark Sierra Nevada nach Trevélez. Jene höchstgelegene Ortschaft Spaniens (1595 m.ü.NN) ist überregional für luftgetrocknete Schinken bekannt. Es gibt sogar eine geschützte Herkunftsbezeichnung D.O. Jamón de Trevélez. Peter – der sich nicht nur für Wein, sondern für Kulinarik generell interessiert – deckte sich in einem der vielen lokalen Geschäfte mit Jamón Serrano und Lomo ein. Durchaus nachvollziehbar, in Deutschland würde er das Doppelte bis Dreifache für die Schinkenwaren bezahlen.
Nach einer Kaffee- und Schinkenbrotpause ging’s weiter.
Die Weinberge der Sierra de la Contraviesa verfügen über eine ganz spezielle Geografie: Zum einen liegen sie Luftlinie weniger als fünfzehn Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Trotz dieser Nähe zur Küste (der Streifen heißt Costa Tropical) befinden sich die Rebgärten bereits auf bis zu 1370 Metern Höhe! Das ist europäische Spitze.
Zum anderen türmt sich im Norden die nur zwanzig Kilometer entfernte Sierra Nevada auf. Sie verfügt immerhin über 23 Gipfel mit über 3000 Metern Höhe. Die Contraviesa liegt also genau zwischen Hochgebirge und Meeresküste. Während unserer Autofahrt schwärme ich Peter bereits vom gleichzeitigen Blick auf das blau-glitzernde Gewässer und die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada vor. Das Wetter an dem Tag ist jedoch diesig, und die Sicht fällt schlecht aus. Das nennt man wohl den Vorführeffekt.
Besagte Nähe zum Mittelmeer und zur Sierra Nevada führt in der Contraviesa zu einem besonderen Mikroklima: Wenn die kühle Bergluft auf schwüle Meeresluft trifft, dann bildet sich zwischen 900 und 1400 Metern Höhe Tau. Dieser kühlt die Weinberge ab und ergibt zudem dringend benötigte Feuchtigkeit.
Man darf nicht vergessen: Wir befinden uns im südlichsten Zipfel Europas, in einem regenarmen und heißen Gebiet, in etwa auf dem Breitengrad nordafrikanischer Städte wie Tunis und Algiers. Die extremen Hochlagen, die kühle Nächte bedingen, und der Tau sind folglich zwei entscheidende Kriterien, um frische Weine zu erhalten. Und bei niemandem fallen die Weine frischer aus als bei Winzer Manuel Valenzuela, dessen Weingut Barranco Oscuro wir zuerst besuchen.
Ich kenne Manuel aus vielen Besuchen. Er stammt aus Andalusien, floh während der Franco-Diktatur nach Frankreich, kam später zurück nach Katalonien und ab 1979 wieder nach Andalusien in die Contraviesa, wo er Weinberge pflanzte. Seinen ersten Jahrgang kelterte er 1982. Von Beginn an erzeugte er Naturweine, ohne jegliche Zugabe weinfremder Substanzen. Meines Wissens ist er der erste Naturwinzer Spaniens. Ohne Zweifel ist er der Pionier in Granada. Seinem Beispiel folgen viele Winzer. Die Provinz Granada ist quasi ein Mini-Jura, die Dichte an kleinen Naturweingütern ist hoch.
Seine Weine erzeugt er außerhalb der D.O.P Granada. Sie gelangen einzig unter der Herkunft ‚Vino de España‘ in den Handel. Manuel ist nicht der Typ, der sich vom Kontrollrat einer D.O. vorschreiben lässt, wie er Weine zu machen hat und welche Rebsorten er verwenden darf. Die Gewächse tragen seine ganz individuelle Handschrift. Im Vergleich haben sie am meisten Charakter und sind auch qualitativ die besten in der Provinz Granada. So ist der Pionier Manuel Valenzuela selbst im hohen Alter von 78 Jahren nach wie vor die Benchmark für Klasse. Manchmal frage ich mich, ob dieser Fakt für ihn oder gegen den Weinbau in Granada spricht. Vermutlich etwas von beidem.
Bei jeder Visite tischt Manuel Valenzuela etwas anderes auf. Ich habe keine Ahnung, mit wie vielen Rebsorten er arbeitet und wie viele verschiedene Weine er macht. Viele seiner Weine existieren nur in Hunderterauflagen. Dieses Mal probieren wir welche aus Gewürztraminer und zwei großartige Garnacha Blanca mit enormer aromatischer Intensität und krass knackiger Säure.
Da ich hier von „krass knackiger Säure“ und „Intensität“ rede, sollte ich vielleicht ein Beispiel geben. Ich nahm zwei Flaschen der Garnacha Blanca (Jg. 2018) von Manuel mit nach Hause. Eine davon trank ich vorgestern Abend parallel zu „Riesling Unplugged 2020“ und zu „St. Remigiusberg 2020“ von Martin Tesch aus dem Anbaugebiet Nahe. Die zwei Weine von Tesch waren nicht nur übertrieben fruchtig und gefällig – sprich langweilig -, sondern fühlten sich im Vergleich geradezu kraftlos an. Dass St. Remigiusberg 2020 trotzdem auf 94 Parker-Punkte kommt, ist schwer nachvollziehbar.
Zurück zu Manuel Valenzuela. Aus der autochthonen weißen Traube Vijiriega gewinnt er hinreißend sinnliche Schaumweine (sowohl Pet Nat als auch traditionelle Methode). Aus Pedro Ximénez keltert er wiederum einen natursüßen Wein sowie einen staubtrockenen, nicht gespriteten Wein im Fino-Stil unter Florhefe.
Ferner kultiviert er „spanische“ Trauben wie Garnacha und Tempranillo und internationale Sorten wie Cabernet Sauvignon und Pinot Noir. Letztere scheint im Bergklima der Contraviesa gut zu gedeihen. Der Rosado Salmónido 2020, sortenrein aus Pinot Noir, hat Persönlichkeit und diese animierende Frische, die Barranco Oscuro auszeichnet. Bei einem früheren Besuch hatte mir Manuel einmal erzählt, dass nahezu alle seine Weine auf eine Säure von 7 bis 8 g/l kommen. Wahrlich nicht schlecht für Südspanien, und natürlich ganz ohne Ansäuern.
Jedes Jahr fallen seine Weine anders aus, und nicht immer hauen mich alle von den Socken. Dem Rotwein Rubaiyat aus Syrah ziehe ich normalerweise andere Gewächse vor. Der 2019er-Jahrgang ist hingegen einmalig geraten. Er hat eine Präzision, einen Zug und eine jugendliche Frische, die beeindruckend ist.
Im September ist die Weinlese voll im Gange und so überdehnen wir unsern Besuch nicht. Wir kaufen einige der raren Flaschen, darunter die älteren Jahrgänge 2003 und 2002 des Flaggschiffweins 1368. Die Zahl steht für den höchstgelegenen Weinberg von Barranco Oscuro, der genau diesen Abmessungen entspricht. Bevor ich Peter in der Küstenstadt Nerja ablade, schauen wir bei einem letzten Weingut vorbei.
Garcia de Verdevique – ein vierzig Jahre alter Rosado
Als wir bei Garcia de Verdevique ankommen, herrscht eine greifbare Ruhe. In der Alpujarra kann man die Stille förmlich hören. Um 14 Uhr sind wir mit den Garcias verabredet. Wir sind eine halbe Stunde zu früh dran und treffen erst einmal auf niemanden. Die Familie ist noch irgendwo in den Bergen bei der Weinlese.
Peter und ich begeben uns in einen nahegelegenen Weinberg. Viele Reben bei Garcia de Verdevique sind zwischen 80 und 125 Jahre alt. Die Familie lebt seit den 1890ern an diesem Ort in den Bergen, der nur über einen schmalen und holprigen Feldweg zu erreichen ist. Seither bauen sie Wein an. Die alten Rebgärten sind Mischsätze aus lokalen Sorten wie Jaén Negro, Jaén Blanco, Montua, Vijiriega und Tempranillo. Für letztere Traube ist in Granada der Name Varetuo manchmal in Verwendung.
Die Familie Garcia lebt in einem kleinen Weiler, bestehend aus einigen Häusern. Peter und ich schauen uns ein wenig um, argwöhnisch betrachtet von mehreren Katzen, die Sicherheitsabstand zu uns halten. Die beiden Maultiere sind heute im Stall. Im Frühjahr pflügen sie die Steillagen, und bei den besonders schwer zugänglichen Weinbergen dienen sie auch zum Abtransport der Trauben während der Lese.
Für Ende September ist das Wetter ziemlich drückend und heiß. Nach vier Tagen ‚On the Road‘ sehe ich Peter erstmals Müdigkeit an. Es geht mir genauso. „Lass uns bis Viertel nach zwei warten“, sage ich zu ihm.
Pünktlich kommen die Garcias angefahren: Vater Antonio, Mutter Maria und Sohn Alejandro steigen aus dem Wagen und wir begrüßen uns herzlich. Der ältere Sohn Alberto, der intensiv bei der Arbeit im Weingut involviert ist, hält sich heute andernorts auf. Er hat in den letzten Jahren interessante neue Weine wie Mil Pieles eingeführt. Über den Jahrgang 2019 dieses Blends aus Vijiriega, Perruño und Sauvignon Blanc hatte ich mich tags zuvor mit der Sommelière aus Málaga beim Tasting bei Alba unterhalten. Wie ich ist sie begeistert von diesem Orange Wein.
Während Maria und Alejandro sich ins Haus zum Mittagessen begeben, gehen wir mit Vater Antonio in die Bodega, um ein paar Weine zu verkosten.
Antonio stellt uns zuerst den neuen Jahrgang ihres sortenreinen Vijiriega vor. Für diese in Granada heimische Weißweintraube verwenden sie das Maskulin, auf dem Etikett steht somit Vigiriego 2020. Ich mag diesen günstigen Wein sehr. Er ist frisch, hat einen guten Körper und Charakter. Wie viele spanische Weißweintrauben (PX, Palomino, Godello, etc.) ist auch die Vijiriega keine hocharomatische Sorte. Sie kommt vielmehr über Säure und Textur, was mir ausgesprochen zusagt. Es gibt Leute, die besonders fruchtige Weißweine mögen. Ich gehöre nicht zu dieser Spezies.
Wir probieren einige Rotweine, von denen uns der einzig im Stahltank ausgebaute Tempranillo La Lobera 2018 besonders gut gefällt. Er ist klasse strukturiert, erdig-mineralisch und hat eine dezente, feine reduktive Note. Mit etwas Luftkontakt kann man mediterrane Kräuter wie Thymian und Rosmarin förmlich riechen. Auch Garcia de Verdevique keltern übrigens Naturweine. Dieser Wein stammt aus einem relativ jungen Weinberg mit 25 Jahre alten Reben. Eine nach Norden hängende Einzellage mit den fürs Gebiet typisch armen Schieferböden. Die Erträge sind niedrig und La Lobera kommt auf eine Auflage von weniger als 1000 Flaschen pro Jahrgang.
Ein Hammer ist der 41 Jahre alte El Peluso. Traditionell kelterten die Bewohner der Alpujarra nur Roséwein. Dem Vernehmen nach war es Manuel Valenzuela von Barranco Oscuro, der in den 1980ern Rotweine einführte. Davor gab es nur Rosado, der aus roten und weißen Trauben gewonnen wurde. Die lokale Bezeichnung lautet „Vino de Costa“ (dt.: Küstenwein). Ein solcher Rosé war El Peluso auch einmal. Ein Fass des Jahrgangs 1980 ließen die Garcias über Generationen hinweg einfach in ihrer alten Bodega stehen. Sie haben den Wein auch nicht gespritet, sondern ihn einzig liegen lassen. 2020 haben sie einen Teil des Weins im Fass entnommen und wenige hundert Flaschen (0,375 l) abgefüllt. Der vierzig Jahre währende oxidative Ausbau hat ihn in ein echtes Juwel von großer Feinheit verwandelt. Er erinnert an Palo Cortado, ist aber doch wieder anders und einzigartig. El Peluso (der Flaumige) war der Spitzname von Antonios Vater, der diesen Wein einst kelterte. Sein Abbild ziert das Etikett.
Wir verabschieden uns von Antonio, kurven die Berge hinunter ans Meer und fahren die Autobahn entlang bis nach Nerja. Peter und ich trinken zum Abschluss einen Kaffee, dann fahre ich zurück in die Alpujarra und unser Roadtrip durch den Süden war zu Ende.
Weitere Infos:
Bezugsquelle für alle Weingüter: alsurdegranada.net (Alba liefert nach Deutschland)
Beitragsfotos: Peter Stuckwisch