Bodegas Baigorri – das neue Rioja

Bodegas Baigorri in Rioja Alavesa

In der Weinwelt zählt nicht nur das Sein, sondern ebenso der Schein. Im besten Fall übt dieser Schein eine ungemeine Faszination aus – wie beim Weingut Baigorri im Norden des Rioja. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle einen Überblick zur Weinarchitektur im Rioja verfassen und die zugegeben beeindruckenden Bauten von Stararchitekten wie Santiago Calatrava für die Bodegas Ysios, von Frank Gehry für Marqués de Riscal oder von Zaha Hadid für das Weingut López de Heredia vorstellen. Dann stieß ich bei meinen Recherchen auf Baigorri – diesen erst 2002 gegründeten Weinbetrieb. Ich sah Fotos und Entwürfe und war überwältigt von der Schönheit, der Idee und Funktion des Gebäudes.

Erwähnen sollte ich vielleicht, dass ich kein großer Architekturkenner bin. Von Wein verstehe ich mehr. Dabei kann ich mich in manchen Fällen für Bauwerke ähnlich begeistern. Was mich an der Bodegas Baigorri des baskischen Architekten Iñaki Aspiazu Iza so beeindruckt? Es handelt sich um einen Industriestil, der das Land respektiert und sich nicht in den Vordergrund drängt. Das Gebäude ist groß und setzt einen eigenen Akzent. Es protzt aber nicht, sondern passt sich der Landschaft an und bettet sich in die Umgebung ein. Der Bau spielt sogar mit dem abschüssigen Gelände und gräbt sich dreißig Meter tief in den Boden. Baigorri nutzt dieses Merkmal für eine schonende Weinproduktion unter Beihilfe der Schwerkraft. Von einer „Architektur im Dienste des Weines“, spricht das Weingut. Man könnte es auch funktionale Ästhetik nennen (das Bauhaus lässt grüßen). Und so paart sich mit dem eingangs erwähnten schönen Schein eine ganz praktische Komponente.

Vertikale Weinbereitung über sechs Etagen
Matthias Lange ist im Sitz von Baigorri nahe der Ortschaft Samaniego für das internationale Marketing zuständig. Er beschreibt mir am Telefon den Sinn des Gebäudes: Insgesamt besteht es aus acht Ebenen. Die oberste – nennen wir sie Ebene Null – ist ein quadratischer Glaskasten. Ein leerer Raum, in dem Besucher als erstes und einzig die umgebende Landschaft wahrnehmen. Das ist es auch, was bei Baigorri-Weinen die Hauptrolle spielt – das Terroir. Dazu an späterer Stelle mehr. Wir bleiben vorerst beim Bauwerk: Auf Ebene Eins sind Büros, das Labor für die Weinkontrolle und der hauseigene Weinshop untergebracht.

Blick aus Glasraum auf Samaniego
Blick aus dem Glaspavillon auf die nahegelegene Ortschaft Samaniego 

Ab Ebene Zwei beginnt die konkrete Weinproduktion mit der Annahme des Leseguts. Die geernteten Trauben wandern über Sortiertische und werden per Handlese selektiert. Vom Sortiertisch geht es zum Abbeeren – das heißt Früchte und Stile werden voneinander getrennt. Bei Baigorri geschieht dieser Prozess in einer Schüttelvorrichtung und nicht wie üblich in einer Entrappungsmaschine. Der Vorteil? Beim Abschütteln werden die Trauben weniger beschädigt. Das sei wichtig, betont Lange, damit die Trauben im folgenden Verarbeitungsprozess nicht mit Luft oxidieren und an Geschmack verlieren. Nach dem Abbeeren laufen die Trauben ein weiteres Mal über den Sortiertisch; die Beschädigten werden von vier Arbeitern erneut manuell ausgelesen.

Nun kommt erstmals die Schwerkraft ins Spiel: Nicht über mechanisches Pumpen, das ebenfalls die Schalen der Früchte beschädigen würde, sondern durch Röhren gleiten die Trauben sanft über Spiralen von Ebene Zwei in Ebene Vier. Dort werden sie von zwei Tonnen fassenden Transporttanks aufgefangen, die ihrerseits mit einem Kran zu den 18 Tonnen fassenden Gärtanks auf Ebene Fünf weitertransportiert und „angedockt“ werden. Die Übergabe der Trauben in die Gärtanks erfolgt somit ebenfalls ohne mechanisches Zutun, sondern einzig unter Einbezug der Schwerkraft.

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Mittels Kran wird das Lesegut in einem Transporttank zu den 18 Tonnen fassenden Gärtanks (Ebene 5, untere Bildhälfte) befördert.

Der Clou dabei ist, dass diese großen, schweren Gärtanks nicht etwa auf einem versiegelten Betonboden stehen, sondern an seitlichen Stahlträgern befestigt sind. Was wiederum bedeutet, dass man sich von Ebene Sechs aus unter die Gärtanks begeben kann. Dies hat zwei Vorteile: Zum einen kann die tägliche Umwälzung der Maische ohne mechanisches Pumpen, sondern mittels Abfluss und Transport in Behältern erfolgen. Zum anderen läuft die extrahierte Maische im nachfolgenden Produktionsschritt ein weiteres Mal dank Schwerkraft und ohne Mechanik in die Weinpressen ab. Denn diese Pressen werden auf Rollen unter die Gärtanks geschoben. Final fließt der Wein aus den Pressen zur Reifung in die Barriquefässer, die mit einem Gabelstapler weiter nach Ebene Sieben zur Lagerung gefahren werden. Wozu der Aufwand? Wie gesagt, es geht darum die Trauben so lange wie möglich und so gut wie möglich unbeschädigt zu halten, damit sie ihren ursprünglichen Geschmack bewahren.

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Auf der 6. Ebene wird der Wein gepresst und abgefüllt. Hier befindet sich auch das hauseigene Restaurant (Foto Hintergrund). In der darunter sichtbaren Ebene 7 reift der Wein in Barriques.

Baigorri-Weine: ein Dreiklang aus Frucht, Frische und Konzentration
Vorangehend hatte ich erwähnt, dass dem Terroir eine wichtige Rolle zukommt: Wir befinden uns in Alavesa, dem baskischen und nördlichsten Teil des Rioja-Anbaugebiets, auf etwa 600 Metern über Meereshöhe. Die Böden bestehen aus kalkhaltigem Lehm und Kalkstein. Es herrscht ein Mikroklima: Winter und Frühling sind – atlantisch geprägt – feucht und kühl. Sommer und Herbst sind mediterran heiß und trocken.

Dieses spezifische Terroir bringt in Kombination mit dem beschriebenen schonenden Ausbau einen Dreiklang aus Frische, Frucht und Konzentration bei den Weinen von Bodegas Baigorri hervor. Gerade die zumeist spürbar enthaltene Säure und Frucht verleiht ihnen eine animierende Frische und ist eher untypisch für die Region. Denn bei traditionellen Rioja-Weinen dominieren häufig intensive Vanille-, Tabak- und Röstaromen, die sich bei der Reifung des Weins im Kontakt mit dem Eichenholz der Fässer bilden.

Freilich verwendet Baigorri ebenfalls Barriquefässer, „um dem Wein eine gewisse Eleganz zu verleihen“, wie Matthias Lange sagt. Die Weinphilosophie von Inhaber Pedro Martínez Hernández und Kellermeister Simón Arina Robles sei aber klar darauf ausgelegt, dass die Traube (und nicht das Holz) das geschmacksbildende Element im Wein ist.

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Bodegas Baigorri bewirtschaftet 100 Hektar Rebland in Rioja Alavesa. 

Die neun Weine, die das Haus Baigorri auf diese Weise auf den Markt bringt, bewegen sich im Preissegment von acht bis 100 Euro je Flasche. Sechs davon zwischen 12 und 35 Euro habe ich mit zwei Freunden über’s Wochenende probiert. Einig waren wir uns, dass es sich um keine Alltagsweine handelt, die man nebenbei mal so trinken sollte. Ihre Komplexität verlangt nach einer bewussten Auseinandersetzung.

Hochinteressant ist beispielsweise der „Belus 2012“ – ein Rotwein zu 70% aus Mazuelo (Carignan) und mit jeweils gleichem Restanteil Tempranillo und Garnacha. Er beeindruckt mit einem animierenden Säurespiel und lebhafter Frische sowie vielschichtigen Fruchtaromen und einem langen Finale. Trotz 14 Monate Ausbau in Barriquefässern sind Holznoten quasi nicht wahrnehmbar. Großartig! Kaum weniger brillant finden wir den sortenreinen Garnacha von 2012, der mit seiner dezenten Säure, einem aufrechten Tanningerüst sowie einer schönen Liaison aus fruchtigen und würzigen Anklängen sehr harmonisch anmutet. Dieser Wein schmeckt samtig und beerig und ist nicht nur wegen seiner 15,5% Vol. eine Wucht.

Ferner haben wir den einzigen Weißwein im Sortiment verkostet. Als Reben dienen die autochthone Viura – andernorts als Macabeo bekannt – und in geringem Anteil Malvasia. Da ich aus dem Land großartiger Rieslinge und Silvaner stamme, finde ich es immer besonders interessant die spanischen Weißen zu vergleichen und kritisch zu beäugen. Kurzum: Dieser „Blanco Fermentado“ von 2014 ist ein filigran strukturierter Weißwein mit einer herrlich saftigen Säure. Er entfaltet einen besonderen Schmelz auf der Zunge, und mit jedem Schluck steigert sich die Lust auf mehr. Der goldgelb schimmernde, elegante Wein kann sich mit jedem Verdejo aus Rueda messen und muss auch keinen Vergleich mit einem deutschen Riesling seiner Preisklasse scheuen. Uns hat dieses Geschmackserlebnis vollends von der Vielseitigkeit und Qualität der gesamten Baigorri-Kollektion überzeugt.

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Sechs aus neun: Baigorri-Weine in meinem spanischen Domizil

Wollen wir hin?
Bodegas Baigorri ist für Besucher von Dienstag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der nächstgelegene internationale Flughafen in Bilbao ist rund 120 Kilometer entfernt. Im genannten Wochenzeitraum wird täglich um 11 und 13 Uhr eine Führung inklusive Degustation von drei Weinen für 15 Euro pro Person angeboten. Wer sich im hauseigenen Restaurant ein 6-Gänge-Menü mit Weinbegleitung für um die fünfzig Euro gönnt, kann an den Führungen kostenlos teilnehmen. Reservierungen über Telefon oder die Homepage des Weinguts sind unbedingt ratsam. Ein spontaner oder unangemeldeter Besuch ist natürlich ebenfalls möglich – allerdings auf die Gefahr hin, dass die Führungen ausgebucht bzw. alle Tische im Restaurant belegt sind.


Kontakt- und Besucherinformationen auf einen Blick:
Bodegas Baigorri / Ctra. Vitoria-Logroño, km 53 / 01307 Samaniego, Rioja Alavesa / Tel. +34 945 609 420
Geöffnet Di. bis Sa. 10-18 Uhr / Führungen: Di. bis Sa. 11 und 13 Uhr / Degustationsmenü im Restaurant: Di. bis Sa. 14 Uhr / www.bodegasbaigorri.com


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Das oben abgebildete Modell ist ein Seitenschnitt der Bodega. Am sichtbarsten sind die Gärtanks auf der 5. Ebene. Das Kellereigebäude ist zirka 35 Meter hoch und verfügt über eine Gesamtfläche von rund 14.000 Quadratmetern. Der Großteil befindet sich unter der Erde. Die Baukosten liegen nach Angaben des Architekturbüros bei 7,2 Mio. Euro. Die Fertigstellung erfolgte mit der Betriebsgründung im Jahr 2002.


Alle Beitragsfotos mit freundlicher Genehmigung von © Bodegas Baigorri
Einzige Ausnahme: Foto Nr. 6 mit Baigorri-Weinflaschen von © Thomas Götz

2 Kommentare

  1. Hallo Thomas, wie aufschlussreich deine heutigen Ausführungen, einzigartig, ich bin fasziniert von der genauen Beschreibung des Weingutes und der Gegend, besonders natürlich der spanischen Weine
    und von deinem exzellenten Erzählstil, große Klasse!
    Wäre ich noch jünger und fiter, ich würde ganz sicher mal nach Spanien kommen und eine Weinverkostung mitmachen!!
    Wie hast du geschrieben, „keine Alltagsweine…… ihre Komplexität verlangt nach einer bewussten Auseinandersetzung“.
    Ob ich da mithalten könnte?
    Liebe Grüße von Anneliese

    1. Hallo Anneliese, zuerst einmal vielen Dank für diesen wirklich netten Kommentar. Ob du da mithalten kannst, müssten wir einfach mal ausprobieren. Wir sehen uns ja um Weihnachten, und vielleicht ergibt sich dann die Chance für eine kleine Weinverkostung.
      Viele Grüße
      Thomas

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