Im Tagesspiegel am Sonntag ist am 13. November 2016 ein Artikel zum Thema Naturwein mit der Überschrift „Kann man das trinken?“ erschienen. Damals startete ich diesen Weinblog und archivierte mir interessant erscheinende Beiträge, darunter eben jenen.
Der Beitrag besteht genau genommen aus zwei Kolumnen: eine „Pro“ Naturwein von Ulrich Amling und ein „Contra“ von Norbert Thomma. Die beiden Redakteure behandeln auf zugespitzte Weise die Frage, ob es sich bei Naturwein um die Avantgarde des Weinmachens handelt oder um übel schmeckenden, überteuerten Sud. Weil wir es mit zwei gegensätzlichen Blickwinkeln zu tun haben, geben die Kolumnen im Verbund eine interessante Betrachtung des Phänomens wieder. Dass die Autoren Amling und Thomma (gewollt) polemisieren und einseitig argumentieren ist dabei sogar von Vorteil.
Warum verweise ich auf diesen fast anderthalb Jahre alten Artikel, bzw. komme erst jetzt auf ihn zu sprechen? Zum einen, weil ich weiter unten auf drei andalusische Naturweinmacher eingehe, die ich im vergangenen Jahr besucht und über die ich geschrieben habe. Auf diese Blogbeiträge möchte ich nochmals aufmerksam machen, bevor sie für immer in der Timeline verschwinden. Zum anderen lässt mich das Thema Naturwein nicht los. Da ich aber beginne mich an den eigenen Worten und Perspektiven zu langweilen, will ich heute aus den Tagesspiegel-Kolumnen zitieren bzw. diese zur Hilfe nehmen.
Eine Hymne auf die Landwirtschaft. In der Bodega von Barranco Oscuro
Fangen wir mit Herrn Amling an, der pro Naturwein argumentiert: Er spricht von einem „fade gewordenen Muster industrieller Weinbereitung“, die den Wein profanisiere und die Natur unter ihre Kontrolle bringe. Er schreibt: „Der Manipulation von vergorenem Traubensaft (sind) selbst in der EU kaum Grenzen gesetzt. Aufzuckern für mehr Alkoholbreite, Ansäuern für mehr Frische, Zugabe von Tanninpulver für mehr Struktur, desweiteren Filtern, Schönen, Stabilisieren, Konzentrieren und Konservieren.“ Seine Kritik angesichts solcher chemischer Weinerzeugung schließt Amling mit einem süffisanten Bonmot: „Von wegen reinen Wein einschenken.“
Mit diesem Standpunkt liegt Ulrich Amling meiner Meinung nach richtig. Was in der Weinwelt weitgehend als normal gilt und legal ist – nämlich die Zugabe bzw. Beimischung verschiedenster weinfremder Substanzen zur „Verbesserung“ des Weins – würde man im Sport vermutlich als Doping bezeichnen. Milchsäure, Tanninpulver, Aromenkonzentrate, Kohlensaurer Kalk zur Entsäuerung und viele weitere Mittelchen können Weinmacher im Fachhandel oder über das Internet beziehen, um ihre Tropfen je nach Bedarf aufzuputschen oder abzurunden. Heiligt der Zweck alle Mittel? Beim Wein scheint jedenfalls die Devise zu gelten: So lange es schmeckt, ist’s egal wie’s gemacht wird.
Sie denken ich übertreibe mit meinem Dopingvergleich oder dass er hinkt? Ein weiteres Beispiel: Die Spinnig Cone Column (SCC) erinnert mich an die Technik des Eigenblutdopings. In der Spinnig Cone Column (deutsch: Schleuderkegelkolonne) wird der Wein mittels Zentrifugalkraft in einzelne Bestandteile zerlegt. Auf diese Weise können Alkohol entzogen oder Aromenkonzentrate gewonnen werden, die dem Wein anschließend wieder zurückgeführt werden. Ziel dieses Verfahrens kann es also sein, die Aromen zu verdichten bzw. die Aromatik des Weins zu erhöhen. Mit dem Eigenblutdoping im Sport verhält es sich im Grunde sehr ähnlich: Das Blut wird dem Körper zuerst entnommen, danach in einer Zentrifuge getrennt und per Transfusion mit einem höheren Wert an roten Blutkörperchen wieder in den Körper zurückgeführt. Der Effekt dieser Verdichtung an roten Blutkörperchen im Blut ist die Steigerung der körperlichen Leistungskraft.
Typisch andalusische Fließen in der Bodega F. Schatz.
Kommen wir zurück zum Tagesspiegel-Artikel. Einen Gegenpol zur industriellen Weinbereitung sieht Ulrich Amling in der Bewegung der Naturweine, die sich „vor allem im Weglassen übt“ und dem Wein „seine Würde und auch seine Wildheit“ zurückgebe. In der Tat geht es bei der Erzeugung von Naturweinen nicht nur um biologische oder biodynamische Landwirtschaft, sondern vor allem um den Verzicht auf Zuchthefen, Schwefelpulver, Schönung, Filtrierung, etc. bei der Weinherstellung im Keller. „Weniger ist mehr“, bemerkte der Architekt Ludwig Mies van der Rohe. Man kann diesen Spruch auch auf Naturweine übertragen. Für Amling jedenfalls stellen sie mit ihren oftmals erdigen und würzigen Noten „animierende Tropfen im großen Meer des Wein-Einerleis“ dar, die es zu entdecken gilt. Man könne Naturweine oftmals über Wochen hinweg mit steigendem Vergnügen trinken, so Amling, während sich industriell erzeugte Weine meist an eine „einfältige Fruchtdropsigkeit“ klammerten und alsbald im Glas dahinwelkten. Dass Naturweine „herausfordernd“ sind, gibt er gerne zu, es macht die Sache für ihn umso aufregender.
Norbert Thomma ist da ganz anderer Meinung. In Sachen Naturweine spricht er von „Terror statt Terroir“ und kritisiert, dass „jede Schlamperei im Keller oder Weinberg, jeder Muffton plötzlich als önologischer Geniestreich gefeiert werden (kann)“, weil bei Naturweinen die Kriterien zur Beurteilung von Qualität fehlten. Als Beispiel führt er sein Erlebnis mit einem Weinhändler an, der einen 50 Euro teuren Naturwein aus Chardonnay voller Begeisterung anpries, in dem Thomma geschmacklich aber nichts von Sortentypizität, sondern nur den „Sud von Gewürzgurken“ erkennen konnte.
Insgesamt stößt Thomma die Naturwein-Bewegung auf: „Die Afficionados fühlen sich als Avantgarde. Wer sich in diesen Kreisen an einem klassisch fruchtig-mineralischen Spätburgunder erfreut, erntet mitleidige Blicke. Grandioser Weißwein ist nun nicht mehr klar, er hat auszusehen wie eine Urinprobe, neblig-trüb. Er riecht nicht mehr nach Früchten, sondern nach Bohnerwachs und Gemüse.“ Im Prinzip könne er der Idee der Naturweine ja durchaus beipflichten, erklärt Thomma an einer Stelle: „Biologischer Anbau, wenig Technik, gerne auch Spontangärung ohne künstliche Hefen, knapper Schwefeleinsatz, das klingt alles prima.“ Sofort schränkt er allerdings ein: „Es erfordert aber auch absolut gesunde Trauben, erstklassige Hygiene und genaue Kenntnis mikrobiologischer Prozesse. Und selbst wenn all das zusammenkommt (was selten der Fall ist), ist das Resultat wenig vorhersehbar. Jede kleine Hitzewelle kann die Gärung neu in Wallung bringen…“.
Hierzu möchte ich anmerken, dass es tatsächlich Winzer gibt, die gesunde Trauben ernten, für erstklassige Hygiene im Keller sorgen und über Kenntnis zu mikrobiologischen Prozessen verfügen. Sollen wir etwa Weine akzeptieren, die auf ungesunden Trauben, schlechter Hygiene und Unwissenheit des Winzers basieren? Was Thomma als Seltenheit darstellt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und sogar im sehr heißen Andalusien schaffen es Weinmacher ihre Erzeugnisse vor kleinen Hitzewellen zu schützen. Kühle Lagerung ist nicht so schwer.
Recht hat Thomma aus meiner Sicht hingegen mit der Aussage, dass „Wein (nie) so gut (war) wie heute. Die junge Generation von Winzern ist kosmopolitisch, hochschulgebildet, ökologisch bewusst, experimentierfreudig. Sie lässt den Weinen ihren Charakter von Traube und Herkunft.“ Mit diesem Argument verdeutlicht Norbert Thomma, dass ein breites Spektrum zwischen den beiden Polen (oder soll ich sagen: Extremen) existiert.
Manuel Valencuela, Barranco Oscuro
Einer, der seit bald vierzig Jahren Naturweine mit kompromissloser Haltung keltert, ist Manuel Valenzuela. Ich habe ihn 2017 zweimal auf seinem Weingut in der Sierra de la Contraviesa besucht, und für mich gehören seine Schaum-, Weiß-, Rose-, Rot- und Süßweine zum Spannendsten, was Andalusien zu bieten hat. Während andere bei der Flaschenabfüllung vielleicht noch einen winzigen Tick Schwefelpulver beigeben und/oder den Wein von letzten Trubresten befreien, um eine Nachgärung in der Flasche zu verhindern, verzichtet er selbst darauf. Die Weine von Manuel Valenzuela sind einzigartig, komplex und tief. Mir ist noch kein schlechter oder verdorbener Tropfen untergekommen, abgesehen von einem Korkfehler (einmal), was allerdings nicht an der Weinbereitung liegt. Hier geht es zu meinem Artikel Manuel Valenzuela und seine Naturweine aus 1368 Metern Höhe.
Friedrich Schatz im Januar 2017 in Ronda.
Auch der andalusische Schwabe Friedrich Schatz verzichtet in der Serrania de Ronda auf alle Substanzen, die industrielle Landwirtschaft und „moderne“ Weinbereitung zur Verfügung stellen. Seine drei Hektar Rebland bewirtschaftet er seit den 1980er Jahren biodynamisch. Schatz gibt seinen Weinen Zeit, bevor er sie in den Handel gibt, unter anderem mit einer für heutige Verhältnisse ungewöhnlich langen Flaschenreife. Exzellent sind beispielsweise der Rosé aus Muskattrollinger und sein reinsortiger Petit Verdot. Die Jahrgänge fallen freilich unterschiedlich aus. Hier geht es zum Artikel Friedrich Schatz und sein Lemberger aus Ronda.
Auf der Altiplano de Sierra Nevada, einer Hochebene in der Provinz Granada, pflanzte José Méndez Moya im Jahr 2000 seine ersten Rebstöcke, die er seitdem biodynamisch bewirtschaftet. Anfangs hätten ihn die Bauern aus der Region für seine Methoden noch ausgelacht, erzählt er mir. Heute holten sie sich Rat bei ihm ein, weil auch sie erkennen, dass eine Landwirtschaft, in der hemmungslos Chemikalien eingesetzt werden, auf Dauer eher schadet als nützt. José Méndez Moya ist ein Perfektionist, der im Weinberg, bei der Lese und im Keller auf kleinste Details achtet. Auch er keltert ausschließlich Naturweine. Hier geht es zum Artikel Méndez Moya – Pionier im biodynamischen Weinanbau.