Heute habe ich einen Kater. Zu viel Wein gestern Abend. Kommt nicht mehr so häufig vor wie zu wilden Berliner Zeiten, aber hin und wieder dann eben doch. Eigentlich begann mein Tag ganz gewöhnlich. Ich brachte meinen Sohn morgens zur Schule und danach erledigte ich Einkäufe. Etwas Käse, Schinken und Oliven für eine Weinprobe, die ich am Nachmittag moderieren sollte. Ein Leser dieses Blogs hatte mich per E-Mail kontaktiert. Er verfolge meine Artikel schon länger und sei bald mit Partnerin in der Alpujarra unterwegs. Ob ich ihnen ein paar Weine aus der Region im Rahmen einer Verkostung präsentieren könne. Na klar kann ich das. Ich bot eine überschaubare Degustation von fünf Weinen — zwei Weiße, ein Rosé, zwei Rote — bei mir zuhause gegen ein bestimmtes Entgelt an. Gebongt, der Leser war einverstanden, sie würden mich besuchen kommen, schrieb er zurück.
Zur Auswahl: Weine aus der Alpujarra, Axarquia und Sierra de los Guájares.
Letztlich öffnete ich vier Weiß-, einen Rosé-, fünf Rot- und zwei Süßweine. Ich bin ein schlechter Geschäftsmann. How come? Dass es nicht bei fünf Weinen bleiben würde, merkte ich bereits bei unserer Begrüßung. Ich holte Kerstin und Christian auf dem Parkplatz von Fondales ab und führte sie die engen Gassen hinunter zu meinem Haus, das am Ortsrand liegt. Auf dem Fußweg erfuhr ich, dass sie in der Alpujarra unterwegs sind und nach einem Grundstück Ausschau halten. Nicht einfach nur ein Grundstück mit Haus, sondern eines mit Weingut bzw. zumindest mit Weinbergen darauf. Christian entstammt einer Bad Dürkheimer Winzerfamilie und möchte nun in der Alpujarra seinen eigenen Wein machen.
Wow! Ein Pfälzer, der bei mir quasi vor der Haustüre ein Weingut gründen will. Gedanklich schmiss ich sogleich meine Pläne einer routinierten professionellen Verkostung von etwa anderthalb Stunden über den Haufen. Es wurde dann auch ein heiterer langer Abend (gute sechs Stunden blieben die Gäste), der meinerseits mit einem kleinen Rausch endete. Christian sprach von interessanten Pfälzern Weinerzeugern wie Michael Andres und dem Weinhof Scheu; ich öffnete einen andalusischen Wein nach dem anderen und erzählte von den Winzern und Weingütern der Alpujarra, Sierra Nevada und Axarquia.
Mit der Alpujarra haben sich Christian und Kerstin einen spannenden Standort ausgesucht. Der Dreiklang aus Schieferböden sowie Weinlagen auf bis zu 1400 m Höhe sowie Tau, der im Sommer vom nahen Mittelmeer die Berghänge hochzieht und sich auf den Reben ablegt und diese kühlt, bildet ein spektakuläres Terroir für charaktervolle Qualitätsweine. Ich bin absolut gespannt, wo genau, wann und wie die beiden ihr Weinprojekt realisieren bzw. angehen.
Besonders freute mich, dass bei Kerstin und Christian die Naturweine meines Lieblingsweinguts Garcia de Verdevique so gut ankamen. Alberto Garcia, der gemeinsam mit seinem Vater Antonio die Weine in der Sierra de la Contraviesa keltert, hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch an diesen fantastischen Winzer! Wir probierten von ihm unter anderem den Vigiriego 2016. Vigiriego (oft auch Vijiriega genannt) ist eine autochthone Weißweinsorte der Alpujarra. Sie ergibt tendeziell weniger frucht-, sondern säurebetonte Weine. Bei Garcia de Verdevique kommt hinzu, dass die Vigiriego spontan und ohne Schwefelzusatz vergoren wird. Bei dieser Spontanvergärung wird der Wein durch natürlich im Weinberg und im Keller vorkommende Hefen vergärt und nicht durch speziell gezüchtete Hefen. Der Weinmacher hat bei dieser Methode weniger Kontrolle über den Wein, der Schuss kann unter Umständen nach hinten losgehen und der Most verderben, bei sorgfältiger und gekonnter Vinifizierung können aber äußerst spannende und ungewöhnliche Aromen entstehen. Der durchaus gehalt- und am Gaumen druckvolle Vigiriego 2016 mit seinen feinen Apfelaromen und dezenten Cider-Anklängen ist den Garcias wunderbar gelungen, für mein Empfinden besser als der 2015er Jahrgang, bei dem der Geschmack nach Apfelmost und oxidiertem Sherry etwas zu vordergründig ist.
Die trockenen Weiß- und Roséweine im Tasting.
Gefallen fanden Kerstin und Christian auch an drei Weinen aus der Axarquia, die ich kürzlich auf diesem Blog in separaten Beiträgen besprach. Da wäre der fruchtige und saftige Jarel 2016 von Bodegas Almijara zu nennen, ein trockener Weißwein aus Moscatel de Alejandría. Diese für die Axarquia typische Rebsorte wird von Bodegas Bentomiz unter anderem als natürlicher Süßwein ausgebaut. Der Ariyanas Terruno Pizarroso 2011 zeigt eine breite Aromenstruktur und ein feines Süß-Säure-Spiel im Mund. Mit 18,5 Punkten ist er verdientermaßen hoch bewertet von Jancis Robinson. In den schiefrigen Steilhängen der Axarquia gedeiht ferner die rote Sorte Romé, aus der Winzerin Clara Verheij in ihrer Bodegas Bentomiz einen der besten spanischen Roséweine keltert, die ich kenne.
Vielleicht hatte ich eine instinktive Vorahnung, wie der Abend verlaufen würde: Am Mittag hatte ich alle Weine, die ich derzeit aus Alpujarra, Axarquia und Sierra Nevada im Lager habe, auf meiner Terrasse aufgereiht und daraus fünf für das Tasting ausgewählt. Am Ende öffnete ich sie alle, plus einen weiteren. Und jetzt, glaube ich, lege ich mich etwas schlafen.