Grausames Rioja

Ein guter Hauswein ist in diesen häuslichen Tagen ein Segen. Mein Hauswein heißt „Varetuo“. In den Bergen von Granada ist dies der alte Name für die Sorte Tempranillo. Mein Varetuo – ich verwende bereits das Besitzpronomen – ist ein Naturwein. Das Gewächs stammt von einem 77 Jahre alten Winzer, der seit 41 Jahren kompromisslos Naturweine erzeugt. Er begann bereits damit, als es den Begriff noch gar nicht gab.

Manuel Valenzuela – so der Name des Winzers – ist in der Natural-Szene ein bekannter Hund. Gemeinhin gilt er als Spaniens erster Naturweinmacher. Heute werden seine Weine in Spitzenrestaurants auf der ganzen Welt kredenzt. Obwohl die Provinz Granada nicht gerade für Wein bekannt ist, kennen fast alle in der spanischen Kritiker-, Blogger- und Sommelier-Szene das Weingut Barranco Oscuro.

Ferner habe ich manchmal das Gefühl, dass Granada so etwas wie der kleine Bruder des französischen Jura ist. Insofern, als dass zahlreiche Erzeuger Naturweine keltern. Der Einfluss von Manuel Valenzuela, der 1979 damit begann (und zeigte, dass es geht), ist offensichtlich. Er war und ist ein Wegweiser.

Mit Manuel Valenzuela von Barranco Oscuro. 2019.
Mit Manuel Valenzuela, beim Besuch des Weinguts Barranco Oscuro im Jahr 2019

Varetuo 2018 – ein Tempranillo aus den Bergen von Granada

Ein Hauswein ist für den Alltag gedacht und muss Spass machen. Er sollte süffig sein. Statt „süffig“ sagen viele Leute mittlerweile „der Wein hat einen guten Trinkfluss“. Der Varetuo 2018 erfüllt diese Eigenschaft in großartiger Manier. Weder ist er mega-komplex, noch ist er die schwere Wuchtbrumme wie manche Rotweine aus Spanien.

Mit einer hohen Säure von über 7 g/l ist der Varetuo 2018 stattdessen knackig, straff, geradlinig und mit einem ordentlichen Zug ausgestattet. Außerdem ist es mit 13,5 Prozent Alkoholgehalt ein für Südspanien moderat ausfallender Rotwein. Eindeutig steht die Frische im Vordergrund und nicht so sehr Konzentration und Extrakt.

Was den Varetuo wirklich besonders macht, ist seine Persönlichkeit. Dies ist ein Wein mit einem eigenständigen und unverkennbaren Charakter. So wie der Macher Manuel Valenzuela ein Unikum ist und so wie die andalusische Sierra de la Contraviesa mit ihren Schieferböden, den vom Mittelmeer hochziehenden Tauschwaden und den Hochlagen von über 1300 Metern ein einzigartiges Stück Erde ist.

Der Varetuo von Barranco Oscuro verschafft mir Alltagsgenuss in dieser seltsamen Zeit. Es ist ein Allrounder-Wein mit einem gewissen Etwas. Er entstammt den höchsten Weinlagen Europas und dem für andalusische Verhältnisse kühlen und regnerischen Jahrgang 2018. Weil er so saftig und knackig und nicht übertrieben schwer ist, passt er selbst zu Fisch und Meeresfrüchten. Zu einem Steak und Bratkartoffeln natürlich auch.

Freilich trink ich den Varetuo diese Tage nicht ausschließlich. Abwechslung muss sein. Das bringt mich wiederum ins Rioja, wie es der Beitragstitel schon ankündigt.

Weinberg von Barranco Oscuro. Die Tempranillo heißt in Granada auch Varetuo
Weinberg von Barranco Oscuro in der Sierra de la Contraviesa auf über 1300 m Höhe.

Ich dachte gezwungenermaßen: Probier mal die bekannten Marken aus Rioja und Ribera del Duero

Es zeigt sich nun, dass ich in der Vergangenheit besser mal einen ordentlichen Weinkeller angelegt hätte. Als ich überlegte an die Küste in das Weingeschäft meines Vertrauens zu fahren und mich mit Wein für die Krisenzeit einzudecken, war es schon zu spät. Bereits am folgenden Tag wurde für Spanien eine Ausgangssperre verhängt. Das Haus darf ich seitdem nur noch für den Einkauf im nächstgelegenen Ort verlassen.

Eine schnell getätigte Online-Bestellung ist seither „in Bearbeitung“. Der Händler ist in Madrid ansässig. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen. Irgendwann werden die Weine ankommen, wahrscheinlich erst, wenn die Coronakrise halbwegs ausgestanden ist.

Ergo bediene ich mich auf unbestimmte Zeit mit Weinen aus dem lokalen Supermarkt. Dieser führt zum Glück einige gute und interessante regionale (Natur-)Weine, zu denen unter anderem mein Favorit Varetuo zählt.

Darüber hinaus sind die üblichen großen Marken aus Rioja, Rueda und Ribera del Duero im Angebot. Namen wie Protos, Yllera, Cvne, Campo Viejo, Marqués de Riscal und Viña Pomal. Eben das, was quasi in allen spanischen Supermärkten zu finden ist.

In meiner Not beschloss ich diese Weine mal anzutesten. Vielleicht sind sie ja besser als ihr Ruf, dachte ich, und vielleicht sind sogar Gewächse dabei, die mir gut gefallen und eine willkommene Veränderung bieten können. Ich fasse mich kurz: Dem ist leider nicht so. Klammern wir die saftige Crianza 2016 von Cvne einmal aus, so handelt es sich durchgängig um belanglose und im Falle der Rotweine holzüberladene 0815-Ware.

Den Bock schießt Campo Viejo ab. Die 2016er Crianza ist derart welk, müde und mit penetranten Holzaromen versehen, dass der Wein in die Kategorie „ungenießbar“ fällt. Meine Frau und ich haben ihn zum Kochen verwendet. Zu mehr taugt er nicht. Warum dieser praktisch überall erhältliche Rotwein von so vielen Leuten getrunken wird, ist mir ein Rätsel. Zugegeben, man darf bei einem Preis von 6,50 Euro nicht die Welt erwarten. Es gibt allerdings wirklich viele spanische Weine in diesem Segment, die richtig gut und schön zu trinken sind. Und trotzdem greifen die Konsumenten zu Campo Viejo.

Überragend schlecht ist ferner der Verdejo 2019 von Protos. In diesem Fall handelt es sich um einen Weißwein aus dem Anbaugebiet Rueda. Ein aufdringlicher Fruchtgummi-Duft charakterisiert dieses fade Gewächs. „Zu tropisch“, „künstlich“ und „als hätte man ihm Papaya-Ananas-Pulver beigemischt“ lauteten die Kommentare meiner ansonsten gar nicht so weinkritischen Frau Emily. Nach kurzer Beratung landete dieser Wein ebenfalls im Kochtopf. Wirklich schade, wenn man bedenkt, dass Protos ein bedeutender und renommierter Erzeuger in Ribera del Duero und Rueda ist.

Dann doch lieber die regionalen Weine von den kleinen Erzeugern

„One lives and learns“, pflegen meine englischen Nachbarn zu sagen. Ich habe gelernt: Statt Verdejo von Protos trink ich besser Vijiriega von Garcia de Verdevique, ebenfalls ein Naturweingut aus der Sierra de la Contraviesa. Statt Tempranillo aus Rioja und Ribera del Duero lieber jenen von Barranco Oscuro.

Varetuo 2018, Barranco Oscuro, Granada
Geradeheraus. Kein Schnörkel. Kein Scheiß.

Diese Erkenntnis bzw. Regel gilt zumindest so lange, wie ich mich im lokalen Supermarkt bedienen muss. Sollte meine Online-Order eines Tages doch noch aus Madrid eintreffen, dann werden auch wieder Rioja und Ribera del Duero durch meine Kehle fließen. Der Bestellschein listet unter anderem Viña Tondonia, Quinta Milú und Dominio del Aguila auf. Es ist ja beileibe nicht alles schlecht, was von dort kommt.

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