Der Berg ruft. Ein Interview mit Master of Wine Fernando Mora

Die autonome Gemeinschaft Aragón im Nordosten Spaniens bietet vielfältige Landschaften wie die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen, grüne Weideflächen in Bergen und entlang von Flusstälern und ebenso extrem trockene, steppenartige Hochebenen. Auch der Ebro, Spaniens größter Fluss, durchzieht die Region. Man geht davon aus, dass entlang seiner Ufer der Ursprung von Rebsorten wie Tempranillo, Garnacha und Cariñena liegt. Trotzdem sind Weine aus Aragón nur wenigen Eingeweihten ein Begriff. Am bekanntesten sind wohl noch die Anbaugebiete D.O. Campo de Borja und D.O. Somontano. 

Bislang ein völlig unbeschriebenes Blatt ist das Landweingebiet V.T. Valdejalón, das sich etwa 50 Kilometer westlich der Großstadt Zaragoza erstreckt. Die Betonung im Vorsatz liegt wirklich auf dem Wort „bislang“. Denn was der Master of Wine Fernando Mora und sein Partner Mario López dort mit ihrem Weingut Frontonio seit 2010 machen, sind nicht mehr und nicht weniger als einige der spektakulärsten Weine ganz Spaniens. Schritt für Schritt erschließen sie das vergessene Weinland von Valdejalón wieder. Sie rekultivieren alte Weinberge, zumeist mit roter Garnacha und weißer Macabeo bestockt, und gewinnen daraus Gewächse von großer Klarheit, Intensität und Eleganz.

Fernando Mora ist studierter Windenergie-Ingenieur, wurde dann aber von der Weinlaus gebissen und absolvierte im rekordverdächtigen Tempo von weniger als drei Jahren den Abschluss zum Master of Wine. Alle Prüfungen des Lehrgangs bestand er im ersten Anlauf. Als Experte wie auch als Winzer zählt er somit zu den führenden Köpfen der spanischen Weinszene. Im März moderierte Mora auf der Messe Madrid Fusion ein hochkarätiges Tasting, bei dem er sich mit Roberto Santana und Alfonso Torrente (Envinate), Ricard Rofes (Scala Dei) und Telmo Rodriguez über die Rekultivierung von Weinland in Bergen unterhielt. Im Anschluss führte ich folgendes Gespräch mit ihm.

Die Weinlage El Jardin de las Iguales. Mit Macabeo-Reben von 1899 bis 1908 und Garnacha-Reben zwischen 1918 und 1920 gepflanzt. Hieraus gewinnen Frontonio jeweils ihren top Weiß- und Rotwein.

Hallo Fernando! Gerade hast du ein Tasting mit dem Titel „Die Rekultivierung der Berge“ moderiert. Warum zieht es dich und andere spanische Winzer vermehrt in verlassene Bergregionen? Auf den flachen Hochebenen oder entlang von Flusstälern wäre der Weinbau doch viel einfacher und ökonomischer. Oder nicht?

In der Vergangenheit dienten die flachen Gebiete vor allem dem Anbau von Getreide und Gemüse. Das gilt zumindest für Aragón, wo ich herkomme, und ebenso für nahezu den gesamten mediterranen Raum. In jenen Landstrichen, in denen man nichts anderes anpflanzen konnte, wurden Wein und Oliven angebaut. Das waren schwer zu bearbeitende Orte mit armen Böden, sprich die Berge.

Um nun auf den Punkt zu kommen: Nach meiner Erfahrung besitzen die Trauben aus isolierten Weinlagen in den Bergen ein viel interessanteres Profil als Trauben aus dem Flachland, wo sich ein Weinberg an den anderen reiht.

Das heißt es geht um mehr Individualität im Wein, korrekt?

Ja, schon. Generell muss man bedenken, dass Berge spezifische Bedingungen bieten. In der Regel liegen sie höher, und einhundert Meter Höhendifferenz bedeuten etwa 0,7°C Temperaturunterschied. Wenn ein Weinberg außerdem von anderen Bergen umgeben ist, dann erhält er weniger Sonnenstunden am Morgen und Nachmittag. Dadurch reifen die Trauben langsamer und sie entwickeln mehr Komplexität. Gerade in heißen Regionen wie Aragón ist dies ein Vorteil. Nicht zuletzt spielt die Ausrichtung eine Rolle: Ein Grand Cru im Burgund ist oftmals eine Südlage, während für mich einige der besten Grand Crus Spaniens aus Nordlagen stammen. Es gibt so viele Punkte, die sich auswirken: Bei einem isolierten Weinberg, der von Bäumen umgeben ist, können wir feststellen, dass die Trauben über mehr kräuterige Aromen wie etwa Thymian und Rosmarin verfügen. Wissenschaftlich ist das nicht erklärbar. Aber es ist häufig so.

Frontonio, Fernando Mora
Frontonio stufen die Lage El Jardin de las Iguales als Grand Cru ein. Ihr System folgt dem des Burgund. Ebenso erzeugen sie etwa Premier Crus und Ortsweine.

Ich finde es logisch: Wenn man Weinbau in sehr verschiedenen Landschaften und spezifischen Mikroklimas betreibt, und wenn man davon ausgeht, dass Wein diese Landschaften ausdrückt, dann erhält man folglich ganz unterschiedliche Weine.

Exakt. Aus einem ganz besonderen Ort kannst du einen außergewöhnlichen und individuellen Wein erhalten. Wenn der Ort nicht speziell ist, dann erhältst du einen Standard-Wein. Die Großartigkeit einer besonderen Lage besteht darin, etwas Einzigartiges auszudrücken. Das ist die Philosophie eines Grand Cru.

Spanien steckt diesbezüglich noch eher in den Kinderschuhen. Warum hat es so lange gedauert, bis das Land eine Art burgundisches Denken entwickelte?

Spanien hat in der Tat keine Geschichte darin spezifische Herkünfte und Lagen zu klassifizieren. In der Vergangenheit wurde Wein als Nahrungsmittel angesehen, ähnlich wie Brot. Abgesehen von Jerez und Rioja bestand im Rest des Landes – aus diversen Gründen – kein großes Interesse einzigartige Weine zu keltern. Die Leute brachten sicher Leidenschaft für den Weinbau und den Wein mit, es fehlte jedoch an Leidenschaft und Ehrgeiz etwas „Großes“ abzufüllen. Aber jetzt haben sich die Dinge geändert. Ich denke, wir erleben gerade eine spanische Weinrevolution.

Worin besteht diese Revolution?

In einer Besinnung auf den Weinberg und einer Rückbesinnung auf die lokalen Rebsorten. In praktisch jedem Gebiet in Spanien gibt es außergewöhnliche Weinberge. Wir zeigen nun die Großartigkeit dieser Rebsorten und einzigartigen Weinberge auf. Die Winzer erzeugen handwerkliche Weine mit einer eigenen Identität.

Hat die Revolution auch mit weniger Holz zu tun?

(Lacht) Klar. Auf eine Aktion folgt immer eine Reaktion. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schmeckten die meisten spanischen Weine super holzig und überreif. Die Reaktion darauf ist, dass wir nun früher ernten und weniger Holz verwenden. Das macht ja auch Sinn: Wenn du etwa eine Steillage in den Bergen hast und hart im Weinberg arbeitest, was möchtest du dann erreichen: Dass dein Wein nach dem Holz schmeckt, das du verwendest? Oder doch lieber nach den Trauben, die du erhältst?

Ein wichtiger Aspekt der Arbeit von Fernando Mora besteht darin, einstige Weinberge im Gebiet Valdejalon zu rekultivieren.
Ein wichtiger Aspekt der Arbeit von Fernando Mora besteht darin, einstige Weinberge im Gebiet Valdejalon zu rekultivieren.

Verwendest du Holzfässer bei der Weinbereitung?

Ja, aber nur um den Wein zu verfeinern und nicht um ihn mit Holznoten zu aromatisieren. Da ich meine Trauben zu hundert Prozent mit den Rappen vergäre und eine lange Mazeration vornehme, benötige ich Zeit für den Feinschliff. Diesbezüglich ist ein Holzfass von Wert, denn es ermöglicht Mikrooxidation. Deshalb verwenden wir größere Fuder und gebrauchte 500 Liter Fässer.

Was muss Spanien tun, um hinsichtlich Prestige einmal auf Augenhöhe mit Frankreich und Italien zu stehen?

Wir müssen dem eingeschlagenen Weg folgen: Das heißt, Weinberge in spezifischen Orten zu rekultivieren und immer darin bestrebt sein, unsere Arbeit im Weinberg zu verbessern. Wir müssen lernen, wie man mit diesen spezifischen Orten und Weinbergen am besten umgeht und wie man sie bearbeitet. So wie es Telmo Rodriguez vorhin beim Tasting sagte: „Erst die Söhne unserer Söhne werden unsere Orte so richtig verstehen.“ Und außerdem finde ich, dass wir die Angst verlieren sollten, unsere Weine zum richtigen Preis anzubieten.

Was meinst du genau mit Letzterem?

Spanien ist das billigste Weinland, und zwar nicht nur im Einstiegssegment, sondern auch bei den speziellen Weinen. Wir sind noch jung im „Fine-Wine-Business“ und deshalb vielleicht zu zögerlich darin, die angemessenen Preise abzurufen. Verglichen mit manch anderen Ländern haben wir in unsern schwierigen Terroirs doppelt so viel Arbeit im Weinberg und nur die Hälfte der Erträge. Und trotzdem sind die Weine günstiger. Das sollte nicht sein.

Fernando Mora (links) und Mario López sind Bodegas Frontonio.
Fernando Mora (links) und Mario López sind Bodegas Frontonio. Ihre Weinberge bewirtschaften sie nach biologischen Kriterien.

Deine Rotweine gewinnst du aus Garnacha. Was ist das für eine Rebsorte?

Garnacha kann wie Pinot Noir ein spezifisches Terroir extrem gut übersetzen. Je nach Eigenschaften eines Weinbergs ist das Profil der Traube völlig anders. Deshalb vinifizieren wir jeden Plot nahezu identisch. Die Unterschiede im Wein können wir so auf die einzelnen Lagen zurückführen. Unser Ziel sind außerdem frischere Weine mit weniger Alkohol und Körper. In unserer Gegend dachten die Leute lange Zeit je mehr davon, umso besser. Uns geht es aber um die Feinheiten und Zwischentöne.

Eine letzte Frage: Du kelterst Wein in einer sehr abgelegenen Region in Aragón. Als Master of Wine kommst du zugleich auch viel in der Welt herum. Welches Klischee über spanischen Wein ärgert dich am meisten?

Erstens, wie ich schon sagte, dass viele Leute Spanien als Quelle für billige, fruchtige Weine betrachten. Und dies, obwohl das Land einige der spannendsten Lagen der Welt vorweisen kann. Und Zweitens: Es gibt ein Leben abseits von Crianza, Reserva und Gran Reserva. Selbstverständlich respektiere ich, dass dies ein interessantes Reifesystem für Gebiete wie die Rioja ist, aber eben nicht für ganz Spanien.

In der Lage El Jardin de las Iguales.
In der Lage El Jardin de las Iguales, Bodegas Frontonio, VT Valdejalón.

Weitere Infos:

Bezugsquelle: www.gute-weine.de
Beitragsfotos: © Bodegas Frontonio

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