Obwohl die Rebsorte für mich nicht das Wichtigste bei einem Wein ist, zähle ich mich trotzdem zu den „Garnachistas“, wie die Fans der Garnacha in Spanien genannt werden. Ich liebe die eleganten, tiefgründigen und floral-feinwürzigen Weine, die aus dieser Traube entstehen, wenn die richtigen Hände am Werk sind. Lesen Sie dazu am besten die Interviews mit den wichtigen Protagonisten Dani Landi von Comando G (Gredos) und Fernando Mora von Bodegas Frontonio (Valdejalón).
Im heutigen Beitrag stelle ich sieben Spitzen-Garnachas aus der Rioja vor. Das mag manche Leser und Leserinnen verwundern, denn im Gegensatz zur Sierra de Gredos und einigen Appellationen in Aragon handelt es sich nicht unbedingt um ein Weingebiet, mit dem man den Namen Garnacha verbindet. Schließlich nimmt der Tempranillo dort genau 79,8 Prozent der Rebfläche ein. Die Garnacha hingegen macht derzeit nur 6,6 Prozent der 67.000 Hektar der DOCa Rioja aus.
Aber das war nicht immer so! Letzten Herbst traf ich in Logroño den Winzer und Universitätsprofessor Juan Carlos Sancha, der wohl wie kein anderer die Geschichte des Weinbaus in der Rioja kennt. Laut Sancha war die Garnacha Tinta, so ihr vollständiger Name, bis in die 1970er Jahre die am meisten angebaute Rebsorte in der gesamten DO Rioja (nicht nur in der Subzone Rioja Baja). Im Jahr 1970, so Sancha, habe der Anteil der Garnacha am Rebsortenspiegel bei 39 Prozent gelegen, der des Tempranillo bei 31 Prozent.
Die Verschiebung in den letzten Jahrzehnten zu Lasten der Garnacha und zu Gunsten des Tempranillo hat übrigens in ganz Spanien stattgefunden: Nach Angaben des OIV und des spanischen Agrarministeriums lag die Garnacha-Anbaufläche im Jahr 1990 landesweit bei 169.000 Hektar. Im Jahr 2022 waren es nur noch 59.000 Hektar. Das ist ein Verlust von 110.000 Hektar! Der Tempranillo hingegen legte im gleichen Zeitraum von 46.000 Hektar auf 202.000 Hektar zu, ein satter Zugewinn von 156.000 Hektar.
Dennoch kann man von einer Renaissance der Garnacha in Spanien (und in der Rioja) sprechen. Das Revival bezieht sich freilich nicht auf die Anbaufläche, sondern auf die Wertschätzung, denn die frischen, hochfeinen Weine einiger Produzenten sind schlicht und ergreifend wegweisend. Auffällig ist auch, dass immer mehr Winzer in der Rioja die Garnacha nicht mehr nur als kleinen Verschnittpartner in Tempranillo dominierten Rotwein-Cuvées verwenden, sondern zunehmend sortenrein ausbauen. Auf Events wie Barcelona Wine Week, Off The Record, ProWein, Fenavin und bei mir zu Hause habe ich dieses Jahr viele herausragende Garnachas aus der Rioja verkostet. Meine sieben Favoriten stelle ich – in zufällig gewählter Reihenfolge – nun vor.
1. Tentenublo — El Abundillano 2020
El Abundillano stammt aus einer Einzellage von 0,95 Hektar und ist zu 90 Prozent aus Garnacha gekeltert. Der Rest besteht aus Tempranillo und weißer Malvasia Riojana. Der Weinberg liegt auf 590 Metern Höhe in der Rioja Alavesa. In dieser Subzone findet man Garnacha heute eigentlich nur noch in sehr alten Weinbergen, die Reben in diesem Weinberg sind 95 bis 110 Jahre alt. Die Parzelle ist exponiert und dem Nordwind ausgesetzt, der Boden besteht hauptsächlich aus Mergel und Sandstein mit hohem Eisenoxidgehalt. Dieses Gewächs zeichnet sich durch Mineralität und Kargheit aus. Es verfügt über bemerkenswerte Griffigkeit, Intensität und Länge, kommt ungeschminkt und mit viel Persönlichkeit daher. Das ist tiefgründig und spannend.
2. Remirez de Ganuza — Iraila 2020
Iraila (baskisch: September) ist ein reinsortiger Garnacha aus zwei Weinbergen in San Vicente de la Sonsierra in Rioja Alta. Im Gegensatz zu früher wird die Garnacha in dieser Zone nur noch selten angebaut. Man muss dankbar sein, dass diese Lagen erhalten blieben, denn bereits mit dem ersten Jahrgang 2020 ist ein einzigartiger Rotwein entstanden, der auf einer Stufe mit den Top-Garnachas aus Gredos und Priorat steht. Dieser Wein atmet den Geist des neuen Spaniens: Frische vor Reife und Feinheit vor Opulenz. Am sinnlichen Bukett möchte man ewig riechen. Am Gaumen ist er knackig frisch, druckvoll und schlank sowie von einer Intensität und Länge, wie man sie selten findet. Der Abgang hallt minutenlang nach. Iraila 2020 ist im Stil ganz anders als die dicht strukturierten und kraftvollen Reservas, die man sonst von Remírez de Ganuza kennt. Ein echtes Erlebnis und was für ein Debüt mit dem ersten Jahrgang 2020!
3. Sierra de Toloño — La Dula 2021
Die Winzerin Sandra Bravo hat sich mit atlantisch frischen Weinen aus den Höhenlagen der Rioja Alavesa einen Namen gemacht. Auf knapp zehn Hektar, unterteilt in viele kleine Parzellen, arbeitet sie mit alten Reben und autochthonen Rebsorten. Ihr Garnacha La Dula ist ein Ortswein aus mehreren Weinbergen in der Gemeinde Rivas de Tereso. Die biodynamisch bewirtschafteten Lagen befinden sich in der Sierra Cantabria auf einer Höhe von etwa 700 Metern. Sie gehören zu den kühlsten Standorten der Rioja Alavesa. Neben Garnacha Tinta enthalten sie auch einen kleinen Anteil Garnacha Gris (Graue Garnacha). Die Winzerin erntet und vergärt die roten und weißen Trauben gemeinsam. Der Ausbau erfolgt in kleinen 300-Liter-Amphoren. Im Resultat ist La Dula ein superfrischer, expressiver und floral-sinnlicher Rotwein mit einer tollen Spannung.
4. Alvaro Palacios — Quiñon de Valmira 2019
Auf der diesjährigen Barcelona Wine Week stellten die Winzerstars Alvaro Palacios und Ricardo Pérez Palacios einige ihrer Lagen- und Ortsweine aus dem Bierzo und Priorat im Rahmen einer Verkostung vor. Inhaltlich ging es vor allem um die neu eingeführten Terroir-Klassifikation nach burgundischem Vorbild in diesen beiden Weinregionen. Die von ihnen präsentierten Weine, wie Les Aubaguetes und Moncerbal, sind von geradezu unbeschreiblicher Feinheit. Der Höhepunkt dieses Tastings und vielleicht der gesamten Messetage war für mich jedoch Alvaro Palacios‘ Lagenwein aus Rioja Oriental: Quiñon de Valmira 2019. Der Weinberg liegt im kühleren Teil dieser ansonsten wärmsten Zone der Rioja, auf über 600 Metern Höhe in der Sierra de Yerga. Es ist ein Mischsatz mit 90 Prozent Garnacha und 10 Prozent anderen autochthonen Sorten, wie es in den alten Weinbergen der Rioja üblich ist. Das Ergebnis ist überwältigend: Frischer, tiefer, eleganter und balancierter geht es fast nicht.
5. Alegre Valgañon — Garnacha 2019
Einige der besten und interessantesten Garnachas stammen aus den Höhenlagen des abgelegenen Najerilla-Tals in der Rioja Alta. Dort besitzt der Winzer Oscar Alegre eine nach Norden ausgerichtete Parzelle mit über 100 Jahre alten Rebstöcken. Der charaktervolle Rotwein, den er daraus gewinnt, hat eine atlantisch kühle Anmutung, ist griffig und straff, mit feinem Tannin und saftiger blauer Frucht. Die Betonung liegt auf Frische und Eleganz, nicht auf Kraft und Extrakt. „Wir erleben eine Revolution in der Rioja“, sagt Oscar Alegre und meint damit, dass nicht mehr nur die kellergeprägten Reservas und Gran Reservas für Rioja stehen, sondern auch jene Gewächse, die ein spezifisches Terroir – in diesem Fall eine Einzellage – zum Ausdruck bringen.
6. Bhilar — Phinca El Vedao 2018
Hinter Bodegas Bhilar steht der Winzer David Sampedro. Er bewirtschaftet seine Weinberge biodynamisch und pflügt sie mit Pferden. Insbesondere geht es ihm um Biodiversität und um lebendige, gesunde Böden. Durch die Biodynamie, sagt er, sei zum Beispiel der pH-Wert seiner Weine niedriger geworden. Die reinsortige Garnacha El Vedao stammt von drei Parzellen in der Gemeinde Elvillar in der baskischen Rioja. Die Trauben vergärt Sampedro teilweise mit den Rappen in Betontanks, der Ausbau erfolgt in größeren Holzfässern. Es ist ein charaktervoller, fast knackig frischer Rotwein mit kräuterigen und würzigen Aromen, mit Gripp und einer kreidigen Mineralität. Dieser Wein besticht durch seine Klarheit und Präzision. Kurz: Großes Garnacha-Kino. Das Sales-Team von Bhilar spielt übrigens auch prima Tischkicker! Auf der Fenavin-Messe traf ich sie eines Nachts in einer Bar zusammen mit Renée Sferrazza und Toni Aguado.
7. Juan Carlos Sancha — Peña El Gato Granito 2021
Der eingangs vorgestellte Juan Carlos Sancha ist Professor für Önologie an der Universität von La Rioja. Zudem betreibt er ein Weingut mit 16 Hektar Rebfläche. Die Garnacha ‚Peña El Gato Granito‘ gewinnt er aus einer 1917 gepflanzten Einzellage im Najerilla-Tal auf 750 Metern Höhe. Sancha baut das Gewächs in Granittanks aus. Der 2021er ist mineralisch, druckvoll und gut balanciert. Er hat feine Tannine und eine saftige rote Frucht. Von diesem Jahrgang wurden weniger als 1.000 Flaschen abgefüllt.
Als ich Juan Carlos Sancha während eines Educator-Kurses in der Rioja traf, zeigte er sich davon überzeugt, dass die Garnacha besser an den Klimawandel angepasst ist als etwa der Tempranillo. Garnacha habe einen längeren Reifezyklus und bessere Säurewerte, sagt Sancha. Im heißen Jahr 2022, erzählt der Winzer, habe er seine Tempranillo-Trauben mit einem pH-Wert von fast 4 geerntet. Die Garnacha-Trauben hätten dagegen nur einen ph-Wert von 3,35 gehabt. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise wird die Garnacha in der Rioja (und in Spanien) in Zukunft also vielleicht nicht nur an Wertschätzung und Qualität, sondern auch wieder an Fläche gewinnen.
Weitere Infos:
Alle Fotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten
Mit Ausnahme letztes Foto: © Bodegas Juan Carlos Sancha