Weißweine aus dem Amontillado-Land

Sierra de Montilla

Die 1729 gegründete Bodegas Alvear ist das älteste Weingut Andalusiens und noch heute im Besitz der Gründerfamilie. Kürzlich besuchte ich mit zwei Freunden den Traditionsbetrieb in der DO Montilla-Moriles. Beeindruckt waren wir von den Weißweinen der Serie „Tres Miradas“, die einen mehr oder weniger ausgeprägten Fino-Touch haben und viel Eigenständigkeit bieten.

Wir fahren auf einer schmalen Landstraße zum „Cerro Macho“, der höchsten Erhebung in der Sierra de Montilla. Wir, das sind Peter, Jens und ich sowie Ana und Inmaculada von Bodegas Alvear. Unser Ziel ist die gleichnamige Lage Cerro Macho, ein auf über 600 Metern hoch gelegener Weinberg mit 70 Jahre alten Buschreben und westlicher Ausrichtung. Es ist Mitte Februar, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, und als wir aus dem Auto steigen, bietet sich uns ein weiter Blick auf die Region südlich der Provinzhauptstadt Córdoba. 

Wir befinden uns im 4.300 Hektar großen Weinbaugebiet DO Montilla-Moriles, benannt nach den Kleinstädten Montilla und Moriles. Der Bergzug „Sierra de Montilla“ gilt neben Alto Moriles als die Top-Zone des Anbaugebiets. Die Landschaft ist geprägt von sanften Hügeln, vielen Olivenhainen und kleinen Weinparzellen, die bis auf 630 Metern Höhe liegen. Das Klima ist hier im Landesinneren deutlich kontinentaler als im rund 200 Kilometer entfernten Sherry-Gebiet am Atlantik. Kontinentaler bedeutet extremere Temperaturunterschiede zwischen Winter und Sommer sowie zwischen Tag und Nacht und insgesamt trockener. Der Wind „Aire Solano“ tut sein Übriges, um die gefühlte Temperatur im Winter zu senken. Die Sommer fallen dagegen sehr heiß aus, wie überhaupt die Sonnenintensität mit 3.000 Sonnenstunden im Jahr hoch ist.

Jens, Inmaculada, Peter und Ana

Weiße Böden und weißer PX

Die alten Weinberge wie der Cerro Macho sind in der Sierra de Montilla stets mit Buschreben bepflanzt und nahezu ausschließlich mit der Sorte Pedro Ximénez (PX). Die knorrigen Gewächse sehen ein bisschen wie am Boden liegende Gnubbel aus. Beim Rebschnitt halten die Winzer die Rebe absichtlich nah am Boden, denn so muss die Pflanze weniger Weg und Energie aufwenden, um die Triebe mit Nährstoffen zu versorgen. Diese Form des Rebschnitts heiße „Poda Ciega“ (dt.: blinder Schnitt), klärt uns Ana auf. Außerdem bilden die dicht am Boden gehaltenen Reben ein Blätterdach, das die Sonnenreflexion vom Boden verhindert und generell ein kühleres Mikroklima innerhalb des Rebstocks bildet. Während also anderswo die Reben höher erzogen werden, etwa um die Trauben vom feuchten Boden fernzuhalten, ist es in Montilla genau umgekehrt: Hier gilt es, die Trauben vor zu viel Sonne zu schützen.

Das zweite auffällige Merkmal dieses Weinbergs ist der weiße Boden, auch Albariza genannt (alba bedeutet weiß). Die kalkigen Albariza-Böden bedecken den größten Teil der Sierra de Montilla. Sie sind reich an Kalziumkarbonat und enthalten auch Anteile von Kreide, Ton und Silizium. Ihre wichtigste Eigenschaft aus weinbaulicher Sicht ist ihre ausgezeichnete Wasserspeicherkapazität, die es den Reben ermöglicht, die trockenen Sommermonate zu überstehen. „Bei Regen kann der Boden große Mengen Wasser aufnehmen. Wenn dann die Sonne wieder scheint, verdichtet sich die obere Bodenschicht und bildet eine harte Kruste, die die Verdunstung des Wassers verhindert“, erklärt Inmaculada.

Der Cerro Macho. Mit über 600m wahrscheinlich der höchste Weinberg der Sierra de Montilla.

Alte Betonamphoren und eine Weinkathedrale

Nachdem wir den Weinberg erkundet und ein paar Fotos geschossen haben, machen wir uns auf den Rückweg in die Kleinstadt Montilla. Einen Zwischenstopp legen wir noch am „Lagar Las Puentes“ ein, ebenfalls in der Sierra de Montilla. Als „Lagar“ bezeichnet man in Andalusien eine Art Weingut, in dem die Trauben gepresst und vergoren werden, die Weine aber nicht final ausgebaut und abgefüllt werden. Traditionell wurden die Lagares direkt im Weinberg gebaut, so dass man die Trauben nach der Lese sofort verarbeiten konnte. Die im Lagar erzeugten Jungweine wurden dann in die Städte transportiert, wo sie ihre endgültige Bestimmung und Reifung erfuhren, in Montilla klassischerweise als Fino, Amontillado, Palo Cortado oder Oloroso. Der Name Amontillado bedeutet übersetzt sogar „im Stil von Montilla“.

Im Lagar Las Puentes sehen auch wir eine weitere Besonderheit von Montilla-Moriles, nämlich die Betonamphoren, die ab den 1920er Jahren eingeführt wurden. Wir betreten zwei Räume mit einigen Hundert solcher „Tinajas“. Bei Bodegas Alvear sind die Gefäße 150 und 300 Arrobas groß. Arroba ist eine alte andalusische Maßeinheit von 16 Litern. Eine Betonamphore fasst demnach 2.400 oder 4.800 Liter. Diese Exemplare sind mehrere Meter hoch. Um an ihre obere Öffnung heranzukommen, ist im Raum ein Holzfußboden auf etwa drei Metern Höhe eingezogen. Es gibt in Montilla auch Betonamphoren, die bis zu 10.000 Liter fassen und nochmals höher sind. Die Behältnisse wurden früher von Handwerkern direkt im Keller gebaut und errichtet. Traditionell vergären die Weingüter in den alten Betonamphoren ihre Weine und meistens lassen sie sie auch eine gewisse Zeit darin unter Florhefe reifen.

Ein Alleinstellungsmerkmal in Montilla sind diese klassischen Betonamphoren.

Vom Lagar Las Puentes fahren wir nun zurück in die Stadt Montilla. Dort besitzt Bodegas Alvear eine 60.000 Quadratmeter große Kellerei, die Casa Central. Alle Weine erhalten hier ihre finale Reife. Teil der Casa Central ist der 1927 erbaute Weinkeller „Bodega Monumental“. Es ist ein dunkler und hoher Raum mit einer Luftfeuchtigkeit von 78% und kleinen, geöffneten Fenstern, damit einerseits Luft durchziehen kann und andererseits nur wenig Lichteinfall besteht. Wie viele Bodegas in Andalusien hat auch diese etwas Kathedralenhaftes.

Bodegas Alvear ist vor allem für Süßweine aus der Rebsorte Pedro Ximénez bekannt, insbesondere der Alvear PX Solera 1830 und der Alvear Pedro Ximénez 1920. Auch ihre Finos, Amontillados und Olorosos – der Oberbegriff für diese Weinstile lautet „Vinos Generosos“ – genießen Weltruf. 

Mit PX, Amontillado & Co. habe ich Stichworte gegeben, die manche Leserinnen und Leser an Sherry erinnern mögen. In Montilla-Moriles finden wir alle diese Weinstile ebenfalls. Sie dürfen dort aber nicht Sherry heißen, weil Sherry eine DO-Appellation ist. Allerdings werden die meisten süßen PX-Sherrys zuerst in Montilla-Moriles gekeltert und dann nach Jerez transportiert, wo sie „nur“ ihre endgültige Reifung in den Weinkellern erhalten. Der Grund dafür: Ein Unterschied zwischen den beiden Regionen liegt in den angebauten Rebsorten: In Jerez dominiert die Rebsorte Palomino mit einem Anteil von über 95% den Weinbau, während in Montilla-Moriles der Pedro Ximénez auf über 95% der Rebfläche kommt.

Pedro Ximénez hat mehr Säure und mehr Zucker als Palomino, was gerade für Süßweine keine schlechte Eigenschaft ist. Die PX-Sorte ist aber anfällig für Krankheiten wie Mehltau. Dies eignet sie weniger für den Anbau im Sherry-Gebiet, wo es feuchte Atlantikwinde gibt, dafür aber umso mehr für das sehr trockene kontinentale Klima in der Provinz Cordoba. Und deshalb gibt es in den Statuten der DO Jerez-Xérèz-Sherry eine Ausnahmeregelung, nämlich dass die Sherry-Weingüter ihre PX-Grundweine aus Montilla-Moriles beziehen dürfen.

In der 1927 erbauten „Bodega Monumental“.

3 Miradas: Tradition trifft Avantgarde

Zurück zu Bodegas Alvear: Das Weingut erzeugt nicht mehr nur die traditionellen „Vinos Generosos“, sondern auch hochinteressante Weißweine. Konkret spreche ich von der Weinreihe Tres Miradas. Dieses Projekt ist eine Kooperation zwischen einem der ältesten Weingüter Spaniens (Bodegas Alvear) und der jungen spanischen Avantgarde: Als Alvear 2016 damit begann, wurden zuerst Envinate für die Weinbereitung herangezogen, ab 2019 dann Ramiro Ibañez

Der Fokus der Tres-Miradas-Weißweine liegt stets auf der Rebsorte Pedro Ximénez, dazu auf alten Reben und auf spezifischen Weinlagen mit Albariza-Böden. Die Weißweine verfolgen also einen terroirgeprägten Ansatz, während die traditionellen Weinstile wie Amontillado & Co. kellergeprägt sind.

„Tres Miradas“ bedeutet übersetzt „Drei Perspektiven“ und die erste Perspektive stellt ein Ortswein dar, der 3 Miradas Vino de Pueblo 2022. Seine Trauben stammen aus Weinbergen in der Sierra de Montilla, er wird in Betonamphoren vergoren und darin weitere 8 Monate unter Florhefe ausgebaut. Ich setze diesen Weißwein öfters bei Tastings für Touristen ein, weil er aufgrund seiner Weinbereitung unter Florhefe eine klare andalusische Identität hat. Zugleich ist er zugänglicher als ein Fino, da er viel kürzer und weniger Florhefekontakt hat und somit am Gaumen über viel weniger Schärfe verfügt. Was ich bei diesen Tastings immer feststelle: Leute, die Fino mögen, finden diesen Wein spannend, weil er sie an Fino erinnert. Und jenen, die Fino eigentlich nicht mögen, gefällt er ebenfalls. Er hat eben nur einen kleinen Fino-Touch und ist bei aller salziger Mineralität auch sehr saftig und bietet viel Trinkfluss. In Spanien kostet der Wein unter 15 Euro, was ein fantastisches Preis-Genuss-Verhältnis darstellt. 

Salzig, komplex, griffig und charaktervoll

Für die zweite Perspektive steht der Riofrio Alto 3er Año 2021. Im Unterschied zum Ortswein stammt er aus einer Einzellage. Außerdem reift er neben Betonamphoren auch in alten Holzfässern, jeweils unter Florhefe und für längere Zeit. Im Vergleich ist dieser Weißwein komplexer und druckvoller am Gaumen und er hat schon etwas mehr salzige Schärfe, so dass in meinem Kopfkino viele mögliche Speisebegleiter wie gegrillter Oktopus aber auch gehaltvollere Fleischgerichte aufploppen.

Die dritte Perspektive sind Einzellagenweine, die nicht mehr in Betonamphoren, sondern nur noch in alten Fino-Fässern für etwa zwei Jahre unter Florhefe reifen. Einer dieser Lagenweine ist der Cerro Macho 2021 vom Weinberg auf über 600 Metern Höhe, den wir am Vormittag besucht hatten. Er ist immer mein persönlicher Favorit, weil er so geradlinig und direkt am Gaumen ist und einen langen salzigen Abgang hat. Es geht bei diesem Wein überhaupt nicht um die Nase, sondern um Textur und Mundgefühl. 

Das kann man auch für den Viña Antonin 2020 sagen, der ebenfalls nur in alten Fino-Fässern unter Florhefe reift. Er stammt aus einer Einzellage auf 520 Metern Höhe, die somit etwas niedriger und auch windgeschützter als der Cerro Macho ist. Das Gewächs hat Power und Tiefe, im Vergleich mehr Fülle und Körper und ebenfalls viel salzigen Gripp am Gaumen.

Manche Finos reifen bis zu 10 Jahre unter Florhefe. Die Weißweine Cerro Macho und Viña Antonin hingegen viel kürzer, weshalb ihre „Fino-Note“ viel dezenter ausfällt.

Ein kurzer Einschub zur Florhefe: Der Florhefeschleier, wie im Bild zu sehen, schützt den Wein vor Oxidation. Darüber hinaus interagiert die Florhefe mit dem Wein. Sie entzieht ihm etwa Glycerin, wodurch er knochentrocken wird und einen schlankeren Körper erhält. Gleichzeitig produziert sie Acetaldehyd und gibt es an den Wein ab, was zu einer gewissen Schärfe am Gaumen führt.

Spezielle Weißweine für Aufgeschlossene

Generell haben diese vier Weißweine einen sehr eigenständigen Charakter und eine klare andalusische Identität, da sie einen Weg in Richtung Fino aufzeigen. Gleichwohl unterscheiden sie sich von den klassischen Finos, weil sie weniger Florhefekontakt und dadurch auch weniger Schärfe am Gaumen haben und da sie zudem einen geringeren Alkoholgehalt aufweisen. Während die Finos bei 15% liegen, kommen die vier Tres-Miradas-Weißweine auf 13 bis 13,5%. Auch deshalb passen sie vielleicht besser in die heutige Zeit. Aufgeschlossenen Weinliebhabern, die Lust auf Abwechslung haben, bieten diese Weine jedenfalls eine echte Horizonterweiterung und vielleicht sogar drei neue Perspektiven. 


Weitere Infos:

Dies war mein zweiter Besuch in Montilla. Aus dem ersten ist dieser Beitrag über das Weingut Pérez Barquero entstanden.

Alle Fotos: © Thomas Götz, Spaniens Weinwelten

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