Auf meinem Schreibtisch liegt eine Weinbibel. Die siebte und aktuelle Auflage von „The World Atlas of Wine“ (2013). Von Zeit zu Zeit blättere und lese ich darin. Spanien ist in diesem Standardwerk etwas unterrepräsentiert, wie ich finde: 19 Seiten widmen ihm die Autoren Hugh Johnson und Jancis Robinson, im Vergleich zu 102 Seiten Frankreich und 35 Seiten Italien. Eine neue, achte Ausgabe von „The World Atlas of Wine“ ist für Oktober diesen Jahres angekündigt. Mal sehn, ob Spanien dann proportional mehr Raum erhält. Gemessen an der Dynamik des Weinlands halte ich das für wahrscheinlich.
Auf den 19 Spanien-Seiten der derzeitigen Auflage bringt es Andalusien auf drei. Fast ausschließlich geht es um Sherry. Die Provinz Granada, in der ich seit 2015 lebe, wird nur in einem kleinen Absatz erwähnt. Doch dieser lässt immerhin aufhorchen. Zitat: „Einige der Landweine, die in der Umgebung von Granada erzeugt werden (wie auf bis zu 1386 m Höhe in der höchsten Weinlage Kontinentaleuropas von Barranco Oscuro), deuten darauf hin, dass Granada zu einer der spannendsten Regionen Spaniens aufsteigen könnte.“
Granada – ein Säure-Wunderland
Mit der Angabe von „1386 m Höhe“ ist den Autoren Johnson und Robinson ein Zahlendreher unterlaufen – die Lage von Barranco Oscuro kommt auf 1368 Meter. Aber mit den höchsten Weinbergen Kontinentaleuropas liegen sie mit der Provinz Granada schon richtig. Aufgrund dieser Höhenlagen enthalten viele der hiesigen Rot- und Weißweine 7 bis 8 g/l Säure, was außergewöhnliche Werte für südeuropäische Gewächse sind. Die Weinregion Granada ist so etwas wie ein Säure-Wunderland.
Manche Winzer im südlichen Teil von Granada vergleichen ihr Terroir mit dem des Priorat, denn beide Gebiete sind eine Bergregion nahe am Mittelmeer und beide verfügen über Schieferböden. In Granada mangelt es darüber hinaus nicht an autochthonen Rebsorten wie Vijiriega, Jaén Blanco und Jaén Negro. Gerade erst hatte ich die Gelegenheit einen hochfeinen Schaumwein „Brut Nature“ aus Vijiriega zu probieren. Der Naturwein aus traditioneller Champagnerbereitung und mit 30 Monaten Hefelager kommt vom eingangs erwähnten Weingut Barranco Oscuro. Diese Woche war ich dort zum insgesamt fünften Mal zu Besuch. Mit dabei waren Marc Becker und Askoa Fernandez, die in München einen Handel mit spanischen Produkten betreibt.
Manuel Valenzuela – Weinphilosoph und Rebell
Zu Barranco Oscuro habe ich auf diesem Blog bereits in diversen Beiträgen informiert. Winzer Manuel Valenzuela, 76 Jahre jung, ist ein Pionier im biologischen Weinbau und in der Erzeugung von Naturweinen. Vor vierzig Jahren startete er mit seinem Weingut in der Sierra de la Contraviesa. Das Weinmachen hat er sich selbst beigebracht. Trial and Error. Seine Weine vergärt er mit natürlichen Hefen (die sich an den Beerenhäuten und im Keller befinden), er schwefelt, filtert und schönt sie nicht.
Sich mit Manuel Valenzuela zu unterhalten macht stets Spass, selbst wenn ich aufgrund meiner rudimentären Spanisch-Kentnisse nur siebzig Prozent verstehe. Er ist ein Weinphilosoph und ein Weinpoet, der in seinem Schaffen weit mehr als einen technisch-handwerklichen Aspekt sieht. Wein ist für ihn ein Naturprodukt und auf’s engste mit dem Land, auf dem er wächst, verbunden.
Manuel ist auch ein Rebell, der sich nicht in irgendwelche Schubladen zwingen lässt: Von DO- oder Bio-Siegeln will er nichts wissen. Er will sich keinen institutionellen Vorgaben unterordnen, sondern Wein einzig und genau so machen wie er es für richtig hält. Mit entsprechend viel Charakter und Individualität kommen seine Gewächse daher. Manche werden in den besten Restaurants der Welt kredenzt.
Drei ziemlich beste Weine
Aus der zwölf Weine umfassenden Verkostung ragen für mich – neben dem zuvor erwähnten Schaumwein „Barranco Oscuro Brut Nature 2016“ – drei weitere hervor.
Da wäre als erstes der „Garnata 2015“: Ich probiere ihn und denke sofort an einige sortenreine Garnacha-Rotweine, wie ich sie zum Beispiel von Comando G aus der Sierra de Gredos im Umland von Madrid kenne: helle rötliche Farbe, packende Säure, sehr frisch und elegant. Der Blick auf das Rückenetikett haut mich fast von den Socken: Dieser Wein hat 16,5 % Vol. Alkoholgehalt! Eigentlich zu hoch, ein echtes Brett, man merkt es ihm aber gar nicht an. Ich konnte es kaum glauben. Es ist wohl die Säure von beinahe 8 g/l, die den Alkohol in der Wahrnehmung abmildert bzw. ausbalanciert.
Nummer 2 der kuriosen Tropfen: Ein Gewürztraminer, Jahrgang 2018. Manuel Valenzuela verbrachte in den 1970er Jahren einige Zeit in Paris. Dort, erzählt er uns, lernte er die Rebsorte Gewürztraminer kennen. Er wolle sich mit diesem Wein – von dem es erstmals heuer nur 100 Flaschen gibt – die Erinnerung an damals zurückholen, sagt er. Mit dem verlockenden Duft nach zarten, leicht süsslichen Früchten und floralen Noten ist jener Wein wunderbar gelungen. Er zeigt ferner einen sehr guten Trinkfluss, ist lebhaft am Gaumen und hat einen animierenden Abgang. Wieder liegt der Säurewert hoch, wieder ist es ein saftiger Wein.
Nummer 3: Ein Pinot Noir, Jahrgang 2007, mit acht (!) Jahren Barrique. Dieser Rotwein schmeckt trotz erstaunlichen 96 Monaten Reifung im Barriquefass so gar nicht nach Holz, sondern geschmeidig und aromatisch komplex. Langer Holzkontakt bedeutet im Gegensatz zur gängigen Annahme nicht automatisch viel Holzgeschmack. Die im Holz ausgebauten Weine werden irgendwann wieder mürber und das Holz ist nicht mehr vorherrschend.
Und so verhält es sich auch bei diesem Pinot Noir, der quasi einer Laune der Natur entstammt: Schlechte Witterung machte eine frühe Ernte nötig. Anfangs schmeckte der Wein nicht so recht, erzählt uns Manuel Valenzuela. Es sah ganz nach einem verlorenen Jahrgang aus. Doch der Winzer gab nicht auf: Also ab ins Barrique mit dem Most und mal sehen, wie er sich entwickelt. Erst nach acht Jahren Ausbau war der Weinmacher mit dem Ergebnis zufrieden. Ein weiteres Kriterium was Manuel Valenzuela auszeichnet, ist Geduld. Und so dürfen wir heute diesen feinen Tropfen genießen.
Obwohl ich regelmäßig bei Barranco Oscuro vorbeischaue, gibt es immer neue Gewächse, die ich entdecke und interessant finde. Wie jetzt auch wieder beim Besuch mit Askoa und Marc. Zwölf Hektar bewirtschaftet das Weingut streng biologisch, und die Produktion liegt zwischen 35.000 und 40.000 Flaschen pro Jahr. Die Anzahl an verschiedenen Weinen – es müssen über 30 sein – zeigt, dass Manuel Valenzuela ein Weinmacher ist, der leidenschaftlich mit Rebsorten und Weinstilen experimentiert. Er ist ein wacher Geist, dem die Neugierde nicht abhanden gekommen ist. Ich freu mich auf den nächsten Besuch und bin schon gespannt.
Wieder einmal ein sehr schöner Bericht
Vielen Dank dafür!
Sonnige Grüße
René Pechmann
Einen herzlichen Dank zurück! Ein solch freundlicher Kommentar freut mich sehr.
Beste Grüße
Thomas Götz