Vor drei Jahren habe ich Peter Hilgard und Isabel del Olmo erstmals in ihrem auf 1300 Meter hoch gelegenen und zur DOP Granada gehörenden Weingut Los Barrancos besucht. Es war ein saukalter Januartag, und auf den Gipfeln der benachbarten Sierra Nevada lag eine dicke Schneeschicht. So wie es sich für einen Winter gehört.
Nun war ich wieder im Januar da, und es war derart kuschelig warm, dass wir unser Mittagessen im nahgelegenen Restaurant Alqueria de Morayma ohne Jacke im Freien einnehmen konnten. Die Schneedecke auf der Sierra Nevada ist entsprechend dünn, denn bei frühlingshaften Temperaturen schmilzt das „kostbare Weiß“ schnell dahin.
Von kostbarem Weiß spreche ich deshalb, weil das Schmelzwasser der Sierra Nevada in den trockenen Sommern eine Wasserversorgung für die Alpujarra-Region darstellt. Wenn der Schnee nun aber schon im Winter schmilzt, dann gibt es im Frühling und Sommer auf den Gipfeln keinen Schnee und folglich kein Schmelzwasser mehr. Und das kann fatale Folgen haben, denn von Mai bis September fällt praktisch kein Tropfen Regen in diesem südandalusischen Berggebiet. Wenn ich mich derzeit mit Leuten über die aktuelle warme Wetterlage unterhalte, dann blicke ich allseits in besorgte Gesichter.
Ungeschönte Bioweine aus Höhenlagen
Was Peter und Isabel betrifft, so haben sie zumindest dahingehend Glück, dass Reben sehr genügsame Pflanzen sind, die ohne künstliche Bewässerung klar kommen. Weil sich die Wurzeln von Rebstöcken tief in die Erde graben, sind sie selbst bei extremer Trockenheit in der Lage sich Nährstoffe aus unteren Bodenschichten zu ziehen. Bei Los Barrancos sind es die Sorten Tempranillo, Cabernet Sauvignon und Merlot, die auf acht Hektar biologisch kultiviert werden.
Die Pflege der Rebgärten spielt insgesamt eine zentrale Rolle. Da Kellermeister César Ortega wenig in die Weinbereitung eingreift (z. B. keine Kaltstabilisierung, Schönung und Filtrierung), ist ein gesundes und hochwertiges Lesegut für die Weinqualität elementar. Alle Rotweine von Los Barrancos enthalten außerdem durch die Hochlage – die kühle Nachttemperaturen bedingt – eine hervorragende Säure zwischen 5,5 und 6,2 Gramm je Liter. Für den südlichsten Zipfel Europas sind solche Werte erstaunlich.
Abgesehen davon, dass ich Isabel und Peter immer gerne treffe, bestand der Grund meiner Visite vornehmlich darin, einige neue und noch nicht abgefüllte Weine zu probieren. Sehr vielversprechend – enorm frisch und mit ordentlich Zug – kommt der Corral de Castro 2018 daher. Er entstammt einem für Granada verhältnismäßig kühlen und regnerischen Jahrgang. Außerdem verkosteten wir aktuell beziehbare Rotweine wie den Corral de Castro Reserva 2014 (Tempranillo, CS), der weich, saftig und vielschichtig ist und entsprechend Trinkfreude bereitet.
Poesie, Malerei und Musik huldigen dem Vogel und dem Wein
Ein weiteres Gewächs von Los Barrancos ist der Einzellagenwein Cerro de la Retama. Der Reiz dieses komplexen und fest strukturierten Rotweins aus Cabernet Sauvignon und Merlot liegt unter anderem darin, dass er sich im Laufe eines Abends aromatisch und in seiner Textur verändert und neue Nuancen offenbart.
Eine Spezialabfüllung des 2016er-Jahrgangs haben Peter Hilgard und Isabel del Olmo einem von ihnen initiierten Kunstprojekt gewidmet, welches literarisch, musikalisch und bildhaft dem Vogel und Wein huldigt. Materiell besteht es aus einer CD und dem erwähnten Rotwein Cerro de la Retama.
Peter und Isabel sind belesene und gebildete Menschen. Ich glaube, dass Wein für sie mehr als nur Trinkgenuss darstellt, sondern zu einem Genuss im weiteren Sinne gehört, der Künste wie Malerei, Musik und Literatur beinhaltet. „Genussmenschen“ lieben eben nicht nur guten Wein und gutes Essen, sondern meistens auch die Kunst.
Als thematisches Bindeglied der verschiedenen Genüsse und Künste fungiert in diesem Projekt der Vogel. Er verkörpere für uns Menschen die „Freiheit schlechthin“, wie Peter Hilgard es auf der CD einleitend formuliert. Die Vögel, fährt er fort, „erheben sich in die Lüfte und wechseln ihren Standort nach Lust und Laune“. Beim Menschen könne dies nur der Geist vollbringen, folgert Peter Hilgard, weshalb der Mensch in den Vögeln „ein Abbild seiner Psyche“ sehe.
Der Vogel ist also eine Metapher für den menschlichen Geist und dessen Streben nach Freiheit. Es ist somit kaum verwunderlich, dass sich zahlreiche Komponisten und Literaten dem Vogel in ihren Werken angenommen haben. Auf der genannten CD spielt die Konzertpianistin Makiko Takeda-Herms unter anderem Stücke von Schumann, Liszt und Wagner; während Sprecher Rio Takeda Gedichte von Rilke und Heine rezitiert. Das Bild für CD-Cover und Weinetikett stammt aus der Hand des Leipziger Malers Mathias Perlet. Es stellt einen Bienenfresser dar, welcher in den Weinbergen von Los Barrancos häufiger zu Gast ist.
Und wie steht es mit dem Verhältnis von Wein und Vogel?
Wie der Mensch liebe auch der Vogel den Wein, meint Peter Hilgard in seiner Einführung. „So sehr, dass Schwärme von ihm im Herbst die Trauben ganzer Weinberge gierig in ihren Schnäbeln verschwinden und die Weinbauern ohne Ernte dastehen lassen.“ Einerseits entsteht so eine Wettbewerbssituation zwischen Winzer und Vogel. Andererseits fressen die Vögel für den Wein schädliche Insekten (Anm. Autor: Gerade im biologischen Anbau, der auf Pestizid-Einsatz verzichtet, ist das nicht unbedeutend).
Und sogar im vergorenen Zustand scheinen Vögel gefallen an den Früchten des Rebstocks zu finden, wie Peter Hilgard darlegt: Spuren von Alkohol befänden sich als Ergebnis von Gärprozessen bereits in reifen Trauben, welche beispielsweise die Maori-Taube in Neuseeland verzehre: „Sie hängt nach dem Genuss gärender Weinbeeren berauscht an den Bäumen“.
Wenn Sie – liebe Leserinnen und Leser – sich auch berauschen wollen: Peter Hilgard betreibt ferner den lesenswerten Blog La Vineria. Auf der Eingangsseite können im Shop die CD „Poesie, Malerei und Musik huldigen dem Vogel und dem Wein“ sowie der Rotwein „Cerro de la Retama 2016“ bezogen werden.