Rotes Rías Baixas – so leicht, so hell, so elegant

Das Urteil war eindeutig: „Dies ist kein Rotwein, sondern ein Clarete.“ Mein Freund verzog das Gesicht und gab sich noch nicht einmal Mühe seinen Unmut zu verbergen. Alejandro, Mitte sechzig, von Beruf Anwalt, ist ein Weinenthusiast. Er liebt Rioja, Ribera, Toro und Priorat und hat viel davon im Keller liegen. Was er hier im Glas hatte, gefiel ihm aber überhaupt nicht. Es war ein Rotwein aus dem galicischen Rías Baixas aus der Sorte Espadeiro.

Ich muss gestehen, dass ich ebenfalls Zeit brauchte die Rotweine aus Rías Baixas lieben zu lernen. Es war jedenfalls keine Liebe auf den ersten Schluck. Auch ich wusste anfangs nicht so recht, wie ich diese Gewächse einordnen sollte. So leicht, so hell, so säurebetont. Mancher Spätburgunder aus der Pfalz wirkt dagegen fast schon wie ein schwerer Brocken. Wie können solche Rotweine aus Spanien kommen?

Die Antwort auf diese Frage ist recht banal: Spanien liegt eben nicht nur am Mittelmeer, sondern auch am Atlantik, der reichlich Regen und ein insgesamt feuchtes Klima mit sich bringt. Nachdem ich sie immer wieder mal probierte, klickte es irgendwann: Die Finesse, Eleganz und Einzigartigkeit dieser sogenannten Tintos Atlanticos hat mich geradezu gepackt. Allzu viele von den atlantischen Rotweinen aus Rías Baixas – so viel vorneweg – gibt es leider nicht.

Im Salnes-Tal, der größten Subzone der D.O. Rías Baixas und auch jene mit dem unmittelbarsten Atlantikeinfluss. Hier wächst ganz viel Albariño und ein wenig rote Trauben wie Caiño Tinto, Espadeiro und Loureira Tinta.

Ein Glück ist immerhin, dass die wenigen roten Gewächse von ein paar der besten Winzer der Appellation kommen. An erster Stelle ist Eulogio Pomares zu nennen. Seine überragenden Albariño (Carralcoba, Balado) waren schon früher Thema auf diesem Blog. Im Familienweingut Bodegas Zarate keltert er zudem sortenreine Rotweine aus Caiño Tinto, Espadeiro und Loureira Tinta. Es gibt diese nur in ganz kleinen Auflagen von 600 bis 1300 Flaschen pro Jahrgang. Den 2017 Zarate Caiño habe ich letztes Jahr auf einer Messe verkostet. Meine kurze Notiz von damals: „Echt helle Farbe, superfrisch, elegant, eher floral als fruchtig. Top!“

Darüber hinaus betreibt Eulogio Pomares das persönliche Projekt Fento Wines. Die Weinberge befinden sich etwa zwanzig Kilometer landeinwärts in der Subzone Condado de Tea. Der 2018 Fento Tinto ist eine Cuvée aus den Trauben Sousón, Mencía, Espadeiro und Pedral. Diese verfügt über ein dunkles Violettrot, was an der Hauptsorte Sousón (69%) liegt. Im Duft kommt eine reintönige Frucht zum Vorschein. Am Gaumen fühlt sich das Gewächs weich, saftig und gut balanciert an. Das ist Trinkspass pur.

Rías Baixas war nicht immer nur Weißwein

Ich habe einfach mal drauflos geschrieben, und jetzt fällt mir ein, dass ich vielleicht kurz auf die D.O. Rías Baixas eingehen sollte. Die Anbauregion besteht aus fünf Teilgebieten, die sich mal mehr (Subzone Salnes-Tal), mal weniger (Subzone Condado de Tea) die galicische Atlantikküste entlangziehen. Den Rebsortenspiegel betreffend, ragt ganz klar die weiße Albariño heraus. Die offiziellen Zahlen der Weinlese 2018 besagen, dass auf die Albariño 97,25 Prozent aller geernteter Trauben entfallen. Die restlichen 2,75 Prozent verteilen sich auf insgesamt vier weiße und acht rote Sorten.

Alte Reben in Laubenerziehung im Salnes-Tal, Rías Baixas.
Typisch für Rías Baixas und insbesondere das Salnes-Tal ist die mehrheitlich angewendete Laubenerziehung der Reben. Das sorgt unter anderem für eine gute Durchlüftung der Parzellen. Ein Vorteil im feuchten atlantischen Klima.

Dass die roten Trauben ein derartiges Schattendasein fristen, war übrigens nicht immer so. Einmal las ich davon, dass die Leute in Rías Baixas bis in die 1970er-Jahre häufiger Rotwein tranken und rote Sorten sogar beliebter im Anbau waren als die Albariño. Zuerst konnte ich das kaum glauben. Der im Salnes-Tal ansässige Winzer Carlos Rey Lustres von Bodegas Anadigna bestätigt dies jedoch auf Nachfrage. Auch in seiner Familie wurde früher viel mehr Rot- als Weißwein getrunken, erzählt er. Die damals weit verbreitete rote Sorte heißt „Folla Redonda“. Die widerstandsfähige Traube wurde nach der Reblausplage vermehrt angepflanzt. Heute ist sie nicht mehr relevant, wobei es Überlegungen seitens der D.O. Rías Baixas gibt sie wieder für den Anbau zuzulassen.

Insgesamt sind die „roten Zeiten“ freilich vorbei. Jedoch zeigt dieses Beispiel, dass die heutigen Rías-Baixas-Rotweine keine Modeerscheinung sind, sondern letztlich eine Rückbesinnung auf alte Weintraditionen darstellen. Bereits im 19. Jahrhundert – also vor der Reblausplage – waren Sorten wie Caiño Tinto und Espadeiro im Gebiet populär.

Neben drei Albariños erzeugt Carlos Rey Lustres einen sortenreinen Caiño Tinto. Den Premieren-Jahrgang 2018 kann Carlos noch nicht abfüllen und etikettieren, weil die Parzelle im D.O.-Register nicht mit dem Namen der Rebsorte eingetragen ist. Der Rotwein ist aber fertig und ich habe zwei Musterflaschen erhalten. Mit nur 11 Prozent Alkoholgehalt und 8,5 g/l Säure kommt er mordsknackig, mit ordentlich Zug und Spannung daher. Der von erdigen Tönen geprägte 2018 Anadigna Caiño Tinto fühlt sich straff, geradlinig und mineralisch an. Ich mag solche Weine ungemein. Mainstream ist das natürlich nicht.

Parzelle mit Reben der Caiño Tinto. Bodegas Anadigna im Salnes-Tal.
Diese Reben der Caiño Tinto sind sechzig Jahre alt. Die Parzelle wird von Bodegas Anadigna bewirtschaftet. Weinberge, wie wir sie kennen, gibt es im Salnes-Tal kaum. Viele Rebgärten gehören zu Hausgrundstücken.

Bei aller Individualität, diese Rotweine haben auch einige Gemeinsamkeiten.

Es gibt ein paar Faktoren, welche alle hier vorgestellten Weine gemeinsam haben. Ich fasse sie einmal zusammen, damit ich mich bei den einzelnen Beschreibungen nicht ständig wiederhole. Alle diese Rotweine liegen beim Alkoholgehalt zwischen 11 und 12 Prozent. Alle verfügen sie über spürbare Säure und schmecken großartig frisch. Zudem sind es limitierte Auflagen, zum Teil deutlich unter 1000 Flaschen pro Jahrgang. Bis auf den erwähnten Fento Tinto mit der Hauptsorte Sousón verfügen sie alle über eine helle, transparente Farbe. Alle diese Weine haben Tiefgang. Sie mögen zwar eher leicht und schlank sein, aber flach und mager sind sie garantiert nicht.

Darüber hinaus tritt ein weiteres Merkmal zu Tage, und das ist die Eleganz: Ein großartiges Weingut im Salnes-Tal ist Bodegas Albamar. Die Albariño vom jungen Winzer Xurxo Alba können mitunter ziemlich freakig sein. Mir gefällt, was er macht. So auch der rote 2016 O Esteiro Espadeiro, der in seiner Klarheit und mit feinseidigem Tannin sehr elegant wirkt. Wie bei so vielen Tintos aus dem Salnes-Tal geht die Aromatik eher in die florale Richtung. Eine kräuterige Würze dringt ferner durch. Von Albamar kommen mehrere ausgezeichnete Rotweine. Der hier vorgestellte gefiel mir 2019 bei einem Tasting mit dem Winzer am besten.

Cuvée aus Caiño Tinto, Espadeiro und Loureira Tinta. Helles, transparentes Rot.
Cuvée aus Caiño Tinto, Espadeiro und Loureira Tinta mit typisch hellem, transparenten Rot. Einige sortenreine Gewächse aus Caiño und Espadeiro sind sogar nochmals heller.

Mit Caiño Tinto, Espadeiro und Loureira Tinta sind die drei wichtigsten Rotweinsorten im Salnes-Tal bereits genannt (während in der Subzone Condado de Tea die Sousón am prominentesten vertreten ist). Von der Loureira Tinta konnte ich kein sortenreines Gewächs beziehen, aber immerhin zwei hochfeine Cuvées, in denen sie enthalten ist:

Neulich haben mir die Importeure Diana und Louis Souto Méndez von Vinos Galicien in einem Instagram-Gespräch vom Weinmacher Rodrigo Méndez (Forjas del Salnes) erzählt. Sein 2018 Tras da Canda Tinto aus Caiño, Espadeiro und Loureira Tinta ist ebenfalls so eine Mini-Auflage von 700 Flaschen. Eine davon besorgte ich mir. Der Preis von knapp über zwanzig Euro erscheint günstig, wir sprechen schließlich von rarer Ware. Mir hat dieser erdig-mineralische Rotwein enorm gut gefallen. Ein Wein ohne Schnickschnack, sehr geradlinig und von kühler Eleganz. Außerdem mit tollem Säurezug und Länge.

Eine weitere Klasse-Cuvée aus Caiño Tinto (60%), Espadeiro und Loureira Tinta (je 20%) ist der 2017 Aliaxe von Bodegas Fulcro. Im Vergleich zu jenem von Rodrigo Méndez wirkt das Gewächs etwas wärmer. Die Gärung erfolgt in offenen Bottichen. Danach baut Winzer Manuel Moldes den Wein in gebrauchten 300-l-Fässern aus. Im Resultat offenbart der 2017 Aliaxe großartige Eigenschaften: Dieser Rotwein mit floralen Aromen und elegantem Tannin ist leichtfüßig und zwingend, druckvoll und tiptop balanciert.

Rotweine aus Rotweine aus Caiño Tinto, Espadeiro, Loureira Tinta und Sousón
Trinkspass pur!

Die Rotweine aus Rías Baixas geben dem Weinland Spanien eine weitere Dimension

Die schlanken Rotweine aus Rías Baixas sind einzigartig in Stilistik, Aromatik und Charakter. Abgesehen davon, dass die hier vorgestellten „Tintos Atlanticos“ für sich genommen einfach nur fabelhaft sind, tragen sie darüber hinaus zur Vielfalt des Weinlands Spanien bei. Sie zeigen, dass spanischer Rotwein mehr als Kraft und Konzentration ist, sondern auch äußerst elegant, leichtfüßig und frisch sein kann.

Dass Rotweine aus Spanien nicht zwingend alkoholisch und schwer sind, trifft insgesamt auf Galicien zu. Begeben wir uns von Rías Baixas ins Landesinnere nach Ribeiro und Ribeira Sacra, dann erwarten uns auch in diesen Anbaugebieten schlanke, elegante und superfrische Rotweine. Aber das ist ein anderer Artikel.

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